VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 12

geben.
werten Zweck haben ihr in den weitesten Kreisen der Wiener
Gesellschaft Anerkennung und Sympathien erworben. Auch jetzt,
in den schweren Kriegszeiten, zählt Gräfin Wydenbruck nicht zu
jenen — glücklicherweise nicht allzu zahlreichen — Damen der
Gesellschaft, die sich von den dem Gemeinwohl gewidmeten Werken
abseits halten, sondern sie hat sich in schier aufopfernder Weise
einer weitgehenden Fürsorgetätigkeit gewidmet, die fast ihre ganze
Zeit in Anspruch nimmt. Sie zählt nicht nur zu den künst¬
lerisch Genießenden, sondern auch zu jenen, die auch soziale Arbeit
Die Gräfin hegt auch eine Reihe von Plänen für kleinere
leisten und in diesem Sinne die höhere und edlere Kultur de¬
und größere Veranstaltungen, durch die der Kunstfürsorge
menschlichen Herzens erweisen. Ihre graziöse Erscheinung und
neue Mittel zufließen sollen und sie verweist auf die Ehren¬
ihr Wesen umgibt gleichwohl eine Atmosphäre von Ver¬
feinerung und ausgeprägtem Schönheitssinn, die auch aus präsidentin Fürstin von Metternich=Sandor, die es stets ver¬
ihrem eleganten Heim in der Gußhausstraße dem Besucher standen habe, irgendeiwas Neues. Zugkräftiges ausfinden zu machen,
sofort ins Bewußtsein wird Mit Kennerblick ausgewählte um den von ihr geförderten Zwecken reichliche Mittel zufließen
Gemälde älterer und neuer Meister schmücken die Wände und zu lassen. Bei dieser Gelegenheit erwähnt die Gräfin
man sieht, daß vornehmlich ein feiner Farbensinn und Vorliebe auch der deutschen Meisterabende, deren künstlerischer Ernst sich
für Zartes. Enervierendes die Richtlinien für die Auswahl der dem Wesen der Zeit durchaus anpassen und deren dritter
voraussichtlich eine musikalische Sensation bedeuten dürfte, denn
gesammelten Kunstwerke abgegeben haben.
Seit Kriegsbeginn hat Gräfin Wydenbruck freilich nur er bringt zum erstenmal Kläre Dux nach Wien, eine Sängerin
von höchsten künstlerischen Qualitäten, die Richard Strauß be¬
wenig Zeit in ihrem schönen Heim zu weilen. Fast den ganzen
Tag verbringt sie in der von ihr geleiteten Nähstube im Palais seiner letzten Anwesenheit in Wien als die beste Mozartsängerin
des Militärkasinos auf dem Schwarzenbergplatz. Ich hatte bezeichnete, die er je gehört habe.
Das Gespräch führt bei dieser Gelegenheit auch auf die
wiederholt Gelegenheit, ihr dort einen Besuch abzustatten und
stets fand ich sie, angetan mit der obligaten Nähschürze, eifrigst künstlerischen Erinnerungen der Gräfin und sie bezeichnet mir als
mit dem Abzählen von Leinwandstücken oder mit irgendeiner die tiefste und nachhaltigste ihre persönlichen Beziehungen zu
Handarbeit beschäftigt. Denn sie ordnet nicht nur alles an leitet Mahler, von dessen Persönlichkeit sie den allerstärksten Eindruck
alles mit zielbewußtem Sinn in die richtigen Wege, sie erhalten habe. „Er war, bemerkte die Gräfin, „nicht nur als
Künstler, sondern auch als Mensch einer der wenigen ganz
greift auch selbst wacker zu und arbeitet, umgeben von einem
Großen. Ich betrachte es als ein Glück, daß ich dem Manne
Stab hilfsbereiter Damen, an Liebesgaben für unsere Soldater
im Felde
näher gestanden habe als viele andere, und daß es mir vergönnt
Sie erzählt mir von der wohltätigen Aktion der Nähstube, war, in die Tiefe seines Wesens einzudringen, das leider
so vielen verschlossen blieb, und das zu seinen Lebzeiten oft
die unter dem Protektorate der Erzherzogin Marie Valerie steht
und in der durch der Krieg brotlos gewordene Frauen so arg verkannt wurde. Aber schon jetzt, wenige Jahre
nach seinem Tode, beginnen sich die Wolken, die Unverständnis,
und Mädchen Arbeit finden. Die Leitung der Nähtud
vermittelt die Uebernahme der Arbeiten, die im Säumen vielleicht auch Neid und Mißgunst um seine künstlerische und
und Nähen bestehen und für welche den Arbeiterinnen nicht nur menschliche Erscheinung gewoben haben, zu klären und immer
reiner und größer tritt seine Gestalt hervor.
ein Stücklohn ausbezahlt, sondern auf dem Wege von Speise
Auch zur zeitgenössischen Literatur steht die Gräfin in enger
marken Kost verabreicht wird.
Fühlung Sie spricht von ihrer besonderen Verehrung für Artur
„Gegenwärtig sind etwa sechzig Arbeiterinnen beschäftigt
Schnitzler, den sie zu den eigenartigsten und feinsten Er¬
erzählt die Gräfin, „und es herricht unter allen ein wahrhaft
scheinungen der modernen Literatur zählt. Sie war auch sehr
rührendes patriarchalisches Verhältnis. Jeder passende Anlaß
befreundet mit Mark Twain, dessen trockener, unvergleichlich köst¬
wird benutzt, um durch Veranstaltung einer improvisierten Feier
den schwer arbeitenden Frauen und Mädchen eine kleine Freude licher Humor ihr viele unvergeßliche Stunden bereitet hat Bei
dieser Gelegenheit führt das Gespräch auch auf August¬
zu bereiten. Jeder Kaisertag wird gefeiert, ebenso Ostern. Weih¬
nachten und Neujahr. Ja selbst alle Namenstage und Geburts¬ Wilbrandt=Baudius, die gleichfalls zu dem engeren Wiener
tage der einzelnen werden in Evidenz gehalten und keine geht Freundeskreis des Dichters zählte und deren unerreichte Kunst des
an einem solchen persönlichen Festtage leer aus. Es ist wirklich intimen Vorlesens — jetzt leider viel zu selten gehört — in
wie eine große Familie, und ich freue mich dieses einträchtigen einigen der köstlichsten Skizzen Mark Twains wahre Triumphe
gefeiert hat. Die Gräfin erzählt davon in ihrer geist
Verhältnisses das gewiß wesentlich dazu beiträgt, vielen unter
vollen lebendigen Art und schildert, daran anknüpfend,
ihnen ihr hartes und unverschuldetes Los zu erleichtern und zu
verschönen. Gerade in schwerer Lebenslage ist ja jedes Gemüt für wie unvergeßlich ihr auch ein Frühstück mit Mark Twain
und Peter Nansen sei, bei dem die beiden großen Dichter
ein wenig Herzlichkeit und Wärme doppelt dankbar.
Die Gräfin spricht auch von der zweiten Aktion, der „Alle drei bis vier Stunden auf einem Fleck beisammen gesessen waren
gemeinen Kunstfürsorge, an der sie als Präsidentin des Damen= und sich gegenseitig ihre Erlebnisse erzählt hatten
Da ich von ihrer eigenen künstlerichen Betätigung spreche
komitees regen Anteil nimmt Sie weist darauf hin, wie not¬
die Gräfin ist wiederholt bei intimen Veranstaltungen als Sängerin
wendig diese Bestrebungen wären und wie bedauerlich das Lo¬
und auch (im Schönbrunner Schloßtheater) als Schauspielerin (in
der Künstler gerade in der jetzigen Zeit sei, welche kein Ohr für
dem Wilbrandtschen Einakter „Von Angesicht zu Angesicht) vor
die feineren Stimmen des Lebens habe und so leicht geneigt sei
das Publikum getreten — wehrt sie bescheiden ab und spricht voll
alles als überflüssig zu betrachten, was nicht zu ihren unmittel¬
dankbarer Erinnerung von ihrer Gesanglehrerin, der bekannten
baren Erfordernissen gehöre. So lebt gerade die Kunst, die im
Meisterin Mathilde Marchesi „Die Gesangstunden bei dieser wunderbar
Frieden einen Teil unseres besten Lebens gebildet hat, jetzt ein
musikalischen Frau, erzählt die Gräfin, sind mir durch den künst¬
tiefe und innerliche Tragödie durch. Gerade sie, deren Sendung
lerischen Ernst, durch das innige und begeisterte Versenken in die
es ist, zum menschlichen Herzen zu sprechen, vermag sich jetz
Tiefen der Musik durch die edle Begeisterungsfähigkeit, die uns
neben der erschütternden Sprache der rauheren Wirklichkeiten nur
Schüler damals alle durchflammte, unvergeßlich
schwer vernehmbar zu machen. Und doch darf man auch jetzt ihre
Von der Vergangenheit bei der sie mit sichtlicher Freude
nicht vergessen, vielleicht gerade jetzt nicht, da unermeßliche
Werte und Besitztümer der Kultur durch den Krieg vernichtet gerne verweilt, führt eine gelegentliche Bemerkung wieder rasch zu
werden. Darum erscheint es mir als eine un der ernsten Gegenwart, die wie auf allen, auch auf der Gräfin
endlich bedeutsame Aufgabe, nicht nur jetzt, sondern mit ihrem ganzen Schvergewicht wuchtet. Ihr Sohn sicht seit
Kriegsbeginn als Husarenoffizier an der Front, ihre beiden Töchter
auch in den kommenden Friedenszeiten die Kunst energisch
leisten mit voller Hingabe Samariterdienste in Spitälern. Sie
zu unterstützen, den Boden zu bereiten für ihre neu¬
und nach dem Krieg gewiß bedeutsame Entwicklung Und was schwärmt für die österreichisch=ungarische Monarchie und sagt, daß
die Tragödie der Kunst für den feiner Empfindenden um so es ihr immer Schmerz bereite und sie zu energischem Widerspruch
schmerzlicher macht, ist der Umstand, daß es nicht nur besonders herausfordere, so oft sie höre, wie bei uns immer genörgelt und
begabte, sondern auch empfindsamer organisierte Menschen sind, getadelt werde. Ich sage immer, meint sie lächelnd, ich bin eine
die jetzt oft mit dem schwersten Existenzsorgen zu kämpfen haben ungarische Wienerin und bewundere dieses liebe, schöne Land
und denen ein begreifliches Schamgefühl ihre Notlage noch tiefer Oesterreich über alles! Und ich bewundere unsere Soldaten, sie
leisten Unvergleichliches und wir sollten alle nur ein einziges
und verzweifelter zum Bewußtsein bringt. Darum muß auch
hier nicht nur reichlich und aus freudigsten Herzen, sondern auch Gefühl für sie haben: Bewunderung und Dankbarkeit...
in der zartfühlendsten Form Hilfe gespendet werden. Die Kunst
hat es durch ihre eigene stete Hilfsbereitschaft gewiß reichlich
verdient