VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 13

Mis
Posten nun an
herausgehoben und ins Licht gestellt wurde. In dem Maße,
in dem Weislingen in seine Untreue verstrickt wird und
rotz scheinbarer Oberhand doch schließlich der Unterliegende:
bleibt, in eben diesem Maße hebt sich die ganze Größe des
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laneous
einen Götz aus all seinem Ungemach zu sieghaftem
lebergewichte empor. Und was wir von den neuen
Beziehungen des Dramas zu unserer neuen Zeit sagten:
HEICHSPOST, WIEN,
Ausschnitt aus:
Wahrhaftig! Solche unbeugsame, von ihrem besseren Fühlen
und Wissen beseelte Männer, solche Männer mit eisernen
Fäusten, hat sie unsere Zeit nicht in hunderttausend
NOS
vom
Gestalten wieder erlebt? Solchen Männern, die ingrimmig

lachen, wenn ihnen das Nahen einer zehnfachen Uebermacht
gemeldet wird, die sich ihr ohne einen Augenblick des Zagens
Theater, Kunst, Musik.
entgegenwerfen, begegnen wir solchen feldgrauen Männern
nicht tausendfach: Vor allem aber: In einem beginnenden
Wandel, in einer gewaltigen Verschiebung der Kräfte das
Der neue „Götz"
tals wahr erkannte Alte verteidigen, mit hohem Mut, mit
Das gestrige Burgtheaterereignis.
wildem Trotz und ingrimmiger Unablässigkeit dafür ein¬
Diese „Götz-Aufführung, die gestern eine halbe Stunde
stehen.... ist das nicht heute wieder wie nur
vor Mitternacht zu Ende war und deren Gäste die Straßen¬
einst, und je die Tat unserer Besten geworden
bahn schon im Sonderwagen heimbefördern mußte, war ohne
Auf Schritt und Tritt offenbaren sich nun im
Zweifel ein Ereignis in der Theaterstadt Wien. Eines von
fast eineinhalb¬
das nun
dem Drama Goethes
jenen Ereignissen, bei denen dabeigewesen zu sein sozusagen
Jahrhunderte alt ist, die treffendsten Beziehungen zu den
zum guten literarischen Wiener Ton gehört, eines von jenen
Kampfe unserer Tage. Kein Literaturstäublein deckt für
Ereignissen, die wieder einmal ein volles Haus gebracht
lebendige Menschen von heute dieses lebendige Drama,
haben. Wohlgemerkt: Ein Ereignis nicht durch die neue,
wenngleich mancherlei darin nur zu verstehen ist, wenn man
wissenschaftlich interessante „Götz"Form, welche aus der
sich ganz in den Geist seiner Entstehungszeit und seines¬
Zusammenziehung aller Goetheschen Götzfassungen
Dichters hineinzudenken vermag. So fällt ein Dutzendmal
standen ist, ein Ereignis nicht dadurch,
das Wort „Pfaff, und ein wenig kindisch mutet es an,
Herr Reimers das Erbe Baumeisters in der Titelrolle
wenn in so hoher dichterischer Umgebung kein treffenderes
getreten hat, auch nicht ein Ereignis dadurch, daß die
Wort zur Hand ist, um Bosheit, Tucke, Falschheit zu kenn¬
meisten Rollen überhaupt neu und mit neuen Leuten besetzt
zeichnen. Hier zeigt sich der Goethe des Urgötz, jenes dreiund¬
waren, sondern ganz einfach ein Ereignis dadurch, daß
zwanzigjährige, dichterisch explosive, allein gedanklich noch recht
überhaupt wieder einmal nach zehnjähriger Pause der
unklare Genie, dessen Ausschreitungen eine klügere Regie wohl
Götz auf die Hofbühne gekommen ist. Und dies ist der
mit ruhigem Gewissen hätte Einhalt tun können, selbst wenn
Schatten, der auf das Ereignis fällt: Man muß heute die
dies auf Kosten der historischen Korrektheit des Bühnentextes
Tage, an denen dieses Theater den Klassikern gewidmet
gegangen wäre. Jndessen ist ja katholisches Wesen zu
ist, förmlich rot anstreichen, man muß sie besonders
schützen, katholischen Besitzstand des Gemütes zu wahren
feiern und in jeder Klassikeraufführung förmlich ein
der heute am Burgtheater herrschende Geist nicht geneigt
sensationelles Ereignis erblicken. Und doch sollten die
und so verschanzt sich denn die Regie in diesem Belange
paar klassischen Stücke unseres deutschen Bühnen¬
wohl mit Behagen hinter die Erfordernisse der textlichen
besitzes ohne jegliche Unterbrechung zum eisernen
Manuskriptreue
Bestande der Hofburgtheaters gehören. Wenn Neubesetzungen
Was nun die technische Seite der Aufführung anbe¬
notwendig sind, so sollten sie ganz automatisch, ganz un¬
langt: Eine rasche Folge schön gestellter Bilder, auf der
merklich vor sich gehen. Mit einem Wort: Es soll keine
Drehbühne mit kaum minutenlangen Pausen in den Raum
Sensation abgeben, wenn im Burgtheater „Götz" gespielt
gerückt. Bilder von enger, aber tadelloser Schönheit.
wird. Die Freude, daß wir ihn nun wieder haben, wird
Eines davon ist ein Erlebnis: Der Wachturm, durch dessen
ganz wesentlich beeinträchtigt durch den gewiß sehr be¬
Fenster man auf ein blaues Meer wogender Waldwipfe
rechtigten Aerger darüber, daß wir ihn so lange Zeit über
hinuntersteht, auf denen ein Sommertag seinen ganzen
nicht mehr hatten. Wer dafür verantwortlich zu machen
Glanz und Schimmer webt. Die Bilder stammen von Pro¬
ist, daß unserer Hofbühne die selbstverständlichsten Auf¬
fessor Roller, dem feinfühligsten Bühnenmaler, den das
gaben verdunkelt werden, daß sie erst einer besonderen
Theater seit langem gehabt hat.
Kraftanstrengung, eines gewaltsamen Zusammenraffens
Darstellerisch hatte das Burgtheater gestern vollens
ihrer künstlerischen Energie bedarf, um das zu vollführen
einen Ehrenabend ohne gleichen. Der Götz des Herrn
was ihre selbstverständliche Aufgabe ist und ohne wochen¬
Reimers hielt sich in höchster Ebenbürtigkeit aufrecht
lange Vorankündigung getan werden sollte, daß sie das
neben der vergleichenden Gegenüberstellung der einzigen,
was ihr als Regel obliegt, zur ruhmredigen Ausnahme
uns Jüngeren geläufigen Götz=Tradition: Baumeister. Er
macht, wissen wir nicht. Dies eine aber ist klar: Für ein
war von einer wunderbar klaren Güte, von einer durch
Theater, das sein Ziel darin erblickt, Schnitzlerischen Schmutz
Gutherzigkeit gebändigten Kraft, von einem so starken, schlich¬
und Schönherrsche Erotik möglichst künstlerisch in Bühnen¬
ten Wesen, wie man es sich nur immer zu wünschen vermag.
kunst umzugestalten, für ein solches Theater ist Goethe
freilich eine Ausnahme, die man einmal in zehn Jahren Wie denn überhaupt die größten Tage dieses Künstlers jetzt
zu strahlen beginnen, jetzt, da er in ergrauendem Haare das
macht, die man viele Monate vorher umfangreich ankündigt -
und von der man bald wieder abrückt. Dies ist das retorisch polternde seiner bisherigen Tätigkeit allgemach
ablegen und sich dem verklärenden Schimmer reiferen
schmerzliche gewesen an dem gestrigen Abend, daß er ein
Menschentumes erschließen wird. Dies wurde uns gestern
Ereignis war. Das ist das Traurige an diesem Theater
deutlich bewußt, als wir ihn neben dem Weislingen des
Daß alles Große, was sich auf ihm zeigt, gleich wie ein
Gerrn Walden stehen sahen, der noch ziemlich weit von
Gipfel aufragt aus seiner Fläche, deren stumpfe Niedrigkeit
jenem tiefmenschlichen Künstlersein mitten im Artistischen
dadurch sinnfälliger wird denn je. Und noch ein Zweites
steht, als ein großer Könner, aber kein Versteher. Seine
war traurig gestern abend: Die Aufführung schlug nicht
Sterbeszene ist ein schauspielerisches Meisterstück und läßt
ein! Mit unsäglicher Mühe auf die Beine gebracht, mit
allem Fleiß und aller erdenklicher Sorgfalt vorbereitet, von doch so ganz kali! Fräulein Wohlgemut als Adelheid
brachte eine Enttäuschung, die nicht ihr zur Last fällt
allen ersten Kräften der Hofbühne gefördert, schlug sie
sondern dem Regisseur, der sie an falsche Stelle setzte. Wir
dennoch nicht ein! Fünfundzwanzig Szenen gab es und
glauben, sie wäre eine ganz vortreffliche Maria gewesen. Der
wohl zehnmal ging der Vorhang nieder, ohne daß sich auch
Georg des Herrn Romberg war frisch und voll treu¬
nur eine einzige Hand zum Beifalle gerührt hätte! Die
herziger Jugendlichkeit, doch rein äußerlich vielleicht doch ein
anderen Male gab es einen ganz dünnen Beifall. Den
wenig zu erwachsen. Frau Bleibtreu und Medelst
einzigen, wirklich nennenswerten Beifall des ganzen, vier¬
nahmen die Weiblichkeit in Götzens Hause in allertreueste
einhalbstündigen Theaterabendes holte sich der Götzdarsteller
Herr Reimers bei offener Szene in seinem prachtvollen Obhut, während sich Herr Paulsens Biederkeit am
Sikingen geradstämmig auslebte. Auch die kleineren Rollen
Auftreten gegen die Ratsherren von Heilbronn. Sonst
waren mit ersten Künstlern besetzt, deren das Burgtheater
stumpfes, verächtliches Schweigen, welches den Darstellern
wie man an solchen Abenden bemerkt, eine erstaunliche
und dem Regisseur die schmerzliche Kunde brachte, daß das
Reihe zur Verfügung hat. Kein Wunder, daß sich trotz
Haus nicht mitging, ganz und gar mit seinem Fühlen nicht
mancher Mangelhaftigkeit im einzelnen letzten Endes doch
bei der Sache war. Wie wäre es denn auch anders möglich?
der Eindruck hoher Vollkommenheit einstellt
Dieses selbe Volk, daß sich fahren, fuhraus an Schnitzlers gellem
Und für all das hatte das Stammpublikum des Burg¬
Quatsch erfreut, das Schönherrs brünstiger Geschlechtsmora
theaters von heute so gut wie gar kein Verständnis. Es
begeistert lauscht, wie wäre dieses selbe Volk unn plötzlich
wurde gegen Ende der Vorstellung schon merklich unruhig,
für Göthes biederes Götz=Drama aufnahmsfähig? Jene
zeigte sich unwillig und verdrossen, das Theater lichtete
Wiener Theaterfreunde, die einstens das Stampublikum
sich allmählich lange vor Schluß. Verfall und Tiefstand
für das klassische Programm gebildet haben, jenen einfachen
dieser Bühne offenbarten sich selten deutlicher als an diesem
Mann, dem der Götz des fünfzigjährigen Baumeisters
Burgerfrau, die Abende ihres Anstieges und ihrer Höhe
Fleisch und Blut satz, jene theatersten
hans Brecka.