VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 14



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wildem Trotz und ingrimmiger Unablässigkeit dafür ein¬
Diese „Götz-Aufführung, die gestern eine halbe Stunde
ist das nicht heute wieder wie nur
stehen.
vor Mitternacht zu Ende war und deren Gäste die Straßen¬
und je die Tat unserer Besten geworden
einst.
bahn schon im Sonderwagen heimbefördern mußte, war ohne
Auf Schritt und Tritt offenbaren sich nun
Zweifel ein Ereignis in der Theaterstadt Wien. Eines von
fast eineinhalb¬
das nun
Drama Goethes,
jenen Ereignissen, bei denen dabeigewesen zu sein sozusagen
Jahrhunderte alt ist, die treffendsten Beziehungen zu der
zum guten literarischen Wiener Ton gehört, eines von jenen
Kampfe unserer Tage. Kein Literaturstäublein deckt für
Ereignissen, die wieder einmal ein volles Haus gebracht
lebendige Menschen von heute dieses lebendige Drama,
haben. Wohlgemerkt: Ein Ereignis nicht durch die neue
wenngleich mancherlei darin nur zu verstehen ist, wenn man
wissenschaftlich interessante „Götz=Form, welche aus der
sich ganz in den Geist seiner Entstehungszeit und seines¬
Zusammenziehung aller Goetheschen Götzfassungen ent¬
Dichters hineinzudenken vermag. So fällt ein Dutzendmal
ein Ereignis nicht dadurch
standen ist,
das Wort „Pfaff, und ein wenig kindisch mutet es an,
Herr Reimers das Erbe Baumeisters in der Titelrolle
wenn in so hoher dichterischer Umgebung kein treffenderes
getreten hat, auch nicht ein Ereignis dadurch, daß
Wort zur Hand ist, um Bosheit, Tücke, Falschheit zu kenn¬
meisten Rollen überhaupt neu und mit neuen Leuten besetzt
zeichnen. Hier zeigt sich der Goethe des Urgötz, jenes dreiund¬
waren, sondern ganz einfach ein Ereignis dadurch, daß
zwanzigjährige, dichterisch explosive, allein gedanklich noch recht
überhaupt wieder einmal nach zehnjähriger Pause der
unklare Genie, dessen Ausschreitungen eine klügere Regie wohl
„Götz auf die Hofbühne gekommen ist. Und dies ist der
mit ruhigem Gewissen hätte Einhalt tun können, selbst wenn
Schatten, der auf das Ereignis fällt: Man muß heute die
dies auf Kosten der historischen Korrektheit des Bühnentextes
Tage, an denen dieses Theater den Klassikern gewidme
gegangen wäre. Indessen ist ja katholisches Wesen zu
ist, förmlich rot anstreichen, man muß sie besonders
schützen, katholischen Besitzstand des Gemutes zu wahren
feiern und in jeder Klassikeraufführung förmlich ein
der heute am Burgtheater herrschende Geist nicht geneigt
sensationelles Ereignis erblicken. Und doch sollten die
und so verschanzt sich denn die Regie in diesem Belange
paar klassischen Stücke unseres deutschen Bühnen¬
wohl mit Behagen hinter die Erfordernisse der textlichen
besitzes ohne jegliche Unterbrechung zum eisernen
Manuskriptreue.
Bestande der Hofburgtheaters gehören. Wenn Neubesetzungen
Was nun die technische Seite der Aufführung anbe¬
notwendig sind, so sollten sie ganz automatisch, ganz un¬
langt: Eine rasche Folge schön gestellter Bilder, auf der
merklich vor sich gehen. Mit einem Wort: Es soll keine
Drehbühne mit kaum minutenlangen Pausen in den Raum
Sensation abgeben, wenn im Burgtheater „Götz" gespielt
gerückt. Bilder von enger, aber tadelloser Schönheit.
wird. Die Freude, daß wir ihn nun wieder haben, wird
Eines davon ist ein Erlebnis: Der Wachturm, durch dessen
ganz wesentlich beeinträchtigt durch den gewiß sehr be¬
Fenster man auf ein blaues Meer wogender Waldwipfel
rechtigten Aerger darüber, daß wir ihn so lange Zeit über
hinuntersieht, auf denen ein Sommertag seinen ganzen
nicht mehr hatten. Wer dafür verantwortlich zu machen
Glanz und Schimmer webt. Die Bilder stammen von Pro¬
ist, daß unserer Hofbühne die selbstverständlichsten Auf¬
fessor Roller, dem feinfühligsten Bühnenmaler, den das
gaben verdunkelt werden, daß sie erst einer besonderer
Theater seit langem gehabt hat.
Kraftanstrengung, eines gewaltsamen Zusammenraffens
Darstellerisch hatte das Burgtheater gestern vollens
ihrer künstlerischen Energie bedarf, um das zu vollführen,
einen Ehrenabend ohne gleichen. Der Götz des Herrn
was ihre selbstverständliche Aufgabe ist und ohne wochen¬
Reimers hielt sich in höchster Ebenbürtigkeit aufrecht
lange Vorankündigung getan werden sollte, daß sie das
neben der vergleichenden Gegenüberstellung der einzigen,
was ihr als Regel obliegt, zur ruhmredigen Ausnahme
uns Jüngeren geläufigen Götz=Tradition: Baumeister. Er
macht, wissen wir nicht. Dies eine aber ist klar: Für ein
war von einer wunderbar klaren Güte, von einer durch
Theater, das sein Ziel darin erblickt, Schnitzlerischen Schmu¬
Gutherzigkeit gebändigten Kraft, von einem so starken, schlich¬
und Schönherrsche Erotif möglichst künstlerisch in Bühnen¬
ten Wesen, wie man es sich nur immer zu wünschen vermag.
kunst umzugestalten, für ein solches Theater ist Goethe
Wie denn überhaupt die größten Tage dieses Kunstlers jetzt
freilich eine Ausnahme, die man einmal in zehn Jahren
macht, die man viele Monate vorher umfangreich ankündigt — zu strahlen beginnen, jetzt, da er in ergrauendem Haare das
rhetorisch polternde seiner bisherigen Tätigkeit allgemach
und von der man bald wieder abrückt. Dies ist das
ablegen und sich dem verklärenden Schimmer reiferen
schmerzliche gewesen an dem gestrigen Abend, daß er ein
Menschentumes erschließen wird. Dies wurde uns gestern
Ereignis war. Das ist das Traurige an diesem Theater:
deutlich bewußt, als wir ihn neben dem Weislingen des
Daß alles Große, was sich auf ihm zeigt, gleich wie ein
Gerrn Walden stehen sahen, der noch ziemlich weit von
Gipfel aufragt aus seiner Fläche, deren stumpfe Niedrigkeit
jenem tiefmenschlichen Künstlersein mitten im Artistischen
dadurch sinnfälliger wird denn je. Und noch ein Zweites
steht, als ein großer Könner, aber kein Versteher. Seine
war traurig gestern abend: Die Aufführung schlug nicht
Sterbeszene ist ein schauspielerisches Meisterstück und läßt
ein! Mit unsäglicher Mühe auf die Beine gebracht, mit
doch so ganz kalt! Fräulein Wohlgemut als Adelheid
allem Fleiß und aller erdenklicher Sorgfalt vorbereitet, von
brachte eine Enttäuschung, die nicht ihr zur Last fällt,
allen ersten Kräften der Hofbühne gefördert, schlug
sondern dem Regisseur, der sie an falsche Stelle setzte. Wir
dennoch nicht ein! Fünfundzwanzig Szenen gab es und
glauben, sie wäre eine ganz vortreffliche Maria gewesen. Der
wohl zehnmal ging der Vorhang nieder, ohne daß sich auch
Georg des Herrn Romberg war frisch und voll treu¬
nur eine einzige Hand zum Beifalle gerührt hätte! Die
herziger Jugendlichkeit, doch rein äußerlich vielleicht doch ein
anderen Male gab es einen ganz dünnen Beifall. Den
wenig zu erwachsen. Frau Bleibtreu und Medelsky
einzigen, wirklich nennenswerten Beifall des ganzen, vier¬
nahmen die Weiblichkeit in Götzens Haufe in allertreueste
einhalbstündigen Theaterabendes holte sich der Götzdarsteller
Obhut, während sich Herr Paulsens Biederkeit am
Herr Reimers bei offener Szene in seinem prachtvollen
Sikingen geradstämmig auslebte. Auch die kleineren Rollen
Auftreten gegen die Ratsherren von Heilbronn. Sonst
waren mit ersten Künstlern besetzt, deren das Burgtheater,
stumpfes, verächtliches Schweigen, welches den Darstellern
wie man an solchen Abenden bemerkt, eine erstaunliche
und dem Regisseur die schmerzliche Kunde brachte, daß das
Reihe zur Verfügung hat. Kein Wunder, daß sich trotz
Haus nicht mitging, ganz und gar mit seinem Fühlen nicht
mancher Mangelhaftigkeit im einzelnen letzten Endes doch
bei der Sache war. Wie wäre es denn auch anders möglich
Dieses selbe Volk, daß sich fahren, tahraus an Schnitzlers geilen der Eindruck hoher Vollkommenheit einstellt
Und für all das hatte das Stammpublikum des Burg¬
Quatsch erfreut, das Schönherrs brünstiger Geschlechtsmora
theaters von heute so gut wie gar kein Verständnis. Es
begeistert lauscht, wie wäre dieses selbe Volk und plötzlich
wurde gegen Ende der Vorstellung schon merklich unruhig,
für Göthes biederes Götz=Drama aufnahmsfähig? Jen¬
zeigte sich unwillig und verdrossen, das Theater lichtete
Wiener Theaterfreunde, die einstens das Stammpublikum
sich allmählich lange vor Schluß. Verfall und Tiefstand
für das klassische Programm gebildet haben, jenen einfachen
dieser Bühne offenbarten sich selten deutlicher als an diesem
Mann, dem der Götz des fünfzigjährigen Baumeisters in
Abende ihres Anstieges und ihrer Höhe
Fleisch und Blut saß, jene theaterfreudige Bürgerfrau, die
Hans Brecka.
sich den Groschen vom Munde absparte, um die Wolter in
einer ihrer klassischen Adelheidrolle zu sehen, die hat das
Burgtheater von heute verloren, leichtsinnig verscherzt, den
besten Bestand seiner treuesten Anhängerschaft hat es ein¬
gebüßt. Das geschah ganz allmählich in all der Zeit, in
welcher ein Schnitzler der Hausdichter dieses kaiserlichen
Theaters werden konnte. Das geschah in eben jenen Jahren
in denen dort die Zote zu regieren begann, wo ehedem
reine Kunst ihre Wunder wob. Nun steht der Direktor mit
betretenem Erstaunen da und wundert sich, warum in aller
Welt denn eine so schöne und mühselige Neuaufführung des
„Götz nicht einzuschlagen vermag.
Wahrhaftig: Nicht leicht ist eine zweite so verdienst
liche Tat auf dem Theater denkbar, wie es die gestrige
„Götz-Aufführung war. Neu durchdacht, von Grund auf ne¬
aufgebaut, von neuen Gesichtspunkten gesehen, mit neuen
Szenenbildern versehen, mit neuen Schauspielern besetzt
mit neuem Feuer, neuer, junger Hingabe gespielt. Und