VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 27


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Miscellaneous
Börsenblatt f. d. Dohn. Buchhander.
Redaktion
vielgestaltigen Bau Osterreichs kennen zu lernen. Wo können sie
bessere Führer finden als in Österreichern selbst, die mit offenen
Sinnen und warmem Herzen ihr Vaterland lieben? Zu diesen
gehörte Hugo Zuckermann, der seinen glühenden Patriotis¬
mus mit dem Tode auf einem Schlachtfelde Galiziens besiegelte
und uns in seinen wundervollen Gedichten eine kostbare Erinne¬
rung an sein kurzes Wirken hinterließ. Ob viele Deutsche im
Reich diese Lieder kennen, die in einem kleinen, strebsamen
Verlag (R. Löwit) in geschmackvoller Ausgabe erschie¬
nen sind? Auch das von Schroll & Co. in Wien so laut
angekündigte Werk Hermine Cloeters: „Häuser und
Menschen von Wien ist ein Führer durch Österreich, denn in
Wien, der laut pochenden Seele des Staates, strömt gewisser¬
maßen das ganze Leben Österreichs zusammen. Es darf nicht sein,
daß diesem Buche, weil es innerhalb der schwarz=gelben
Pfähle gedruckt wurde, die Bahn für weiteste Verbreitung verlegt
wird
Die Organisation des deutsch=österreichischen Buchhandels an
sich beder et bereits die Erfüllung jenes Wunsches, den Friedrich
Naumann für das gesamte Gebilde Mitteleuropa hegt: eine
Vereinigung, die die Grenzen überbrückt und durch ihre innere
Stärke imstande ist, eine führende Rolle auf dem Weltmarkte zu
spielen. Aber Österreich ist in dieser Verbindung noch zu unselb
ständig, man möchte fast sagen, gedrückt; erst wenn es Vertrauen
zu seiner Leistungsfähigkeit bekäme und ihm von deutscher Seite
das nötige Entgegenkommen bezeigt würde, könnte es ein wirk¬
lich wertvoller Bundesgenosse sein. Ein reger gegenseitige
Austausch im deutsch=österreichischen Buchhandel käme somit bei¬
den Teilen zustatten und würde ihm neue, starke Kräfte zuführen
Schreiben wir diese Hoffnung mit auf den langen Wunsch¬
zettel, mit dem wir den Frieden erwarten, und ihre Erfüllung wird
um so sicherer sein, je weniger wir es beim ruhigen Zuwarten be¬
wenden lassen und auf jeder Seite das Unsrige dazu tun, das er¬
strebte Ziel zu erreichen.
Karl Pauli.
(Zu seinem sechzigsten Geburtstag, am 8. März 1916.)
Dreihunderdreiunddreißig drei Drittel Meter vor Greiffenberg
rechts liegt ein Dorf „Niederwiesen. Es ist nur ein kleines Dorf,
.
wo mein Vater Pastor war, und besteht nur aus einer Kirche, zwei

Pfarrhäusern und einem Wassertrog. Dort wurde ich geboren, d. h.
nicht in dem Wassertrog, sondern in einem der Pfarrhäuser
Die Sucht, Papier zu entwerten, entwickelte sich bei mir schon
sehr früh. Mit sechs Jahren dichtete ich, mit neun Jahren schriel
ich mein erstes Trauerspiel, das von so tragischer Wirkung war, daß digte
zu Be=
meine beiden Schwestern, als ich es ihnen vorlas, davonliefen, weil
des
es ihnen zu gruselig war; ich glaube heute, daß es wirklich zum Davon¬
laufen war, aber ich ließ mich nicht abschrecken und machte Gedichte aussi
wählt
oder schrieb Räubergeschichten.
danken
So ging die erste Jugend dahin; ich kam aufs Gymnasium nach
Sonn¬
Lauban. Leider an einen Klassenlehrer, der mich nicht leiden konnte
einen kleinen, nervösen, boshaften Menschen, der mir das Leben ver= behr
bitterte, weil ich zu lebhaft war, und der micht kränkte, wo er mich nur
Versa
kränken konnte. So gab er mir einmal den Satz: Pastorsöhne und
Müllerküh, wenn's gerät, ist's gut Vieh, aber's gerät niele fünfund¬ in den
an dieser Stelle veröffentlichte
sonder
zwanzigmal abzuschreiben. Ich gehorchte, setzte aber dem Spruch
1400 Millimeter,
Skizze Kurt
noch eine Zeile hinzu, die lautete: „besonders, wenn's einen Lehrer
Im zweiten Teil des Abends trat unser Berufskollege in seiner
hat wie Siele und machte in jedem Worte einen orthographischen
lyrischen Harmonie Sonnensommers den Zuhörern als ein Dichter
Fehler
Diese Untat brachte mir zwei Stunden Karzer ein, aber sie hatte von Gottes Gnaden entgegen, der eine sprachliche Meisterschaft besitzt,
Erfolg, von da an ignorierte er mich vollständig, und weiter wollte die den zartesten Stimmungen in prächtiger, vorbildlicher Weise gerecht
wird. Jedenfalls läßt diese Dichtung noch Großes von Otto Niebicke
ich ja nichts. Nur als er seine letzte Stunde gab — er wurde ver¬
erwarten. Der Vortragende verstand es auch bei dieser Dichtung, den
setzt —, sagte er, nachdem er von den andern zusammen Abschied ge
Zauber, der über der Erinnerung eines herrlich und in Schönheit
nommen hatte: „Aus Ihnen wird nie etwas, Sie werden woh
verlebten Ferienaufenthalts ausgebreitet ist, bei den Zuhörern zu er¬
Schauspieler oder Schriftsteller werden und lächelte höhnisch
wecken. Otto Riebicke dankte zum Schluß für die ihm erwiesene Ehre
Nun, wer zuletzt lacht, lacht am besten, er hat ja recht behalten;
und gab dem Wunsche Ausdruck, auch den zweiten Teil seiner feld¬
ich bin beides geworden, aber anders, als er sich gedacht. Fünfund¬
dreißig Jahre war ich beim Theater; mein letztes Engagement war grauen Straßes gut zurücklegen und bald wieder seine Kräfte voll¬
am Königlichen Schauspielhaus in Berlin, und als Schriftsteller habe ständig dem geliebten Buchhandel widmen zu können
Die Beteiligung war eine mäßige zu nennen, trotzdem doch wohl
ich achthundert Beiträge: Erzählungen, Novellen und besonders Humo¬
Interesse für diesen Abend in den weitesten Berufskreisen vorausge¬
resken geschrieben, die alle in guten Blättern erschienen sind, dabei drei¬
setzt werden mußte, ein Eintrittsgeld nicht erhoben wurde und
undvierzig Theaterstücke, von denen ein großer Teil aufgeführt ist