VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 30

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1. Miscellaneous


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Seite 61.
Dr. Maria Maresch.
Bücherschau 1915.
Heft 1.
ganz zu eigen geben wollte, so sagt sie jetzt an
jungen Sozialisten Karl Brandt zusammentrifft
dem Lebensmark des starken Mannes, um ihn
und des jungen Bismarcks Seele jenseits aller
als rückgratlose Puppe in Wien unter der Schar
Vernunft erkenntnis von Gott losreißt. Wie seine
ihrer Bewunderer zu haben. Er aber reißt sich
erdhafte, realistische Natur jahrelang volles Ge¬
los, auf dem letzten Gipfel der Uskoken, dem
nügen in äußerer Wirksamkeit findet und dann
Gorianz, dem letzten Rest seines Väterbesitzes,
der Tod der edlen Maria von Blankenburg seine
führt er ein Jägerdasein, in das Frau Atta in
Seele wieder - ebenfalls jenseits aller Vernunft¬
ihrer Sucht nach dem Seltsamen wieder für einen
erwägung — zu Gott zurückführt, das ist mit
kurzen Sommermonat einbricht, um dann endlose
ebensoviel seelischer Feinheit dargestellt wie die
Einsamkeit zurückzulassen.
Entstehung des großstädtischen Proletariats in
Wir zweifeln nicht an der Wirklichkeitstreue
dem Jugendfreunde Karl Brandt. Im ganzen
in dem Bildnis der Frau Atta. Sie gehört zu
wächst uns aus dem ersten Bande der Roman¬
jenen geheimen Verbrechern der Großstadt, die
trilogie eine Persönlichkeit entgegen, die in ihrer
ein müßiges, selbstsüchtiges Leben ganz in Ge¬
Erdtreue, ihrem Frohsinn und ihrer Stärke die
danken der niedrigsten Eitelkeit und Gefallsucht
besten Kräfte des deutschen Volkes darstellt, zu¬
einspannen und ihren Weg gegebenenfalls auch
gleich aber auch in ihrer realistischen Tatkraft
über Leichen nehmen. Aber Bartsch steht gleich¬
einen leisen Wallensteinschen Zug in sich trägt,
wohl mit unverkennbarer Sympathie auf ihrer
der wohl in der folgenden Fortsetzung noch stärker
Seite und schwelgt in der Schilderung ihres
zum Ausdruck kommen wird.
Körpers auf widerlichste Weise. Bartsch hat in
Der tiefen Bedeutung des Jahres viel weniger
Frau Atta das Wiener Weib im Stile Schnitzlers
gerecht ist B. H. Bartsch' Roman) „Frau
dergestellt. Überhaupt ist dieser Roman ein Be¬
Atta und der Jäger“. Im Kriegsjahre 1915 er
weis für die inneren Zusammenhänge Bartsch
schienen, aber aus der Zeit der österreichischen
mit dem sogenannten Wiener Dichterkreis
Vorkriegskultur mit ihrer dämmerigen, „süßen
Schnitzler, Auernheimer usf., die in den früheren
Müdigkeit", mit ihrem Kampf zwischen dem
Büchern noch durch die herrlichen Naturschilde¬
starren Menschentum der Berge und der spiele¬
rungen verkleistert waren in den Atta-Szenen aber jetzt
rischen, dekadenten Selbstvergötterung der Groß
klar zutage treten. Neben diesen können wieder die
stadtmenschen, mit dem morbiden Einflusse der
frischen Jagdschilderungen und die Bilder von
Wiener Halbweltkultur. Diese Wiener Halbwelt
packender Wirkung aus dem nationalen Kampfe
bricht nun in Gestalt Frau Attas in die Berg¬
der Selbstbehauptung des Deutschtums unter den
welt des letzten Edlen Heydenreich ein, der in¬
Südslawen (dem Thema des früheren Romanes
mitten der südslawischen Bevölkerung einen heroi¬
„Das deutsche Leid") nicht zu entsprechender Gel¬
schen Kampf um sein Vätererbe, Schloß Strasa,
tung kommen.
den letzten deutschen Besitz in dieser Gegend, führt.
Leider hat sich Bartsch bei seiner Annäherung
Aus Gefallsucht jagt Frau Atta, die wohl weiß,
an das ihm früher fremde religiöse Problem auch
daß sie ihr Leben, das dem genußreichen Wien
in ein Gebiet verirrt, dem seine Gestaltungskraft
gehört, nicht an den einsamen Jäger knüpfen
und sein seelisches Fassungsvermögen durchaus
könnte, Hans Heydenreich in eine unglückselige
nicht gewachsen waren: in die Christusdar¬
Leidenschaft zu ihr, vergiftet sein Blut, zieht ihn
stellung). Hier hat nun der sinnenfrohe Stil
in die Großstadt. Und als er sich von ihr, der mit
des früheren Bartsch das gewaltige und geheimnis¬
den lüsternen Gedanken einer dekadenten Gesell¬
volle Christusleben in die Form schwächlicher
schaft zu spielen höchste Lust ist, losreißt, um in
Poesie, in eine Musik der Sprache gegossen, die
die heilige Stille der Natur heimzukehren, da ist
immer wieder dem Bilde des in weißem Gewande
Frau Atta es, die sein letztes Glück, Schloß Strasa,
still und liebevoll unter Blumen wandelnden Jesus
zu Fall bringt, die durch ihre perfiden Anzeigen
zusingt. In diesen engen Rahmen des dichterischen
bei der Bezirkshauptmannschaft veranlaßt, daß
Bildes war das vielgestaltige, urgewaltige Heilands¬
ihm der Waffenpaß verweigert wird, so daß er
leben aber nicht zu drängen. Zumal Bartsch
wie ein Wilderer durch eigene Wälder streifen
zum Überfluß aus dem durch die Evangelien
muß. Wie Atta ihn früher bloß aus Eifersucht
gegebenen Stoffe noch sorgsam alles entfernt hat,
der Freundin entrissen hat, die sich ihm als Frau
*) Leipzig, Staackmann, 1915.
*) Er. Ein Buch der Andacht. Leipzig, Staackmann, 1915.
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