Miscellaneous
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eine mehr Josensche als Strindbergsche Frau, eine Suchende, ganz
in den geistigen Problemen der Zeit Lebende, der die Kunst
Priestertum bedeutet. Sie läßt sich eigentlich nicht ausfragen, sie
spricht zunächst das aus, was sie im Moment im tiefsten erfüllt.
So entsteht ein warmer Kontakt, eine gegenseitige Aussprache
ohne irgendwelchen Fanatismus der persönlichen Anschauung,
Ich befrage Frau Eysoldt um ihre künstlerischen Pläne.
„Meine Pläne? Ich bin eine Suchende, Wartende. Ich sehe
vor mir eine Zeit, die in ihrem inneren Gehalt dichterischen Aus¬
druck noch nicht gefunden hat. Es ist so viel Neues in den
Menschen, so viel Sehnsucht. All das ist nicht ausgesprochen. Es
werden mir immerzu Dramen zugeschickt, die sehr talentvoll, sehr
kultiviert in der Form sind, aber alle sind irgendwie von bereits
schon vorhandenen Werken abgeleitet. Man versucht die
Weise Wedekinds oder Hofmannsthals fortzusetzen und damit ist
ja nicht viel getan. Man glaubt mir immer dasselbe bieten zu
müssen. Es fehlt all diesen Dingen an dem persönlichen Erlebnis,
an einer eigenen Welt. Man kommt immer wieder mit der eroti¬
schen Frau, mit einem bereits festgelegten Typus.
Aber die Frau ist ja nicht nur erotisch,
Seelenleben ist vielfältiger, auch ihre Sehnsucht. Es liegt so Vieles
in der Luft — warum nehmen die Nachbildner es nicht wahr?
Das, was ich an Neuem schreiben möchte, das finde ich nicht. Ich
möchte lieber warten, bis es da ist, eine Zeitlang schweigen, wenn
ich nicht befürchten müßte, den bereits gewonnenen Boden und
den Kontakt zu verlieren. Ich halte jetzt Nachschau in den alten,
klassischen Literaturen. Vielleicht finde ich da manches, das ich dem
modernen Empfinden nahebringen kann. Ich denke auch an höhere
ethische und künstlerische Aufgaben des Theaters. Es ist gar nicht
wahr, daß wir kein Publikum für ernste Kunst haben. Reinhardt und
Barnowski haben mit ihren Versuchen so viel Verständnis und Zustim¬
mung in den weitesten Kreisen gefunden. Antike Tragödien wurden mit
Begeisterung hingenommen. Shakespeare wirkte wie etwas neues und
Strindbergs „Vater" wurde in einer einzigen Saison hundertmal
in Berlin aufgeführt. Wie viele große, geistige interessierte Kreise
gibt es noch innerhalb der ärmeren Gesellschaftsschichten, die dem
Theater fernbleiben müssen und die man gewinnen könnte. Ich
denke dabei nicht an Volksbühnen mit unzureichenden künstlerischen
Mitteln. Mit einer Alltagskunst ist zu wenig getan Ich träume
von einer Vereinigung der großen Bühnen, die einen Austausch
der Kräfte ermöglichen und damit auch Gast= und Festspiele in
geht
den kleinern deutschen Städten. Mein Wunsch
nach einer Dezentralisierung der Kunst. Damit wird
der Kultur ein breiterer Boden gewonnen werden. Die Künstler
sollen mit ihrem Besten rivalisieren, nich die Direktoren. Der
jetzige Konkurrenzkampf ist wenig sympathisch Reinhardt und
Barnowsky, sie achten einander, aber jeder von ihnen ist doch
mehr oder weniger gezwungen, dem Konkurrenten die besten
Schauspieler abspenstig zu machen, ob man sie verwenden kann
oder nicht. Das Theater benötigt einer neuen Organisation. Ich
sagte schon, wie ich mir diese denke."
Wir sprechen von den Wirkungen, die Strindberg jetzt aus¬
übt, nachdem man sich so lange ablehnend gegen ihn verhielt
„Es ist sein starker Pathos, die Leidenschaftlichkeit seiner
Ueberzeugung, die hinreißen. Man sah Strindberg lange in einem
falschen Lichte. Er mußte erst entdeckt werden. Jarnos Verdienst
ist es, daß er mit so schöner Konsequenz für ihn eintrat und ich
glaube, daß er auch zu den sehr wenigen gehört, die den richtigen
Ton für Strindberg finden. Er wurde das für Strindberg, was
Brahm für Ibsen bedeutete. Auf die innige Beziehung zum
Dichter kommt es an und darauf, frühzeitig geung seine Bedeutung
zu erkennen. Ein ähnliches Verdienst erwarb sich auch Emanuel
Reicher. Ich glaube, auch jetzt bleibt noch manches zu entdecken
übrig. Man muß die Dinge nur mit dem richtigen Blick ansehen.
Was gab es nicht alles vor zwanzig, vor zehn Jahren. Das
war eine fruchtbare Zeit. Ibsen, Strindberg, Tolstoi, Hauptmann,
Wedekind und die vielen anderen. Sind wir jetzt so ganz ver¬
armt? Ich kann es nicht glauben.
Ich spreche von der Wiener Literatur.
„Ich liebe sie und ganz besonders Schnitzler und fühle ein
wahrhaftes Bedauern, daß es mir bisher nicht gegönnt war mich
in den Dienst seiner Dichtung zu stellen. Es ist ein tiefes.
schwermutsvolles Wissen um alles Menschliche in ihr, eine eigene
und innige Beziehung zum Leben. Von den jungen österreichischen
Talenten schätze ich Werffel ungemein und ich glaube, daß wir
viel von ihm erwarten dürfen. Ich fühle mich immer glücklich
in Wien zu spielen. Das Wiener Publikum ist sehr treu und
verfügt über eine starke Resonanz. Es will überredet, gepäckt
und gewonnen werden. Dann erhebt es keinen Widerspruch und
ist so ganz und gar nicht konservativ und dem Neuen abgeneigt.
h. m.
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eine mehr Josensche als Strindbergsche Frau, eine Suchende, ganz
in den geistigen Problemen der Zeit Lebende, der die Kunst
Priestertum bedeutet. Sie läßt sich eigentlich nicht ausfragen, sie
spricht zunächst das aus, was sie im Moment im tiefsten erfüllt.
So entsteht ein warmer Kontakt, eine gegenseitige Aussprache
ohne irgendwelchen Fanatismus der persönlichen Anschauung,
Ich befrage Frau Eysoldt um ihre künstlerischen Pläne.
„Meine Pläne? Ich bin eine Suchende, Wartende. Ich sehe
vor mir eine Zeit, die in ihrem inneren Gehalt dichterischen Aus¬
druck noch nicht gefunden hat. Es ist so viel Neues in den
Menschen, so viel Sehnsucht. All das ist nicht ausgesprochen. Es
werden mir immerzu Dramen zugeschickt, die sehr talentvoll, sehr
kultiviert in der Form sind, aber alle sind irgendwie von bereits
schon vorhandenen Werken abgeleitet. Man versucht die
Weise Wedekinds oder Hofmannsthals fortzusetzen und damit ist
ja nicht viel getan. Man glaubt mir immer dasselbe bieten zu
müssen. Es fehlt all diesen Dingen an dem persönlichen Erlebnis,
an einer eigenen Welt. Man kommt immer wieder mit der eroti¬
schen Frau, mit einem bereits festgelegten Typus.
Aber die Frau ist ja nicht nur erotisch,
Seelenleben ist vielfältiger, auch ihre Sehnsucht. Es liegt so Vieles
in der Luft — warum nehmen die Nachbildner es nicht wahr?
Das, was ich an Neuem schreiben möchte, das finde ich nicht. Ich
möchte lieber warten, bis es da ist, eine Zeitlang schweigen, wenn
ich nicht befürchten müßte, den bereits gewonnenen Boden und
den Kontakt zu verlieren. Ich halte jetzt Nachschau in den alten,
klassischen Literaturen. Vielleicht finde ich da manches, das ich dem
modernen Empfinden nahebringen kann. Ich denke auch an höhere
ethische und künstlerische Aufgaben des Theaters. Es ist gar nicht
wahr, daß wir kein Publikum für ernste Kunst haben. Reinhardt und
Barnowski haben mit ihren Versuchen so viel Verständnis und Zustim¬
mung in den weitesten Kreisen gefunden. Antike Tragödien wurden mit
Begeisterung hingenommen. Shakespeare wirkte wie etwas neues und
Strindbergs „Vater" wurde in einer einzigen Saison hundertmal
in Berlin aufgeführt. Wie viele große, geistige interessierte Kreise
gibt es noch innerhalb der ärmeren Gesellschaftsschichten, die dem
Theater fernbleiben müssen und die man gewinnen könnte. Ich
denke dabei nicht an Volksbühnen mit unzureichenden künstlerischen
Mitteln. Mit einer Alltagskunst ist zu wenig getan Ich träume
von einer Vereinigung der großen Bühnen, die einen Austausch
der Kräfte ermöglichen und damit auch Gast= und Festspiele in
geht
den kleinern deutschen Städten. Mein Wunsch
nach einer Dezentralisierung der Kunst. Damit wird
der Kultur ein breiterer Boden gewonnen werden. Die Künstler
sollen mit ihrem Besten rivalisieren, nich die Direktoren. Der
jetzige Konkurrenzkampf ist wenig sympathisch Reinhardt und
Barnowsky, sie achten einander, aber jeder von ihnen ist doch
mehr oder weniger gezwungen, dem Konkurrenten die besten
Schauspieler abspenstig zu machen, ob man sie verwenden kann
oder nicht. Das Theater benötigt einer neuen Organisation. Ich
sagte schon, wie ich mir diese denke."
Wir sprechen von den Wirkungen, die Strindberg jetzt aus¬
übt, nachdem man sich so lange ablehnend gegen ihn verhielt
„Es ist sein starker Pathos, die Leidenschaftlichkeit seiner
Ueberzeugung, die hinreißen. Man sah Strindberg lange in einem
falschen Lichte. Er mußte erst entdeckt werden. Jarnos Verdienst
ist es, daß er mit so schöner Konsequenz für ihn eintrat und ich
glaube, daß er auch zu den sehr wenigen gehört, die den richtigen
Ton für Strindberg finden. Er wurde das für Strindberg, was
Brahm für Ibsen bedeutete. Auf die innige Beziehung zum
Dichter kommt es an und darauf, frühzeitig geung seine Bedeutung
zu erkennen. Ein ähnliches Verdienst erwarb sich auch Emanuel
Reicher. Ich glaube, auch jetzt bleibt noch manches zu entdecken
übrig. Man muß die Dinge nur mit dem richtigen Blick ansehen.
Was gab es nicht alles vor zwanzig, vor zehn Jahren. Das
war eine fruchtbare Zeit. Ibsen, Strindberg, Tolstoi, Hauptmann,
Wedekind und die vielen anderen. Sind wir jetzt so ganz ver¬
armt? Ich kann es nicht glauben.
Ich spreche von der Wiener Literatur.
„Ich liebe sie und ganz besonders Schnitzler und fühle ein
wahrhaftes Bedauern, daß es mir bisher nicht gegönnt war mich
in den Dienst seiner Dichtung zu stellen. Es ist ein tiefes.
schwermutsvolles Wissen um alles Menschliche in ihr, eine eigene
und innige Beziehung zum Leben. Von den jungen österreichischen
Talenten schätze ich Werffel ungemein und ich glaube, daß wir
viel von ihm erwarten dürfen. Ich fühle mich immer glücklich
in Wien zu spielen. Das Wiener Publikum ist sehr treu und
verfügt über eine starke Resonanz. Es will überredet, gepäckt
und gewonnen werden. Dann erhebt es keinen Widerspruch und
ist so ganz und gar nicht konservativ und dem Neuen abgeneigt.
h. m.