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Miscellaneous
gne et
Ausschnitt aus:
Wien
vom
Theater und Kunst.
Burgtheater.
„Könige.“ Ein Schauspiel von Hans Müller.
Wien weist im Drama der Gegenwart so stolze Namen
auf wie Karl Schönherr, Artur Schnitzler und den jungen Anton
Wildgans, ein Dreigestien, das nur noch Gerhart Hauptmann
überstrahlt; manches seine leisere Talent fügt sich an. Was
Wunder, daß der ein bißchen laute Hans Müller nach allzu¬
frühen Erfolgen, wie der für Sonnenthal geschriebenen
„Puppenschule", ein wenig in Mißkredit geriet, durch die ent¬
schlossene Ablehnung seiner Satire „Hargudl am Bach" als
unfreiwilliger Befreier des Burgtheaters von Schlenther be¬
kannt zu bleiben drohte? Stand doch auch „Der reizende
Adrian" wie mancher Einakter auf keinem hohen Niveau. So
gestehe ich gern, den „Königen“ mit Mißtrauen entgegengetre¬
ten zu sein. Um so angenehmer ist die seltene Enttäuschung
zum Besseren. Hatte der 28jährige 1910 im „Wunder des
Beatus" ein interessantes romantisches Drama in fließenden
Versen als neue Talentprobe gebracht, so zeigen „Könige ihn
gereifter, der dramatischen Technik ungleich sicherer, des Hand¬
werks kundig und der Poesie recht nahe.
Fast genau ein Jahrhundert ist vorüber seit Uhland,
unser deutschester Balladendichter, den seither ebenso oft, wie
vergeblich erwählten Stoff vom Zwist der Gegenkönige Lud¬
wig und Friedrich, der Niederlage Friedrichs bei Mühldorf,
seiner Haft in Trausniß, der Entlassung als Entsagung, der
freiwilligen Rückkehr in Gefangenschaft und der gemeinsamen
Herrschaft der Versöhnten ohne Glück im Panzerrasselnden
Ritterstück „Ludwig der Bayer" behandelte. Müllers Schau¬
spiel in drei Akten beginnt dort, wohin Uhland (und ebenso
Heyse, um die Mitte des vierten seiner fünf verwandlungs¬
reichen Aufzüge gelangte. Auf Burg Trausnitz sucht die er¬
blindete Elisabeth unerkannt den verlorenen Gatten; ihr
Trauerlos und ihre Bitte bestimmen Ludwig, den Jugend¬
freund nach fünf Jahren (historisch dauerte die Haft halb so
lang) freizugeben, nur gegen die Verpflichtung zurückzukehren,
falls die Bundesgenossen Friedrichs sich weigern, Ludwig als
alleinigen König zu ehren. Der Mittelakt zeigt — ohne die
spannend gesteigerte Konzentration des ersten, doch farbig be¬
wegt — wie dies im Schloß zu Wien nicht glückt, wie nahe
die Versuchung des (vom Papst gebilligten) Wortbruches an
Herausgeber Carl Colbert.
„Könige könnten mehr sein als der sich
Friedrich heranrückt, wie selbst Elisabeth schwankt gleich ihm
Winters. Manche Frauen weinten bei
und schließlich beide ihr Glück verlangen der Pflicht opfern.
lichen Aufführung; sie haben sich
Im Münchner Schloß spielt der letzte Akt; während Adel und
schämen. Aus Kriegsnot geboren, poch
Bürger Ludwig zum Achtbrief gegen den Verräter Friedrich
sei an die Herzen und ihm wird au
drängen, steht dieser plötzlich im Saal, getreu dem Wort, voll
endgültige, jedoch eine recht annehmba¬
Bitterkeit gegen sein Schicksal. Wieder folgt ihm ohne sein
Meisterwerke von Jahrhundertswert
Vorwissen die Gattin, innerlich tiefgerührt teilt Ludwig die
Drama leichtlich bespötteln; für das
Krone mit dem, der seinem Rat gemäß sich selbst überwunden,
Autor der „Könige wieder eine Hoff
und ergriffend endet das Drama mit dem Ruf der für immer
Das Burgtheater nahm sich unter
Erblindeten: „Ich sehe Ich seh!" als höchstem Jubel.
des Schauspiels mit erfolggekrönten
gemuth (Elisabeth) und Harry
„Rührstück!" Wie schnell dürften solche mit dem Vor¬
Schöne) als getrenntes, sehnsuchtsvol
wurf sein, die Mannesstärke mit Herzenskälte verwechseln.
wiedervereinigtes, aus eigenem Ent¬
„Könige (der Titel für Schillers Gedicht „Deutsche Treue
andergerissenes und endlich für
hätte besser gepaßt) sind ein rührendes Drama, aber weit ab
Ehepaar riefen stärkste Ergriffenheit
vom trivialen Rührstück. Wie die klangschöne Verssprache des
Ludwig der Bayer war von genabhaft
Werkes hie und da von banalen Wendungen nicht
licher Teilnahme für die Erbindete
freiblieb, so die Süßigkeit der ehelichen Neigung nicht
scharfgeprägter Herzog Leopold stellt
stets von beigemengter Süßlichkeit. Doch wäre es sehr
diesen „Tod in Menschenkleidern"
ungerecht, dies Beiwerk als Hauptgericht hinzustellen.
drum wird er nicht geliebt. Unbefrie¬
Im Gegenteil, man darf ein Verdienst Müllers darin erblicken
Schweppermann, der schon vom Verfa
mitten im Weltkrieg eindrucksvoll an das Leid der Unterliegen¬
gerückt wurde, unzulänglich wie stets
den, der Vereinsamten, der Verkrüppelten gerade im Theater
Böhmen), nett Tilly Kutschera
zu mahnen, wo so viele leichtgesinntes Vergessen suchen, das uns
Tüchtigkeit Arndt, Herterich, St.
nicht ziemt. Die geschichtliche Tatsache der aus Gram erbin¬
tritt bloß in der einzigen vom Dichter
deten Frau des Gefangenen ist zu erschütternder poetisch-theatra¬
Ludwig als guten Reichsverwalter
lischer Wirklichkeit und Wirkung gestaltet. Die Erinnerung an
Pfennigfuchser charakterisiert. Diese
das aus Knabenfreundschaft und Mannesfehde geborene Dop¬
Kolleginnen ebenso gut, während
pelkönigtum, das in dieser Form nur unsere mittelalterliche
Eindringlichkeit wie Fräulein Wo
Geschichte kennt (mag auch die verschönernde Überlieferung den
pathien für die zur blinden Flehen
Realisten Ludwig idealisieren), tut in diesen Tagen doppelt
Fürstin wecken möchte; auch das auß
wohl, selbst wo manche Ähnlichkeit gar zu nachdrücklich unter¬
deter war naturgetreu getroffen. Wie
strichen wurde. Hans Müller griff zur rechten Zeit nach dem
ben das umwandelnde Entsetzen
rechten Stoff und formte ihn als Künstler. Die Leistungen des
sein Weib seye nicht mehr, zum Ausde
gesamten deutschen Volkes in Waffen, unter den schwarz=gelben
bei ihm und Marx der an sich nicht
wie unter den schwarz=weiß=roten Fahnen, sind so überwälti¬
mit dem Übergang zur brüderlichen
gend unvergleichlich, daß sie kein Lob der Heimgebliebenen
stummen Szenen zeigt sich das way
erhöhen kann. Allein gut und nützlich ist es aus einer Vergan¬
hat mit dem Genius des Dramas
genheit, die nie der Vergessenheit anheimfallen soll, erhebende
lassen, bis er ihn mit dem reichste
Großtaten der Selbstbewährung durch Unterordnung des
segnete. Freuen wir uns der Rückkehr
kleinen Ich unter den Volkswillen, den Staatsgedanken und
und harren wir des Größeren, de
das Pflichtbewußtsein ins Leben zurückzubeschwören. Das ist
Königen führte der Weg einst ab
Müller gelungen, seinen Hauptgestalten rinnt warmes Blut
„Volk in Not“.
in den Adern, so kärglich ein paar Nebenfiguren bedacht sind.
Verantwortlicher Schriftleiter i. B. Fritz Wolkenberg. — Druck von J. N. Bernay, Wien, IX.
Miscellaneous
gne et
Ausschnitt aus:
Wien
vom
Theater und Kunst.
Burgtheater.
„Könige.“ Ein Schauspiel von Hans Müller.
Wien weist im Drama der Gegenwart so stolze Namen
auf wie Karl Schönherr, Artur Schnitzler und den jungen Anton
Wildgans, ein Dreigestien, das nur noch Gerhart Hauptmann
überstrahlt; manches seine leisere Talent fügt sich an. Was
Wunder, daß der ein bißchen laute Hans Müller nach allzu¬
frühen Erfolgen, wie der für Sonnenthal geschriebenen
„Puppenschule", ein wenig in Mißkredit geriet, durch die ent¬
schlossene Ablehnung seiner Satire „Hargudl am Bach" als
unfreiwilliger Befreier des Burgtheaters von Schlenther be¬
kannt zu bleiben drohte? Stand doch auch „Der reizende
Adrian" wie mancher Einakter auf keinem hohen Niveau. So
gestehe ich gern, den „Königen“ mit Mißtrauen entgegengetre¬
ten zu sein. Um so angenehmer ist die seltene Enttäuschung
zum Besseren. Hatte der 28jährige 1910 im „Wunder des
Beatus" ein interessantes romantisches Drama in fließenden
Versen als neue Talentprobe gebracht, so zeigen „Könige ihn
gereifter, der dramatischen Technik ungleich sicherer, des Hand¬
werks kundig und der Poesie recht nahe.
Fast genau ein Jahrhundert ist vorüber seit Uhland,
unser deutschester Balladendichter, den seither ebenso oft, wie
vergeblich erwählten Stoff vom Zwist der Gegenkönige Lud¬
wig und Friedrich, der Niederlage Friedrichs bei Mühldorf,
seiner Haft in Trausniß, der Entlassung als Entsagung, der
freiwilligen Rückkehr in Gefangenschaft und der gemeinsamen
Herrschaft der Versöhnten ohne Glück im Panzerrasselnden
Ritterstück „Ludwig der Bayer" behandelte. Müllers Schau¬
spiel in drei Akten beginnt dort, wohin Uhland (und ebenso
Heyse, um die Mitte des vierten seiner fünf verwandlungs¬
reichen Aufzüge gelangte. Auf Burg Trausnitz sucht die er¬
blindete Elisabeth unerkannt den verlorenen Gatten; ihr
Trauerlos und ihre Bitte bestimmen Ludwig, den Jugend¬
freund nach fünf Jahren (historisch dauerte die Haft halb so
lang) freizugeben, nur gegen die Verpflichtung zurückzukehren,
falls die Bundesgenossen Friedrichs sich weigern, Ludwig als
alleinigen König zu ehren. Der Mittelakt zeigt — ohne die
spannend gesteigerte Konzentration des ersten, doch farbig be¬
wegt — wie dies im Schloß zu Wien nicht glückt, wie nahe
die Versuchung des (vom Papst gebilligten) Wortbruches an
Herausgeber Carl Colbert.
„Könige könnten mehr sein als der sich
Friedrich heranrückt, wie selbst Elisabeth schwankt gleich ihm
Winters. Manche Frauen weinten bei
und schließlich beide ihr Glück verlangen der Pflicht opfern.
lichen Aufführung; sie haben sich
Im Münchner Schloß spielt der letzte Akt; während Adel und
schämen. Aus Kriegsnot geboren, poch
Bürger Ludwig zum Achtbrief gegen den Verräter Friedrich
sei an die Herzen und ihm wird au
drängen, steht dieser plötzlich im Saal, getreu dem Wort, voll
endgültige, jedoch eine recht annehmba¬
Bitterkeit gegen sein Schicksal. Wieder folgt ihm ohne sein
Meisterwerke von Jahrhundertswert
Vorwissen die Gattin, innerlich tiefgerührt teilt Ludwig die
Drama leichtlich bespötteln; für das
Krone mit dem, der seinem Rat gemäß sich selbst überwunden,
Autor der „Könige wieder eine Hoff
und ergriffend endet das Drama mit dem Ruf der für immer
Das Burgtheater nahm sich unter
Erblindeten: „Ich sehe Ich seh!" als höchstem Jubel.
des Schauspiels mit erfolggekrönten
gemuth (Elisabeth) und Harry
„Rührstück!" Wie schnell dürften solche mit dem Vor¬
Schöne) als getrenntes, sehnsuchtsvol
wurf sein, die Mannesstärke mit Herzenskälte verwechseln.
wiedervereinigtes, aus eigenem Ent¬
„Könige (der Titel für Schillers Gedicht „Deutsche Treue
andergerissenes und endlich für
hätte besser gepaßt) sind ein rührendes Drama, aber weit ab
Ehepaar riefen stärkste Ergriffenheit
vom trivialen Rührstück. Wie die klangschöne Verssprache des
Ludwig der Bayer war von genabhaft
Werkes hie und da von banalen Wendungen nicht
licher Teilnahme für die Erbindete
freiblieb, so die Süßigkeit der ehelichen Neigung nicht
scharfgeprägter Herzog Leopold stellt
stets von beigemengter Süßlichkeit. Doch wäre es sehr
diesen „Tod in Menschenkleidern"
ungerecht, dies Beiwerk als Hauptgericht hinzustellen.
drum wird er nicht geliebt. Unbefrie¬
Im Gegenteil, man darf ein Verdienst Müllers darin erblicken
Schweppermann, der schon vom Verfa
mitten im Weltkrieg eindrucksvoll an das Leid der Unterliegen¬
gerückt wurde, unzulänglich wie stets
den, der Vereinsamten, der Verkrüppelten gerade im Theater
Böhmen), nett Tilly Kutschera
zu mahnen, wo so viele leichtgesinntes Vergessen suchen, das uns
Tüchtigkeit Arndt, Herterich, St.
nicht ziemt. Die geschichtliche Tatsache der aus Gram erbin¬
tritt bloß in der einzigen vom Dichter
deten Frau des Gefangenen ist zu erschütternder poetisch-theatra¬
Ludwig als guten Reichsverwalter
lischer Wirklichkeit und Wirkung gestaltet. Die Erinnerung an
Pfennigfuchser charakterisiert. Diese
das aus Knabenfreundschaft und Mannesfehde geborene Dop¬
Kolleginnen ebenso gut, während
pelkönigtum, das in dieser Form nur unsere mittelalterliche
Eindringlichkeit wie Fräulein Wo
Geschichte kennt (mag auch die verschönernde Überlieferung den
pathien für die zur blinden Flehen
Realisten Ludwig idealisieren), tut in diesen Tagen doppelt
Fürstin wecken möchte; auch das auß
wohl, selbst wo manche Ähnlichkeit gar zu nachdrücklich unter¬
deter war naturgetreu getroffen. Wie
strichen wurde. Hans Müller griff zur rechten Zeit nach dem
ben das umwandelnde Entsetzen
rechten Stoff und formte ihn als Künstler. Die Leistungen des
sein Weib seye nicht mehr, zum Ausde
gesamten deutschen Volkes in Waffen, unter den schwarz=gelben
bei ihm und Marx der an sich nicht
wie unter den schwarz=weiß=roten Fahnen, sind so überwälti¬
mit dem Übergang zur brüderlichen
gend unvergleichlich, daß sie kein Lob der Heimgebliebenen
stummen Szenen zeigt sich das way
erhöhen kann. Allein gut und nützlich ist es aus einer Vergan¬
hat mit dem Genius des Dramas
genheit, die nie der Vergessenheit anheimfallen soll, erhebende
lassen, bis er ihn mit dem reichste
Großtaten der Selbstbewährung durch Unterordnung des
segnete. Freuen wir uns der Rückkehr
kleinen Ich unter den Volkswillen, den Staatsgedanken und
und harren wir des Größeren, de
das Pflichtbewußtsein ins Leben zurückzubeschwören. Das ist
Königen führte der Weg einst ab
Müller gelungen, seinen Hauptgestalten rinnt warmes Blut
„Volk in Not“.
in den Adern, so kärglich ein paar Nebenfiguren bedacht sind.
Verantwortlicher Schriftleiter i. B. Fritz Wolkenberg. — Druck von J. N. Bernay, Wien, IX.