VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 38

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Miscellanes

Wien
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„Könige könnten mehr sein als der sichere Bühnenerfolg eines
Friedrich heranrückt, wie selbst Elisabeth schwankt gleich ihm
Winters. Manche Frauen weinten bei der im ganzen vortref¬
und schließlich beide ihr Glücksverlangen der Pflicht opfern.
und Kunst.
lichen Aufführung; sie haben sich ihrer Tränen nicht zu
Im Münchner Schloß spielt der letzte Akt; während Adel und
schämen. Aus Kriegsnot geboren, pocht dies Stück Menschen¬
Bürger Ludwig zum Achtbrief gegen den Verräter Friedrich
theater.
seid an die Herzen und ihm wird aufgetan. Es ist nicht die
drängen, steht dieser plötzlich im Saal, getreu dem Wort, voll
uspiel von Hans Müller.
endgültige, jedoch eine recht annehmbare Lösung. Wer lediglich
Bitterkeit gegen sein Schicksal. Wieder folgt ihm ohne sein
der Gegenwart so stolze Namen
Meisterwerke von Jahrhundertswert anerkennt, mag dies
Vorwissen die Gattin, innerlich tiefgerührt teilt Ludwig die
Schnitzler und den jungen Anton
Drama leichtlich bespötteln; für das deutsche Theater ist der
Krone mit dem, der seinem Rat gemäß sich selbst überwunden,
nur noch Gerhart Hauptmann
Autor der „Könige wieder eine Hoffnung.
und ergreifend endet das Drama mit dem Ruf der für immer
eisere Talent fügt sich an. Was
Das Burgtheater nahm sich unter Heines kluger Regie
Erblindeten: „Ich sch! Ich seh!" als höchstem Jubel.
laute Hans Müller nach allzu¬
des Schauspiels mit erfolggekröntem Eifer an. Else Wohl¬
gemuth (Elisabeth) und Harry Walden (Friedrich der
für Sonnenthal geschriebenen
„Rührstück!" Wie schnell dürften solche mit dem Vor¬
Schöne) als getrenntes, sehnsuchtsvoll einander begehrendes,
Mißkredit geriet, durch die ent¬
wurf sein, die Mannesstärke mit Herzenskälte verwechseln.
wiedervereinigtes, aus eigenem Entschluß nochmals ausein¬
Satire „Hargudl am Bach" als
„Könige (der Titel für Schillers Gedicht „Deutsche Treue
andergerissenes und endlich für immer zusammengefügte
Burgtheaters von Schlenther be¬
hätte besser gepaßt) sind ein rührendes Drama, aber weit ab
Ehepaar riefen stärkste Ergriffenheit hervor. Hans Marr als
vom trivialen Rührstück. Wie die klangschöne Verssprache des
Stand doch auch „Der reizende
Ludwig der Bayer war von glaubhaftester Biederkeit und herz¬
Werkes hie und da von banalen Wendungen nicht
er auf keinem hohen Niveau. So
licher Teilnahme für die Erblindete. Max Devrients
freiblieb, so die Süßigkeit der ehelichen Neigung nicht
sen" mit Mißtrauen entgegengetre¬
scharfgeprägter Herzog Leopold stellt in vorzüglicher Maske
stets von beigemengter Süßlichkeit. Doch wäre es sehr
er ist die seltene Enttäuschung
diesen „Tod in Menschenkleidern" hin, der „selbst sich hat,
ungerecht, dies Beiwerk als Hauptgericht hinzustellen.
8jährige 1910 im „Wunder des
drum wird er nicht geliebt. Unbefriedigender Tiedtke als
Im Gegenteil, man darf ein Verdienst Müllers darin erblicken,
omantisches Drama in fließenden
Schweppermann, der schon vom Verfasser zu nah ans Komische
mitten im Weltkrieg eindrucksvoll an das Leid der Unterliegen¬
gebracht, so zeigen „Könige ihn
gerückt wurde, unzulänglich wie stets Höbling (König von
den, der Vereinsamten, der Verkrüppelten gerade im Theater
sechnik ungleich sicherer, des Hand¬
Böhmen), nett Tilly Kutschera (Walter), von gewohnter
zu mahnen, wo so viele leichtgesinntes Vergessen suchen, das uns
recht nahe.
Tüchtigkeit Arndt, Herterich, Siebert. Marie Mayen
nicht ziemt. Die geschichtliche Tatsache der aus Gram erblin¬
hundert ist vorüber seit Uhland,
tritt bloß in der einzigen vom Dichter verfehlten Szene auf, die
deten Frau des Gefangenen ist zu erschütternder poetisch theatra¬
lichter, den seither ebenso oft, wie
Ludwig als guten Reichsverwalter zeigen will und ihn als
lischer Wirklichkeit und Wirkung gestaltet. Die Erinnerung an
vom Zwist der Gegenkönige Lud¬
Pfennigsuchser charakterisiert. Diese Mechtild träfen mehrere
das aus Knabenfreundschaft und Mannessehde geborene Dop¬
derlage Friedrichs bei Mühldorf,
Kolleginnen ebenso gut, während keine andere mit gleicher
pelkönigtum, das in dieser Form nur unsere mittelalterliche
der Entlassung als Entsagung, der
Einbringlichkeit wie Fräulein Wohlgemuth die Sym¬
Geschichte kennt (mag auch die verschönernde Überlieferung den
fangenschaft und der gemeinsamen
pathien für die zur blinden Flehenden erniedrigte, ehrgeizige
Realisten Ludwig idealisieren), tut in diesen Tagen doppelt
ohne Glück im Panzerrasselnden
Fürstin wecken möchte; auch das äußere Gehaben spät Erblin¬
wohl, selbst wo manche Ähnlichkeit gar zu nachdrücklich unter¬
ayer" behandelte. Müllers Schau¬
deter war naturgetreu getroffen. Wie vorzüglich bringt Wal¬
strichen wurde. Hans Müller griff zur rechten Zeit nach den
dort, wohin Uhland (und ebenso
den das umwandelnde Entsetzen Friedrichs bei der Kunde,
rechten Stoff und formte ihn als Künstler. Die Leistungen des
vierten seiner fünf verwandlungs¬
sein Weib sehe nicht mehr, zum Ausdruck, wie überzeugend wirkt
gesamten deutschen Volkes in Waffen, unter den schwarz=gelben
Auf Burg Trausnitz sucht die er¬
bei ihm und Marr der an sich nicht unbedenkliche Ringkampf
wie unter den schwarz=weiß=roten Fahnen, sind so überwälti¬
innt den verlorenen Gatten; ihr
mit dem Übergang zur brüderlichen Umarmung. In solchen
gend unvergleichlich, daß sie kein Lob der Heimgebliebenen
bestimmen Ludwig, den Jugend¬
stummen Szenen zeigt sich das wahre Können. Auch Müller
erhöhen kann. Allein gut und nützlich ist es aus einer Vergan¬
historisch dauerte die Haft halb so
hat mit dem Genius des Dramas gerungen und ihn nicht ge¬
genheit, die nie der Vergessenheit anheimfallen soll, erhebende
in die Verpflichtung zurückzukehren,
lassen, bis er ihn mit dem reichsten Beifall der Zuschauer
Großtaten der Selbstbewährung durch Unterordnung der
Friedrichs sich weigern, Ludwig als
segnete. Freuen wir uns der Rückkehr dieses verlorenen Sohnes
kleinen Ich unter den Volkswillen, den Staatsgedanken und
Der Mittelakt zeigt — ohne die
und harren wir des Größeren, dem er vorausgeht. Von
das Pflichtbewußtsein ins Leben zurückzubeschwören. Das ist
tration des ersten, doch farbig be¬
Königen führte der Weg einst abwärts, nun aufwärts zum
Müller gelungen, seinen Hauptgestalten rinnt warmes Blut
oß zu Wien nicht glückt, wie nahe
Em Mich.
„Volk in Not“.
in den Adern, so kärglich ein paar Nebenfiguren bedacht sind.
Papst gebilligten) Wortbruches an
Verantwortlicher Schriftleiter 1. V. Frin Wolkenberg. — Druck von J. N. Bernay, Wien, IX.
Herausgeber Carl Colbert.