VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 40

Miscellaneous
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Zwei Albumblätter
von Gerhart Hauptmann und
Artur Schnitzler.
Zum 60. Geburtstag des Schauspielers Oskar Sauer.
Zu Oskar Sauers 60. Geburtstag soll unter dem Titel
„Oskar Sauer. Ein Gedenkbuch 1856 bis 1916“ (bei Oesterfeld
& Ko. in Berlin) ein Sammelwerk erscheinen, das von Siegfried
Jacobsohn herausgegeben und dessen Gesamtertrag einem bestinnnten
Fonds der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger zugeführt
wird. In diesem Buche schreibt Gerhart Hauptmann
über Oskar Sauer die folgenden Worte:
Wer über Oskar Sauer nachdenkt, kommt zu dem Schluß:
Der wahrhaftigste Mensch allein hat Eignung zum größten Schau¬
spieler. Danach wäre das Wesen der Schauspielkunst nicht Täu¬
sondern Wahrhaftigkeit — nicht Maskerade, sondern
schung,
Demaskerade — nicht Mummenschanz und Versteckenspiel der
Seele, sondern Enthüllung und Offenbarung. So ist es auch.
Von einer ähnlichen Ueberzeugung scheinen die auszugehen,
denen Schauspielkunst eine Art schamloser Preisgabe bedeutet. So
urteilt Bürgermoral; aber, gleichwie die Wissenschaft, untersteht
auch die Kunst einer eigenen, anderen. Sie adelt den Künstler,
der sich, vermöge der hohen Idee universeller Menschlichkeit,
begreift, sein Selbst erhöht und es in ein zweites, höheres Leben
steigert. Das reichste Menschentum verfällt, wenn dies Verfahren
in Verfall gerät.
Es ist wohltätig, reinigend und erhebend, die Gestalt Oskar
Sauers, des großen Darstellers, sich hervorzurufen. Man wird es
oft tun, um den Glauben an das deutsche Theater, seine Kraft
und Sendung aufrecht zu erhalten. Aus seinem Wesen und Wirken
ist eine ganze Dramaturgie abzuleiten, die eines der wertvollsten
Vermächtnisse für die deutsche Schaubühne sein könnte. In Sauer
verkörpert sich ihr wahrhaft schöpferisches Vermögen, ihre Moral
und höchste Würde.
Artur Schnitterschreibt: „Wie gern benutze ich den
Anlaß seines sechzigsten Geburtstages, um Oskar Sauer meine
verehrungsvollsten Grüße zu senden. Ich habe diesem außer¬
ordentlichen Künstler als Theaterbesucher im Laufe der Jahre so
viel zu danken gehabt, daß ich es eigentlich als überflüssig, wenn
nicht als unbescheiden empfinden müßte, hier auch noch aus¬
zusprechen, was ich ihm als Theaterschriftsteller schuldig geworden
biu; aber ich kann mich doch nicht enthalten, nach dem Gregers
Werle (der wahrscheinlich uns allen zuerst einfällt), dem Ulrik
Brendel, dem Wehrhahn und mancherlei andern, sehr bald des Mal¬
professors Wegrat (aus dem „Einsamen Weg") zu gedenken als
einer Gestalt, um deren Haupt es in meiner Erinnerung wie ein
Heiligen= oder vielmehr ein Edelschein schwebt, und die durch
Sauers Kunst wohl auch anderen Leuten als dem Dichter unver¬
geßlich geblieben sein mag. Wie kaum einen zweiten Schauspieler
war es ja Oskar Sauer gegeben, den wahrhaft reinen Menschen
darzustellen: - Reinheit in jener Vollendung, wo sie schon wieder
Schuld geworden ist. (Denn nicht nur im Uebermut sich über die
Weit erheben wollen; auch aus Güte sich nicht in sie finden können,
ist Schuld vor Gott, Schuld im Geiste der Tragödie — tragische
Schuld.) Wir wissen alle, wie vieles Sauer außerdem noch gekonnt,
gemeistert hat; und es ist nur natürlich, daß gerade die humo¬
ristische Kehrseite der Reinheit eines seiner bevorzugten Gebiete
daß seine Schauspielkunst in der Atmosphäre der Naivität, Einfalt
und Beschränkheit gleichfalls wunderbar zu Hause war. Aber wenn
geistige Ueberlegenheit, Kühnheit, ja die Größe selbst aus der
Eigentümlichkeit einer bestimmten schauspielerischen Begabung heraus
gespielt werden können, ohne daß im Menschentum des betreffenden
Darstellers auch nur bescheidene Elemente jener Eigenschatten auf¬
findbar sein müssen: um imstande zu sein, auf der Bühne
nicht etwa kleine Herzenstalente, sondern Herzensgenialität glaub¬
haft und lebendig zu machen, muß man einiges davon mit auf die
Welt gebracht haben. Und in dieser menschlich künstlerischen Eigen¬
art, ja Einzigartigkeit Sars ist es wohl begründet, daß — wenn
auch mancher große Schauspieler nicht weniger bewundert¬
gewiß keiner mehr geliebt wurde und wird als er.