VII, Verschiedenes 11, 1917–1920, Seite 35

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Miscellançols
12 0ll
Neue Freie Presse, Wien
undhlaft
Ein Protest aus Wien gegen eine Hinrichtung
Töllers.
(Telegramm der „Neuen Freien Presse“.)
“München, 11. Juni.
Das sozialdemokratische Porteiorgan „Münchner Post“.
veröffentlicht heute folgendes, ihr aus Wien zu¬
gegangenes Telegramm: Die Unterzeichneten haben an den
Ministerpräsidenten Hoffmann nachstehendes Tele¬
gramm geschickt: „Wir protestieren aufs schärfste gegen
jedes Standrecht, besonders gegen die beabsichtigte Er¬
schießung Ernst Tollers. Staatssekretär Bauer,
Seitz, Tandler, Friedrich Adler, Hermann
Bahr, Franz Blei, Artur Schnitzler, Ida
Roland, Alexander Moissi, Hugo Sonnen¬
schein, Albert Ehrenstein, Franz Werfel, Hugo
Hoffmansthal, Stefan Zweig, Oskar Fried,
Richard Beer=Hoffmann.“
Das sozialdemokratische Blatt bemerkt dazu: In voller
Anerkennung der humanen Gesinnung, der dieses Tele¬
gramm entsprungen ist, müssen wir doch die Frage auf¬
werfen, auf welche Tatsachen sich die Behauptung stützt,
die Erschießung Tollers sei beabsichtigt. Soweit wir die
Verhältnisse kennen, glauben wir, daß davon keine Rede
sein kann. Wo sind übrigens die Protesttelegramme der
Wiener Staatsmänner und Intellektuellen geblieben, als die
von Lewin und Leviné=Nissen aufgepeitschten
revolutionären Stoßtrupps in München den auf den Tod
verwundeten Genossen Auer aus der Klinik verschleppen
wollten 24
Niinehnter Oert
73 ure 4#10
Posten
Telegra

Das m #sterisse velegramm.
Δ Wien, 12. Juni 19. (Korr-Bür Staats¬
sekretär Dr. Otto Bauer hat an den bayerischen
Ministerpräsidenten Hoffmann in München sol¬
gende Depesche geschickt:
Die „Münchener Post“ veröffentlicht einen Protest
gegen die angeblich beabsichtigte Erschießung Ernst
rollers, unter dem auch die Unterschrift des Präsi¬
denten Seitz und meine Unterschrift gesetzt ist. In Wirk
lchkeit ist weder dem Präsidenten Seitz no¬
ger jemals ein solcher Aufruf zur Unte:
schrift vorgelegt worden. Unsere Namen wur
den ohne unser Wissen unter den Protest gesetzt. Wir sind
überzeugt, daß es unserer Bitte gar nicht bedarf, die baye¬
rische Regierung zu bewegen, kein Todesurteil
mehr vollziehen zu lassen.
gez. Otto Bauer.
Wien, 12. Juni 19. Das Korrespondenz=B reau
öffentlicht eine klärung des Schriftstellers Arthur
ervon dem Protestrelegramm
nitzler,
#llirs kaitte Kenntneß hafte und
er vie- Hir
daß ihm ein solches Telegramm niemals zur Unterschrift,
vorgelegen habe.

an
„Rumoristische Blätter, W
HILHTER.
Der furchtbaren Niedergang des Deutscf¬
tums hat sich auch auf dramatischem Ge¬
biete angekündigt, und zwar weit früher als
auf politischem Gebiete. Wagners Grund¬
thema war nichts anderes als die Ahnung
vom Niedergang des Deutschtums. Siegfried
mit seinem Schwert und der Vogelsprache¬
kunde ist Symbol des ebenso kriegerischen
als sinnreichen deutschen Volkes.
Das Rheingold ist Sinnbild der
blühenden rheinischen Industrie, die den
Deutschen den Geldstrom brachte.
Hagen ist Repräsentant der neidischen
Westmächte, die Deutschlands Macht
zerstören wollten.
Am Rhein holten die Deutschen das
Gold der Industrie, am Rhein entstand das
Evangelium das Kommunismus — am Rhein
wird Deutschland s Niedergang besiegelt.
Auch Gerhart Hauptmann war ein
dichterischer Prophet des Niederganges und
sein wertvolles Werk „Die Weber“ kündigt
schon die Räterepubliken an.
Von Gestalten wie Wedekind, Evers,
Sternhein usw. gar nicht zu reden.
Um speziell Deutschösterreichs
Untergangzu verstehen, genügtes Schnitzler,
Hermann Bahr, Rudolf Hans
Baitschusw.-zuriee.
Kann man sich vorstellen, daß ein
Schnitzlerscher Held ein Reich zu¬
sammenhalten kann.
Daß ein Mensch, der Hermann Jahr
liest, je was Kluges tun wird, oder aus den
Romanen des Herrn Bartsch Festigkeit
und Führung im Leben gewinnen kann.
In allen Autoren nur Sophismen, leicht¬
fertiges Gedankenspiel, schwüle Sinnlichkeit,
weiche Gefühlsschweigerei.
Und die Malerei!
Man sehe sich Makart an und die
dummen Hurengesichter auf seinen Bildern,
die weichliche, unsolide Farbenschwelgerei.
Man sehe sich unsre Feuilletonisten an,
unsre Satiriker mit ihrer maßlosen Eitelkeit,
ihrer Stilschwelgerei, ihrem öden Wortdienst.
Für sie ist Österreichs Untergang nur ein
Kabarettvorwurf, der Stoff zu einem gegen
Entree vorzutragenden Bänkel.
Sie grinsen dem Publikum zu: „Was
sagt ihr, mit welcher Stilkunst ich die
Schande des Vaterlandes besiege, welche
glänzende Witze ich über die Millionen von
Todesopfern mache.“
Man sollte solchen Überbrettelhelden
der allgemeinen Schande ins Gesicht spucken,
und auch dem Gelichter, welches solche
Schaustellungen ermöglicht.
Aber der Osterreicher hatte ein
Vaterland und liebt’s, wenn man es besudelt.