VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 22

1. Miscellaneous
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20. April 1924
er für geht man zu Bett, und weite Straßenzüge in den Vorstädten sind
ie be¬ vollkommen menschenleer. Am Sonntagabend geht man natürlich
immen, ins Kino oder zu Volkssängern, am Dienstag und Freitag genießt
fach, man im Sommer „klassische Musik", die von einer Musikkapelle
t des auf einem öffentlichen Platz der wichtigsten Stadtviertel aus¬
1 hier geführt wird. Man hat, wenn man nicht die Worte der Um¬
Ver- stehenden anhört, den Eindruck, in einer kleinen deutschen Provinz¬
irklich
stadt zu weilen.
Nur in ganz flüchtigen Strichen sollte der Charakter der
dann
endlich Pariser Vorstädte umrissen werden, und diese Schilderung hat
bloß den Zweck, eine rasche Aufklärung über das wahre Paris zu
ver¬
geben, damit die Reisenden, die kaum die Oberfläche der Stadt
ihnen streifen, nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht falsche Vor¬
heure stellungen erwecken, die den Tatsachen nicht entsprechen. Es ist
immer vor dem Kriege viel gesündigt worden, weil man in Deutschland
nur allzu oft Berichten glauben schenkte, die nicht in die Tiefe
leich
über der Dinge gedrungen waren. Auch jetzt kann man wieder, da
dabei und dort, Schilderungen lesen, die nur von sehr
den
Wer
ausgehen.
, die unzureichenden Betrachtungen
Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen.
s an= Wer die Franzosen kennen und erkennen will, darf sich nicht damit
eltend begnügen, die Argentinier, Kanadier und Holländer zu betrachten,
ennen die sich in den Luxusnachtlokalen umhertreiben.
heim¬
Auto¬
ch die
Komödie der Errungen.
chuhe,
teeb in
Von
druck
Leo Feld.
t der
Man erweist mir seit einiger Zeit die Ehre, mich mit
Paris
Artur Schnitzler zu verwechseln. Auf der Straße, im Theater,
and die
eichlich auf der Elektrischen — es passiert mir fortwährend. Man spricht
steckten mich mit seinem Namen an, man grüßt, blickt, tuschelt, kurz man
benimmt sich gegen mich, als ob ich der berühmte Dichter der
nen
„Liebelei" wäre,
Heimat
Das ist eine Auszeichnung, vielleicht sogar eine Schmeichelei,
muß
luttes aber sicherlich kein Vergnügen. Wirklich nicht.
Es ist nicht angenehm, wenn man den Leuten immer
wieder versichern muß, daß man nur mit sich selbst identisch
Einem
ist. Dieses „nur ist besonders unsympathisch.
chieden Minister macht es vielleicht Spaß, wenn man ihn für seinen
rselben Hofrat hält. Aber der Hofrat fährt unweigerlich zusammen, wenn
ein schmeichlerisches „Exzellenz", seine subalternen Ohren um¬
auf
flüstert.
Gefühl
Dabei ist es weder Artur Schnitzler noch mir, noch irgend
sind,
jemandem, der uns genau kennt, jemals klar geworden, warum
emein¬
uns die Leute verwechseln. Schnitzler hat wundervolle blaue Augen,
Plan
schönes, ach, noch so blondes Haar, ein ausgesprochen französisch
iemals
konturiertes Gesicht — es ist rätselhaft, daß sich die Leute da
ir alle
auf eine Aehnlichkeit kaprizieren. Ich kann es mir nur mit dem
häuser begreiflichen Wunsche erklären, daß sie mit einem Schnitzler
nicht genug haben wollen.
Immerhin, bis vor kurzem konnte man sich solche Unfälle
in die
gefallen lassen. Sie waren nicht gar so aufregend. Es war aller¬
hat es
dings nicht sehr angenehm für den Dichter, wenn er plötzlich
wie
ttelbar von der Volksoper angerufen wurde, was er von der Direktion
wünsche und er sich absolut nicht entsinnen konnte, jemals
fehlte etwas von ihr gewünscht zu haben. Er konnte freilich nicht
sich in wissen, daß ich in den Vormittagsstunden desselben Tages den
he Be¬ Direktor Markowsky vergebens gesucht hatte, weil ich ihn für
durch einen Freund interessieren wollte. Noch verdrießlicher mag es ihm
unächst gewesen sein, als er eines Tages aus Schärding, einem lieben,
Masse verrunzelten Städchen am Inn, einen vorwurfsvollen Brief
te den erhielt, es sei nicht schön von ihm, daß er einmal in einen so
halten weltfernen Winkel verschlagen, für seine alten Freunde dort nicht
e man eine Viertelstunde übrig habe. Was wußte ich, als ich den ein¬
samen Platz der Stadt durchquerte, daß mich hinter den ge¬
dafür
ignete, schlossenen Fensterläden grollende Blicke verfolgten —