VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 31

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Miscellaneous
Neue Freie Presse.
Wien, Sonntag
Seite 36
Ton:
am nächsten stehende Arthur Schnitzler ist trotz der Mannig¬
derer geschehen, die mich gar nicht kennen. Wohlwollen
etwas
fältigkeit seines Wesens lauter Grazie.
fremder Menschen ist mir unendlich gleichgültig; ich habe
meine
Er scheint mir für Wien sehr typisch, bald ernsthaft,
nicht nur kein Bedürfnis, Herzen zu gewinnen, sondern es
Dime
bald leicht, bald mit den Pfeilen aus seinem Bogen ein
befriedigt mein innerstes Wesen, mehr ungünstig beurteilt zu
glücklicher Treffer, bald vorbeischießend, weil er nicht am
werden als Komplimente zu hören. Mein Leben hat es mit
gering
gezielt hat oder weil in seinem Wesen vielleicht eine Ver¬
sich geführt, daß ich wohl tausend Toastreden habe hören
unter
stimmung überhandnahm; aber die Sicherheit der öster¬
müssen, und Toastreden sind mir so widerlich wie Schmäh¬
reichischen Grazie hat ihn nie verlassen.
zulasse
artikel. Es ist aus ihnen nichts zu lernen, und sie machen
Ich möchte nicht eine Fanfare auf sein Lebenswerk
an,
den lächerlich, der sie mit Vergnügen anhört. Ich strebe als¬
anstimmen. Fanfaren sind lärmend und leer. Aber ich
mich
nicht, den Wienern zu gefallen.
kenne keinen Poeten, der Oesterreich und dessen Anmut¬
nicht
Wenn ich dennoch meine Dankbarkeit gegen Wien
melde
verkörpert wie er.
äußere, geschieht es aus ruhigem Gefühl, nicht in der
Es is
Hoffnung, von den Wienern gern gesehen zu werden. Im
ist spi¬
Laufe eines Lebens von dreiundachtzig Jahren bin ich über¬
ein
Eheglück.
haupt nur dreimal in Wien gewesen, jedesmal eine Woche
das
oder zwei. Von einer gründlichen Kenntnis kann also über¬
Ein Gespräch.
erlau¬
haupt nicht die Rede sein.
herzlie
Von Hermann Bahr.
Aber Wien übt einen Zauber aus, und Zauber hat mit
zu so
gründlicher Kenntnis nichts zu tun.
dem
„Nach meinen Erfahrungen, schloß der Hagestolz, als
Ich habe noch den Johann Strauß gekannt, den Kom¬
heirat
wir ihn wieder einmal mit seiner Eheschen neckten, „nach
ist.
ponisten der „Fledermaus", der die Walzer schrieb, welche
meinen Erfahrungen sind die schlechten Ehen relati noch
den Namen Wiens in alle Herzen der tanzenden Jugend ein¬
immer die besten; nämlich wenn man's aushält." „Was meinstich
schrieben. Seine Melodien waren echter als die Farbe seiner
zuerke
du mit schlechten Ehen?" fragte sein Neffe.
hat fi¬
Haare. Sie waren echte Kunst und typische Kunst.
„Deine zum Beispiel." erwiderte der Oheim prompt
gard
Und um von einem Extrem zum entgegengesetzten zu
Jener sagte lachend: „Ich wünsche mir keine bessere.
springen, ich habe in Wien den tiefsten Eindruck von dem
„Mit vollem Recht", stimmte der Hagestolz zu. „Ich Liebe
ein
Werke „Griechische Denker von Gomperz empfangen.
kenne keine bessere. Doch das ist es ja gerad Ihr seid seit
Sinn
sieben Jahren glücklichst verheiratet und worin besteht aber
Wohl zwanzig Jahre hatte ich ein solches Werk vermißt,
Minn
hoffte nicht, es jemals zu erleben. Ich war seit meinen
euer Glück? Darin, daß ihr euch in einem fort zankt's, Tag
Er hielt einen Augenblich ein, bevor er lachend fort¬
ersten Jugendjahren ein fast fanatischer Verehrer griechischer
und -
kann,
Philosophie, aber es plagte und peinigte mich, daß diese
fuhr: „No wie's bei der Nacht ist, weiß ich ja nicht, aber es
Gatti
Philosophie nie der modernen Welt in klarer, einfacher
gehört viel Phantasie dazu, sich euch zwei beide friedlich auch
Weise begreiflich gemacht wurde, daß die naturwissenschaft¬
und
nur nebeneinander schlafend vorzustellen. Am besten liegt
ihr doch immer... euch in den Harren! In Ehen dagegen,
lichen, astronomischen, atomistischen Elemente des Griechen¬
wo man sich wohl fühlt, wo Behagen herrscht, wo der Mann
tums den Modernen nie in leichtverständlichen Sätzen zu¬
Der
der Frau, die Frau dem Mann jeden Wunsch von den Augen
gänglich gemacht, immer nur im fürchterlichen Professoren¬
Tafel
abliest, erfährt man dann immer, daß er sie betrügt, oder sie
deutsch, der Allgemeinheit unverständlich, vorgetragen
Minn
wurden. Und siehe da! Plötzlich lag der Anfang des
ihn oder beide einander. Ein Tropfen Untreue scheint das beste
schön
Werbes „Griechische Denker“ vor mir, übertraf meine
wiede
Schmieröl der Ehe.
kühnsten Hoffnungen, erfüllte meine Erwartungen, machte
„Ich verzichte darauf", sagte der Neffe kurz. „Mir ist
kom
den ungelehrten Modernen die schwierigste Griechenwelt
meine Ehe schon ungeschmiert lieber
Heira
„Mir ja theoretisch auch versicherte der Oheim. „Aber
durchsichtig. Was Fontenelle in dem Zeitraum von der
klang
praktisch: Wenn ich nicht durch meine Jahre schon jeder Ver¬
Periode Voltaires für die Franzosen ausgerichtet hatte, ihnen
Spra¬
die Naturwissenschaft und die Sternenkunde weltmännisch
suchung zur Heirat entrückt wäre, meiner Seel ich weiß nicht
ob ich das ungestörte Behagen einer durch gegenseitig un¬
verständlich zu machen, das hat dies eine Werk „Griechische
Ohein
eingestanden zugebilligten Betrug erwärmten Ehe nicht boch
Denker, ein echtes Wiener Werk, für die Oesterreicher und
die Deutschen getan. Ich nenne es ein echtes Wiener Werk,
eigentlich den Unwettern einer Liebesheirat vorzuziehen die
und
weil es voll tiefer Gelehrsamkeit ist, aber die Darstellung
Schwäche hätte.
das
„Treiben wir's," fragte der Neffe lächelnd, „treiben wir
auch nicht eine Spur der Pedanterie zeigt.
denn wirklich so arg
Das ist das Merkmal Oesterreichs und Wiens: keine
Auge
„Aerger!" versicherte der Alte. „Noch viel ärger! Ihr
Pedanterie! Wie seinerzeit Metternich (mit all seinen Fehlern
bara
merkt es nur selber gar nicht. Ihr seid es schon so gewohnt
ein wahrer Oesterreicher) sagte: nur kein Pathos,
eigen
Eine Liebe, die nicht fortwährend in Wut explodiert, könnt
das wahre Motto Oesterreichs und besonders dasjenige von
nur,
ihr euch offenbar überhaupt gar nicht mehr vorstellen.
gera¬
Wien: nur keine Pedanterie
„Darf ich bitten?" sagte da mit der gewohnten be¬
man
Oesterreich hat die Eigenschaft, die den Deutschen trotz
leidigenden Höflichkeit der junge Dichter, der sich durch
beide
all ihrer großen Eigenschaften, abgeht; die Grazie. Ja, für
sein Glück in der Wahl vergessener, im Zauber seine
Liebe
mich ist das Oesterreich, das ich kenne und schätze, die in
Mundes zu neuer Lebenskraft erweckter Worte als Arbiter
karnierte Grazie. Was ohne Grazie ist, kann tausend vor¬
aller geistigen Entscheidungen beglaubigt fühlte. Die Stille,
weni¬
zügliche Eigenschaften haben, aber österreichisch ist es nicht.
die sogleich im Kreise der Horchenden entstand, schien ihm
war
Ich kenne nur unvollkommen ihre Dichter. Ich rechne
noch nicht andachtsvoll genug und er wiederholte mit einer
nicht erhabene Melancholiker, wie Lenau, oder herrliche
allen Hochmut weit überbietenden gereizten Bescheidenheit:
Gott
politische Agitatoren, wie Moritz Hartmann, mit, denke nur
„Darf ich vielleicht bitten?“ Die Pause, tief in ehrfürchtiges
an die neueren. Einige sind ja sehr ernsthaft, wie Beer¬
Schweigen gehüllt, dauerte lange. Dann begann er in
Hoffmann, aber die beliebtesten, wie Hugo v. Hofmanns
thal, sind sogar als Tragiker graziös, und der mir persönlich einem lässig lehrhaften, aus Herablassung etwas näselnden Unge
den Knien vor mir. Ist das der Dank für meine Treue?
mein
Schauspieler. Ich pflege nicht so grob zu sprechen.
Für meine Liebe
Schauspielerin. Du bist lächerlich. Ich klingelte,
Schauspielerin. Laß meinen Arm los.