VII, Verschiedenes 11, 1920–1926, Seite 39

Miscellaneous
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Dr. Max Goldschmidt
Bür für Zeitungsausschnitte
BERLINNA
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Ausschnitt aus:
Vossische Zeitung, Berlin
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Eine Wiener „Theatergemeinde der 10 000“.
Wie aus
Dien der „Vossischen Zeitung gemeldet wird, wurde in einer
Versammlung von Schriftstellern und Theaterdirektoren auf An¬
trag des Kritikers Dr. Schreyvogel die Bildung einer „Theater¬
gemeinde der 10000“ beschlossen, die beabsichtigt, Urauf¬
führungen von Werken österreichischer und reichsdeutscher Dichter
in mustergültiger Weise und hervorragender Besetzung in die
Wege zu leiten. An der Debatte über diese Neugründung be¬
teiligten sich besonders der Direktor des Deutschen Volks=Theaters
Dr. Beer und Burgtheaterdirektor Herterich. Dem Vorstande der
Theatergemeinde gehören u. a. an Artur Schnitzler, Hugo von
Hofmannsthal, Anton Wildgans, Unterrichtsminister
Dr. Schneider und Präsident der Bundestheater Dr. Prüger.

Der Tag, Berlin
25 Mai 1926
Ida Boy=Ed, die Hanseatin.
Von Karl Rosner.
Es gibt Dichter und Schriftsteller, deren Wesen und Werk so
unlöslich mit dem Stück Erde verwachsen sind, auf dem sie schaf¬
fend stehen und aus dem ihre Phantasie die beste Kraft und
Nahrung zieht, daß wir sie uns gelöst von dieser Heimat ihrer
Kunst kaum denken können. So ist der klassische Erzähler
Theodor Fontane kaum vorstellbar ohne das herbe, karge
Bild der Mark, aus der seinen Romanen Probleme und Ge¬
stalten in urwüchsiger Bodenständigkeit entgegendrängen, und
so ist Arthur Schnitzler nicht zu fassen ohne die Wiener
Landschaft und Mentalität, ohne den bis zum füßen Welken
reifen Kulturgrund der Welt und Zeit Alt=Oesterreichs.
„Heimatkunst
? — Nein. Das Wort und der Begriff, den es
umspannt, sind hier zu eng, um solche Meister und ihr Schaffen
zu umgreifen. Denn Heimatkunst ist Frucht von schöpferischem
Drang aus eng umschriebener Umwelt, der sich im Wirken auf
diesen eng umschriebenen Kreis Genüge tut — hier aber wirkt
der fest verwurzelt Schaffende ins Weite, beharrt mit seinem
Wesen auf der Eigenart der Scholle und greift mit seinem
Wollen dennoch unbewußt hinaus über den Boden seines Ur¬
sprungs.
Auch unter den zur größten Volkstümlichkeit aufgestiegenen
Erzählern unserer Tage haben wir mehr als einen, der aus
solcher Verwurzelung in der angestammten engeren Heimat zur
Wirkung in die Weite wuchs. Da ist, um nur zwei Namen aus
der Reihe der Meistgelesenen herauszugreifen, der nieder¬
rheinische Rudolf Herzog, in dessen Werken — gleichgültig in
welche Fernen und Bezirke ihre Aeste schatten, das Hohelied
vom Rhein und seinen Menschen immer wieder rauscht, und da
ist Ida Boy=Ed, die Hanseatin, in deren stärksten, in Erfindung
und Gestaltung weit in die Welt hineingreifenden Romanen
das Lob der Hansestädte und ihrer Menschen immer wieder
klingt. Der Hansestädte, die, stolz auf ihre Unabhängigkeit, wie
eigenwillige ragende Türme im Kranz der deutschen Länder
stehen, der hanseatischen Menschen, die Tradition und Schu¬
lung, fest verwurzeltes Herkommen und eine klar zur Einheit
geschlossene Umwelt zu Ehrbarkeit und Tüchtigkeit, zu Wage¬
mut und stolzer Kraft gehärtet haben.