VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 5

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lich etwas kleinlaut wurden, so nicht aus Furcht
vor den Großen, sondern in einer Art Schen
vor dem Bäumchen, das den langen Weg aus
unserem lieben schattigen Walde hier hinein in
Miscellaneous
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die gute Stube gemacht hatte, recht eigentlich
nur, um uns eine Freude zu machen und mit
seinem von Lichtern und Lametta versteckten
Grün heimlich in Aug und Herz zu scheinen.
Storm:
Meine Mutter führt das Kleinste selbst an
der Hand. Wir zwei größeren Kinder schritten
allein, aber Hand in Hand im Schatten ihres
langen, bauschigen Rockes, bis dicht an den
Tisch mit dem brennenden Baum heran. Viel
gutwärmende Kleidungsstücke lagen da und
Dr. Max Goldschmidt
süße Näschereien. Ich faßte zuerst nach meinem
Taschenmesser, obwohl es gegenüber der Pup¬
Büro für Zeitungsausschnitte
penbühne, die mein Bruder sofort mit Ausrufen
SERLIN N4
begrüßte, das unscheinbarere Geschenk war. Als
Telefon Norden 3051
wir uns satt gesehen hatten, ward das Fenster
geöffnet, und meine Mutter setzte sich, das
Kleinste auf dem Schoße, an das Klavier, um
die Weihnachtsweise zu spielen. Wir hatten
Der Montag Morgen, Berlin
unser Verslein wohl gelernt, und wenn unsere
dünnen Stimmchen etwas vom geraden Wege
der Melodie abirrten, fiel mein Vater, der
hinter meiner Mutter stand und seine Hand
auf ihre Schulter legte, mit kräftiger Stimme ein.
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Marlitt.
Seligkeit brannte in unseren kindlichen Ge¬
G. Hauptmann, T. Mann, A. Schnitzler. Daß
mütern, da die Tür ausging zur Stube mit
Sie Ihre Manuskripte nicht anbringen können,
den herrlichen Weihnachtsgeschenken. Was war
finden wir ganz in Ordnung. Schreiben Sie sitt
der schöne Weihnachtsbaum aber gegen die
lich! Oder besser — lassen Sie das Dichten Be¬
Freude, die an jenem Abend in unser Herz ge¬
rufeneren und versuchen Sie, sich in anderen Be¬
langte, dort tiefe Wurzeln schlug und sich als
rufen nützlich zu machen. Bei einiger Anstren¬
Funke der Tugend und später als weithin
gung kann's noch immer gelingen.
leuchtende Flamme edler reiner Menschlichkeit
entfalten sollte. Ein Kind, das Weihnachten in
der Geborgenheit des Heimathauses und um¬
geben von der ebenso edlen wie zärtlichen
Liebe der Eltern in dieser Weise erlebt, wird
sicherlich sein ganzes Leben lang einen Weg ein¬
schlagen, auf welchem zu wandeln jeden Men¬
schen ziert, mag er im Grafenschloß oder im
Bettlerhaus geboren sein.
Schnitzler:
Der Weihnachtsbaum braunte, und unsere
Eltern reichten sich die Hände, wie nach einer
Versöhnung. Ich selbst habe meinen Vater
niemals so zärtlich zu unserer Mutter reden
hören wie an jenem Abend. Ich bekam ein
Paar Pumphosen und eine Eisenbahn, die frei¬

lich nach den ersten drei Fahrversuchen ein
Opfer ihrer schlechten Konstruktion wurde.
Dr. Max Goldschmidt
Mein Vater hob an jenem Tage jedes Kind
hoch in die Luft, drückte es an seine Wange,
Büro für Zeitungsausschnitte
die an diesem Abend glatt war wie nie zuvor,
und ließ gleichzeitig unsere Mutter an dieser
BERLIN N 4
Telefon: Norden 3051
in der Luft vor sich gehenden Liebkosung teil¬
nehmen. Ein ungekanntes Gefühl durchrieselte
Ausschnitt aus:
rich, — es möchte das erste seiner Art in
meinem Leben sein — als ich das Glück hatte,
Magdeburger Generalanzeiger
bei dieser Umarmung dem Hals meiner Mutter
so nahe zu kommen, daß ich mit meinem Atem
die kleinen, sonst nicht sichtbaren Härchen in

ihrem Nacken bewegen konnte.
25. Dez. 192
Sternheim:
Weihnachtliche Freude, aus Lebkuchenduft,
Der Weihnachtsbaum.
Nadelgeruch und Kerzen süßverhängnisvoll
Im Stile verschiedener Dichter.
aufsteigend, uns Kindern stieg in Nase, Juste¬
Milien=Anschauung hier im Keime gelegt
Dargestellt von Ezard Lanins.
habend, verschwand Weihnachtsbaum zwar zu
Goethe.
Beginn neuen Jahres aus unserer Stube, doch
So laut wie die Spatzen unserer freien
nicht aus Innerem der Kinder, in ihnen ge¬
Stadt waren, die mehr lärmten als ihre
fährlichen Hang zur Bürgerlichkeit zurücklassend.
Schwestern und Brüder in irgendeinem ge¬
Werfel:
drückten Landflecken oder Dörfchen
so laut
Der langen, schmerzlichen Wartezeit, ver¬
waren wir Kinder vor der verschlossenen Tür
bracht wie vor den Toren des Paradieses,
der weihnachtlich zugerichteten Stube. Als wir
folgte ein Türöffnen, ein Choral von Weih¬
endlich in diese eintreten durften, brannte uns
nachtskerzen, ein Aufschrei aus unseren Kehlen.
das einfache Bäumchen mit zahlreichen Lichtern
An uns Kindern, um den weißen Tisch herum
und in ein feines Kleid aus langen silbernen
gelagert, zog tönend das Geheimnis der Spiel¬
Fäden gehüllt, freundlich entgegen.
Wir
uhr vorbei, offen, wie eine Wachtparade, aber
konnten nicht ausdrücken, welche Empfindung
verborgen schön wie das Rauschen der Jahr¬
uns bei diesem Anblick süß und seltsam ergriff.
märkte. Ausgebreitet neben Matrosenanzug
Hätten wir es gekannt, wir hätten wohl zeigen
und dem „guten Kameraden“ war da das
müssen, daß diesem unsicheren Gefühl auch
Weltziel aller Knabenleidenschaft, das freund¬
Schmerzlichkeit beigemischt war — Schmerzlich¬
liche Geschenk des Puppentheaters, dessen
keit, nur verständlich demjenigen, der in dem
Figuren steif und leblos zwischen den be¬
Geheimnis der Seele wie in einem Buch zu
malten Kulissen standen und lagen wie Sänger,
lesen verstanden hätte.
die ihren schönsten Ton längst gesungen haben.
Mörike:
Ich hörte voll Entzücken den Regen durch die
Es war die gute Mutter selbst, die uns die
Bäume sausen und an den geschlossenen Fen¬
Tür zu dem lang verschlossenen Gemach öffnete,
stern summen und brummen, wie den Kontra¬
in welchem unser das brennende Tännchen
daß, der eine Freudensymphonie gewaltig, aber
harrte. Wir Kinder stürmten mit freudigen
stimmlos begleitet. Mit der Bühne, auf die die
Geschrei in die Stube, blieben aber nach drei
Weihnachtskerzen tropften, begann furchtbar
Schritten betroffen stehen. Des hellen Glanzes und feierlich das Theater meines Lebens.