11
Miscellaneous
in
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Telefon: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Prager Tagblatt
26
zu dirigieren.
Schnitzler und Schönherr, Zu Schönherrs 60. Ge¬
burtstag sendet ihm A. Schnitzler folgenden Brief¬
Lieber und verehrter Karl Schönherr Gestatten Sie¬
daß ich mich zum heutigen Feste bescheiden mit zwei
Anekdoten einstelle. Vor ein paar Jahren fuhr ich
nach Deutschland. Paßvisitation. Der Beamte, ver¬
ständnis= und hochachtungsvoll: „Ah, „Glaube und
Heimat“. — Ich: „Leider ein. „Glaube und Heimat
ist von Schönherr. Ich heiße A. S.“ — Der Beamte,
etwas unmutig, dann wieder gefaßt: „Also — doch!
Dies konnte ich freilich nicht leugnen. Das habe ich
Ihnen vielleicht schon erzählt. Nun aber lesen Sie,
was mir heuer in Berlin vor wenigen Wochen
passiert ist. Der Sekretär eines größeren Theaters
läßt sich bei mir melden. Er ersucht mich im Namen
der Direktion um Ueberlassung des „Reigen. Ich
lehne ab. Der Sekretär: „Vielleicht aber könnten wir
etwas anderes vom Herrn Doktor aufführen." —
— Der Sekre¬
Ich: „Ich bitte um einen Vorschlag.
tär (nach einigem Nachdenken): „Vielleicht einen
Ich: „Man müßte doch
Zyklus Ihrer Stücke.
mit einem anfangen. Bitte." — Der Sekretär (nach
noch längerem Nachsinnen): „Wie wäre es mit „Volk
in Not“? — Ich: „Das kann ich Ihnen leider nicht
berlassen.“ — Der Sekretär (etwas verletzt):
Warum?" — „Ich: „Weil es nicht von mir, sondern
von Schönherr ist. — Der Sekretär: „Oh!“ — Ich:
„Vielleicht können Sie mir ein anderes Stück
nennen?“ — Er kannte keines — der Zyklist. Nach¬
dem diese beiden wörtlich wahren Geschichten mehr
zu Ihrer Biographie, lieber Freund, gehören als zu
meiner, fühle ich mich angenehm verpflichtet, sie
Ihnen mitzuteilen. — Zur Feier des 60. Geburts¬
tages von Karl Schönherr hatten mehrere Wiener
Theater, so auch das Burgtheater, Festaufführungen
seiner Schauspiele veranstaltet. Das Deutsche Volks¬
theater brachte die Neueinstudierung von „Glaube
und Heimat“. In der Begrüßung sagte Direktor
Dr. Beer, daß Schönherr vor 25 Jahren auf dieser
Bühne seinen Einzug hielt, so daß er und das
Deutsche Volkstheater heute zugleich das Fest der
silbernen Hochzeit begehen. Der Dichter, der der
Feier beiwohnte, wurde von den Vertretern der Be¬
hörden und des Deutschen Schriftstellerverbandes, der
Schönherr als Geburtstagsgeschenk die neugestiftete
Grillparzermedaille überreichte, sowie von Vertretern
der Presse, Schriftstellern und Schauspielern in An¬
sprachen geehrt. Der Dichter sprach in einigen
launigen Sätzen seinen Dank der Stadt Wien aus,
die ihn die Sehnsucht gelehrt und dadurch seine
Heimatwerke zur Entfaltung und Reise gebracht
habe. Der Festvorstellung wohnte auch Bundes
präsident Hainisch bei.
box 42/2
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Telefon: Norden 305
Ausschnitt aus:
Deutsche Tageszeitung, Berlin
17. März 1927
Gina Kaus: „Toni".
Kammerspiele.
Ein Schulmädchendrama in neun Bildern. Jugend von heute,
die sich selber „aufklärt, doch dabei nicht weniger leicht als die
frühere um die Konflikte herumkommt. „Frühlings Erwachen
in neuer Auflage, aber matter, überlegter, redseliger. Oft ein
Wort zu viel, wo die „Geste“ genügt hätte.
Ehe Toni, die Fünfzehnjährige, Herbe, Knabenhafte, das Tor
zur reinen Liebe finden kann, zu ihrem Jugendgespielen, muß sie
erst durch die Hände eines blasierten Jünglings gehen, der ihr
mit Weiningerschen Philosophismen den Kopf wir macht und in
dem Mädel ein für seine Erotik williges Werkzeug findet.
Die letzte Szene, die „knallige Auseinandersetzung der beiden
Jünglinge, ist flaches Theater, aber der Weg zu diesem Ende, das
für Toni der Anfang zu neuem Leben, zu wahrem Weibtum ist,
dieser Weg ist streckenweise von einer sicheren Hand gebaut.
Gina Kaus stellt ein halbes Dutzend klarer Mädchentypen
auf die Bühne. Halbflügge Geschöpfe. Nicht mehr Kind und noch
nicht Weib. Es ist manchmal peinlich, den Gesprächen dieser
„Erwachenden zu folgen. Sie treiben sozusagen an sich selber
Freudsche Psychoanalyse, fast instinktmäßig, aus der „Mentalität"
der frühreifen Mädel von heute. So finden sie sich rascher mit
dem Leben ab. Sie ertragen die Schule oder sie schütteln sie ab
und laufen in den Ehehafen ein. Diese „Entwicklung" ist durch¬
aus konventionell. Gemäßigter Schnitzler. Aber einzelne Cha¬
raktere sind scharf gesehen und werden in der von Heinz Hil¬
pert mit bestem Takt geleiteten Aufführung bezwingend „echt
dargestellt.
Sonik Rainer ist Toni. In Haltung, Gebärde und
Stimme schon herb, und im Spiel ganz verhaltene Innerlichkeit,
verborgene Glut. Grete Mosheim ist die Unbekümmerte,
die durchs Leben strolcht und dabei gut fährt. Hertha Pauli
ist die ähnlich veranlagte, die den kleinen goldschweren Nathan¬
son heiratet, sich aber schon vorher den Hausfreund sichert. Toni
van Eyck ist das echte Mädel mit dem Kindergemüt; nur Sybil
Rares ist die eigentlich Problematische, die Tragische mit dem
verkümmerten Weibtum.
Von den beiden jungen Männern ist Matthias Wie¬
mann der gerade Kerl, das große Kind mit dem guten Herzen;
ein sympathischer Junge. Lothar Müthel findet sich mit
dem andern, der mit aufgelesener Philosophie protzt, aber den
vitalsten Genüssen huldigt, gut ab. Sonst gibt's noch verschiedene
Schablonentypen, um die sich Hadrian M. Netto, Karl
Elzer u. a. bemühen.
Hugo Kubsch.
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Dr. Max Goldschmidt
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zu dirigieren.
Schnitzler und Schönherr, Zu Schönherrs 60. Ge¬
burtstag sendet ihm A. Schnitzler folgenden Brief¬
Lieber und verehrter Karl Schönherr Gestatten Sie¬
daß ich mich zum heutigen Feste bescheiden mit zwei
Anekdoten einstelle. Vor ein paar Jahren fuhr ich
nach Deutschland. Paßvisitation. Der Beamte, ver¬
ständnis= und hochachtungsvoll: „Ah, „Glaube und
Heimat“. — Ich: „Leider ein. „Glaube und Heimat
ist von Schönherr. Ich heiße A. S.“ — Der Beamte,
etwas unmutig, dann wieder gefaßt: „Also — doch!
Dies konnte ich freilich nicht leugnen. Das habe ich
Ihnen vielleicht schon erzählt. Nun aber lesen Sie,
was mir heuer in Berlin vor wenigen Wochen
passiert ist. Der Sekretär eines größeren Theaters
läßt sich bei mir melden. Er ersucht mich im Namen
der Direktion um Ueberlassung des „Reigen. Ich
lehne ab. Der Sekretär: „Vielleicht aber könnten wir
etwas anderes vom Herrn Doktor aufführen." —
— Der Sekre¬
Ich: „Ich bitte um einen Vorschlag.
tär (nach einigem Nachdenken): „Vielleicht einen
Ich: „Man müßte doch
Zyklus Ihrer Stücke.
mit einem anfangen. Bitte." — Der Sekretär (nach
noch längerem Nachsinnen): „Wie wäre es mit „Volk
in Not“? — Ich: „Das kann ich Ihnen leider nicht
berlassen.“ — Der Sekretär (etwas verletzt):
Warum?" — „Ich: „Weil es nicht von mir, sondern
von Schönherr ist. — Der Sekretär: „Oh!“ — Ich:
„Vielleicht können Sie mir ein anderes Stück
nennen?“ — Er kannte keines — der Zyklist. Nach¬
dem diese beiden wörtlich wahren Geschichten mehr
zu Ihrer Biographie, lieber Freund, gehören als zu
meiner, fühle ich mich angenehm verpflichtet, sie
Ihnen mitzuteilen. — Zur Feier des 60. Geburts¬
tages von Karl Schönherr hatten mehrere Wiener
Theater, so auch das Burgtheater, Festaufführungen
seiner Schauspiele veranstaltet. Das Deutsche Volks¬
theater brachte die Neueinstudierung von „Glaube
und Heimat“. In der Begrüßung sagte Direktor
Dr. Beer, daß Schönherr vor 25 Jahren auf dieser
Bühne seinen Einzug hielt, so daß er und das
Deutsche Volkstheater heute zugleich das Fest der
silbernen Hochzeit begehen. Der Dichter, der der
Feier beiwohnte, wurde von den Vertretern der Be¬
hörden und des Deutschen Schriftstellerverbandes, der
Schönherr als Geburtstagsgeschenk die neugestiftete
Grillparzermedaille überreichte, sowie von Vertretern
der Presse, Schriftstellern und Schauspielern in An¬
sprachen geehrt. Der Dichter sprach in einigen
launigen Sätzen seinen Dank der Stadt Wien aus,
die ihn die Sehnsucht gelehrt und dadurch seine
Heimatwerke zur Entfaltung und Reise gebracht
habe. Der Festvorstellung wohnte auch Bundes
präsident Hainisch bei.
box 42/2
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Telefon: Norden 305
Ausschnitt aus:
Deutsche Tageszeitung, Berlin
17. März 1927
Gina Kaus: „Toni".
Kammerspiele.
Ein Schulmädchendrama in neun Bildern. Jugend von heute,
die sich selber „aufklärt, doch dabei nicht weniger leicht als die
frühere um die Konflikte herumkommt. „Frühlings Erwachen
in neuer Auflage, aber matter, überlegter, redseliger. Oft ein
Wort zu viel, wo die „Geste“ genügt hätte.
Ehe Toni, die Fünfzehnjährige, Herbe, Knabenhafte, das Tor
zur reinen Liebe finden kann, zu ihrem Jugendgespielen, muß sie
erst durch die Hände eines blasierten Jünglings gehen, der ihr
mit Weiningerschen Philosophismen den Kopf wir macht und in
dem Mädel ein für seine Erotik williges Werkzeug findet.
Die letzte Szene, die „knallige Auseinandersetzung der beiden
Jünglinge, ist flaches Theater, aber der Weg zu diesem Ende, das
für Toni der Anfang zu neuem Leben, zu wahrem Weibtum ist,
dieser Weg ist streckenweise von einer sicheren Hand gebaut.
Gina Kaus stellt ein halbes Dutzend klarer Mädchentypen
auf die Bühne. Halbflügge Geschöpfe. Nicht mehr Kind und noch
nicht Weib. Es ist manchmal peinlich, den Gesprächen dieser
„Erwachenden zu folgen. Sie treiben sozusagen an sich selber
Freudsche Psychoanalyse, fast instinktmäßig, aus der „Mentalität"
der frühreifen Mädel von heute. So finden sie sich rascher mit
dem Leben ab. Sie ertragen die Schule oder sie schütteln sie ab
und laufen in den Ehehafen ein. Diese „Entwicklung" ist durch¬
aus konventionell. Gemäßigter Schnitzler. Aber einzelne Cha¬
raktere sind scharf gesehen und werden in der von Heinz Hil¬
pert mit bestem Takt geleiteten Aufführung bezwingend „echt
dargestellt.
Sonik Rainer ist Toni. In Haltung, Gebärde und
Stimme schon herb, und im Spiel ganz verhaltene Innerlichkeit,
verborgene Glut. Grete Mosheim ist die Unbekümmerte,
die durchs Leben strolcht und dabei gut fährt. Hertha Pauli
ist die ähnlich veranlagte, die den kleinen goldschweren Nathan¬
son heiratet, sich aber schon vorher den Hausfreund sichert. Toni
van Eyck ist das echte Mädel mit dem Kindergemüt; nur Sybil
Rares ist die eigentlich Problematische, die Tragische mit dem
verkümmerten Weibtum.
Von den beiden jungen Männern ist Matthias Wie¬
mann der gerade Kerl, das große Kind mit dem guten Herzen;
ein sympathischer Junge. Lothar Müthel findet sich mit
dem andern, der mit aufgelesener Philosophie protzt, aber den
vitalsten Genüssen huldigt, gut ab. Sonst gibt's noch verschiedene
Schablonentypen, um die sich Hadrian M. Netto, Karl
Elzer u. a. bemühen.
Hugo Kubsch.