VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 12

1. Miscellaneous
box 42/2

Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLINNA
Türkische Post, Konstantinopel.
1. Mai 1927
Anekdoten vom Theater.
Arthur Schnitzler und Hugo von of
mannsthal wollten sich bei den Salzbur¬
ger Mozart-Festspielen treffen. Schnitzler
war ein paar Tage eher dort, besorgte
Eintrittekarten und drahtete an Hof¬

Dr. Max Goldschmidt
mannsthal : «Sitze besorgt Hotel Ro¬
Büro. für Zeitungsausschnitte
mischer Kaiser, Schnitzler. — Wenige
Stunden später drahtet ihm Hofmanns
BERLINNA
Telefon: Norden 3051
thal : «Warum sitzest besorgt Römischer
Kaiser Hofmannsthal.
Ausschnitt aus:
Frankfurter Zeitung
22 Mai 1927
Sehr beliebt ist der junge Mann, Pold oder Franzl ge
heißen, fabelhaft gut gekleidet, hat aber nichts gelernt, kann
Film-Wien.
He
nichts, nur „Küß die Hand" sagen und liebenswürdig, ander¬
Eine Richtigstellung.
sagen: idiotisch lächeln. Es dürfen nicht fehlen: ein Fiaker,
Aus Anlaß des 50. Geburtstags von
(2. Juli) erscheint bei S. Fischer=Be¬
ein Blumenmädchen älteren Jahrgangs, eine rüstige alte Abort
Von Adolf Walter.
des Dichters von Hugo Ball, der
frau, die sich ihrer losen Jugend erinnert. Dazu Riesenrad,
zum Vorabdruck entnehmen:
Seit ungefähr einem Jahr kommen die Wiener in den
Ringelspiel, Opernkreuzung, altes Haus mit schlecht gepflaster¬
Lichtspieltheatern aus dem Staunen nicht heraus. Stellen sie
tem Hof, Stephansplatz und zwei Männer, die zum Spiel von
Dem Dichter war von den Eltern die The
stimmt. So war es Tradition und bei jungen
mit einem gerührten Auge fest, daß sie das beliebte Objekt Ziehharmonika und Gitarre in die Hände klatschen. Film Wien
Begabung das Gegebene. Die theologische
für den deutschen Lustspielfilm geworden sind
nicht nur den Wünschen der Familie, sie war a
müssen sie mit dem anderen heiteren immer wieder die Wahr¬
Das sogenannte süße Mädel war zweifellos einmal vor
Studium; denn für württembergische Thelog
nehmung machen, daß das Objektiv nicht objektiv war; eine handen. In den Achtziger= und Neunzigerjahren, als die
Jahr an eine kostenlose Ausbildung; man
neue, ihnen ziemlich unbekannte Rasse treibt sich auf der weißen Haupt= und Residenzstadt den großen Krach von 1873 hinter
genannte „Landexamen mit Erfolg zu beste
Fläche herum, und eine eigens erfundene Stadt, in der es
sich hatte und die Industrie, auch in den Provinzstädten der diente dazu, aus ganz Schwaben jährlich
ungemein lustig zugeht, hellt vor ihren Augen auf: Film-
Monarchie, mächtig aufblühte; als die Brünner reich geworden, Knaben im Alter von vierzehn Jahren aus
Wien, die Entdeckung einiger unbekümmerter Filmleute, die
da zogen die Söhne nach Wien, sagten sich von Papas nahr als Stipendiaten in eines der niederen Ser
— Paris, Montmartre und Moulin Rouge sind schon zu ab
haften Webstühlen los, wollten vom Handel nichts mehr wissen Urach, Blaubeuren) und später auf Staatsko
Universität, ins weltberühmte theologische
genützt — ein dankbares Lustspielmilien vonnöten hatten.
und sind so auf die Literatur gekommen. Die Wiener Schule
wurden. Diese Prüfung blieb auch dem jung¬
Mit jener nachtwandlerischen Sicherheit, die den Geschäfts
im Kaffeehaus des ersten Bezirkes bodenständig, unternahm
Um aber zugelassen zu werden, mußte der Kn
mann ziert, fanden sie die Formel für das Wiener Wesen
dann und wann, damit die Sache nicht nur einen Namen hätte
bischer Staatsbürger werden. Der Vater ließ
Drei Worte: süßes Mädel, Prater, Heuriger. Da
Reisen in die Wirklichkeit, in die Vorstädte, verband das Ange¬ der theologischen Karrière anno 90 oder 91
von leben sie halbwegs einträglich und gedenken dem Ver¬
nehme mit dem Nützlichen, sie stiegen zu den Töchtern des Lan¬
und in Göppingen die Lateinschule besuchen.
nehmen nach bis hundert Jahre das heitere Gewerbe zu üben, des herab, anspruchslosen Kindern einer halbwüchsigen Zeit
Die Darstellung des Landes=Examens un
Das Rezept: man nehme fünfhundert Meter Wiener Baulich
denen ein Paar Lackstiefletten nach Maß und eine hübsch
zeit in „Unterm Rad" ist lebensgetreu.
keit, sechshundert Meter schneidigen Husarenoberleutnant
Bluse größten Luxus und höchste Glückseligkeit bedeuteten. Joseph Giebenrath und ist nicht Missionspre
siebenhundert Meter fesches Wiener Mädel, immer lustig,
schenhändler und Agent. Nur das Erlebnis in
Arthur Schnitzler hat diese versunkene Umwelt der Herren¬
traurig auch zuweilen, doch nicht länger als vierzig Meter
söhne und Vorstädchen einmalig und unübertroffen ge= der Persönlichkeit, die auch sonst in Hesse
„Lauscher, im „Demian", in „Kle
Mädel schenkt sich hin, das ist ihr idealer Lebenszweck, dann
schildert; eine Unmenge von Nachempfindsamen versuchte sich
hervortritt, an zwei Freundesgestalten verte
Abschiedsschmerz, Offizier heiratet Dame der Gesellschaft, an dem erotisch reizvollen Stoff.
Hermann Heilner aus Maulbronn ist des T
langweilig zwar, aber was tuts, so steht es geschrieben in der
Nunmehr aber, nach reichlich vierzig Jahren, da ein neues, aus dem Seminar. Aber auch die seelischen
Sternen. Kann auch ostpreußischer Gutsbesitzer sein, auf Ge¬
gründlich verändertes Geschlecht lebt, verschieden in der Lebens
schäftsreise in Wien weilend Mädel ehelicht gutmütig=ehrsamen weise und in der Art zu denken, eines, das auf die Vorher¬
Anstreichermeister. Wird Knödel kochen und Kinder kriegen, menschen aus allerlei triftigen Gründen nicht gut zu sprechen Prater und hat dort mühelos die gleichspro
Rundlich und kurzsichtig geworden, nimmt sie dreißig Jahre
ist; in der Zeit des Frauensports, des Eindringens der Mäd¬ den; die jungen Leute besorgen das jetzt
später nachdenklich die Brille ab, um besser mit dem geistigen chen in alle Berufe und ihre Einbeziehung in den gewerkschaft Budapest und sonstwo. Es soll noch immer
Auge zu sehen: verklärten Antlitzes überblendet sie in ein lichen Rahmen, stimmt dieses süße Mädel des Filmonkels us mel sein, aber der Prater hat jedenfalls an
glücklich liebend Paar, sie selbst und Graf Hohenstein von den
Neubabelsberg, besonders wenn es im kniefreien Rock und kur= verloren. Früher einmal führte der näch¬
Viererulanen oder Erlaucht Schnecki vom Auswärtigen. Und zem Haar mit feschen Dragoneroffizieren aus der seligen Luft in den Prater. Seit die Touri
die alten Praterbäume rauschen ihr Lied.
Monarchie zu einem vorher aufscheinenden Walzertext moderne mäßigungen auf den Bahnen zu vergebe
Hinzu kommen noch: der alte Wiener, mit Kaiserbart, lange Tänze strampelt, ungemein heiter
bessere junge Mann ordentliches Mitglied u
Virginiazigarre im Mund, die immer gleich lang bleibt
Auch der Volksprater war einmal. Es steht zwar noch eine din ehrbarst auf den Semmering oder auf
ein alter Zauberer, der ab und zu turnübungähnliche seitliche Bude neben der andern, aber der, von dem die Gegend den
Prater wurde im großen Ganzen auf die C
Armbewegungen macht und singend die zweifellos zutreffende
Namen Wurstelprater hatte, der Wurstel ist verschwunden. So liegenden Bezirke beschränkt, und so man
Tatsache „I bin a alter Weana" neuerlich bestätigt. Sein
gar die Kinder sind nicht mehr naiv genug, sich die Belusti= aus einem Film berlinischer Erzeugung,
Linke hält meist ein mit Wein zur Hälfte gefülltes Stutzengas, gungsmethoden der Großväterzeit gefallen zu lassen. Der
flugsort noch auf der Welt ist.
Aufschrift mit schwach durchscheinenden Notenzeilen und einem
Prater war seinerzeit der große Liebesmarkt einer mäch¬
Man unterscheidet ferner den wirkliche
überlebensgroßen Violinschlüssel: „Es gibt nur a Kaiser= tig aufstrebenden Großstadt. Was das kaiserliche Wien an heurigen. Dieser ist auf allen Ankündigung
stadt" und „Menschen, Menschen san ma alle", liedmäßige
strammer tschechischer, polnischer, ungarischer, ruthenischer, kroa¬ Autotaxi führen zu ihm, einer ins Na¬
Behauptungen, die anfechtbar sind,
tischer Mannschaft verfügbar hatte, ergoß sich Sonntags in den tragenen Nachahmung einer früher volksti