Miscellaneous
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in
Das ist das süße Mädel.
Pariser „Midinette. Sie sind heute alle
Das „süße Mädel“, jene zartverträumte
sowohl äußerlich (allerdings ganz rei¬
Mädchengestalt, der Artur Schnitzler um
zend uniformiert, und was die Liebe be¬
die Jahrhundertwende seine dichterische
trifft... nun, auch die hat sich inter¬
Gloriole gab, jenes süße Mädel, das in
nationalisiert und auf jede bodenstän¬
dige Sentimentalität verzichtet. Man
liebt jetzt weder beim stimmungsvollen
Sonnenuntergang am Rhein noch in
Grinzing beim Wein“... man flirtet eben,
und das am besten beim Charleston.
Alles andere ist, wie gesagt, Literatur,
und daraus hat es „der Film geholt...
Besonders, ganz besonders das Wiener
Anny Ondra
unzähligen weinfröhlichen Liedern be¬
sungen wurde, jenes süße Mädel, das von
ähnlichen Mädchentypen in anderen
Ländern so sehr verschieden war wie
etwa die Begriffe „Flirt“ und „Liebelei“,
jene „sagen umwobene, echte wiene¬
rische, zarte Mädchentype gehört heute
wohl schon der Literatur an. Und aus
dieser hat sie der Film geholt...
In Wirklichkeit gibt es heute süße
Mädels“ und Anatols in Wien ebenso-
wenig wie etwa in Paris Mimi Pinsons...
Wie unser ganzes Leben, haben sich auch
die Liebe und die jungen Leute, die ihre
„Opfer“ werden, gründlich amerikani¬
siert und die Begriffe „Flapper und
„Flirt haben alle verträumten, natio¬
nalen Eigenheiten auf diesem Gebiete
gründlich verdrängt. Daran hat das
süße Mädel ebenso glauben müssen
Mary Philbin
wie das „deutsche Gretchen“ oder die
süße Mädel. Man weiß, daß eine Welle
Wiener Filme die internationalen Film-
märkte überschwemmt hat und in jedem
dieser Filme dominierte natürlich das
süße Mädel“. Äußerlich stellt man sich
das Wiener Mädel im weiteren und fer¬
neren Ausland schlankweg als „blond
und blauaugig“ (womöglich mit Grüb¬
chen) vor. (Auf das „Mollete, was man
einstmal der Wienerin als besonderes
Charakteristikum unterschob, hat man
natürlich Verzicht geleistet.) Nun sind
aber zirka 50 Prozent aller Frauen blond
und blauangig, ohne deshalb dem Typ
des Wiener Mädels auch nur annähernd
zu entsprechen. Es war also für die
internationalen Regisseure schon etwas
schwieriger, für ihre „Mizzis, und
„Annas“ und „Franzis geeignete Dar¬
stellerinnen zu finden, und manche haben
in dieser Hinsicht auch schwer gesündigt.
Sogar ein genialer Regisseur wie Ernst
Lubitsch hat seine Wiener Filme von
Darstellerinnen spielen lassen, die aller¬
dings schauspielerisch wunderbar waren,
dem geforderten Typus aber nicht im
geringsten entsprachen. Man hat gesagt,
daß die Wienerin den Dreivierteltakt.
die Anmut des Wiener Walzers in ihrer
Bewegung hat, es mag vielleicht schon
deshalb furchtbar schwer gewesen sein,
in unserer synkopengehetzten Zeit ein
solches Mädel zu finden, aber die
Wienerin charakterisiert noch etwas
Dina Gralla
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ganz anderes, etwas, was sich in Worten
nicht ausdrücken, nicht beschreiben läßt.
es ist das Gewisse (was jedoch mit dem
amerikanischen „It“ nicht zu verwechseln
ist). Man mußte meinen, daß bei dieser
Hochkonjunktur in Wiener Filmen
Wiener Darstellerinnen große Chancen
in aller Welt gehabt haben. Das stimmt
jedoch nicht. Es hat sich der merkwür¬
mogene Robertson
dige Fall ergeben, daß sowohl in Berlin
wie in Amerika wirkliche Wienerinnen
von den Regisseuren nicht akzeptiert
wurden, weil sie eben dem geforderten
Typus tatsächlich nicht entsprachen, dem
Typus, den man dann bei einer Nord¬
deutschen, einer Amerikanerin, einer
Polin wiederfand. Ja sogar in Wien haben
ausländische Darstellerinnen in den Rollen
Wiener Mädels große Erfolge errungen
und man hat diese Darstellerinnen aus
dem Ausland hergebracht, weil man eben
in Wien den gewünschten Typus beim
besten Willen nicht finden konnte. So
selten ist er schon...!
Anny Ondra, die Tschechin, hat
bereits in zwei Wiener Filmen, „Prater¬
mizzi und „Seine Hoheit der Ein¬
tänzer, süße Mädels gespielt, und wer
die Filme gesehen hat, wird zugeben
Xenia Desni
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in
Das ist das süße Mädel.
Pariser „Midinette. Sie sind heute alle
Das „süße Mädel“, jene zartverträumte
sowohl äußerlich (allerdings ganz rei¬
Mädchengestalt, der Artur Schnitzler um
zend uniformiert, und was die Liebe be¬
die Jahrhundertwende seine dichterische
trifft... nun, auch die hat sich inter¬
Gloriole gab, jenes süße Mädel, das in
nationalisiert und auf jede bodenstän¬
dige Sentimentalität verzichtet. Man
liebt jetzt weder beim stimmungsvollen
Sonnenuntergang am Rhein noch in
Grinzing beim Wein“... man flirtet eben,
und das am besten beim Charleston.
Alles andere ist, wie gesagt, Literatur,
und daraus hat es „der Film geholt...
Besonders, ganz besonders das Wiener
Anny Ondra
unzähligen weinfröhlichen Liedern be¬
sungen wurde, jenes süße Mädel, das von
ähnlichen Mädchentypen in anderen
Ländern so sehr verschieden war wie
etwa die Begriffe „Flirt“ und „Liebelei“,
jene „sagen umwobene, echte wiene¬
rische, zarte Mädchentype gehört heute
wohl schon der Literatur an. Und aus
dieser hat sie der Film geholt...
In Wirklichkeit gibt es heute süße
Mädels“ und Anatols in Wien ebenso-
wenig wie etwa in Paris Mimi Pinsons...
Wie unser ganzes Leben, haben sich auch
die Liebe und die jungen Leute, die ihre
„Opfer“ werden, gründlich amerikani¬
siert und die Begriffe „Flapper und
„Flirt haben alle verträumten, natio¬
nalen Eigenheiten auf diesem Gebiete
gründlich verdrängt. Daran hat das
süße Mädel ebenso glauben müssen
Mary Philbin
wie das „deutsche Gretchen“ oder die
süße Mädel. Man weiß, daß eine Welle
Wiener Filme die internationalen Film-
märkte überschwemmt hat und in jedem
dieser Filme dominierte natürlich das
süße Mädel“. Äußerlich stellt man sich
das Wiener Mädel im weiteren und fer¬
neren Ausland schlankweg als „blond
und blauaugig“ (womöglich mit Grüb¬
chen) vor. (Auf das „Mollete, was man
einstmal der Wienerin als besonderes
Charakteristikum unterschob, hat man
natürlich Verzicht geleistet.) Nun sind
aber zirka 50 Prozent aller Frauen blond
und blauangig, ohne deshalb dem Typ
des Wiener Mädels auch nur annähernd
zu entsprechen. Es war also für die
internationalen Regisseure schon etwas
schwieriger, für ihre „Mizzis, und
„Annas“ und „Franzis geeignete Dar¬
stellerinnen zu finden, und manche haben
in dieser Hinsicht auch schwer gesündigt.
Sogar ein genialer Regisseur wie Ernst
Lubitsch hat seine Wiener Filme von
Darstellerinnen spielen lassen, die aller¬
dings schauspielerisch wunderbar waren,
dem geforderten Typus aber nicht im
geringsten entsprachen. Man hat gesagt,
daß die Wienerin den Dreivierteltakt.
die Anmut des Wiener Walzers in ihrer
Bewegung hat, es mag vielleicht schon
deshalb furchtbar schwer gewesen sein,
in unserer synkopengehetzten Zeit ein
solches Mädel zu finden, aber die
Wienerin charakterisiert noch etwas
Dina Gralla
SEITE 5
ganz anderes, etwas, was sich in Worten
nicht ausdrücken, nicht beschreiben läßt.
es ist das Gewisse (was jedoch mit dem
amerikanischen „It“ nicht zu verwechseln
ist). Man mußte meinen, daß bei dieser
Hochkonjunktur in Wiener Filmen
Wiener Darstellerinnen große Chancen
in aller Welt gehabt haben. Das stimmt
jedoch nicht. Es hat sich der merkwür¬
mogene Robertson
dige Fall ergeben, daß sowohl in Berlin
wie in Amerika wirkliche Wienerinnen
von den Regisseuren nicht akzeptiert
wurden, weil sie eben dem geforderten
Typus tatsächlich nicht entsprachen, dem
Typus, den man dann bei einer Nord¬
deutschen, einer Amerikanerin, einer
Polin wiederfand. Ja sogar in Wien haben
ausländische Darstellerinnen in den Rollen
Wiener Mädels große Erfolge errungen
und man hat diese Darstellerinnen aus
dem Ausland hergebracht, weil man eben
in Wien den gewünschten Typus beim
besten Willen nicht finden konnte. So
selten ist er schon...!
Anny Ondra, die Tschechin, hat
bereits in zwei Wiener Filmen, „Prater¬
mizzi und „Seine Hoheit der Ein¬
tänzer, süße Mädels gespielt, und wer
die Filme gesehen hat, wird zugeben
Xenia Desni