VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 32



Miscellaneous
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Sonntag
Neues Wiener Journal
22. April 1928
Seite 11
Erklärung; bei einer Festlichkeit
kontatt wieder ein. Allen Stürmen, welchen Girardis Leben
hatte ein Herr, nennen wir ihn
Tuchhandlung
später ausgesetzt war, wich unsere so schöne wahre Zusammen¬
während ich tanzte, auf der
gehörigkeit aus. Und als das Alter nahte, als uns nur mehr die
och das war noch nicht das
Erinnerung an eine herrliche Jugendzeit blieb, als nur mehr
und wollte verschwinden, als
Girardi und ich zurückgeblieben waren, da suchte er mich oft und
A
are
twas vergißt man nicht, das
oft und immer wieder auf. Mit mir besprach er die Möglichkeit
„Zur Schäferin“
der Kleine lacht mit
seines Burgtheaterengagements. Möglichkeit, vor der er in
schäftlich: „Ueber welche Städte
Wien, I., Freisingergasse 1
ehrfurchtsvollen Staunen stand. Er, der Bescheidenste, das
(Ecke Bauernmarkt.)
lauterste, das echteste Genie österreichischer Edelart. Es nutzte
nmal wieder reden: „Potsdam,
auch nichts, daß sein erstes Auftreten im Burgtheater zu
Original englische
r usw. Ueberall müssen wir
einer Ovation wurde, die Volk, Gesellschaft, Staatsmänner
n, damit genaue Kontrolle vor¬
und Hof einen Augenblick lang, gerade in dem Jahre,
Damenmäntelstoffe
das alte Oesterreich unterging, zu einer ideellen Einheit ver¬
de Straße, die von Menschen
schmolz. Girardi zitterte noch mehr für sein zweites Auftreten in
sige müssen warten. Es komm¬
Schnitzlers „Liebelei" als alter Weiring. Eines Tages saß er
Herrenmodestoffe
Berliner Kellner, Verzeihung:
stundenlang bei mir, so verzweifelt, so mutlos, daß er beschloß,
liseen.
die Rolle zurückzuschicken. Ich rief Artur Schnitzler an und erzählte
setzten sie sich nun heute in Willkommen Fitzmaurice, Willkommen Hünfeld. Ueber jedem ist die ihm von Girardis Depression. Er schlug vor, daß Girardi ihm
dem Sturm der Photographen deutsche, die irische, die amerikanische und die New-Yorker Flagge bei mir die Rolle vorspielen möge. Dankbar nahm er, der nach
angebracht. Die ganze Fish-Avenue wird mit Girlanden geschmückt
rika besonders stark vertreter
so hohem Aufstieg noch immer an sich Zweifelnde, an
Die Flieger werden vom Hotel aus, das im Zentrum liegt, von
durch die Straßen der Reichs
Ich sehe die Szene noch vor mir. Schnitzler nahm in einem
begleitet von Kinooperateuren den städtischen Ehreneskorten nach dem Hafen geleitet und von Fauteuil Platz, Girardi hatte seinen Fauteuil weiter weggerückt.
dort mit einem städtischen Dampfer zum Battery-Park gebracht
sen wollten. Passanten blieben
Er hob die strahlenden, abgrundtiesen Augen, sank ein wenig
fürdigen Zug und jubelten den wo zehntausend Soldaten Ausstellung nehmen werden. Im Parade
zusammen und dann sprach Weiring zu Christine . .
zug marschiert das Militär voran, dann folgen die Automobil¬
Niemand hat jemals dieses Erlebnis gehabt. Denn was
Brandenburger Tores ging's mit den Fliegern und Ehrenausschüssen. Vor der City-Hall wird
Girardi in der lähmenden Angst, die ihn bei der Aufführung
um Marsch für die Ehre der eine Tribüne errichtet, die einige tausend Menschen fassen umfing und bereits geschwächt vom herannahenden Todesübel auf
zu Ehre machen.
kann. Hier begrüßt Oberbürgermeister Walker die Flieger, der Bühne bot, war nur ein Schatten der Gestalt des alten
die dann den Triumphzug, der den Lindberghs weit Weiring, die er, ohne alle Beihilfe der Bühnenatmosphäre, nun
in den Schatten stellen wird, fortsetzen werden. An
erblühen ließ. Es gibt kein anderes Wort, das diese quellende
schließend werden Kohl, v. Hünefeld und Fitzmaurice Kränz¬
Innigkeit, das diesem Leuchten einer selbstvergessenen Liebe irgend¬
für den unbekannten Soldaten niederlegen. Der Zug begibt sich
in New=York.
wie nahe käme. Gleich nach der ersten Szene, als Weiring, einen
später zum Zentralpark, wo das Militär regimentweise Aufstellun¬
Fliederzweig in der Hand, eintritt: „Eine Luft ist heute draußen,
um für die „Bremen.
nehmen wird. Die Flieger werden dann begleitet von Ober
was, Frau Binder? Ich bin jetzt durch den Garten bei der Linie
sen Wiener Journals.
bürgermeister Walker und den einzelnen Truppenkommandanten die
gegangen — da blüht der Flieder. — Es ist eine Pracht!
New-York, 21. April.
Front abschreiten. Auf den Stufen des Bibliothekgebäudes in der
sprang Schnitzler auf, Tränen in den Augen, und rief: „Herrlich
42. Straße werden die Flieger von zehntausend New-Yorker
Absicht, mit der „Bremen
Herrlich! Zum erstenmal sehe ich den alten Weiring vor mir!
es in Amerika ungeheures Auf-Schulkindern begrüßt werden.
„Herr Doktor, ist das wirklich wahr? Glauben Se.
Besatzung gelingt, ihre Absicht
es wird gehen?" Und nun spielte Girardi die große Szene des
Auch Exkronprinz Wilhelm gratuliert.
Berlin — New-York Berlin die
letzten Aktes. Spielte sie göttlich. Sein Schrei: „Sie kommt nicht
Privattelegramm des „Neuen Wiener Journals"
die bisher vollbracht wurde.
wieder! Sie kommt nicht wieder!" war mehr eine Gott zu¬
Rom, 21. April.
Empfang der deutschen Fliegen
geschleuderte, sich gegen Gott aufbäumende Anklage.
Herden vorgenommen, damit die
Exkronprinz Wilhelm, der sich zurzeit in Italien auf
Tiefes Schweigen. Dann reichte Schnitzler Girardi die Hand
behindert wird. Ein große
hält, sandte an Freiherrn v. Hünefeld, der früher sein und sagte: „Sie hätten wahrscheinlich meinen Weg anders ent¬
wird für Ruhe und Ordnung Adjutant war, folgenden Glückwunsch: „In herzlicher Freude und schieden. Wenn mir dieses unsagbare Erlebnis Ihres Weiring
Verkehrs sorgen, da man mit Bewunderung über den siegreichen Ozeanflug, grüße ich mit Ihnen geworden wäre, als ich die „Liebelei" vor 24 Jahren auf¬
net. In New-York befestigen meinen alten, treuen Freund, den tapferen Flugzeugführer Koehl führen ließ.
Laternenpfahl der Fifth= und den mutigen irischen Begleiter mit treuesten und aufrichtigsten
„Aber, Herr Doktor (erwiderte Girardi mit vor Freude
schriften: Willkommen Kohl, Wünschen.
zitternder Stimme), jetzt müssen S' mir wieder so eine Roll¬
schreiben. Wenn's wirklich wahr is, daß Sie zufrieden sind.
Artur Schnitzler versprach es. Und Girardi starb vie¬
Wochen später.
pielt vor Artur Schnitzler
Kinderstube für alle.
seine letzte Rolle.
Eine neue Berliner Einrichtung.
Von
Hella Rohm.
Persönliche Erinnerungen.
Berlin, im April.
Von
Ein eher kleiner als großer Raum, der doch so viel der
Wunder birgt: manchem armen reichen, manchem armen elenden
Berta Zuckerkandl=Szeps.
Kinde wird er ein Paradies, manchem Erwachsenen ein Zauberland
sein, darin er alle Köstlichkeiten des Lebens schöpft. Denn dieser
Girardi gestorben ist, dieser Muritaten" (Girardi pflegte meinen Namen stets Berta aus
Raum, kaum fertig noch, erst halb möbliert, in rotem Schleiflack
isvollste, kindlichste und tiefste zusprechen) vorzutragen.
hell und lustig ausgestattet, birgt Herrlichkeiten, die Kinder und
Welt gekannt hat. Seit dem
Es waren der Sünden viele, die ich, allerdings immer Erwachsene sich bis dahin nicht träumen ließen. Zunächst —
seine grenzenlose Popularitä
unterstützt von meinen Anklägern, begangen hatte. So die was soll man an erste Stelle setzen? Die Spielzeugschränke, die
Szeps und meine Mutter Amalie, betrübende Tat, geschehen im Verlauf einer großen politischen rings um das Zimmer laufen, mit Glasscheiben selbstverständlich,
in Gesellschaft sehr schüchternen Soiree, die mein Vater Abgeordneten und Ministern gab und durch die man wählen kann, was einem gerade das Begehrens¬