VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 35

respondants dans toutes les grandes villes
BER
fit du Journal
se:
29.AVR. 1927
hengenommen werden, wende man sich direkt an die expedition
hältnisse, da dabei ja auch alle möglichen mit der recht einseitigen Gesichtspunkten leiten lassen
Eheschließung in Verbindung stehenden Fragen könne. Auch wird behauptet — wohl nur zum
Oesterreichische Chronik
des Erbrechts, der Alimentation, der Pensions=Teil mit Recht — daß der unmittelbare Anlaß
L. Wien, 25. April.
ansprüche — nicht zu vergessen die Kinder.
zu dieser Bewegung in Darbietungen liege, über
Der österreichische Bundeskanzler Dr. Seipel berührt werden. Die Komplikation wurde um
die man sehr geteilter Ansicht sein könne, im
eilt zum Kurgebrauch in Karlsbad. Das be¬
so größer, als die Rechtsprechung doch nicht ein
Auftreten der Negertänzerin Josephine Baker
deutet einen Stillstand in der Behandlung der
heitlich war, trotz allem immer mehr Dispens= und vielleicht sogar in der Jazzoper „Jonny
großen politischen Fragen. Aber der Streit der
ehen geschlossen wurden und viele unangefochten spielt auf!“
Meinungen über die vielen den Oesterreicher
blieben. Es wurde, in erster Linie von namhaf¬
Gewichtiger als diese letztern Gegenargumente
unausgesetzt beschäftigenden ungelösten Pro¬
ten Juristen, ein Eherechtsreformverein gegrün=scheint aber der einmütige Protest des
bleme geht auch in diesen Tagen weiter. Im
det, eine Eherechtsenquete veranstaltet, aber da
Schrifttums zu sein. Die gesamte österrei¬
Vordergrund des Interesses steht augenblicklich mit vermochte man dem Chaos natürlich in kei¬
chische Schriftstellerschaft hat sich sehr scharf gegen
wieder eine Frage, über die sich ungezählte seit ner Weise abzuhelfen. Da schien eine Klärung
das Gesetz ausgesprochen. Die führenden Män¬
Jahr und Tag den Kopf zerbrechen, ohne daß sie einzutreten, als schließlich der Verfassungs=ner der Literatur erklärten einmütig, daß sie ge¬
einer Lösung nähergekommen wäre: eine Ent
gerichtshof, die höchste Rechtsinstanz zum
willt seien, jeden Kampf gegen die Gefährdung
scheidung des Obersten Gerichtshofes hat die Dis-Schutze der Staatsverfassung, mit der brennen¬
der Jugend durch Schmutz= und Schundschriften
kussion über die Dispensehe wieder laut werden den Frage befaßt wurde. Dieser sprach nicht
ihre nachdrücklichste Unterstützung zu leihen, daß
lassen, ein Problem, das eigentlich ins Gebiet mehr und nicht weniger als die Rechtsgül- man aber der bedenkenlosen Aufreizung unlau¬
des Rechts gehört, aber doch ein Politikum ersten
tigkeit der Dispensehe aus, indem er judi¬ terer Triebe und der Vergiftung des guten Ge¬
Ordnung darstellt
zierte, die Gerichte seien nicht berechtigt, bin schmacks auf die in Aussicht genommene Weise
Das bürgerliche Gesetzbuch des alten Oester¬
dende Akte der Verwaltungsbehörden auf ihre
nicht beikommen könne. Wolle man aber letzte¬
reich, das auch heute noch in Geltung ist, sta¬ Gültigkeit zu untersuchen, d. h. im praktischen
res erreichen, so müsse man erst mit den Schrift¬
tuiert bekanntlich die Unauflösbarkeit der katho¬
Fall: sie seien nicht befugt, das von den Ver¬
stellern eingehend zu Rate gehen. Es sei schlech¬
lischen Ehe, d. h. die Unmöglichkeit der Wieder¬
waltungsbehörden durch Dispens beseitigte Hinterdings unmöglich, in die Domänen der Litera¬
verehelichung von Katholiken. In der Republik dernis des bestehenden Ehebandes neuerdings tur und Kunst gesetzgeberisch einzugreifen, ohne
wurde sehr bald der Wunsch laut, diese arge
geltend zu machen.
deren berufenen Vertreter gehört zu haben. In
Härte zu beseitigen, an Stelle der Konkordatsche
Aber auch dieser verfassungsrechtlich ganz ein= der Versammlung, in der diese Anschauungen
die Zivilehe treten zu lassen und es auch Ka=deutigen Entscheidung folgten seitens einzelnen
ihren Ausdruck fanden, ging es recht lebhaft,
tholiken zu ermöglichen, nicht nur von Tisch und
Gerichtssenate wieder gegensätzliche Urteile, und Ein sehr bedeutender Schriftsteller nannte des
Bett geschieden, sondern auch „dem Bande nach
so sah man denn mit Spannung einem unge¬ Entwurf ein „Attentat gegen den Gest, in
getrennt zu werden. Diese Strömung wurde um kündigten Judikat des Obersten Gerichtshofes ent= anderer erklärte, die Kunst lasse sich weder regle¬
so stärker, als die Kriegs= und Nachkriegszeit
gegen. Dieses liegt seit heute vor — und steigert mentieren noch domestigieren, Arthur Schnitzler
nicht nur in Oesterreich — eine Ehenot gezei= das Chaos ins Unendliche, indem es dem Urteil schrieb, das Ganze sei zwecklos.
tigt hat, die Zehntausende Familien in unleid¬
der andern höchsten Justizinstanz direkt zu¬
Der Niederschlag dieser Gegenaktion wird sich
liche Zustände stürzte.
widerläuft. Der Oberste Gerichtshof er= bald zeigen müssen.
Der einfachste Weg, auf dem man zu einer
klärt mit dürren Worten, daß die Nachsicht vom
grundsätzlichen Aenderung hätte gelangen kön= Hindernisses des Ehebandes keine geeignete
nen, der gesetzgeberische, erwies sich — aus politi¬ Grundlage zum Eingehen einer neuen Ehe
schen Gründen — leider als ungangbar. Und so darstelle. Das soll zwar nur eine „Richtschnur
kam man denn in Wien auf den Gedanken, die
sein, und der Oberste Gerichtshof will es dem
schon früher gelegentlich bewilligte Dispensehe Verfassungsgerichtshof überlassen, in jedem ein¬
auf breiter Basis einzuführen, eine Ehe, die sich zelnen Fall doch die Ehegültigkeit auszusprechen
auf eine durch die Verwaltungsbehör- aber es ist einleuchtend, daß die Dinge sich durch
den erteilte „Nachsicht vom Ehehindernis de¬
dieses Judikat noch unendlich schwieriger gestal¬
Bandes“. Solche Ehen sind seither von etwa tet haben. Und so ertönt denn lauter als je der
50,000 Menschen eingegangen worden, die aber Schrei nach dem Parlament, nach der endlichen
bis heute nicht wissen, ob ihre Ehe eigentlich zu
Revision der mehr als überlebten Gesetzesbe
Recht besteht oder nicht.
stimmungen
Die Dispensehe — man nannte sie geraum
Ob dieser Ruf so bald Gehör finden wird, läß
Zeit nach ihrem eifrigsten Verfechter, dem Lan= sich kaum sagen. Dagegen wird im Nationalrat
deshauptmann Sever, „Severehen“ — wurden in der nächsten Zeit viel über eine andere
nämlich sehr bald mannigfach angefochten. Man Rechtsfrage gesprochen werden, über den Gesetz¬
erklärte auf Seite der grundsätzlichen Gegner, entwurf gegen Schmutz und Schund.
die Dispens bedeute in Wahrheit keine gültige
Auch darüber sind die Ansichten einstweilen noch
Beseitigung des im bürgerlichen Gesetzbuch ver= sehr geteilt. Unzweifelhaft steht fest, daß die
ankerten Hindernisses des bestehenden Eheban
Lockerung der Sitten, die als traurige Kriegs¬
des, und die auf Grund der Ermächtigung durch folge in breiten Schichten eingetreten ist, sich auf
Verwaltungsbehörden eingegangene neue Ehe sei dem Gebiet einer gewissen „literarischen“ und
als Bigamie zu werten. Die Meinungsver¬
künstlerischen“ Produktion in beängstigender
schiedenheiten nahmen derart heftige Formen an
Weise breitmacht, daß eine bestimmte Art von
daß im Jahre 1921 der damalige Bundeskanzler
Erzeugnissen einer schmutzigen Spekulation, die
und jetzige Wiener Polizeipräsident Schober ein
man früher nur in Seitengassen heimlich zuge¬
Gutachten des Obersten Gerichts¬
steckt erhielt, heute auf allen Plätzen lärmend
hofes einholte. Dieses fiel aber so aus, daß es angeboten wird, und daß es sogar Leute gibt,
dem Wirrwarr Tür und Tor öffnete. Es besagte die diesem schmierigen Geschäftsbetrieb mit
nämlich, daß die neue Ehe zwar keine Nichtehe
Schlagworten wie „Neue Kultur“ die Mauer
aber doch eine anfechtbare Institution sei. Werd¬
machen. Da hakt nun der Gesetzentwurf ein
die Gültigkeit einer Dispensehe nicht durch eine der die Regierung ermächtigen soll, insbesondere
Anzeige an eine Gerichtsbehörde bestritten, so zum Schutze der heranwachsenden Jugend eine
bleibe sie aufrecht, werde sie aber (von dritten
Kommission mit dem Recht zu bekleiden, von ihr
Seite) angefochten, so müsse das Gericht sie für als Schmutz und Schund qualifizierte Schriften
nichtig erklären, da es sich um eine „unvollstän=Bilder usw. zu verbieten
dige Ehe handle.
Die Gegnerschaft gegen dieses Gesetz entspringt
Es liegt auf der Hand, daß die Gerichtsurteile, verschiedenen Motiven. Einmal wird darauf hin¬
die diesem Gutachten folgten, meistens die Un¬
gewiesen, daß man in Deutschland, das bei dem
gültigkeit der Dispensehen aussprachen
Entwurf in mancher Hinsicht als Vorbild dient
und so die alten Ehen wiederherstellten. Dar= bisher nur höchst bestrittene Erfolge erzielt habe,
aus ergaben sich unglaublich verwickelte Ver= und daß der Beirat sich unter Umständen von