VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 36

Miscellaneous
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DIE BUNE
Wien hat sich
seine leichtsinnige,
schlamperte Seelen¬
verfassung am läng¬
stens bewahrt, und
wenn es auch neue¬
stens heißt, daß bei
uns gewürzt wird,
so geschieht das
doch weit verbind¬
licher und schmerz¬
loser als irgendwo
anders. Und auch
das Wiener Mädel
ist noch nicht der¬
art vom Erwerbs-
sinn der heutigen
Generation gepackt,
wie junge Mädel
anderswo, die auf
ein halbschüchter¬
nes, halbfreches :
„Mein schönes Fräu¬
lein...antworten:
„Ja, wenn Sie mich
heiraten!“
Das süße Mädel
in Wien. Welche
Menschenschicht
entsendet ihre Ver¬
treterinnen in diese
Lokalrubrik
Wienertums?
käuferinnen,
distinnen, Manne¬
quins, Stenotypi¬
stinnen, Girls, und
jene Mädchen ohne
Beruf, die sech¬
zehn, siebzehnjäh¬
rigen Töchter aus
bürgerlichen Wie¬
ner Häusern, die
die ersten Tanz¬
schulbekanntschaf¬
ten machen, zum
Frl. v. Brenneis als Gusti Dobbelhof.
Theater wollen oder
sich mit einem rei¬
Denn einstens, als die Hochblüte der
chen Jüngling von Distinktion ver¬
Süßen-Mädel-Zeit war, konnte man in
loben.
Wien noch von der Luft leben, von der
Das Wiener süße Mädel“ hat
lauen Wiener Luft, die von den Hängen
nicht nur eine Literatur, auch in
des Kahlenberges über die Vorstadt
der Malerei kann man von früher
weht. Versuchen Sie das heute einmal!
seinen Spuren folgen. Lannerisch
wirkt es schon im Aquarell Wald¬
müllers, bei Danhauser kommt
es als weiß gekleidete Wienerin
wieder, es verkörpert die Schubert¬
Zeit: Rudolf von Alts noble Por¬
träte geben seine Konturen. Klimt
hat es in seiner raffiniert dekaden¬
ten Art mit orientalischem Ein¬
schlag gezeichnet, bei John Quincy
Adams kommt es bereits in gro¬
der mondänen Aufmachung, als
elegante Dame mit den einstigen
mädelhaften Zügen wieder.
Das „süße Mädel“ hat seine
Dichter gehabt, Arthur Schnitzler,
Hermann Bahr, Max Burkhardt
waren vielleicht die bekanntesten,
Hermann Bahr hat den „Wiene¬
rinnen“ in einem Stück, das so
heißt, gleichsam ein Denkmal ge¬
setzt und das Wiener Mädel hat
auch seine Darstellerinnen. Heute
sind vielleicht Hedwig Keller und
Luise Kartouch die letzten Wiener
Schauspielerinnen, die uns einen
Begriff von der Anmuut jener
Gattung Wienerinnen geben, die
die Ehrenbezeichnung „süßes
Mädel“ führen.
Paula Müller in ihrer Volkstheater-Zeit.
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DIE ANTWORTEN AUF
DIE RUNDFRAGE
PROFESSOR JOIN QUINCY ADAMS:
Das „süße Mädel existiert sicher
noch, wenn es auch rar und rarer vor¬
kommt und wahrscheinlich über kurz
oder lang ganz verschwunden sein wird.
Es entsprang eben einer ganz anderen
Zeit, anderen Voraussetzungen. Damals
hatten diese reizenden Geschöpfe ihre
kleine Häuslichkeit, die oft mehr als be¬
scheiden war. Aber auch ihre Ansprüche
waren bescheiden, und sie konnten sich
gesichert fühlen, ihre Gedanken hatten
genug Raum für Vergnügen, Liebe und
Genuß. Darüber hinaus machten sie sich
keine Sorgen.
Wer aber könnte heute noch so leben?
Süß sind die Mädchen ja vielleicht ge¬
blieben, nur spielt auch bei ihnen, und
sei das Ausmaß noch so klein, das spe¬
kulative Element eine Rolle. Das Geld
ist ein Faktor geworden, über den nie¬
mand hinweg kann, und so ist es ihnen
gar nicht zu verargen, daß sie ihre Ver¬
gnügungen mit den Gedanken an ein
neues Kleid, an einen neuen Hut ver¬
binden. Das Leben ist hart geworden,
hat für Leichtsinn kaum Verständnis
und wenig Platz. Die Folge davon ist,
daß ein nur an Freude und Genuß den¬
kender Typus wie das süße Mädel aus¬
stirbt, ja aussterben muß.
JULIUS BAUER:
Herr Redakteur!
Sie richten Ihre Frage auch an mich!
Ich bin also in Ihren Augen ein Sach¬
verständiger im Weibsache. Oh, Sie
Schmeichler!
Meine Antwort lautet kurz und bün¬
dig: Das „süße Mädel“ ist unsterblich!
Fr. Albach-Retty als Käthe in „Alt-Heidelberg“
von Wilh. Meyer-Förster.