VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 38

Ah
ganda für Oesterreich!
Von
Professor Viktor Basch, Obmann der Liga für Menschenrechte.
Aus einem Gespräch mit unserem Sonderberichterstatter G. Benede.
Paris, im Mai.
Verhältnisse; vor kurzem erst habe ich als Präsident der Liga für
Oesterreichs Schicksal schloß von Anbeginn zwei Möglich
Menschenrechte in Aachen, Wiesbaden, Trier und Heidelberg
keiten in sich: auszugehen in der großdeutschen Interessensphäre
Vorträge gehalten. Ich habe auch dort aufrichtig erklärt, daß
oder eine Konföderation mit den Donaustaaten zu bilden. Wäre meiner Ansicht nach der Anschluß an Deutschland Oesterreichs
es gelungen, seinerzeit den verhängnisvollen österreichisch
natürliches Recht sei, das man ihm nicht verwehren könne.
ungarischen Dualismus (der Einsicht Franz Ferdinands folgend) Dagegen hat allerdings Deutschland nicht das geringste Recht,
in einen Trialismus oder eine Art föderierter Staatengruppe
den Anschluß zu fordern. Das ist allein Oesterreichs
umzugestalten, dann wäre meiner Ansicht nach weder der Krieg
Sache. Die Deutschen selbst haben Oesterreich im Stich
mit Serbien, noch der daraus entspringende Weltkrieg über uns gelassen, als es auf sie angewiesen war und damit
gekommen. All das ist zwar längst vorbei, aber es sei vor allem
das Recht verspielt, jetzt als Retter aufzutreten
deshalb erwähnt, um darauf hinzuweisen, daß auf diese Eines aber muß trotzdem gesagt werden: Der Anschluß ist heute
Weise die Monarchie an ihrer, übrigens in hohem Maße noch nicht zeitgemäß. Später, beispielsweise, bis wir unsere
ungerechten Aufteilung, aus der die gegenwärtige öster¬
strittigen Probleme mit Deutschland geordnet haben, bis die
reichische Krise hervorging, nicht ganz schuldlos gewesen ist. deutsch-polnischen Fragen erledigt sein werden, und hauptsächlich,
Indessen befolgte Frankreich von Anbeginn die Politik einer
bis Deutschland selbst aus einem Bundesstaat zum Staatenbund
Donauföderation. Es dachte bereits vor dem Kriege daran und
wird, dann wird der Völkerbund gegen den Anschluß Oesterreichs
hätte sie in Gefolgschaft des Krieges gern ins Leben gerufen, keinen Protest erheben, so daß er ruhig, auf legalem Wege statt¬
Allerdings wäre dies kein leichtes Unternehmen gewesen. Die
finden kann.
übrigen Donauvölker hängen nun mit aller Kraft an ihrer neuen
Augenblicklich ist für Oestereich ganz etwas anderes wichtig —
wirtschaftlichen Selbständigkeit und wollen von einer Wirtschafts¬
die Propaganda. Oesterreich versäumt konsequent jede Propaganda¬
föderation oder einem Zollverein nichts hören. Doch, wenn sie
möglichkeit! Ich sage dies nicht, weil hier gerade der Kongreß
auch durch die Not zu besserer Einsicht gezwungen würden: Europa
aller Universitäten tagt, in dem Heidelberg, Budapest, Bukarest,
selbst ist uneinig in dieser Frage. Wir Franzosen sind dafür, die
Jassy, alle Universitäten der Welt vertreten sind — mit Aus¬
Engländer und Italiener aber dagegen. Alle diese Faktoren sowie nahme Wiens; auch nicht, weil im Weltverband für intellektuelle
die Vielgestaltigkeit der Dinge (die vor der Oeffentlichkeit nur im
Zusammenarbeit sich kein Staat so lau beteiligt wie Oesterreich.
Fluge gestreift werden kann) bewirken, daß Benesch und Masaryk Ich sage dies, weil es mir immer und überall auffällt! Wir
beim besten Willen nicht viel tun können.
schreiben manchmal über Ihre Heimat, aber immer aus eigenem
Der Plau eines östlichen Locarno klingt schön und wird des
Antrieb, denn Oesterreich hat auch bei uns in der Liga keinen
halb häufig erwähnt. Die Nachfolgestaaten selbst wollen es ebenso
berufsmäßigen Fürsprecher. Es müßte hier Männer geben,
wenig wie die Großmächte, obgleich eine Wirtschaftsföderation für alle die in der großen Presse für Oesterreichs Sache eintreten.
Nachfolgestaaten der einzig gangbare Weg wäre, und auch die einzige die sich mit den französischen Journalisten und Politikern in Ver¬
Möglichkeit Oesterreich das Leben zu retten. So sieht dies auch bindung setzen und die österreichische Frage nicht einschlafen lassen,
die französische Regierung. Trotzdem fürchte ich, daß dies
vielmehr Sorge tragen, daß davon gesprochen, darüber geschrieben
wirtschaftliche Donauföderation ein schöner Traum bleiben wird, und die große Welt zum Nachdenken gezwungen werde. Wer
Trotzdem wird Oesterreich nicht untergehen. Staaten sterben nicht weiß heute etwas von Oesterreich? Wer kennt eigentlich seine
so leicht. Und das Leben ist stärker als jede Theorie
Verhältnisse? Wer kann sich darum kümmert? Wo Oesterreich sich
Wenn es keinen anderen Weg gibt, wird sich Oesterreich
selbst augenscheinlich nicht darum kümmern. Man nehme dagegen
tatsächlich an Deutschland anschließen, was in gewisser Ungarn: Himmel und Erde widerhallen von seiner Propaganda.
Hinsicht zwar auch einen Tod bedeutet (den Tod
Und erst die Deutschen! Ich spreche nicht von der Masse namen¬
unabhängigen und traditionellen österreichischen loser Propagandisten, ich erwähne nur, daß Thomas Mann,
Lebens und der österreichischen Kultur), den Bewohnern des Heinrich Mann, Alfred Kerr, Curtius hier waren. Und doch hat
Landes aber immerhin ein Dasein sichert. Ich kenne die deutschen Oesterreich leichteres Spiel als Deutschland. Es hat Männer wie
Vol. 1.
te
Schnitzler den ganz Paris, ganz Frankreich liebt und achtet,
dessen Werke gelesen und aufgeführt werden, der allgemein
beliebt ist — doch persönlich hat ihn nie jemand
gesehen. Er hätte sicher einen Riesenerfolg, wenn er
persönlich in Paris erschiene und wieder würde alle
Welt von Oesterreich sprechen, wie damals, als Seipel in der
Sorbonne sprach. Ein anderes charakteristisches Beispiel. Mois
war in Paris und hatte einen durchschlagenden Erfolg, wurde aber
nie anders erwähnt, als „der größte Schauspieler Deutschlands"
Obgleich Moissi die Tradition des Burgtheaters vertritt, Wiener
Stil, Wiener Feinheit, Wiener Geschmack, Wiener Intellekt!
Ihr Oesterreicher besitzt hohen Intellekt, einen den Parisern
ebenbürtigen Charme, Feinheit — und die Lieblingsgewohnheit
der Nichtstuerei. Die Deutschen haben weniger Erfindungsgabe,
weniger ursprünglichen Intellekt und Geschicklichkeit, aber um so
mehr Fleiß. Sie sind zielbewußt, arbeitsam, jung, ihre Adern
sind voller roter Blutkörperchen. Der Oesterreicher ist gemütlich, er
jammert und gibt seine Sache in Gottes Hand...
stens in Fa.
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