VII, Verschiedenes 11, 1926–1929, Seite 45

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Extrait du Journal:
Adresse:
Date:
1928
„alsworthy, Gerhart Hauptmann und
Schnitzler haben mich bestohlen!"
v. Budapest.
Fräulein Irma Schillinger ist eine Dame,
die bis vor kurzem ein ebenso biederes wie auch
unbekanntes Leben im Verborgenen der ungarischen
Hauptstadt fristete. Niemand hat gewußt, daß Irma
Schillinger, das sechzigjährige Jungfräulein, die be¬
deutendste Schriftstellerin der Gegenwart ist. Das
erfuhr man zum großen Staunen aller literarisch
interessierten Kreise erst anläßlich eines Pro¬
esses, bei dem Irma Schillinger die bekannten
Wiener Librettisten Brammer und Grünwald we¬
gen Plagiats vor Gericht zitierte. Aus einem In¬
terview, das die „Schriftstellerin“ einem ungari¬
schen Journalisten gab, geht hervor, daß es keinen
Schriftsteller in der ganzen Welt gibt, den Fräu¬
lein Irma nicht des geistigen Diebstahls an ihren,
in Theaterbureaus lagernden Dramen geziehen
hätte.
Die alte Dame gab wirklich schandererregende
Dinge zum besten. Sie berichtete mit schmerzbeben¬
der Stimme über eine regelrechte organisierte
Maffia, die mehr als sechzig ihrer Stücke (denn in
jedem Lenz hat sie eines geschrieben!) gestohlen
hätte. Ich muß Ihnen sagen, daß es besonders in
Ungarn fürchterlich ist. Es gibt da eine Dramen¬
und Librettifabrik, eine geheime literarische Gro߬
handlung, deren Organe mit sämtlichen Theatern
der Welt in Verbindung stehen und in den Direk¬
tionszimmern die Pointen der eingereichten Stücke
abschreiben. Alles, was irgendwie nett ist, geist¬
reiche Wortspiele, elegante Wendungen, liebenswür¬
dige Scherze — all das wird einfach gestohlen
und von Bühnenschriftstellern, die ihren Mangel
an Talent durch Geld ersetzen können, zu hohen
Preisen gekauft. Sämtliche französischen Schwank¬
dichter leben seit Jahren von meiner Produktion.
Dekobra hat vier Stücke von mir gestohlen. Von
Gerhart Hauptmann wie ich gar nicht erst reden.
Alle ungarischen Bühnendichter verdanken ihren
Ruhm meiner Leistung. In erster Reihe Franz
Molar, der seinen Weltruhm aus meinen Stücken
erschwindelt hat. — Und dabei ist es herzbrechend,
anzusehen, wie meine Sujets durch talentose
J. Bühnenschriftsteller“ minderwertige Tröpfe wie
Pirandello, Galsworthy, Schnitzler und andere
mehr einfach verhunzt worden sind.
Die alte Dame hat wirklich ein beklagenswertes
Los. Aber nach Ansicht des Journalisten, dem sie
all ihr vieles Leid geklagt hatte, ist diese verkannte
Dichteren ganz harmlos, und eine Ueberführung in
eine Irrenanstalt scheint vorläufig nicht nötig.

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