VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 23

2. 2.
chnitzler's Death chnitzler's Death
box 42/6 box 42/6
TUnEVVME TUnEVVME
Telefon: D 1 Norden 3051 Telefon: D 1 Norden 3051
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Berliner-Tageblatt Berliner-Tageblatt
22. Okt. 1931 22. Okt. 1931
Der alternde Schnitzler endlich hat in einer Anzahl vor, Der alternde Schnitzler endlich hat in einer Anzahl vor,
Stücken, Romanen und Novellen seine auf tiefer psychologischer Stücken, Romanen und Novellen seine auf tiefer psychologischer
ARTHUR SCHNIIZLER ARTHUR SCHNIIZLER
Intuition beruhende Kenntnis von der Welt, den Menschen un Intuition beruhende Kenntnis von der Welt, den Menschen un
den Dingen ausgebreitet. Der Glanz der Jugend war nicht mehr den Dingen ausgebreitet. Der Glanz der Jugend war nicht mehr
Gestern abend kurz nach 6 Uhr ist Arthur Schnitzler einem Gestern abend kurz nach 6 Uhr ist Arthur Schnitzler einem
und es war auch nicht mehr die männlich sichere Kraft, aber nie und es war auch nicht mehr die männlich sichere Kraft, aber nie
Herzschlag erlegen, der ihm mittags schon das Bewusstsein ge¬ Herzschlag erlegen, der ihm mittags schon das Bewusstsein ge¬
verliess diesen Dichter seine herzliche enge Verbundenheit mi verliess diesen Dichter seine herzliche enge Verbundenheit mi
nommen hatte. Nach einem Spaziergang und kurz vor dem Essen nommen hatte. Nach einem Spaziergang und kurz vor dem Essen
allem Menschlichen, nie verliess ihn die Höflichkeit und Aus¬ allem Menschlichen, nie verliess ihn die Höflichkeit und Aus¬
hat der Tod an sein Herz gerührt — am Abend vorher ist er hat der Tod an sein Herz gerührt — am Abend vorher ist er
geglichenheit seines Innern, die es zuwege brachten, dass alle geglichenheit seines Innern, die es zuwege brachten, dass alle
noch im Theater gewesen. noch im Theater gewesen.
seine Dichtungen einen geradezu zärtlichen Takt und die Ehr¬ seine Dichtungen einen geradezu zärtlichen Takt und die Ehr¬
So ist Schnitzler aus dem Leben gegangen. Wie eine Figur So ist Schnitzler aus dem Leben gegangen. Wie eine Figur
furcht vor jedwedem Menschengesicht als grosses ethisches Posi¬ furcht vor jedwedem Menschengesicht als grosses ethisches Posi¬
Arthur Schnitzlers. Ins stille und betrachtsame Leben ist der Arthur Schnitzlers. Ins stille und betrachtsame Leben ist der
tivum zur Schau trugen. tivum zur Schau trugen.
Tod getreten und hat es, ohne Knall und Fall, ausgelöscht. Das Tod getreten und hat es, ohne Knall und Fall, ausgelöscht. Das
Auge hatte noch die Farben der Wiener Herbstlandschaft in sich Auge hatte noch die Farben der Wiener Herbstlandschaft in sich
Schnitzler war nie ein Kämpfer oder Umkämpfter. (Nur ein¬ Schnitzler war nie ein Kämpfer oder Umkämpfter. (Nur ein¬
aufgenommen, ehe es brach. Das Herz war noch bewegt von den aufgenommen, ehe es brach. Das Herz war noch bewegt von den
mal haben Aufführungen seines „Reigen“ die Zöpfe der Zensoren mal haben Aufführungen seines „Reigen“ die Zöpfe der Zensoren
Eindrücken des Vorabends, als es stillstand. Anders durfte Eindrücken des Vorabends, als es stillstand. Anders durfte
zum Wackeln gebracht.) Seine innere Ausgeglichenheit schuf zum Wackeln gebracht.) Seine innere Ausgeglichenheit schuf
anders konnte Schnitzler nicht sterben. anders konnte Schnitzler nicht sterben.
eine Atmosphäre des Privaten und sogar des Egozentrischen um eine Atmosphäre des Privaten und sogar des Egozentrischen um
Dieser Dichter hat der einst so glücklichen Stadt Wien die Dieser Dichter hat der einst so glücklichen Stadt Wien die
ihn. Er war ein Einzelner, der sich das Gefühl und das Gesicht ihn. Er war ein Einzelner, der sich das Gefühl und das Gesicht
ihr eigentümliche Prosa, die fast Gedicht ist, geschenkt und hat ihr eigentümliche Prosa, die fast Gedicht ist, geschenkt und hat
der Vielen auf dem Weg einer philosophischen Betrachtungs¬ der Vielen auf dem Weg einer philosophischen Betrachtungs¬
ihr Gestalten entnommen, denen alles Prosaische fern ist. Mit ihr Gestalten entnommen, denen alles Prosaische fern ist. Mit
weise einverleibté. So wuchs in ihm Lyrik, so wuchs in ihm die weise einverleibté. So wuchs in ihm Lyrik, so wuchs in ihm die
dem fast balladesken Schwung des „Reigen“, mit der bitter-süssen dem fast balladesken Schwung des „Reigen“, mit der bitter-süssen
Macht der Einsamheit. Er lebte und dichtete wie die Figur einer Macht der Einsamheit. Er lebte und dichtete wie die Figur einer
Melodie der „Liebelei“ und mit der zwischen Uebermut und Melodie der „Liebelei“ und mit der zwischen Uebermut und
Novelle, und in der Form der Novelle hat er auch sein Bestes Novelle, und in der Form der Novelle hat er auch sein Bestes
Resignation schwingenden Männlichkeit des „Anatol“ ist Arthur Resignation schwingenden Männlichkeit des „Anatol“ ist Arthur
gegeben — vom unsterblichen „Leutnant Gustl“ bis zum genie¬ gegeben — vom unsterblichen „Leutnant Gustl“ bis zum genie¬
Schnitzler, vordem Arzt, in die Mitte der deutschen und zugleich Schnitzler, vordem Arzt, in die Mitte der deutschen und zugleich
haften „Fräulein Else“. Und auch sein letztes Werk, eben im haften „Fräulein Else“. Und auch sein letztes Werk, eben im
auch der Weltliteratur vorgestossen. Er war kein Literat und auch der Weltliteratur vorgestossen. Er war kein Literat und
S. Fischer Verlag erschienen, ist eine Novelle: „Flucht in die S. Fischer Verlag erschienen, ist eine Novelle: „Flucht in die
kein Mann des Volkes. Er war ein empfindsamer Einzelner, in kein Mann des Volkes. Er war ein empfindsamer Einzelner, in
Finsternis“! Finsternis“!
dessen innerem Reichtum an Wort und Figur sich das kleine und dessen innerem Reichtum an Wort und Figur sich das kleine und
Der Mensch Schnitzler glich einem Kavalier aus einem andern Der Mensch Schnitzler glich einem Kavalier aus einem andern
grosse, das arme und reiche Volk von Wien ohne Zwang aus¬ grosse, das arme und reiche Volk von Wien ohne Zwang aus¬
als dem zwanzigsten Jahrhundert. Mit der neuen Zeit schien als dem zwanzigsten Jahrhundert. Mit der neuen Zeit schien
deutete. Er hatte ein Ohr für die Mund- und ein Organ für deutete. Er hatte ein Ohr für die Mund- und ein Organ für
sein Lebensraum enger und die Luft darin dünner geworden zu sein Lebensraum enger und die Luft darin dünner geworden zu
die Herzensart der Wiener. Das Musikalische der Vorstädte und die Herzensart der Wiener. Das Musikalische der Vorstädte und
sein. Aber der fast zärtliche Takt seines Gestaltens und seiner sein. Aber der fast zärtliche Takt seines Gestaltens und seiner
der inneren Stadt Wien, der Leichtsinn und der Hintersinn der der inneren Stadt Wien, der Leichtsinn und der Hintersinn der
Gestalten blieb unverbraucht, so wie sich die Höflichkeit seines Gestalten blieb unverbraucht, so wie sich die Höflichkeit seines
Oesterreicher, ihr kleines äusseres Erleben, das sich manchmal Oesterreicher, ihr kleines äusseres Erleben, das sich manchmal
Herzens bis zum letzten Atemzug nicht erschöpfte. Seine letzten Herzens bis zum letzten Atemzug nicht erschöpfte. Seine letzten
zu grosser innerer Not verdunkelte — das waren die Elemente zu grosser innerer Not verdunkelte — das waren die Elemente
Lebensjahre waren von Unglück in der Familie verdüstert, der Lebensjahre waren von Unglück in der Familie verdüstert, der
der Dichtung des jungen Schnitzler. der Dichtung des jungen Schnitzler.
Tod seiner Tochter mag ihn, ähnlich wie der Tod des Sohnes Tod seiner Tochter mag ihn, ähnlich wie der Tod des Sohnes
Der reife ging die Probleme des geistigen Menschen an. „Der Der reife ging die Probleme des geistigen Menschen an. „Der
seinen Freund Hofmannsthal, dem Ende nähergebracht haben seinen Freund Hofmannsthal, dem Ende nähergebracht haben
Ruf des Lebens , „Der einsame Weg“, „Das weite Land“ sind Ruf des Lebens , „Der einsame Weg“, „Das weite Land“ sind
als die Last der Jahre, die gerade er mit einer unnachahm¬ als die Last der Jahre, die gerade er mit einer unnachahm¬
Stationen dieser Entwicklung. Leise versickerte der Uebermut, Stationen dieser Entwicklung. Leise versickerte der Uebermut,
lichen Würde und Grazie trug. lichen Würde und Grazie trug.
die Volkstümlichkeit des dichtenden Wieners, an ihre Stelle trat die Volkstümlichkeit des dichtenden Wieners, an ihre Stelle trat
Arthur Schnitzler war ein Dichter — auch im Leben, und ein Arthur Schnitzler war ein Dichter — auch im Leben, und ein
die heitere Skepsis oder die leise Resignation. Gelehrte oder die heitere Skepsis oder die leise Resignation. Gelehrte oder
edler Mensch — auch in seiner Dichtung. edler Mensch — auch in seiner Dichtung.
Grossbürger, Künstlerinnen oder mondäne Frauen wurden nun Grossbürger, Künstlerinnen oder mondäne Frauen wurden nun
die Träger des Schnitzlerschen Geistes. Ungemein aufschlussreich, die Träger des Schnitzlerschen Geistes. Ungemein aufschlussreich,
Trauer in Wien. Trauer in Wien.
weil aus persöplichsten Erlebnisquellen gespeist, ist Schnitzlers weil aus persöplichsten Erlebnisquellen gespeist, ist Schnitzlers
an „Der Weg ins Freie“. Hier wird in langen, an Zwischen¬ an „Der Weg ins Freie“. Hier wird in langen, an Zwischen¬
Die Kunde vom Hinscheiden Schnitzlers hat in Wien, wie Die Kunde vom Hinscheiden Schnitzlers hat in Wien, wie
n reichen Gesprächen und in vie Schattenriese wirkenden Ge¬ n reichen Gesprächen und in vie Schattenriese wirkenden Ge¬
unser Korrespondent berichtet, überall den tiefsten Eindruck er¬ unser Korrespondent berichtet, überall den tiefsten Eindruck er¬
en zugleich mit dem österreichischen auch das jüdische Pro¬ en zugleich mit dem österreichischen auch das jüdische Pro¬
weckt. Die Vorstellungen in allen Wiener Theatern standen weckt. Die Vorstellungen in allen Wiener Theatern standen
sichtbar gemacht. Das österreichische hat er auch einmal sichtbar gemacht. Das österreichische hat er auch einmal
gestern ibend unter dem Zeichen dieses traurigen Ereignisses. gestern ibend unter dem Zeichen dieses traurigen Ereignisses.
historischen Tableau für das Theater „Der junge historischen Tableau für das Theater „Der junge
Aus spoi tanen Kundgebungen der Trauer in allen Kreisen konnte Aus spoi tanen Kundgebungen der Trauer in allen Kreisen konnte
der zur Zeit Napoleons spielt, ex anno ergriffen und der zur Zeit Napoleons spielt, ex anno ergriffen und
man ersehen, welch grosse Verehrung man dem Dichter und man ersehen, welch grosse Verehrung man dem Dichter und
uscher » Szenenreihe gestaltet. uscher » Szenenreihe gestaltet.
dem Menschen Schnitzler entgegengebracht hatte. dem Menschen Schnitzler entgegengebracht hatte.