VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 26

2. Schnitzler s Death 2. Schnitzler s Death
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I. österr. behördl. konzessionlertes I. österr. behördl. konzessionlertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPIION R-23-0-43 TELEPIION R-23-0-43

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† Arthur Schnitzler. † Arthur Schnitzler.
Wien, 21, ag. Der österreichische Dramatiker Wien, 21, ag. Der österreichische Dramatiker
und Erzähler Arthur Schnicler ist im 70. und Erzähler Arthur Schnicler ist im 70.
Altersjahr gestorben. Altersjahr gestorben.
(Arthur Schnitzler wurde/anf 15. Mai 1862 in (Arthur Schnitzler wurde/anf 15. Mai 1862 in
Wien geboren als Sohn eines Arztes und Pro¬ Wien geboren als Sohn eines Arztes und Pro¬
fessors an der Wiener Universität. Er/studierte fessors an der Wiener Universität. Er/studierte
gleichfalls Medizin in Wien, promovierie 1885 gleichfalls Medizin in Wien, promovierie 1885
und war, nachdem er in verschiedenen Kliniken und war, nachdem er in verschiedenen Kliniken
praktiziert und eine Reise zum Studium der hygie¬ praktiziert und eine Reise zum Studium der hygie¬
nischen Einrichtungen nach London und Paris nischen Einrichtungen nach London und Paris
unternommen hatte, bis 1893 Assistent seines unternommen hatte, bis 1893 Assistent seines
Vaters an der Wiener allgemeinen Poliklinik. Vaters an der Wiener allgemeinen Poliklinik.
Den militärärztlichen Dienst mußte er nach der Den militärärztlichen Dienst mußte er nach der
Veröffentlichung seines „Leutnant Gustl“ auf¬ Veröffentlichung seines „Leutnant Gustl“ auf¬
geben. Er widmete sich bald ganz der Literatur. geben. Er widmete sich bald ganz der Literatur.
Beeinflußt von Flaubert und Maupassant, wurde Beeinflußt von Flaubert und Maupassant, wurde
er als Erzähler der Liebling der großen, vornehm¬ er als Erzähler der Liebling der großen, vornehm¬
lich jüdischen Salons in Wien. Seine Dramen — lich jüdischen Salons in Wien. Seine Dramen —
am bekanntesten „Liebelei am bekanntesten „Liebelei
und „Reigen“ und „Reigen“
stellen sich als mondäne Ausläufer der Wiener stellen sich als mondäne Ausläufer der Wiener
Barockkultur dar, in ihrer prickelnden Art voll Barockkultur dar, in ihrer prickelnden Art voll
Erotik, nachsichtiger Menschlichkeit. Melodik und Erotik, nachsichtiger Menschlichkeit. Melodik und
Melancholie bezeichnend für die Licht= und Schat¬ Melancholie bezeichnend für die Licht= und Schat¬
tenseiten des untergehenden, nur mehr sprachlich tenseiten des untergehenden, nur mehr sprachlich
mit Deutschland verknüpften kosmopolitischen mit Deutschland verknüpften kosmopolitischen
Oesterreichertinns. Seine ersten Arbeiten erschie¬ Oesterreichertinns. Seine ersten Arbeiten erschie¬
nen in der „Deutschen Wochenschrift“ und in der nen in der „Deutschen Wochenschrift“ und in der
längst eingegangenen Zeitschrift „An der schönen längst eingegangenen Zeitschrift „An der schönen
blauen Donau", und es war „Anatol", der in blauen Donau", und es war „Anatol", der in
jener Zeit am meisten Aufsehen erregte. Nach¬ jener Zeit am meisten Aufsehen erregte. Nach¬
her folgten sich seine Stücke ohne Unterbruch; her folgten sich seine Stücke ohne Unterbruch;
sie urben gelesen und gespielt. „Liebelei“ kam sie urben gelesen und gespielt. „Liebelei“ kam
sogar (1895) am Burgtheater zur Uraufführung sogar (1895) am Burgtheater zur Uraufführung
und war der erste große Bühnenerfolg Schnitzlers. und war der erste große Bühnenerfolg Schnitzlers.
Eines der letzten seiner vielen Werke ist die dra¬ Eines der letzten seiner vielen Werke ist die dra¬
matische Dichtung „Der Gang zum Weiher". Es matische Dichtung „Der Gang zum Weiher". Es
st ein sattes schöngeistiges Bürgertum, das uns st ein sattes schöngeistiges Bürgertum, das uns
Schnitzler vorgeführt hat; es sind Ausschnitte aus Schnitzler vorgeführt hat; es sind Ausschnitte aus
einer sorglosern und unbekümmertern Welt, als einer sorglosern und unbekümmertern Welt, als
es die heutige st.) es die heutige st.)
box 42/6 box 42/6
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österr. behördl. konzessioniertes österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus Arbeiterzeitung, Wien. Ausschnitt aus Arbeiterzeitung, Wien.
22. OKf. 1731 22. OKf. 1731
vom: vom:
Artur Schnitzler Artur Schnitzler
Jäh und schmerzlich trifft die Nachricht Jäh und schmerzlich trifft die Nachricht
Land der Seele aus leuchtend um den reinen Land der Seele aus leuchtend um den reinen
vom Tode Artur Schnitzlers. vom Tode Artur Schnitzlers.
Glanz der Artseele, um Gesellschaftskritik, Glanz der Artseele, um Gesellschaftskritik,
Statt des Geburtstagsfestes, das zum Statt des Geburtstagsfestes, das zum
um der Menschlichkeit große Gegenstände. um der Menschlichkeit große Gegenstände.
kommenden Mai dem siebzigjährigen Dichter kommenden Mai dem siebzigjährigen Dichter
Nicht nur hinter der Lustbarkeit des Nicht nur hinter der Lustbarkeit des
in aller Stille verbereitet werden sollte, muß in aller Stille verbereitet werden sollte, muß
„Grünen Kakadu“ grollte die große Revo¬ „Grünen Kakadu“ grollte die große Revo¬
zur Totenfeier gerüstet werden, einer Toten¬ zur Totenfeier gerüstet werden, einer Toten¬
lution, und die imposante Komposition des lution, und die imposante Komposition des
feier, die von Bewunderung und Verehrung feier, die von Bewunderung und Verehrung
Romans „Der Weg ins Freie", die in ihrer Romans „Der Weg ins Freie", die in ihrer
nicht nur in hohem Schein leuchten, sondern nicht nur in hohem Schein leuchten, sondern
Problemstellung und im Gerank ihrer Problemstellung und im Gerank ihrer
die von Herzenston echter Totenklage weit¬ die von Herzenston echter Totenklage weit¬
organisch gewachsenen Episoden weit über organisch gewachsenen Episoden weit über
hin hallen und wiederklingen wird. hin hallen und wiederklingen wird.
eine epische Behandlung der Judenfrage eine epische Behandlung der Judenfrage
Selten hat ein österreichischer Dichter, ein Selten hat ein österreichischer Dichter, ein
hinausgreift, zeigt Schnizler als Gestalter hinausgreift, zeigt Schnizler als Gestalter
Dichter, der in Wien wurzelte und dessen Dichter, der in Wien wurzelte und dessen
ernster sozialer Fragen. ernster sozialer Fragen.
Werke Wiens Atmosphäre atmeten, so tief er¬ Werke Wiens Atmosphäre atmeten, so tief er¬
In späteren Jahren hat sich der Dichter, In späteren Jahren hat sich der Dichter,
griffen, so weit gewirkt wie Artur Schnitzler. griffen, so weit gewirkt wie Artur Schnitzler.
wie abschließend, mit „Casanovas Heim¬ wie abschließend, mit „Casanovas Heim¬
Seine Erzählungskunst hat nicht nur die Seine Erzählungskunst hat nicht nur die
fahrt", mit der Tragödie des Bade¬ fahrt", mit der Tragödie des Bade¬
literarische Welt aufhorchen gemacht, die reiz¬ literarische Welt aufhorchen gemacht, die reiz¬
arztes Gräser, der, wie einst der junge arztes Gräser, der, wie einst der junge
voll gelockerten Szenen seiner Dramatik, die voll gelockerten Szenen seiner Dramatik, die
Anatol, zwischen zwei Frauen steht, mit Anatol, zwischen zwei Frauen steht, mit
so oft die anmutige Schwerlosigkeit genialer so oft die anmutige Schwerlosigkeit genialer
reifstem Erkennen wieder dem rätsel¬ reifstem Erkennen wieder dem rätsel¬
Stegreifdichtung vortäuschen, haben nicht nur Stegreifdichtung vortäuschen, haben nicht nur
vollen Stoffkreis vergeistigter Erotik zu¬ vollen Stoffkreis vergeistigter Erotik zu¬
die ersten Bühnen erobert, Schnitzlers Werke die ersten Bühnen erobert, Schnitzlers Werke
gewendet: Die Liebe erscheint in Schnitzlers gewendet: Die Liebe erscheint in Schnitzlers
sind, was weit mehr bedeutet, tief ins Volk sind, was weit mehr bedeutet, tief ins Volk
Lebenswerk wie eine unerbittliche Gottheit, Lebenswerk wie eine unerbittliche Gottheit,
gedrungen, haben die geistige Erweckung einer gedrungen, haben die geistige Erweckung einer
die den Menschen schuldig werden läßt, und die den Menschen schuldig werden läßt, und
Generation gefordert und sind einer andern Generation gefordert und sind einer andern
über ihn Gericht hält, um die unmerkbar über ihn Gericht hält, um die unmerkbar
noch immer unveraltet. Denn hinter diesen noch immer unveraltet. Denn hinter diesen
riesenhaft gewachsene Schuld mit Härte einzu¬ riesenhaft gewachsene Schuld mit Härte einzu¬
Dichtungen stand ein Mann, aufrecht und Dichtungen stand ein Mann, aufrecht und
treiben. treiben.
kühn, in allem, was er zu sagen hatte. Und kühn, in allem, was er zu sagen hatte. Und
So herb, so bitter, se tief sittlich ist So herb, so bitter, se tief sittlich ist
das war viel und nie ohne neues Bedeuten. das war viel und nie ohne neues Bedeuten.
Schnitzlers erotische Dichtung. Schnitzlers erotische Dichtung.
Artur Schnitzlers Dichtung erschloß sich Artur Schnitzlers Dichtung erschloß sich
Der Roman „Therese“ war des Dichters Der Roman „Therese“ war des Dichters
vor und mit „Anatol“ zur Blütezeit des vor und mit „Anatol“ zur Blütezeit des
letzte, große, epische Schöpfung. In den Essays letzte, große, epische Schöpfung. In den Essays
Naturalismus. Aber die doktrinäre Schwere Naturalismus. Aber die doktrinäre Schwere
„Geist im Wort und Geist in der Tat", hat „Geist im Wort und Geist in der Tat", hat
des von Arno Holz, Johann Schlaf, vom des von Arno Holz, Johann Schlaf, vom
Schnitzler, der niemals den Mächten der Schnitzler, der niemals den Mächten der
jungen Gerbart Hauptmann repräsentierten jungen Gerbart Hauptmann repräsentierten
Gewalt diente, das Vermächtnis hochgereifter Gewalt diente, das Vermächtnis hochgereifter
Naturalismus, die von sozialökonomischer Naturalismus, die von sozialökonomischer
Weltanschauung und milder Weisheit ge¬ Weltanschauung und milder Weisheit ge¬
Theorie beeinflußte Auseinandersetzung mit Theorie beeinflußte Auseinandersetzung mit
geben. geben.
Vererbungslehre und Darwinismus lag Vererbungslehre und Darwinismus lag
Artur Schnitzlers hohe formale Kunst. Artur Schnitzlers hohe formale Kunst.
dem Wiener Dichter sern. Artur Schnitzler, dem Wiener Dichter sern. Artur Schnitzler,
der gepflegte und geläuterte Stil eines der gepflegte und geläuterte Stil eines
der Sohn eines gelehrten Arztes und selbst der Sohn eines gelehrten Arztes und selbst
eigenartig hochentwickelten Impressionismus, eigenartig hochentwickelten Impressionismus,
seelenkundiger Arzt, gewann der natura¬ seelenkundiger Arzt, gewann der natura¬
der die Passivität der die Passivität
des des
Ichs Ichs
listischen Dichtung ein neues Gebiet listischen Dichtung ein neues Gebiet
leise ironisch und etwas schwermütig, aber leise ironisch und etwas schwermütig, aber
das Reich des Eros mit all seinen lockend¬ das Reich des Eros mit all seinen lockend¬
mit weltanschaulich bedeutsamer Klarheit und mit weltanschaulich bedeutsamer Klarheit und
lachenden Gefilden, seinen labyrinthischen lachenden Gefilden, seinen labyrinthischen
Eindringlichkeit nahezubringen vermochte, Eindringlichkeit nahezubringen vermochte,
Gebirgen und verschwiegenen Einsamkeiten, Gebirgen und verschwiegenen Einsamkeiten,
bedürfte besonderer und ausführlicher Wür¬ bedürfte besonderer und ausführlicher Wür¬
er gewann ihr das Land der menschlichen digung. er gewann ihr das Land der menschlichen digung.
Seele in seinen nebelverschleierten Weiten. Seele in seinen nebelverschleierten Weiten.
Ein endgültiges, abgeschlossenes poetisches Ein endgültiges, abgeschlossenes poetisches
Vom heiteren „Anatel“ über den blutigen Vom heiteren „Anatel“ über den blutigen
Testament des Dichters ist uns nicht ge¬ Testament des Dichters ist uns nicht ge¬
Ernst der „Liebelei“ zum Antiduelldrama Ernst der „Liebelei“ zum Antiduelldrama
worden; denn der Tod hat Artur Schnitzler worden; denn der Tod hat Artur Schnitzler
„Freiwild“, das zu Ende des vergangenen „Freiwild“, das zu Ende des vergangenen
mit raschem, leichtem Schritt von der Arbeit, mit raschem, leichtem Schritt von der Arbeit,
Jahrhunderts auf die überständigen feu¬ Jahrhunderts auf die überständigen feu¬
vom Morgenspaziergang weggeholt, vom vom Morgenspaziergang weggeholt, vom
dalen Ehrbegriffen verfallene bürgerliche dalen Ehrbegriffen verfallene bürgerliche
reien Weg im weiten Land seines reichen reien Weg im weiten Land seines reichen
Gesellschaft wie Kampfruf wirkte. Gesellschaft wie Kampfruf wirkte.
Wirkens, dem das Leben in vollen tönenden Wirkens, dem das Leben in vollen tönenden
Bis dahin hatte man die Bis dahin hatte man die
leise leise
Strömen rauschte, heimgeholt, den einsamen Strömen rauschte, heimgeholt, den einsamen
Schwermut, die über Schnitzlers Dich¬ Schwermut, die über Schnitzlers Dich¬
Weg ins unbekannte Land. Weg ins unbekannte Land.
tungen schwebt, mit Sentimentalität ver¬ tungen schwebt, mit Sentimentalität ver¬
wechselt, die graziöse Leichte seiner Poesie wechselt, die graziöse Leichte seiner Poesie
mit harmloser Wienerei. Jetzt wußte man, mit harmloser Wienerei. Jetzt wußte man,
daß es diesem Dichter, der Sentimentalität daß es diesem Dichter, der Sentimentalität
Artur Schnitzler gestorben. Artur Schnitzler gestorben.
als „ein unter dem Preis erhandeltes Ge¬ als „ein unter dem Preis erhandeltes Ge¬
fühl“ innig und grimmig verachtete fühl“ innig und grimmig verachtete
Gestern abend Gestern abend