VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 56

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
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Arthur Schnitzler f. Arthur Schnitzler f.
Der Dichter Arthur Schnitzler ist gestern Der Dichter Arthur Schnitzler ist gestern
nachmittags im 70. Lebensjahre an Gehirn¬ nachmittags im 70. Lebensjahre an Gehirn¬
blutung gestorben. blutung gestorben.
Arthur Schnitzler ist neben Karl Schön¬ Arthur Schnitzler ist neben Karl Schön¬
herr der bedeutendste österreichische Drama¬ herr der bedeutendste österreichische Drama¬
tiker gewesen. Er gilt als der Begründer des tiker gewesen. Er gilt als der Begründer des
„Wiener Stils“ auf der Bühne, jenes fein¬ „Wiener Stils“ auf der Bühne, jenes fein¬
nervigen, zarten, ziselierenden Stils, der als nervigen, zarten, ziselierenden Stils, der als
Niederschlag des Naturalismus auf Wiener Niederschlag des Naturalismus auf Wiener
Eigenart durch Sil Vara, Salten und Auern¬ Eigenart durch Sil Vara, Salten und Auern¬
heimer die Hochblüte der Wiener Feuilleton¬ heimer die Hochblüte der Wiener Feuilleton¬
kunst bedeutete. kunst bedeutete.
Schnitzlers Vater, Professor an der Wie¬ Schnitzlers Vater, Professor an der Wie¬
ner Universität, war der Arzt der Wiener ner Universität, war der Arzt der Wiener
Gesellschaft; zu seinen Patienten zählten die Gesellschaft; zu seinen Patienten zählten die
Berühmtheiten des Kunstlebens der österrei¬ Berühmtheiten des Kunstlebens der österrei¬
chischen Hauptstadt. Auch Arthur Schnitzler chischen Hauptstadt. Auch Arthur Schnitzler
studierte Medizin. Er promovierte 1885 und studierte Medizin. Er promovierte 1885 und
blieb bis zum Jahre 1893 Assistent seines blieb bis zum Jahre 1893 Assistent seines
Vaters. Später richtete er sich eine Privat¬ Vaters. Später richtete er sich eine Privat¬
praxis ein. praxis ein.
Zahlreich sind die dramatischen und er¬ Zahlreich sind die dramatischen und er¬
zählenden Werke dieses repräsentativen öster¬ zählenden Werke dieses repräsentativen öster¬
reichischen Dichters. Mit den dramatischen reichischen Dichters. Mit den dramatischen
Zwiegesprächen „Anatol“ erregte er zum er¬ Zwiegesprächen „Anatol“ erregte er zum er¬
stenmal Aufsehen in weitesten Kreisen durch stenmal Aufsehen in weitesten Kreisen durch
die Kunst zur Dialogführung. Mit der „Lie¬ die Kunst zur Dialogführung. Mit der „Lie¬
belei“ wurde Arthur Schnitzler Burgtheater¬ belei“ wurde Arthur Schnitzler Burgtheater¬
autor. In altösterreichischen Offizierskreisen autor. In altösterreichischen Offizierskreisen
spielt das Schauspiel „Freiwild“ und die spielt das Schauspiel „Freiwild“ und die
Novelle „Leutnant Gustl“; ihr Erscheinen Novelle „Leutnant Gustl“; ihr Erscheinen
bewirkte, daß Schnitzler die Charge eines bewirkte, daß Schnitzler die Charge eines
Militärarztes in der Reserve niederlegen Militärarztes in der Reserve niederlegen
mußte. Unter den Schöpfungen Schnitzlers mußte. Unter den Schöpfungen Schnitzlers
befinden sich viele, die, bald prickelnd geschil¬ befinden sich viele, die, bald prickelnd geschil¬
dert, bald psychologisch mit außerordentlicher dert, bald psychologisch mit außerordentlicher
Gründlichkeit und Schärfe motiviert, eine Gründlichkeit und Schärfe motiviert, eine
eigentümliche, von leichter Melancholie über¬ eigentümliche, von leichter Melancholie über¬
schattete Erotik aufweisen: so die Szenenfolge schattete Erotik aufweisen: so die Szenenfolge
„Der Reigen", die 1896 entstand und 1920 „Der Reigen", die 1896 entstand und 1920
gegen den Willen des Dichters in Wien gegen den Willen des Dichters in Wien
aufgeführt wurde. Eines seiner feinsten histo¬ aufgeführt wurde. Eines seiner feinsten histo¬
rischen Dramen ist „Der junge Medardus“, rischen Dramen ist „Der junge Medardus“,
aus der Zeit, da Napoleon I. in Wien weilte; aus der Zeit, da Napoleon I. in Wien weilte;
mit dem ärztlichen Beruf befaßt sich das viel¬ mit dem ärztlichen Beruf befaßt sich das viel¬
umstrittene Schauspiel „Professor Bernardi“. umstrittene Schauspiel „Professor Bernardi“.
Einen überaus starken Erfolg errang 1910 Einen überaus starken Erfolg errang 1910
„Das weite Land“ im Burgtheater; 1925 er¬ „Das weite Land“ im Burgtheater; 1925 er¬
schien die dramatische Dichtung „Der Gang schien die dramatische Dichtung „Der Gang
zum Weiher", in der Schnitzlers wundervolle zum Weiher", in der Schnitzlers wundervolle
Kunst des feingeschliffenen, leichtbewegten Kunst des feingeschliffenen, leichtbewegten
Zwiegespräches noch einmal in ihrer ganzen Zwiegespräches noch einmal in ihrer ganzen
Schönheit aufleuchtete. Schönheit aufleuchtete.
Unter den erzählenden Werken Arthur Unter den erzählenden Werken Arthur
Schnitzlers nimmt wohl der Roman „Der Schnitzlers nimmt wohl der Roman „Der
Weg ins Freie“ die hervorragendste Stellung Weg ins Freie“ die hervorragendste Stellung
ein. In ihm weht der schwermütige Zauber ein. In ihm weht der schwermütige Zauber
der der Wienerstadt nahen Landschaft; die der der Wienerstadt nahen Landschaft; die
Gestalten sind mit minutiöser Genauigkeit Gestalten sind mit minutiöser Genauigkeit
und dabei mit größter Leichtigkeit umrissene und dabei mit größter Leichtigkeit umrissene
Typen des Wiener Bodens: der philosophie¬ Typen des Wiener Bodens: der philosophie¬
rende arbiter elegantiarum der inneren Be¬ rende arbiter elegantiarum der inneren Be¬
zirke und das Vorstadtmädel mit seinen zirke und das Vorstadtmädel mit seinen
verschwebenden verschwebenden
sehnsüchtigen, sehnsüchtigen,
törichten, törichten,
Wünschen. Wünschen.
Arthur Schnitzler gehörte in seiner stillen, Arthur Schnitzler gehörte in seiner stillen,
zurückhaltenden Art, seiner gewinnenden und zurückhaltenden Art, seiner gewinnenden und
doch Distanz fordernden Freundlichkeit zu den doch Distanz fordernden Freundlichkeit zu den
markantesten Gestalten des Wiens der Vor¬ markantesten Gestalten des Wiens der Vor¬
kriegszeit. Wer je mit ihm persönlich in Be¬ kriegszeit. Wer je mit ihm persönlich in Be¬
rührung kam, der zählt die Begegnung mit rührung kam, der zählt die Begegnung mit
dieser sustilen, hochkultivierten Dichterpersön¬ dieser sustilen, hochkultivierten Dichterpersön¬
lichkeit zu den wertvollsten Eindrücken seines lichkeit zu den wertvollsten Eindrücken seines
-mm— -mm—
Lebens. Lebens.