VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 57

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death


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aee vollee aee vollee


Ehr Blatt, die Ehr Blatt, die
22. 0KT. 1937 22. 0KT. 1937
Zum Ableben Artur Schnitzlers Zum Ableben Artur Schnitzlers
Von Johannes Mumbauer. Von Johannes Mumbauer.
Eine ausgezeichnete Würdigung des gestern Eine ausgezeichnete Würdigung des gestern
unerwartet verstorbenen Wiener Dichters lesen unerwartet verstorbenen Wiener Dichters lesen
wir im kürzlich erschienenen ersten Band „Die wir im kürzlich erschienenen ersten Band „Die
deutsche Dichtung der nauesten Zeit“. Von Jo¬ deutsche Dichtung der nauesten Zeit“. Von Jo¬
hannes Mumbauer. (Verlag Herder u. Cie., hannes Mumbauer. (Verlag Herder u. Cie.,
Freiburg im Breisgau.) Das Buch haben wir Freiburg im Breisgau.) Das Buch haben wir
in unserem Blatte schon ausführlich besprochen. in unserem Blatte schon ausführlich besprochen.
Im nachfolgenden bringen wir einen Auszug Im nachfolgenden bringen wir einen Auszug
aus der ungemein klaren und anschaulichen aus der ungemein klaren und anschaulichen
Darstellung des Lebenswerkes Schnitzlers. Darstellung des Lebenswerkes Schnitzlers.
(Die Redaktion.) (Die Redaktion.)
Schnitzler ist Jude, äußerst bewußter und Schnitzler ist Jude, äußerst bewußter und
betonter Jude, und daher analytischer, re¬ betonter Jude, und daher analytischer, re¬
flektierter, absichtsvoller; er ist Arzt und daher flektierter, absichtsvoller; er ist Arzt und daher
skeptischer, spitzer, schärfer, sachlicher; er ist vor skeptischer, spitzer, schärfer, sachlicher; er ist vor
allem Wiener, freilich in einer besonderen Art allem Wiener, freilich in einer besonderen Art
und daher nachgiebig, reizsam, fast blasiert, und daher nachgiebig, reizsam, fast blasiert,
an sich selbst zweifelnd und verzweifelnd, zur an sich selbst zweifelnd und verzweifelnd, zur
Selbstverspottung und Selbstherabsetzung nei¬ Selbstverspottung und Selbstherabsetzung nei¬
gend - gend -
niemals eigentlich jung, immer sich niemals eigentlich jung, immer sich
selbst beobachtend, immer „befangen“ (im selbst beobachtend, immer „befangen“ (im
Gegensatz zu unbefangen): Gegensatz zu unbefangen):
In uns zog nie ein Selbstvergessen ein, In uns zog nie ein Selbstvergessen ein,
und unsre Lust hat niemals uns entgeistert. und unsre Lust hat niemals uns entgeistert.
So ist ihm das begeisterte und begeisternde So ist ihm das begeisterte und begeisternde
Pathos des Sängers und Sehers fremd, er Pathos des Sängers und Sehers fremd, er
spielt kühl überlegen mit den Dingen, statt sich spielt kühl überlegen mit den Dingen, statt sich
von ihnen bewegen zu lassen. Bezeichnend für von ihnen bewegen zu lassen. Bezeichnend für
ihn ist die Bemerkung: „Sentimentalität ist ihn ist die Bemerkung: „Sentimentalität ist
unter Preis erhandeltes Gefühl.“ Fürwahr, er unter Preis erhandeltes Gefühl.“ Fürwahr, er
verschwendet kein Gefühl, er setzt nicht sein verschwendet kein Gefühl, er setzt nicht sein
Letztes für die noch so schönen Gefühle ein, Letztes für die noch so schönen Gefühle ein,
das Ende ist immer das ratlose Achselzucken das Ende ist immer das ratlose Achselzucken
der Skepsis und der Resignation. Die gelassene der Skepsis und der Resignation. Die gelassene
Heiterkeit des österreichischen Menschenschlages Heiterkeit des österreichischen Menschenschlages
machte ihn zum feinfühligen Aufspürer sub¬ machte ihn zum feinfühligen Aufspürer sub¬
tilster, eindrucksmäßig und tändelnd genossener tilster, eindrucksmäßig und tändelnd genossener
Seelenregungen oft anormaler Art, die weiche Seelenregungen oft anormaler Art, die weiche
box 42/6 box 42/6
Wiener Luft machte ihn zum ausgeprägtesten Wiener Luft machte ihn zum ausgeprägtesten
Erotiker des Impressionismus, der allen Ab¬ Erotiker des Impressionismus, der allen Ab¬
schattierungen und Verkleidungen des Sexus schattierungen und Verkleidungen des Sexus
mit Inbrunst nachgeht. Als leichtfertiges Spiel mit Inbrunst nachgeht. Als leichtfertiges Spiel
verscherzter Stunden beginnt die Erotik ge¬ verscherzter Stunden beginnt die Erotik ge¬
wöhnlich, um dann, wenn die elenden Ver¬ wöhnlich, um dann, wenn die elenden Ver¬
führer und armen Betrogenen die Leerheit führer und armen Betrogenen die Leerheit
der fast immer unechten Liebe und ihrer sinn¬ der fast immer unechten Liebe und ihrer sinn¬
losen Abenteuer erkennen, in trostloser losen Abenteuer erkennen, in trostloser
Melancholie oder tiefer Verzweiflung zu enden Melancholie oder tiefer Verzweiflung zu enden
der Bodensatz ist bitterste Enttäuschung. Die der Bodensatz ist bitterste Enttäuschung. Die
liebenden Männer sind meistens elegante, ge¬ liebenden Männer sind meistens elegante, ge¬
fällige, oberflächliche Genießer aus wohlhaben¬ fällige, oberflächliche Genießer aus wohlhaben¬
den Kreisen mit recht vielen Geliebten, aber den Kreisen mit recht vielen Geliebten, aber
ohne die Fähigkeit zur echten Liebe und darum ohne die Fähigkeit zur echten Liebe und darum
am Schlusse jedesmal trübselig verzehrt; am Schlusse jedesmal trübselig verzehrt;
Schnitzlers Frauen dagegen sind echte Liebende Schnitzlers Frauen dagegen sind echte Liebende
mit wahrhaftigem Pathos, aber von er¬ mit wahrhaftigem Pathos, aber von er¬
schreckender innerer Maßlosigkeit, die sie schreckender innerer Maßlosigkeit, die sie
immerhin noch über die innere Halbheit ihrer immerhin noch über die innere Halbheit ihrer
männlichen Partner erhebt — das Ganze wird männlichen Partner erhebt — das Ganze wird
dann eben „Liebelei", wie ein vom Dichter dann eben „Liebelei", wie ein vom Dichter
gewählter Titel treffend besagt. Und so wie gewählter Titel treffend besagt. Und so wie
die einzelnen von ihm behandelten Liebeleien die einzelnen von ihm behandelten Liebeleien
mit den obligaten Ehebrüchen verlaufen, mit den obligaten Ehebrüchen verlaufen,
entwickelte sich auch des Dichters Art der entwickelte sich auch des Dichters Art der
Stimmungsmalerei: anfangs malt er mit den Stimmungsmalerei: anfangs malt er mit den
graziösen Linien und Schnörkeln kapriziösen graziösen Linien und Schnörkeln kapriziösen
feinen Spottes und mit lustig hellen Lichtern feinen Spottes und mit lustig hellen Lichtern
unbesorgten Spieles, später aber mit den dunk¬ unbesorgten Spieles, später aber mit den dunk¬
len, schattenden Farben melancholischer Schwer¬ len, schattenden Farben melancholischer Schwer¬
mut. Aus seiner vom Wienertum bestimm¬ mut. Aus seiner vom Wienertum bestimm¬
ten impressionistischen Grundhaltung folgt ten impressionistischen Grundhaltung folgt
eine Eigentümlichkeit seines immer eleganten, eine Eigentümlichkeit seines immer eleganten,
anmutigen, heiteren Stiles: von einigen weni¬ anmutigen, heiteren Stiles: von einigen weni¬
gen, etwas umfangreicheren Stücken abgesehen, gen, etwas umfangreicheren Stücken abgesehen,
haben fast alle Werke Schnitzlers Miniatur¬ haben fast alle Werke Schnitzlers Miniatur¬
format, seine Erzählungen sind meist skizzen¬ format, seine Erzählungen sind meist skizzen¬
haft, seine Bühnenstücke kurze, ziemlich locker haft, seine Bühnenstücke kurze, ziemlich locker
gefügte Szenenfolgen, dramatische Dialoge gefügte Szenenfolgen, dramatische Dialoge
und Einfälle; die Gesamtkonstruktion wird und Einfälle; die Gesamtkonstruktion wird
vernachlässigt, dagegen aller Nachdruck auf die vernachlässigt, dagegen aller Nachdruck auf die
wirksame Verdichtung der einzelnen Szenen wirksame Verdichtung der einzelnen Szenen
und dem Leben abgelauschten Züge gelegt, so und dem Leben abgelauschten Züge gelegt, so
daß der Zuschauer und Leser die vorüber¬ daß der Zuschauer und Leser die vorüber¬
huschenden Eindrücke ebenso flüchtig empfindet huschenden Eindrücke ebenso flüchtig empfindet
wie die „dramatis personae“ ihre Sensatio¬ wie die „dramatis personae“ ihre Sensatio¬
nen. Diese dialogisierten Novellen, kleinen nen. Diese dialogisierten Novellen, kleinen
dramatischen Erzählungen, meistens Einakter, dramatischen Erzählungen, meistens Einakter,
reiht Schnitzler mit Vorliobe zu Zyklen an¬ reiht Schnitzler mit Vorliobe zu Zyklen an¬
einander. So wird das von halben Leiden¬ einander. So wird das von halben Leiden¬
schaften sanft durchwogte Leben von zwischen schaften sanft durchwogte Leben von zwischen
Lebenslust und Todesbangigkeit verschwimmen¬ Lebenslust und Todesbangigkeit verschwimmen¬
den Stimmungen laulich umspült, und man den Stimmungen laulich umspült, und man
weiß nicht recht, was Ernst und was „Mimik“ weiß nicht recht, was Ernst und was „Mimik“
ist. Die eigentliche Wahrheit läßt Schnitzler ist. Die eigentliche Wahrheit läßt Schnitzler
vielleicht seinen „Paracelsus" sagen: vielleicht seinen „Paracelsus" sagen:
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
wird nur von dem gefunden, der ihn sucht. wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen, Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge Sicherheit ist nirgends. Wahrheit und Lüge Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns. Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wirspielen immer; wer es weiß, ist klug. Wirspielen immer; wer es weiß, ist klug.
Das Dramatische nimmt in Schnitzlers Werk Das Dramatische nimmt in Schnitzlers Werk
zwar den breitesten Raum ein, im Grunde zwar den breitesten Raum ein, im Grunde
aber ist er Erzähler, und auch seine Bühnen¬ aber ist er Erzähler, und auch seine Bühnen¬
stücke sind, wie man mit Recht gesagt hat, stücke sind, wie man mit Recht gesagt hat,
eigentlich dramatisierte oder dialogisierte No¬ eigentlich dramatisierte oder dialogisierte No¬
vellen. In der Tat weiß er bestrickend zu vellen. In der Tat weiß er bestrickend zu
erzählen, mit allem Wiener Scharm und unter erzählen, mit allem Wiener Scharm und unter
einem leichten weichen Schleier von Wehmut einem leichten weichen Schleier von Wehmut
und Vergänglichkeitsahnung, von dem sich die und Vergänglichkeitsahnung, von dem sich die
tief innerliche Frivolität so prickelnd abhebt; tief innerliche Frivolität so prickelnd abhebt;
immerhin wirkt das nur zu Lesende nicht so immerhin wirkt das nur zu Lesende nicht so
schamlos wie die durch die Bühnengesten ver¬ schamlos wie die durch die Bühnengesten ver¬
gröberten Entblößungen. Auch hier liegt der gröberten Entblößungen. Auch hier liegt der
Reiz in den feinen Abschattierungen und fast Reiz in den feinen Abschattierungen und fast
unmerklichen Übergängen, die alles zumal unmerklichen Übergängen, die alles zumal
nach der moralischen Seite, in der Schwebe nach der moralischen Seite, in der Schwebe
lassen, die selbst mit dem Tod kokettieren und lassen, die selbst mit dem Tod kokettieren und
den Le den Le
skeptisch skeptisch
eine sel eine sel
der M der M
kannt kannt
große große
gegen gegen
haber haber
daß d daß d
war, d war, d
Schme Schme
entgang entgang
sind sein sind sein
Traum! Traum!