jene¬ jene¬
auch auch
12. Schnitzler s Death 12. Schnitzler s Death
Mädchens, das, über die Leiche des Vaters weg, Mädchens, das, über die Leiche des Vaters weg,
gelockt von dem „Ruf des Lebens gelockt von dem „Ruf des Lebens
in zwei in zwei
offene Leutnantsarme springt, Bruder jenes offene Leutnantsarme springt, Bruder jenes
Leutnants Gustl, dem das Duell von morgen Leutnants Gustl, dem das Duell von morgen
heute den Angstschweiß aus den Poren treibt, heute den Angstschweiß aus den Poren treibt,
und jenes armen Schwindsüchtigen, der im und jenes armen Schwindsüchtigen, der im
„Sterben“ hinsiecht, während sein Mädel, diese „Sterben“ hinsiecht, während sein Mädel, diese
ins Unendliche duldende Magdalena, neu dem ins Unendliche duldende Magdalena, neu dem
Leben entgegenatmet. Immer wieder war es Leben entgegenatmet. Immer wieder war es
„Der Ruf des Lebens", den Schnitzler dichten „Der Ruf des Lebens", den Schnitzler dichten
wollte; aber es war gewöhnlich ein Sterben. wollte; aber es war gewöhnlich ein Sterben.
Reden nicht auch die Menschen, denen das Leben Reden nicht auch die Menschen, denen das Leben
am teuersten gilt, sehr viel und häufig vom am teuersten gilt, sehr viel und häufig vom
Tod? Es ist, als würde er sich eine Angst vom Tod? Es ist, als würde er sich eine Angst vom
Leib damit schreiben. Und sehr mutig sind auch Leib damit schreiben. Und sehr mutig sind auch
seine Helden nicht, im „Freiwild“ nicht, wo der seine Helden nicht, im „Freiwild“ nicht, wo der
eine den anderen hinterrücks über den Haufen eine den anderen hinterrücks über den Haufen
knallt, im „Jungen Medardus" nicht, wo der knallt, im „Jungen Medardus" nicht, wo der
Held kein Tater ist, sondern ein Dulder, und Held kein Tater ist, sondern ein Dulder, und
dann der Leutnant Gustl... Auch Grillparzers dann der Leutnant Gustl... Auch Grillparzers
Helden sind keine Helden. Rustan deklamiert Helden sind keine Helden. Rustan deklamiert
„Und die Größe ist gefährlich, und der Ruhm „Und die Größe ist gefährlich, und der Ruhm
ein leeres Spiel: was er gibt, sind nicht'ge ein leeres Spiel: was er gibt, sind nicht'ge
Schatten, was er nimmt, es ist so viel.“ Nord¬ Schatten, was er nimmt, es ist so viel.“ Nord¬
deutsche Naturen werden anders denken, aber deutsche Naturen werden anders denken, aber
Grillparzer war Wien, und Schnitzler war Grillparzer war Wien, und Schnitzler war
Wien, und was Grillparzer über seine Dichtung Wien, und was Grillparzer über seine Dichtung
gesetzt hat, dies ließe sich auch über Schnitzlers gesetzt hat, dies ließe sich auch über Schnitzlers
Dichtung setzen: „Wenn Du vom Kahlenberg... Dichtung setzen: „Wenn Du vom Kahlenberg...
Hier wurde er geboren und hier wuchs er Hier wurde er geboren und hier wuchs er
auf, Sohn eines Arztes, Bruder eines Profes¬ auf, Sohn eines Arztes, Bruder eines Profes¬
sors der Medizin und selber ein Arzt, der selber sors der Medizin und selber ein Arzt, der selber
einmal von sich gesagt hat, er hätte ohne diese einmal von sich gesagt hat, er hätte ohne diese
wissenschaftliche Kenntnis nie sein „Sterben wissenschaftliche Kenntnis nie sein „Sterben
und nie „Die letzten Masken“ dichten können. und nie „Die letzten Masken“ dichten können.
Wo die Stadt ins Land verrinnt und die sanf¬ Wo die Stadt ins Land verrinnt und die sanf¬
ten Hügelketten des Kahlengebirges den Men¬ ten Hügelketten des Kahlengebirges den Men¬
schen in die Fenster schauen, dort war sein schen in die Fenster schauen, dort war sein
Heim, von dem ein bestrickendes Aroma Alt¬ Heim, von dem ein bestrickendes Aroma Alt¬
Wiener Patriziertums mit einem Schuß Ma¬ Wiener Patriziertums mit einem Schuß Ma¬
kartbukett und Persexteppich ausging. Die kartbukett und Persexteppich ausging. Die
ganze Längswand des Arbeitszimmers, drei¬ ganze Längswand des Arbeitszimmers, drei¬
fach hintereinandergereiht, nehmen die Bücher fach hintereinandergereiht, nehmen die Bücher
und Folianten ein, unter denen historische und Folianten ein, unter denen historische
Werke die Ueberzahl bilden; denn Geschichte Werke die Ueberzahl bilden; denn Geschichte
war nun die Lieblingslektüre und das inten¬ war nun die Lieblingslektüre und das inten¬
sivste Studium des früheren Arztes. Da ver¬ sivste Studium des früheren Arztes. Da ver¬
gingen ihm täglich viele Stunden ernster Arbeit, gingen ihm täglich viele Stunden ernster Arbeit,
box 42/7 box 42/7
die den Wienern, die ihn immer nur als den die den Wienern, die ihn immer nur als den
Schöpfer des „süßen Mädels", als den Schnitz¬ Schöpfer des „süßen Mädels", als den Schnitz¬
ler der Liebelei, des Anatol sahen, höchst ver¬ ler der Liebelei, des Anatol sahen, höchst ver¬
wunderlich wären: er aber sagte mit einer selt¬ wunderlich wären: er aber sagte mit einer selt¬
sam zusammengerafften Energie: „Man muß sam zusammengerafften Energie: „Man muß
sich zur Arbeit manchmal zwingen, jeden Tag sich zur Arbeit manchmal zwingen, jeden Tag
sein Pensum; wenn man einmal eine Sache hat, sein Pensum; wenn man einmal eine Sache hat,
dann durch! Denn es ist wie bei dem Astro¬ dann durch! Denn es ist wie bei dem Astro¬
nomen, der zu lange durchs Fernrohr schaut: nomen, der zu lange durchs Fernrohr schaut:
das Firmament beginnt plötzlich zu flimmern. das Firmament beginnt plötzlich zu flimmern.
Und diese Arbeitsmethode mag es auch sein, Und diese Arbeitsmethode mag es auch sein,
die den Werken Schnitzlers jenes Mühelose und die den Werken Schnitzlers jenes Mühelose und
Leichte, das Selbstverständliche und Zwingende Leichte, das Selbstverständliche und Zwingende
gibt. — Von diesen seinen Werken, die in rascher gibt. — Von diesen seinen Werken, die in rascher
Folge erschienen und ihn rasch berühmt mach¬ Folge erschienen und ihn rasch berühmt mach¬
ten, seien noch genannt: „Das Vermächtnis ten, seien noch genannt: „Das Vermächtnis
(1897), die drei Einakter „Paracelsus", „Die Ge¬ (1897), die drei Einakter „Paracelsus", „Die Ge¬
fährtin", „Der grüne Kakadu fährtin", „Der grüne Kakadu
(1898), sein (1898), sein
Drama „Der Schleier der Beatrice“ (1899), Drama „Der Schleier der Beatrice“ (1899),
dann der Einakterzyklus „Lebendige Stunden“, dann der Einakterzyklus „Lebendige Stunden“,
woraus besonders „Literatur“ woraus besonders „Literatur“
hervorragt hervorragt
(1901), das Drama „Der einsame Weg“ (1903), (1901), das Drama „Der einsame Weg“ (1903),
die Komödie „Zwischenspiel“ (1904); ferner im die Komödie „Zwischenspiel“ (1904); ferner im
gleichen Jahre eine neue Einakterreihe „Mario¬ gleichen Jahre eine neue Einakterreihe „Mario¬
netten". „Der junge Medardus", dessen Titel¬ netten". „Der junge Medardus", dessen Titel¬
rolle dem großen Josef Kainz zugedacht, dem rolle dem großen Josef Kainz zugedacht, dem
Künstler aber nicht mehr zu spielen vergönnt Künstler aber nicht mehr zu spielen vergönnt
war, ist ein Drama aus den Tagen der Besetzung war, ist ein Drama aus den Tagen der Besetzung
Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909). Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909).
Diesem Werke folgte „Das weite Land“ Diesem Werke folgte „Das weite Land“
1910). 1910).
eine Tragikomödie des Alterns, und 1912 „Pro¬ eine Tragikomödie des Alterns, und 1912 „Pro¬
fessor Bernhardi“, ein Schauspiel aus dem arzt¬ fessor Bernhardi“, ein Schauspiel aus dem arzt¬
lichen Beruf, bei seiner Aufführung von poli¬ lichen Beruf, bei seiner Aufführung von poli¬
tischen Gruppen viel umstritten. Im Jahre tischen Gruppen viel umstritten. Im Jahre
1915 erschienen drei Einakter unter dem Titel 1915 erschienen drei Einakter unter dem Titel
„Komödie der Worte“, 1917 das schwache „Fink „Komödie der Worte“, 1917 das schwache „Fink
und Fliederbusch“, 1919 „Die Schwestern oder und Fliederbusch“, 1919 „Die Schwestern oder
Casanova in Spa, 1924 „Komödie der Verfüh¬ Casanova in Spa, 1924 „Komödie der Verfüh¬
rung“ und 1925 die dramatische Dichtung „Der rung“ und 1925 die dramatische Dichtung „Der
Gang zum Weiher“. Gang zum Weiher“.
Schnitzlers Eigenart und großes Talent of¬ Schnitzlers Eigenart und großes Talent of¬
fenbart sich nicht weniger in seinen erzählenden fenbart sich nicht weniger in seinen erzählenden
Werken. 1892 erschien „Sterben“, das die letzten Werken. 1892 erschien „Sterben“, das die letzten
Tage eines Schwindsüchtigen mit scharfem, aber Tage eines Schwindsüchtigen mit scharfem, aber
auch peinlichem Realismus schildert, 1894 „Die auch peinlichem Realismus schildert, 1894 „Die
Blumen“, 1895 „Ein Abschied“, 1896 „Die Frau Blumen“, 1895 „Ein Abschied“, 1896 „Die Frau
des Weisen“, 1897 „Der Ehrentag“ und „Die des Weisen“, 1897 „Der Ehrentag“ und „Die
Toten schweigen“, 1900 „Andreas Thalmayer", Toten schweigen“, 1900 „Andreas Thalmayer",
„Der blinde Geronimo“ wie auch die Novelle „Der blinde Geronimo“ wie auch die Novelle
„Leutnant Gustl“; ferner im gleichen Jahre: „Leutnant Gustl“; ferner im gleichen Jahre:
„Frau Berta Garlan", dann „Die griechische „Frau Berta Garlan", dann „Die griechische
Tanzerin“ (1902), „Weissagung (1904), „Das Tanzerin“ (1902), „Weissagung (1904), „Das
neue Lied" (1905), „Der Tod des Junggesellen neue Lied" (1905), „Der Tod des Junggesellen
(1907), „Der tote Gabriel“ (1908), „Das Tage¬ (1907), „Der tote Gabriel“ (1908), „Das Tage¬
buch der Redegonda“ (1909), „Der Mörder buch der Redegonda“ (1909), „Der Mörder
(1910), „Dreifache Warnung" und „Hirtenflöte“ (1910), „Dreifache Warnung" und „Hirtenflöte“
(1911), „Frau Beate und ihr Sohn“ (1913), (1911), „Frau Beate und ihr Sohn“ (1913),
„Doktor Gräsler, Badearzt" (1917), „Casanovas „Doktor Gräsler, Badearzt" (1917), „Casanovas
Heimfahrt“ (1918). Schnitzlers neueste erzäh¬ Heimfahrt“ (1918). Schnitzlers neueste erzäh¬
lende Werke sind: „Frl. Else“, eine in ihrer lende Werke sind: „Frl. Else“, eine in ihrer
schwierigen Form geradezu meisterhafte No¬ schwierigen Form geradezu meisterhafte No¬
velle, „Die Frau des Richters“ und als letztes velle, „Die Frau des Richters“ und als letztes
„Traumnovelle". Alle diese Werke sind durch¬ „Traumnovelle". Alle diese Werke sind durch¬
wegs kürzere Arbeiten erzählenden Inhalts, wegs kürzere Arbeiten erzählenden Inhalts,
Novellen und Novelletten. Schnitzlers einziger Novellen und Novelletten. Schnitzlers einziger
großer Roman erschien 1908: „Der Weg ins großer Roman erschien 1908: „Der Weg ins
Freie", eine groß gesehene Synthese des gei¬ Freie", eine groß gesehene Synthese des gei¬
stigen Wiener Lebens zur Zeit der letzten Jahr¬ stigen Wiener Lebens zur Zeit der letzten Jahr¬
hundertwende. hundertwende.
Es ist ein charakteristisches Merkmal der so Es ist ein charakteristisches Merkmal der so
zahlreichen Werke Schnitzlers die dem Wiener zahlreichen Werke Schnitzlers die dem Wiener
Milieu entstammen, auch solcher, die erst in Milieu entstammen, auch solcher, die erst in
den allerletzten Jahren erschienen sind, daß sie den allerletzten Jahren erschienen sind, daß sie
zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jün¬ zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jün¬
geren Jahren geben. Es muß dazu noch gesagt geren Jahren geben. Es muß dazu noch gesagt
werden: Einer viel sorgloseren und unbeküm¬ werden: Einer viel sorgloseren und unbeküm¬
merteren Welt, als es die heutige ist, eines satten merteren Welt, als es die heutige ist, eines satten
und dabei schongeistigen Bürgertums, an das und dabei schongeistigen Bürgertums, an das
soziale Probleme selten herantreten. Selten soziale Probleme selten herantreten. Selten
hallen seine Werke in einem schrillen Ton aus, hallen seine Werke in einem schrillen Ton aus,
si. verklingen und verdämmern. Seine weiche si. verklingen und verdämmern. Seine weiche
und dabei oft spielerische Behandlung der Pro¬ und dabei oft spielerische Behandlung der Pro¬
bleme läßt Schnitzler als den ausgesprochenen bleme läßt Schnitzler als den ausgesprochenen
österreichischen Dichter erscheinen, den Dichter österreichischen Dichter erscheinen, den Dichter
eines vergangenen Wien, dessen Geistern er eines vergangenen Wien, dessen Geistern er
nun ins Grab nachgefolgt ist. nun ins Grab nachgefolgt ist.
Schnitzlers Werke sind in einer Gesamtaus¬ Schnitzlers Werke sind in einer Gesamtaus¬
gabe des Verlages S. Fischer, Berlin, vereinigt, gabe des Verlages S. Fischer, Berlin, vereinigt,
mit Ausnahme der letzten, von denen einige ber mit Ausnahme der letzten, von denen einige ber
Paul Zsolnay, Leipzig=Wien, erschienen sind. Paul Zsolnay, Leipzig=Wien, erschienen sind.
Bei S. Fischer ist auch eine Schnitzler=Bio¬ Bei S. Fischer ist auch eine Schnitzler=Bio¬
graphie von Professor Richard Specht verlegt graphie von Professor Richard Specht verlegt
worden. worden.
Zum Tode Arthur Schnitzlers wird uns ferner Zum Tode Arthur Schnitzlers wird uns ferner
aus Wien telegraphiert: Der Dichter wohnte aus Wien telegraphiert: Der Dichter wohnte
auch auch
12. Schnitzler s Death 12. Schnitzler s Death
Mädchens, das, über die Leiche des Vaters weg, Mädchens, das, über die Leiche des Vaters weg,
gelockt von dem „Ruf des Lebens gelockt von dem „Ruf des Lebens
in zwei in zwei
offene Leutnantsarme springt, Bruder jenes offene Leutnantsarme springt, Bruder jenes
Leutnants Gustl, dem das Duell von morgen Leutnants Gustl, dem das Duell von morgen
heute den Angstschweiß aus den Poren treibt, heute den Angstschweiß aus den Poren treibt,
und jenes armen Schwindsüchtigen, der im und jenes armen Schwindsüchtigen, der im
„Sterben“ hinsiecht, während sein Mädel, diese „Sterben“ hinsiecht, während sein Mädel, diese
ins Unendliche duldende Magdalena, neu dem ins Unendliche duldende Magdalena, neu dem
Leben entgegenatmet. Immer wieder war es Leben entgegenatmet. Immer wieder war es
„Der Ruf des Lebens", den Schnitzler dichten „Der Ruf des Lebens", den Schnitzler dichten
wollte; aber es war gewöhnlich ein Sterben. wollte; aber es war gewöhnlich ein Sterben.
Reden nicht auch die Menschen, denen das Leben Reden nicht auch die Menschen, denen das Leben
am teuersten gilt, sehr viel und häufig vom am teuersten gilt, sehr viel und häufig vom
Tod? Es ist, als würde er sich eine Angst vom Tod? Es ist, als würde er sich eine Angst vom
Leib damit schreiben. Und sehr mutig sind auch Leib damit schreiben. Und sehr mutig sind auch
seine Helden nicht, im „Freiwild“ nicht, wo der seine Helden nicht, im „Freiwild“ nicht, wo der
eine den anderen hinterrücks über den Haufen eine den anderen hinterrücks über den Haufen
knallt, im „Jungen Medardus" nicht, wo der knallt, im „Jungen Medardus" nicht, wo der
Held kein Tater ist, sondern ein Dulder, und Held kein Tater ist, sondern ein Dulder, und
dann der Leutnant Gustl... Auch Grillparzers dann der Leutnant Gustl... Auch Grillparzers
Helden sind keine Helden. Rustan deklamiert Helden sind keine Helden. Rustan deklamiert
„Und die Größe ist gefährlich, und der Ruhm „Und die Größe ist gefährlich, und der Ruhm
ein leeres Spiel: was er gibt, sind nicht'ge ein leeres Spiel: was er gibt, sind nicht'ge
Schatten, was er nimmt, es ist so viel.“ Nord¬ Schatten, was er nimmt, es ist so viel.“ Nord¬
deutsche Naturen werden anders denken, aber deutsche Naturen werden anders denken, aber
Grillparzer war Wien, und Schnitzler war Grillparzer war Wien, und Schnitzler war
Wien, und was Grillparzer über seine Dichtung Wien, und was Grillparzer über seine Dichtung
gesetzt hat, dies ließe sich auch über Schnitzlers gesetzt hat, dies ließe sich auch über Schnitzlers
Dichtung setzen: „Wenn Du vom Kahlenberg... Dichtung setzen: „Wenn Du vom Kahlenberg...
Hier wurde er geboren und hier wuchs er Hier wurde er geboren und hier wuchs er
auf, Sohn eines Arztes, Bruder eines Profes¬ auf, Sohn eines Arztes, Bruder eines Profes¬
sors der Medizin und selber ein Arzt, der selber sors der Medizin und selber ein Arzt, der selber
einmal von sich gesagt hat, er hätte ohne diese einmal von sich gesagt hat, er hätte ohne diese
wissenschaftliche Kenntnis nie sein „Sterben wissenschaftliche Kenntnis nie sein „Sterben
und nie „Die letzten Masken“ dichten können. und nie „Die letzten Masken“ dichten können.
Wo die Stadt ins Land verrinnt und die sanf¬ Wo die Stadt ins Land verrinnt und die sanf¬
ten Hügelketten des Kahlengebirges den Men¬ ten Hügelketten des Kahlengebirges den Men¬
schen in die Fenster schauen, dort war sein schen in die Fenster schauen, dort war sein
Heim, von dem ein bestrickendes Aroma Alt¬ Heim, von dem ein bestrickendes Aroma Alt¬
Wiener Patriziertums mit einem Schuß Ma¬ Wiener Patriziertums mit einem Schuß Ma¬
kartbukett und Persexteppich ausging. Die kartbukett und Persexteppich ausging. Die
ganze Längswand des Arbeitszimmers, drei¬ ganze Längswand des Arbeitszimmers, drei¬
fach hintereinandergereiht, nehmen die Bücher fach hintereinandergereiht, nehmen die Bücher
und Folianten ein, unter denen historische und Folianten ein, unter denen historische
Werke die Ueberzahl bilden; denn Geschichte Werke die Ueberzahl bilden; denn Geschichte
war nun die Lieblingslektüre und das inten¬ war nun die Lieblingslektüre und das inten¬
sivste Studium des früheren Arztes. Da ver¬ sivste Studium des früheren Arztes. Da ver¬
gingen ihm täglich viele Stunden ernster Arbeit, gingen ihm täglich viele Stunden ernster Arbeit,
box 42/7 box 42/7
die den Wienern, die ihn immer nur als den die den Wienern, die ihn immer nur als den
Schöpfer des „süßen Mädels", als den Schnitz¬ Schöpfer des „süßen Mädels", als den Schnitz¬
ler der Liebelei, des Anatol sahen, höchst ver¬ ler der Liebelei, des Anatol sahen, höchst ver¬
wunderlich wären: er aber sagte mit einer selt¬ wunderlich wären: er aber sagte mit einer selt¬
sam zusammengerafften Energie: „Man muß sam zusammengerafften Energie: „Man muß
sich zur Arbeit manchmal zwingen, jeden Tag sich zur Arbeit manchmal zwingen, jeden Tag
sein Pensum; wenn man einmal eine Sache hat, sein Pensum; wenn man einmal eine Sache hat,
dann durch! Denn es ist wie bei dem Astro¬ dann durch! Denn es ist wie bei dem Astro¬
nomen, der zu lange durchs Fernrohr schaut: nomen, der zu lange durchs Fernrohr schaut:
das Firmament beginnt plötzlich zu flimmern. das Firmament beginnt plötzlich zu flimmern.
Und diese Arbeitsmethode mag es auch sein, Und diese Arbeitsmethode mag es auch sein,
die den Werken Schnitzlers jenes Mühelose und die den Werken Schnitzlers jenes Mühelose und
Leichte, das Selbstverständliche und Zwingende Leichte, das Selbstverständliche und Zwingende
gibt. — Von diesen seinen Werken, die in rascher gibt. — Von diesen seinen Werken, die in rascher
Folge erschienen und ihn rasch berühmt mach¬ Folge erschienen und ihn rasch berühmt mach¬
ten, seien noch genannt: „Das Vermächtnis ten, seien noch genannt: „Das Vermächtnis
(1897), die drei Einakter „Paracelsus", „Die Ge¬ (1897), die drei Einakter „Paracelsus", „Die Ge¬
fährtin", „Der grüne Kakadu fährtin", „Der grüne Kakadu
(1898), sein (1898), sein
Drama „Der Schleier der Beatrice“ (1899), Drama „Der Schleier der Beatrice“ (1899),
dann der Einakterzyklus „Lebendige Stunden“, dann der Einakterzyklus „Lebendige Stunden“,
woraus besonders „Literatur“ woraus besonders „Literatur“
hervorragt hervorragt
(1901), das Drama „Der einsame Weg“ (1903), (1901), das Drama „Der einsame Weg“ (1903),
die Komödie „Zwischenspiel“ (1904); ferner im die Komödie „Zwischenspiel“ (1904); ferner im
gleichen Jahre eine neue Einakterreihe „Mario¬ gleichen Jahre eine neue Einakterreihe „Mario¬
netten". „Der junge Medardus", dessen Titel¬ netten". „Der junge Medardus", dessen Titel¬
rolle dem großen Josef Kainz zugedacht, dem rolle dem großen Josef Kainz zugedacht, dem
Künstler aber nicht mehr zu spielen vergönnt Künstler aber nicht mehr zu spielen vergönnt
war, ist ein Drama aus den Tagen der Besetzung war, ist ein Drama aus den Tagen der Besetzung
Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909). Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909).
Diesem Werke folgte „Das weite Land“ Diesem Werke folgte „Das weite Land“
1910). 1910).
eine Tragikomödie des Alterns, und 1912 „Pro¬ eine Tragikomödie des Alterns, und 1912 „Pro¬
fessor Bernhardi“, ein Schauspiel aus dem arzt¬ fessor Bernhardi“, ein Schauspiel aus dem arzt¬
lichen Beruf, bei seiner Aufführung von poli¬ lichen Beruf, bei seiner Aufführung von poli¬
tischen Gruppen viel umstritten. Im Jahre tischen Gruppen viel umstritten. Im Jahre
1915 erschienen drei Einakter unter dem Titel 1915 erschienen drei Einakter unter dem Titel
„Komödie der Worte“, 1917 das schwache „Fink „Komödie der Worte“, 1917 das schwache „Fink
und Fliederbusch“, 1919 „Die Schwestern oder und Fliederbusch“, 1919 „Die Schwestern oder
Casanova in Spa, 1924 „Komödie der Verfüh¬ Casanova in Spa, 1924 „Komödie der Verfüh¬
rung“ und 1925 die dramatische Dichtung „Der rung“ und 1925 die dramatische Dichtung „Der
Gang zum Weiher“. Gang zum Weiher“.
Schnitzlers Eigenart und großes Talent of¬ Schnitzlers Eigenart und großes Talent of¬
fenbart sich nicht weniger in seinen erzählenden fenbart sich nicht weniger in seinen erzählenden
Werken. 1892 erschien „Sterben“, das die letzten Werken. 1892 erschien „Sterben“, das die letzten
Tage eines Schwindsüchtigen mit scharfem, aber Tage eines Schwindsüchtigen mit scharfem, aber
auch peinlichem Realismus schildert, 1894 „Die auch peinlichem Realismus schildert, 1894 „Die
Blumen“, 1895 „Ein Abschied“, 1896 „Die Frau Blumen“, 1895 „Ein Abschied“, 1896 „Die Frau
des Weisen“, 1897 „Der Ehrentag“ und „Die des Weisen“, 1897 „Der Ehrentag“ und „Die
Toten schweigen“, 1900 „Andreas Thalmayer", Toten schweigen“, 1900 „Andreas Thalmayer",
„Der blinde Geronimo“ wie auch die Novelle „Der blinde Geronimo“ wie auch die Novelle
„Leutnant Gustl“; ferner im gleichen Jahre: „Leutnant Gustl“; ferner im gleichen Jahre:
„Frau Berta Garlan", dann „Die griechische „Frau Berta Garlan", dann „Die griechische
Tanzerin“ (1902), „Weissagung (1904), „Das Tanzerin“ (1902), „Weissagung (1904), „Das
neue Lied" (1905), „Der Tod des Junggesellen neue Lied" (1905), „Der Tod des Junggesellen
(1907), „Der tote Gabriel“ (1908), „Das Tage¬ (1907), „Der tote Gabriel“ (1908), „Das Tage¬
buch der Redegonda“ (1909), „Der Mörder buch der Redegonda“ (1909), „Der Mörder
(1910), „Dreifache Warnung" und „Hirtenflöte“ (1910), „Dreifache Warnung" und „Hirtenflöte“
(1911), „Frau Beate und ihr Sohn“ (1913), (1911), „Frau Beate und ihr Sohn“ (1913),
„Doktor Gräsler, Badearzt" (1917), „Casanovas „Doktor Gräsler, Badearzt" (1917), „Casanovas
Heimfahrt“ (1918). Schnitzlers neueste erzäh¬ Heimfahrt“ (1918). Schnitzlers neueste erzäh¬
lende Werke sind: „Frl. Else“, eine in ihrer lende Werke sind: „Frl. Else“, eine in ihrer
schwierigen Form geradezu meisterhafte No¬ schwierigen Form geradezu meisterhafte No¬
velle, „Die Frau des Richters“ und als letztes velle, „Die Frau des Richters“ und als letztes
„Traumnovelle". Alle diese Werke sind durch¬ „Traumnovelle". Alle diese Werke sind durch¬
wegs kürzere Arbeiten erzählenden Inhalts, wegs kürzere Arbeiten erzählenden Inhalts,
Novellen und Novelletten. Schnitzlers einziger Novellen und Novelletten. Schnitzlers einziger
großer Roman erschien 1908: „Der Weg ins großer Roman erschien 1908: „Der Weg ins
Freie", eine groß gesehene Synthese des gei¬ Freie", eine groß gesehene Synthese des gei¬
stigen Wiener Lebens zur Zeit der letzten Jahr¬ stigen Wiener Lebens zur Zeit der letzten Jahr¬
hundertwende. hundertwende.
Es ist ein charakteristisches Merkmal der so Es ist ein charakteristisches Merkmal der so
zahlreichen Werke Schnitzlers die dem Wiener zahlreichen Werke Schnitzlers die dem Wiener
Milieu entstammen, auch solcher, die erst in Milieu entstammen, auch solcher, die erst in
den allerletzten Jahren erschienen sind, daß sie den allerletzten Jahren erschienen sind, daß sie
zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jün¬ zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jün¬
geren Jahren geben. Es muß dazu noch gesagt geren Jahren geben. Es muß dazu noch gesagt
werden: Einer viel sorgloseren und unbeküm¬ werden: Einer viel sorgloseren und unbeküm¬
merteren Welt, als es die heutige ist, eines satten merteren Welt, als es die heutige ist, eines satten
und dabei schongeistigen Bürgertums, an das und dabei schongeistigen Bürgertums, an das
soziale Probleme selten herantreten. Selten soziale Probleme selten herantreten. Selten
hallen seine Werke in einem schrillen Ton aus, hallen seine Werke in einem schrillen Ton aus,
si. verklingen und verdämmern. Seine weiche si. verklingen und verdämmern. Seine weiche
und dabei oft spielerische Behandlung der Pro¬ und dabei oft spielerische Behandlung der Pro¬
bleme läßt Schnitzler als den ausgesprochenen bleme läßt Schnitzler als den ausgesprochenen
österreichischen Dichter erscheinen, den Dichter österreichischen Dichter erscheinen, den Dichter
eines vergangenen Wien, dessen Geistern er eines vergangenen Wien, dessen Geistern er
nun ins Grab nachgefolgt ist. nun ins Grab nachgefolgt ist.
Schnitzlers Werke sind in einer Gesamtaus¬ Schnitzlers Werke sind in einer Gesamtaus¬
gabe des Verlages S. Fischer, Berlin, vereinigt, gabe des Verlages S. Fischer, Berlin, vereinigt,
mit Ausnahme der letzten, von denen einige ber mit Ausnahme der letzten, von denen einige ber
Paul Zsolnay, Leipzig=Wien, erschienen sind. Paul Zsolnay, Leipzig=Wien, erschienen sind.
Bei S. Fischer ist auch eine Schnitzler=Bio¬ Bei S. Fischer ist auch eine Schnitzler=Bio¬
graphie von Professor Richard Specht verlegt graphie von Professor Richard Specht verlegt
worden. worden.
Zum Tode Arthur Schnitzlers wird uns ferner Zum Tode Arthur Schnitzlers wird uns ferner
aus Wien telegraphiert: Der Dichter wohnte aus Wien telegraphiert: Der Dichter wohnte