VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 112

12. Schnitzler's Death 12. Schnitzler's Death
DOBSERVE DOBSERVE

I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Kölnische Zeitung Kölnische Zeitung
22. OKT. 1931 22. OKT. 1931
vom: vom:
Arthur Schnitzler . Arthur Schnitzler .
(Telegramm unsers eignen Berichterstatters) (Telegramm unsers eignen Berichterstatters)
* Wien, 21. Oktober. * Wien, 21. Oktober.
Arthur Schnitzler ist heute abend im Alter von 69 Jahren in seiner Arthur Schnitzler ist heute abend im Alter von 69 Jahren in seiner
Villa in Döbling bei Wien überraschend an Gehirnblutung gestorben. Villa in Döbling bei Wien überraschend an Gehirnblutung gestorben.
In den letzten zwei Jahren hat er wohl gelegentlich über Beschwerden In den letzten zwei Jahren hat er wohl gelegentlich über Beschwerden
geklagt, ist aber niemals eigentlich krank gewesen. Heute vormittag geklagt, ist aber niemals eigentlich krank gewesen. Heute vormittag
machte er einen Spaziergang und kehrte gegen 11 Uhr nach Hause zurück. machte er einen Spaziergang und kehrte gegen 11 Uhr nach Hause zurück.
Um 11,15 Uhr fand ihn seine Sekretärin bewußtlos am Boden liegend Um 11,15 Uhr fand ihn seine Sekretärin bewußtlos am Boden liegend
vor. Schnitzler hat seitdem das Bewußtsein nicht wiedererlangt. Gegen vor. Schnitzler hat seitdem das Bewußtsein nicht wiedererlangt. Gegen
Abend trat Atemlähmung ein, die dann zum Tode führte. Er hat nicht Abend trat Atemlähmung ein, die dann zum Tode führte. Er hat nicht
zu leiden brauchen; seines nahen Todes ist er sich keinen Augenblick zu leiden brauchen; seines nahen Todes ist er sich keinen Augenblick
bewußt gewesen. bewußt gewesen.
Es ist eine Grausamkeit des Schicksals, daß es dem durch die Es ist eine Grausamkeit des Schicksals, daß es dem durch die
wirtschaftliche Not in seinen Kulturgütern so schwer bedrohten Öster¬ wirtschaftliche Not in seinen Kulturgütern so schwer bedrohten Öster¬
reich auch noch die schöpferischen künstlerischen Kräfte entreißt. Fast reich auch noch die schöpferischen künstlerischen Kräfte entreißt. Fast
im selben Alter wie Franz Schalk ist nun auch Arthur Schnitzler im selben Alter wie Franz Schalk ist nun auch Arthur Schnitzler
gestorben, nur daß bei ihm im Gegensatz zu dem schon lange vom gestorben, nur daß bei ihm im Gegensatz zu dem schon lange vom
Tod gezeichneten Schalk niemand das Ende erwartet hätte. Die Vor¬ Tod gezeichneten Schalk niemand das Ende erwartet hätte. Die Vor¬
bereitungen zu seinem 70. Geburtstag, den er am 15. Mai 1932 hätte bereitungen zu seinem 70. Geburtstag, den er am 15. Mai 1932 hätte
feiern können, waren im Gange. Max Reinhardt wollte seinen frühen feiern können, waren im Gange. Max Reinhardt wollte seinen frühen
größten Erfolg, die Liebelei, selbst als Jubiläumsvorstellung größten Erfolg, die Liebelei, selbst als Jubiläumsvorstellung
inszenieren. Das Burgtheater und alle deutschen Bühnen rüsteten sich, inszenieren. Das Burgtheater und alle deutschen Bühnen rüsteten sich,
den durch lange Jahre hindurch führenden österreichischen Dramatiker den durch lange Jahre hindurch führenden österreichischen Dramatiker
festlich zu ehren. Nun wird das Geburtsfest zu einer Gedächtnisfeier festlich zu ehren. Nun wird das Geburtsfest zu einer Gedächtnisfeier
nicht nur für den heimgeangenen Dichter, sondern vielleicht auch für nicht nur für den heimgeangenen Dichter, sondern vielleicht auch für
jenes alte Österreich und Wien, dessen Atmosphäre er wie kein zweiter jenes alte Österreich und Wien, dessen Atmosphäre er wie kein zweiter
in seinem Werk festgehalten hat. Sein letztes Buch, die Novelle Flucht in seinem Werk festgehalten hat. Sein letztes Buch, die Novelle Flucht
in die Finsternis, ist dieser Tage im Verlag S. Fischer, Berlin, er¬ in die Finsternis, ist dieser Tage im Verlag S. Fischer, Berlin, er¬
schienen. Sie zeigt den großen Psychologen Schnitzler noch einmal schienen. Sie zeigt den großen Psychologen Schnitzler noch einmal
auf der Höhe jener Meisterschaft, die gerade in den letzten Jahren den auf der Höhe jener Meisterschaft, die gerade in den letzten Jahren den
Epiker in besonderm Maße auszeichnete. Epiker in besonderm Maße auszeichnete.
Das dichterische Werk Schnitzlers wuchs ununterbrochen mit seinem Das dichterische Werk Schnitzlers wuchs ununterbrochen mit seinem
Leben von jenen ersten in der längst verschwundenen Zeitschrift Leben von jenen ersten in der längst verschwundenen Zeitschrift
Schöne blaue Donau erschienenen Erzählungen bis zu seiner letzten Schöne blaue Donau erschienenen Erzählungen bis zu seiner letzten
dramatischen Dichtung Der Gang zum Weiher. Der junge Arzt, der dramatischen Dichtung Der Gang zum Weiher. Der junge Arzt, der
von 1886 bis 1889 in der Klinik seines Vaters, des Universitäts¬ von 1886 bis 1889 in der Klinik seines Vaters, des Universitäts¬
professors Dr. Johann Schnitzler, als Assistent arbeitete, hatte schon professors Dr. Johann Schnitzler, als Assistent arbeitete, hatte schon
viel geschrieben, als er 1893 mit dem Märchen und der Liebelei seinen viel geschrieben, als er 1893 mit dem Märchen und der Liebelei seinen
ersten Theatererfolg errang. Im selben Jahr mußte er den militär¬ ersten Theatererfolg errang. Im selben Jahr mußte er den militär¬
ärztlichen Dienst, zu dem er damals einberufen war, wegen seiner ärztlichen Dienst, zu dem er damals einberufen war, wegen seiner
Novelle Leutnant Gustel verlassen. 1895 gab dann das Burgtheater Novelle Leutnant Gustel verlassen. 1895 gab dann das Burgtheater
den Anatol=Zyklus, durch den Schnitzler mit einem Schlag zu dem den Anatol=Zyklus, durch den Schnitzler mit einem Schlag zu dem
ersten österreichischen Dramatiker wurde. In rascher Folge brachte ersten österreichischen Dramatiker wurde. In rascher Folge brachte
er nun ein Drama nach dem andern auf die Bühne, darunter 1909 er nun ein Drama nach dem andern auf die Bühne, darunter 1909
den jungen Medardus, der für Josef Kainz geschrieben worden war. den jungen Medardus, der für Josef Kainz geschrieben worden war.
Der schon in den 90er Jahren geschriebene Einakterzyklus Reigen Der schon in den 90er Jahren geschriebene Einakterzyklus Reigen
wurde erst 1920 aufgeführt, wobei es dann in Berlin und vielen wurde erst 1920 aufgeführt, wobei es dann in Berlin und vielen
andern Städten zu den bekannten törichten Skandalszenen eines ver andern Städten zu den bekannten törichten Skandalszenen eines ver
ständnislosen Publikums kam. Während die Zahl seiner Novellen der ständnislosen Publikums kam. Während die Zahl seiner Novellen der
seiner Theaterstücke nahezu gleichkommt, hat Schnitzler nur zwei seiner Theaterstücke nahezu gleichkommt, hat Schnitzler nur zwei
Romane geschrieben, 1908 den Weg ins Freie und 1925 das Frauen¬ Romane geschrieben, 1908 den Weg ins Freie und 1925 das Frauen¬
schicksal Therese, in dem der Zusammenbruch der altösterreichischen schicksal Therese, in dem der Zusammenbruch der altösterreichischen
Welt, der Schnitzler selbst entstammte, ergreifend, aber unerbittlich Welt, der Schnitzler selbst entstammte, ergreifend, aber unerbittlich
im Lebenslauf einer alternden Frau geschildert war. Der Tod des im Lebenslauf einer alternden Frau geschildert war. Der Tod des
Dichters ist ein neues schmerzliches Siegel auf dieses Ende einer einst, Dichters ist ein neues schmerzliches Siegel auf dieses Ende einer einst,
reichen Welt. reichen Welt.
box 42/7 box 42/7
AUSSCHNITT VOM. AUSSCHNITT VOM.
22. OKI. 1931 22. OKI. 1931
Der Abend, Berlin SW 68 Der Abend, Berlin SW 68
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
Dem Gedächtnis eines Dichters. Dem Gedächtnis eines Dichters.
Waz/war das für eine Beglückung, als Arthur Schnitzler die Waz/war das für eine Beglückung, als Arthur Schnitzler die
„Liebelai und den „Anatol“ auf die Bühne brachte. Haupt¬ „Liebelai und den „Anatol“ auf die Bühne brachte. Haupt¬
mann, auch Sudermann und Halbe hatten das junge Mädchen aus mann, auch Sudermann und Halbe hatten das junge Mädchen aus
dem Volk ganz tragisch aufgefaßt. Sie hatten den Instinkt, die dem Volk ganz tragisch aufgefaßt. Sie hatten den Instinkt, die
Freude am Ausleben des Sinnes, wie einen Fluch dargestellt. Sie Freude am Ausleben des Sinnes, wie einen Fluch dargestellt. Sie
hatten erzählt, wie schwer, wie dunkel alles Leben dann sein wird, hatten erzählt, wie schwer, wie dunkel alles Leben dann sein wird,
wenn das junge Mädchen aufwacht. Bei Schnitzler fehlen die Tra¬ wenn das junge Mädchen aufwacht. Bei Schnitzler fehlen die Tra¬
gödien nicht. Sie waren naturalistisch beobachtet. Es konnte auch gödien nicht. Sie waren naturalistisch beobachtet. Es konnte auch
nicht anders sein. Denn Schnitzler war ja ein Arzt, und er verstand nicht anders sein. Denn Schnitzler war ja ein Arzt, und er verstand
sich auf das Trauerspiel des kleinen und großen Lebens. Aber seine sich auf das Trauerspiel des kleinen und großen Lebens. Aber seine
Frauengestalten sind sanft. Selbst dann, wenn sie sich nach dem Frauengestalten sind sanft. Selbst dann, wenn sie sich nach dem
Tode sehnen, ist noch nicht alle Heiterkeit in ihnen eingeschlummert. Tode sehnen, ist noch nicht alle Heiterkeit in ihnen eingeschlummert.
Verzückt wollen sie sterben; nicht als Anklägerinnen der sozialen Ge¬ Verzückt wollen sie sterben; nicht als Anklägerinnen der sozialen Ge¬
sellschaftsordnung, sondern in der Schönheit eines Engels, der zu¬ sellschaftsordnung, sondern in der Schönheit eines Engels, der zu¬
fällig entgleiste. Das war der wienerische Naturalismus der fällig entgleiste. Das war der wienerische Naturalismus der
Empfindsamkeit. Es war ein Naturalismus, der über die Empfindsamkeit. Es war ein Naturalismus, der über die
ganze Welt siegte und besonders in romanischen Ländern verstanden ganze Welt siegte und besonders in romanischen Ländern verstanden
wurde, wo man für den herben, sachlichen norddeutschen Naturalis¬ wurde, wo man für den herben, sachlichen norddeutschen Naturalis¬
mus nicht viel Verständnis aufbrachte. mus nicht viel Verständnis aufbrachte.
„Anatol": Ein junger Herr, der nichts anderes zu tun hat, „Anatol": Ein junger Herr, der nichts anderes zu tun hat,
als sich der Liebe zu widmen, der eleganten Liebe wie der aus dem als sich der Liebe zu widmen, der eleganten Liebe wie der aus dem
Volk geholten. Sein Sinnspruch: „Sie hat in meinen Armen ge¬ Volk geholten. Sein Sinnspruch: „Sie hat in meinen Armen ge¬
legen, sie ist heilig.“ Das ist Mut, das ist Uebermut, aber es legen, sie ist heilig.“ Das ist Mut, das ist Uebermut, aber es
ist auch eine große Gutmütigkeit. Zwischen den Geschlechtern wird ist auch eine große Gutmütigkeit. Zwischen den Geschlechtern wird
kein leidenschaftlicher Kampf ausgekämpft, sondern man verständigt kein leidenschaftlicher Kampf ausgekämpft, sondern man verständigt
sich in Zärtlichkeit. Manchmal geht hier und da ein Mensch in die sich in Zärtlichkeit. Manchmal geht hier und da ein Mensch in die
Brüche, doch alles geschieht artig, manierlich und auch - ope¬ Brüche, doch alles geschieht artig, manierlich und auch - ope¬
rettenmäßig. rettenmäßig.
Schnitzlers Sanftheit, die Anmut, mit der er Lebensrätsel löst, Schnitzlers Sanftheit, die Anmut, mit der er Lebensrätsel löst,
verrät stets, daß er sehr viel Musik im Blut hatte: eine leichte, verrät stets, daß er sehr viel Musik im Blut hatte: eine leichte,
schwingende, schwebende. Gehen, wie im „Einsamen Weg", die schwingende, schwebende. Gehen, wie im „Einsamen Weg", die
Entwurzelten, die nicht mehr zur erdenfesten Gesellschaft gehören, Entwurzelten, die nicht mehr zur erdenfesten Gesellschaft gehören,
gern in ein unbekanntes Jenseits, dann trällert es noch ein bißchen gern in ein unbekanntes Jenseits, dann trällert es noch ein bißchen
in ihrer Seele. Das Nachtigallmäßige, das Amselmäßige, etwas in ihrer Seele. Das Nachtigallmäßige, das Amselmäßige, etwas
seltsam-rostvar zwischen den Zeiten Schwebendes ist das Wesen der seltsam-rostvar zwischen den Zeiten Schwebendes ist das Wesen der
Schnitzlerschen Weichheit. Dieser geduldige, schwermütig-frohe Schnitzlerschen Weichheit. Dieser geduldige, schwermütig-frohe
Menschengestalter starb in einer Zeit, in der — so scheint es - Menschengestalter starb in einer Zeit, in der — so scheint es -
dieses milde Fühlen und Denken keinen Raum mehr hat. Und das dieses milde Fühlen und Denken keinen Raum mehr hat. Und das
ist das Unvergängliche an diesem Dichter: er hat eine Welt, die ist das Unvergängliche an diesem Dichter: er hat eine Welt, die
wenn auch nicht immer und heute nicht mehr die unsere wenn auch nicht immer und heute nicht mehr die unsere
das Kulturgeschehen und die menschliche Entwicklung stark be¬ das Kulturgeschehen und die menschliche Entwicklung stark be¬
einflußte, in fester Prägung für die Weltliteratur erhalten, jenes einflußte, in fester Prägung für die Weltliteratur erhalten, jenes
wienerische und österreichische Wesen, das jammervoll und still ein¬ wienerische und österreichische Wesen, das jammervoll und still ein¬
ging, hat er im letzten Augenblick seines Verklingens und Vergehens ging, hat er im letzten Augenblick seines Verklingens und Vergehens
für die Nachwelt aufgezeichnet. für die Nachwelt aufgezeichnet.
Einmal wurde dieser milde, alles verstehende, alles verzeihende Einmal wurde dieser milde, alles verstehende, alles verzeihende
Dichter fast zum sozialen Ankläger. Das war damals, da er als Dichter fast zum sozialen Ankläger. Das war damals, da er als
Gegenstück zum „Anatol" das kleine Trauerspiel vom „Frei¬ Gegenstück zum „Anatol" das kleine Trauerspiel vom „Frei¬
wild“ schrieb. Der Dichter setzte die jungen und alten Herren, wild“ schrieb. Der Dichter setzte die jungen und alten Herren,
die die Mädchen aus dem Volke in die Chambre separées und die die Mädchen aus dem Volke in die Chambre separées und
den h au d Malgoshont den h au d Malgoshont