12. Schnitzler's Death 12. Schnitzler's Death
benden Oesterreichs. benden Oesterreichs.
die Kämpfe, die dem Leben seinen Sinn und die Kämpfe, die dem Leben seinen Sinn und
dem Menschen seinen inneren Halt wiedergeben dem Menschen seinen inneren Halt wiedergeben
könnten, so hat sich Schnitzler doch sehr bald könnten, so hat sich Schnitzler doch sehr bald
wieder in sein Selbst zurückgezogen, von dem er wieder in sein Selbst zurückgezogen, von dem er
nicht frei konnte — und wollte. Und wir, die nicht frei konnte — und wollte. Und wir, die
Nachlebenden, freuen uns, daß er dem Bild seiner Nachlebenden, freuen uns, daß er dem Bild seiner
Jugend treu geblieben ist. Denn seine verfeiner¬ Jugend treu geblieben ist. Denn seine verfeiner¬
ten Organe haben es ihm, der das Wien ten Organe haben es ihm, der das Wien
der Jahrhundertwende als kulturgeschichtliches der Jahrhundertwende als kulturgeschichtliches
Kuriosum in reiser, echtester, lebendigster Gestaltung Kuriosum in reiser, echtester, lebendigster Gestaltung
zu konservieren vermocht hat, ermöglicht, auch im zu konservieren vermocht hat, ermöglicht, auch im
Dienst des modernen Lebens eine schöne Funktion Dienst des modernen Lebens eine schöne Funktion
zu erfüllen: Schnitzler, dessen psychologischer Ties¬ zu erfüllen: Schnitzler, dessen psychologischer Ties¬
blick immer wieder bewundernswert ist, hat blick immer wieder bewundernswert ist, hat
seinen gleichaltrigen Fachkollegen und Lands¬ seinen gleichaltrigen Fachkollegen und Lands¬
mann Sigmund Freud — wenn auch nicht aus¬ mann Sigmund Freud — wenn auch nicht aus¬
drücklich, so doch im Effekt — in dem bitteren drücklich, so doch im Effekt — in dem bitteren
Kampf um eine schmiegsamere Seelenkunde, die Kampf um eine schmiegsamere Seelenkunde, die
vor der Dunkelkammer unseres Unterbewußtseins vor der Dunkelkammer unseres Unterbewußtseins
nicht haltmacht, aufs Kräftigste unterstützt und die nicht haltmacht, aufs Kräftigste unterstützt und die
rechte Wirkung der Leistung Freuds im Bewußt rechte Wirkung der Leistung Freuds im Bewußt
sein der Allgemeinheit vorbereitet. sein der Allgemeinheit vorbereitet.
Aber nicht nur das: auch die Aesthetik und Aber nicht nur das: auch die Aesthetik und
Technik der modernen Novelle ist von Arthur Technik der modernen Novelle ist von Arthur
Schnitzler befruchtet worden. Was man bei Schnitzler befruchtet worden. Was man bei
Marcel Proust und James Jovce als unerhörten Marcel Proust und James Jovce als unerhörten
Fortschritt gepriesen hat, findet sich auch — und Fortschritt gepriesen hat, findet sich auch — und
vielleicht schon bevor die beiden Genannten „ent¬ vielleicht schon bevor die beiden Genannten „ent¬
deckt“ wurden — bei Schnitzler aufs meisterlichste deckt“ wurden — bei Schnitzler aufs meisterlichste
verwirklicht: jene eigentümliche Form des Prosa¬ verwirklicht: jene eigentümliche Form des Prosa¬
kunstwerkes, die das äußere Geschehen in einem kunstwerkes, die das äußere Geschehen in einem
„inneren Monolog“ sich spiegeln läßt. Dadurch „inneren Monolog“ sich spiegeln läßt. Dadurch
werden der Epik, die nach einer Bemerkung werden der Epik, die nach einer Bemerkung
Orteaas sich stofflich erschöpft hat, neue Inhalte Orteaas sich stofflich erschöpft hat, neue Inhalte
zugeführt. Gerade um dieser Bereicherung willen, zugeführt. Gerade um dieser Bereicherung willen,
die scheinbar rein formaler Natur, in Wahrheit die scheinbar rein formaler Natur, in Wahrheit
aber aber
im Sinne der Psychoanalyse — substanz¬ im Sinne der Psychoanalyse — substanz¬
bildend ist, fühlt sich auch die junge Generation bildend ist, fühlt sich auch die junge Generation
Arthur Schnitzler aufs tiefste verpflichtet. Arthur Schnitzler aufs tiefste verpflichtet.
Schnitzler war ein Erzähler von Rana, doch Schnitzler war ein Erzähler von Rana, doch
nur scheinbar auch ein Dramatiker von Geblüt. nur scheinbar auch ein Dramatiker von Geblüt.
h Seine Arbeiten für die Bühne, die viel auf¬ h Seine Arbeiten für die Bühne, die viel auf¬
box 42/7 box 42/7
geführt worden sind, haben nicht den rechten geführt worden sind, haben nicht den rechten
dramatischen Puls. Psychologie im Drama kann dramatischen Puls. Psychologie im Drama kann
sich nämlich auch als verderblich erweisen: wenn sich nämlich auch als verderblich erweisen: wenn
sie es verhindert, daß die Gegensätze, jeder für sie es verhindert, daß die Gegensätze, jeder für
sich in voller Ausschließlichkeit, als solche in Er¬ sich in voller Ausschließlichkeit, als solche in Er¬
scheinung und Aktion treten. Ein Psychologe wie scheinung und Aktion treten. Ein Psychologe wie
Schnitzler — und darin liegen die Mängel be¬ Schnitzler — und darin liegen die Mängel be¬
gründet — sieht aber gerade das Gleitende und gründet — sieht aber gerade das Gleitende und
die Uebergänge; und so steht der Seelenkünstler die Uebergänge; und so steht der Seelenkünstler
dem dramatischen Dichter im Wege. Dennoch: dem dramatischen Dichter im Wege. Dennoch:
Schnitzlers dramatische Arbeiten behalten ihren Schnitzlers dramatische Arbeiten behalten ihren
Reiz, weil das Atmosphärische, das allen Arbeiten Reiz, weil das Atmosphärische, das allen Arbeiten
Schnitzlers in so hohem Maße zu eigen ist, eben Schnitzlers in so hohem Maße zu eigen ist, eben
auch zur Bühnenwirksamkeit gehört. auch zur Bühnenwirksamkeit gehört.
Aus der langen Liste der Werke Arthur Aus der langen Liste der Werke Arthur
Schnitzlers nur ein paar bezeichnende Namen. Schnitzlers nur ein paar bezeichnende Namen.
Der Weg der Arbeiten für die Bühne führt von Der Weg der Arbeiten für die Bühne führt von
„Anatol" und „Liebelei“ über „Reigen" und den „Anatol" und „Liebelei“ über „Reigen" und den
„Einsamen Weg" zu „Professor Bernhardi „Einsamen Weg" zu „Professor Bernhardi
(1913); der Weg der Novellistik von „Sterben (1913); der Weg der Novellistik von „Sterben
und „Leutnant Gustl“ über „Casanovas Heim¬ und „Leutnant Gustl“ über „Casanovas Heim¬
fahrt" zu „Fräulein Else" und der „Traum¬ fahrt" zu „Fräulein Else" und der „Traum¬
novelle". Dazwischen der einzige Roman: „Der novelle". Dazwischen der einzige Roman: „Der
Weg ins Freie“ (1908). — Das Leben des Dichters Weg ins Freie“ (1908). — Das Leben des Dichters
war wenig bewegt. Geboren am 15. Mai 1862 war wenig bewegt. Geboren am 15. Mai 1862
als Sohn eines Arztes, des Universitätsprofessors als Sohn eines Arztes, des Universitätsprofessors
Johann Schnitzler, studierte er Medizin, wurde Johann Schnitzler, studierte er Medizin, wurde
Assistent seines Vaters, trat dann in militärärzt¬ Assistent seines Vaters, trat dann in militärärzt¬
lichen Dienst, den er jedoch aufgeben mußte, als lichen Dienst, den er jedoch aufgeben mußte, als
er „Leutnant Gustl“ publiziert hatte — und damit er „Leutnant Gustl“ publiziert hatte — und damit
war er ganz Schriftsteller geworden, als der er war er ganz Schriftsteller geworden, als der er
Zeit seines Lebens der Wiener Heimat treu blieb. Zeit seines Lebens der Wiener Heimat treu blieb.
g. m. g. m.
benden Oesterreichs. benden Oesterreichs.
die Kämpfe, die dem Leben seinen Sinn und die Kämpfe, die dem Leben seinen Sinn und
dem Menschen seinen inneren Halt wiedergeben dem Menschen seinen inneren Halt wiedergeben
könnten, so hat sich Schnitzler doch sehr bald könnten, so hat sich Schnitzler doch sehr bald
wieder in sein Selbst zurückgezogen, von dem er wieder in sein Selbst zurückgezogen, von dem er
nicht frei konnte — und wollte. Und wir, die nicht frei konnte — und wollte. Und wir, die
Nachlebenden, freuen uns, daß er dem Bild seiner Nachlebenden, freuen uns, daß er dem Bild seiner
Jugend treu geblieben ist. Denn seine verfeiner¬ Jugend treu geblieben ist. Denn seine verfeiner¬
ten Organe haben es ihm, der das Wien ten Organe haben es ihm, der das Wien
der Jahrhundertwende als kulturgeschichtliches der Jahrhundertwende als kulturgeschichtliches
Kuriosum in reiser, echtester, lebendigster Gestaltung Kuriosum in reiser, echtester, lebendigster Gestaltung
zu konservieren vermocht hat, ermöglicht, auch im zu konservieren vermocht hat, ermöglicht, auch im
Dienst des modernen Lebens eine schöne Funktion Dienst des modernen Lebens eine schöne Funktion
zu erfüllen: Schnitzler, dessen psychologischer Ties¬ zu erfüllen: Schnitzler, dessen psychologischer Ties¬
blick immer wieder bewundernswert ist, hat blick immer wieder bewundernswert ist, hat
seinen gleichaltrigen Fachkollegen und Lands¬ seinen gleichaltrigen Fachkollegen und Lands¬
mann Sigmund Freud — wenn auch nicht aus¬ mann Sigmund Freud — wenn auch nicht aus¬
drücklich, so doch im Effekt — in dem bitteren drücklich, so doch im Effekt — in dem bitteren
Kampf um eine schmiegsamere Seelenkunde, die Kampf um eine schmiegsamere Seelenkunde, die
vor der Dunkelkammer unseres Unterbewußtseins vor der Dunkelkammer unseres Unterbewußtseins
nicht haltmacht, aufs Kräftigste unterstützt und die nicht haltmacht, aufs Kräftigste unterstützt und die
rechte Wirkung der Leistung Freuds im Bewußt rechte Wirkung der Leistung Freuds im Bewußt
sein der Allgemeinheit vorbereitet. sein der Allgemeinheit vorbereitet.
Aber nicht nur das: auch die Aesthetik und Aber nicht nur das: auch die Aesthetik und
Technik der modernen Novelle ist von Arthur Technik der modernen Novelle ist von Arthur
Schnitzler befruchtet worden. Was man bei Schnitzler befruchtet worden. Was man bei
Marcel Proust und James Jovce als unerhörten Marcel Proust und James Jovce als unerhörten
Fortschritt gepriesen hat, findet sich auch — und Fortschritt gepriesen hat, findet sich auch — und
vielleicht schon bevor die beiden Genannten „ent¬ vielleicht schon bevor die beiden Genannten „ent¬
deckt“ wurden — bei Schnitzler aufs meisterlichste deckt“ wurden — bei Schnitzler aufs meisterlichste
verwirklicht: jene eigentümliche Form des Prosa¬ verwirklicht: jene eigentümliche Form des Prosa¬
kunstwerkes, die das äußere Geschehen in einem kunstwerkes, die das äußere Geschehen in einem
„inneren Monolog“ sich spiegeln läßt. Dadurch „inneren Monolog“ sich spiegeln läßt. Dadurch
werden der Epik, die nach einer Bemerkung werden der Epik, die nach einer Bemerkung
Orteaas sich stofflich erschöpft hat, neue Inhalte Orteaas sich stofflich erschöpft hat, neue Inhalte
zugeführt. Gerade um dieser Bereicherung willen, zugeführt. Gerade um dieser Bereicherung willen,
die scheinbar rein formaler Natur, in Wahrheit die scheinbar rein formaler Natur, in Wahrheit
aber aber
im Sinne der Psychoanalyse — substanz¬ im Sinne der Psychoanalyse — substanz¬
bildend ist, fühlt sich auch die junge Generation bildend ist, fühlt sich auch die junge Generation
Arthur Schnitzler aufs tiefste verpflichtet. Arthur Schnitzler aufs tiefste verpflichtet.
Schnitzler war ein Erzähler von Rana, doch Schnitzler war ein Erzähler von Rana, doch
nur scheinbar auch ein Dramatiker von Geblüt. nur scheinbar auch ein Dramatiker von Geblüt.
h Seine Arbeiten für die Bühne, die viel auf¬ h Seine Arbeiten für die Bühne, die viel auf¬
box 42/7 box 42/7
geführt worden sind, haben nicht den rechten geführt worden sind, haben nicht den rechten
dramatischen Puls. Psychologie im Drama kann dramatischen Puls. Psychologie im Drama kann
sich nämlich auch als verderblich erweisen: wenn sich nämlich auch als verderblich erweisen: wenn
sie es verhindert, daß die Gegensätze, jeder für sie es verhindert, daß die Gegensätze, jeder für
sich in voller Ausschließlichkeit, als solche in Er¬ sich in voller Ausschließlichkeit, als solche in Er¬
scheinung und Aktion treten. Ein Psychologe wie scheinung und Aktion treten. Ein Psychologe wie
Schnitzler — und darin liegen die Mängel be¬ Schnitzler — und darin liegen die Mängel be¬
gründet — sieht aber gerade das Gleitende und gründet — sieht aber gerade das Gleitende und
die Uebergänge; und so steht der Seelenkünstler die Uebergänge; und so steht der Seelenkünstler
dem dramatischen Dichter im Wege. Dennoch: dem dramatischen Dichter im Wege. Dennoch:
Schnitzlers dramatische Arbeiten behalten ihren Schnitzlers dramatische Arbeiten behalten ihren
Reiz, weil das Atmosphärische, das allen Arbeiten Reiz, weil das Atmosphärische, das allen Arbeiten
Schnitzlers in so hohem Maße zu eigen ist, eben Schnitzlers in so hohem Maße zu eigen ist, eben
auch zur Bühnenwirksamkeit gehört. auch zur Bühnenwirksamkeit gehört.
Aus der langen Liste der Werke Arthur Aus der langen Liste der Werke Arthur
Schnitzlers nur ein paar bezeichnende Namen. Schnitzlers nur ein paar bezeichnende Namen.
Der Weg der Arbeiten für die Bühne führt von Der Weg der Arbeiten für die Bühne führt von
„Anatol" und „Liebelei“ über „Reigen" und den „Anatol" und „Liebelei“ über „Reigen" und den
„Einsamen Weg" zu „Professor Bernhardi „Einsamen Weg" zu „Professor Bernhardi
(1913); der Weg der Novellistik von „Sterben (1913); der Weg der Novellistik von „Sterben
und „Leutnant Gustl“ über „Casanovas Heim¬ und „Leutnant Gustl“ über „Casanovas Heim¬
fahrt" zu „Fräulein Else" und der „Traum¬ fahrt" zu „Fräulein Else" und der „Traum¬
novelle". Dazwischen der einzige Roman: „Der novelle". Dazwischen der einzige Roman: „Der
Weg ins Freie“ (1908). — Das Leben des Dichters Weg ins Freie“ (1908). — Das Leben des Dichters
war wenig bewegt. Geboren am 15. Mai 1862 war wenig bewegt. Geboren am 15. Mai 1862
als Sohn eines Arztes, des Universitätsprofessors als Sohn eines Arztes, des Universitätsprofessors
Johann Schnitzler, studierte er Medizin, wurde Johann Schnitzler, studierte er Medizin, wurde
Assistent seines Vaters, trat dann in militärärzt¬ Assistent seines Vaters, trat dann in militärärzt¬
lichen Dienst, den er jedoch aufgeben mußte, als lichen Dienst, den er jedoch aufgeben mußte, als
er „Leutnant Gustl“ publiziert hatte — und damit er „Leutnant Gustl“ publiziert hatte — und damit
war er ganz Schriftsteller geworden, als der er war er ganz Schriftsteller geworden, als der er
Zeit seines Lebens der Wiener Heimat treu blieb. Zeit seines Lebens der Wiener Heimat treu blieb.
g. m. g. m.