VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 133

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Schnitzler s Death Schnitzler s Death
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OBS OBS
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1. österr. behördl. konzessioniertes 1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Leriiner Bersenzeitung, Berlin Leriiner Bersenzeitung, Berlin
vom: vom:
22. 0KT. 1937 22. 0KT. 1937
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Schnitzler Schnitzler

Wien, 21. Oktober. Wien, 21. Oktober.
in seinem tiefsinnigen „ParärerfuDas Leben — ein in seinem tiefsinnigen „ParärerfuDas Leben — ein
Traum", dies Grillparzer=Motiv hat Schnitzletn viel¬ Traum", dies Grillparzer=Motiv hat Schnitzletn viel¬
Arthur Schnitzler ist heute um Arthur Schnitzler ist heute um
fachen Wandlungen und Spiegelungen aufgenommen, fachen Wandlungen und Spiegelungen aufgenommen,
419 Uhr einem Schlaganfall 419 Uhr einem Schlaganfall
ebenso wie die Verschmelzung von Liebe und Tod aus ebenso wie die Verschmelzung von Liebe und Tod aus
erlegen. Schnitzler machte in der erlegen. Schnitzler machte in der
„Des Meeres und der Liebe Wellen“. Kunst und Natur „Des Meeres und der Liebe Wellen“. Kunst und Natur
Nachmittagsstunde einen Spaziergang. Nachmittagsstunde einen Spaziergang.
gehen ineinander über, und das Leben in der Phantasie gehen ineinander über, und das Leben in der Phantasie
Als er in seine Wohnung zurückkehrte, Als er in seine Wohnung zurückkehrte,
ist oft wirklicher als das reale Leben. Daher seine Ver¬ ist oft wirklicher als das reale Leben. Daher seine Ver¬
stürzte er, vom Schlag gerührt, be¬ stürzte er, vom Schlag gerührt, be¬
ehrung, ja Ueberschätzung des Künstlers, sein Aestheten¬ ehrung, ja Ueberschätzung des Künstlers, sein Aestheten¬
wußtlos zusammen. Er starb, ohne wußtlos zusammen. Er starb, ohne
tum, daher aber auch die Inbrunst, mit der das Formale tum, daher aber auch die Inbrunst, mit der das Formale
das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. das Bewußtsein wiedererlangt zu haben.
gegeben ist. In der Feinheit und Grazie seines Stils folgte gegeben ist. In der Feinheit und Grazie seines Stils folgte
Schnitzler ebenfalls den besten heimischen Mustern, und Schnitzler ebenfalls den besten heimischen Mustern, und
Schnitzler wäre im Mai nächsten Jahres Schnitzler wäre im Mai nächsten Jahres
manches aus seiner Prosa gemahnt an Stifters Erzähler¬ manches aus seiner Prosa gemahnt an Stifters Erzähler¬
70 Jahre alt geworden. Aus diesem 70 Jahre alt geworden. Aus diesem
kunst. kunst.
Anlaß waren in mehreren Wiener Anlaß waren in mehreren Wiener
Aus seinem Wienertum heraus wurde der Dichter zu Aus seinem Wienertum heraus wurde der Dichter zu
Theatern Festaufführungen seiner Theatern Festaufführungen seiner
dem bezeichnendsten Vertreter des Impressionismus. Da dem bezeichnendsten Vertreter des Impressionismus. Da
Stücke geplant. Stücke geplant.
er nur die Empfindung des Augenblicks anerkennt, sich er nur die Empfindung des Augenblicks anerkennt, sich
allein an den flüchtigen Abglanz des Lebens, an den allein an den flüchtigen Abglanz des Lebens, an den
Mummenschanz verhuschender Schatten klammert, so wußte Mummenschanz verhuschender Schatten klammert, so wußte
Arthur Schnitzler, der Dichter der müden, überreifen Arthur Schnitzler, der Dichter der müden, überreifen
er in das Momentane den stärksten Inhalt zu legen. Seine er in das Momentane den stärksten Inhalt zu legen. Seine
Jugend, der so früh die Tragik des Alterns, den „einsamen Jugend, der so früh die Tragik des Alterns, den „einsamen
beiden ersten bedeutenderen Arbeiten, der Einakterzyklus beiden ersten bedeutenderen Arbeiten, der Einakterzyklus
Weg“ ins Leere, ins Nichts geschildert, hat die Empfindun¬ Weg“ ins Leere, ins Nichts geschildert, hat die Empfindun¬
„Anatol“ und die Novelle „Sterben", drängen bereits in „Anatol“ und die Novelle „Sterben", drängen bereits in
gen und Erlebnisse des absinkenden Lebens vorweg ge¬ gen und Erlebnisse des absinkenden Lebens vorweg ge¬
einzelne Augenblicke ganze Welten des Erlebens. Das¬ einzelne Augenblicke ganze Welten des Erlebens. Das¬
nommen. Seine Werke bekamen immer mehr etwas Zeit¬ nommen. Seine Werke bekamen immer mehr etwas Zeit¬
impressionistische Drama hat kein höheres Kunstwerk auf¬ impressionistische Drama hat kein höheres Kunstwerk auf¬
loses, Unpersönliches. Schnitzler war schon historisch ge¬ loses, Unpersönliches. Schnitzler war schon historisch ge¬
zuweisen als Schnitzlers „Einsamen Weg", in dem man zuweisen als Schnitzlers „Einsamen Weg", in dem man
worden, und als den Vertreter einer abgeschlossenen Epoche, worden, und als den Vertreter einer abgeschlossenen Epoche,
auch wohl sein bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet auch wohl sein bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet
als den Meister eines vollendeten Stils dürfen wir ihn aus als den Meister eines vollendeten Stils dürfen wir ihn aus
Anlaß seines Todes würdigen. Anlaß seines Todes würdigen.
sich eine Kunst der Halbtöne, der feinen Valeurs; eine sich eine Kunst der Halbtöne, der feinen Valeurs; eine
silbergraue, von schweren Farben matt durchleuchtete Herbst¬ silbergraue, von schweren Farben matt durchleuchtete Herbst¬
Die Wiener Dichtung wird stets in der Literatur¬ Die Wiener Dichtung wird stets in der Literatur¬
geschichte der letzten Jahrzehnte eine bedeutende Stelle geschichte der letzten Jahrzehnte eine bedeutende Stelle
stimmung ist über das Ganze gebreitet, und die Tragik stimmung ist über das Ganze gebreitet, und die Tragik
einnehmen. Sie hat dem trüben und sachlichen nord einnehmen. Sie hat dem trüben und sachlichen nord
des Alters, die hier angeschlagen wird und bei Schnitzler des Alters, die hier angeschlagen wird und bei Schnitzler
deutschen Naturalismus erst Anmut verliehen, Weichheit, deutschen Naturalismus erst Anmut verliehen, Weichheit,
immer wiederkehrt, ist die eigentliche Tragik des impressio¬ immer wiederkehrt, ist die eigentliche Tragik des impressio¬
Feinheit, Musik. Und der bezeichnende Künstler dieser Feinheit, Musik. Und der bezeichnende Künstler dieser
nistischen Menschen, der stets die Stunden genossen hat nistischen Menschen, der stets die Stunden genossen hat
„Wiener Schule“ schlechthin war Schnitzler, nicht etwa „Wiener Schule“ schlechthin war Schnitzler, nicht etwa
und sich nun einsam sieht mit den Schewen seiner Er¬ und sich nun einsam sieht mit den Schewen seiner Er¬
Hofmannsthal, der viel internationaler war und mit seinem Hofmannsthal, der viel internationaler war und mit seinem
innerung. Die Wirrungen und Wandlungen der Seele, innerung. Die Wirrungen und Wandlungen der Seele,
fabelhaften Formtalent die verschiedenartigsten Stile neu fabelhaften Formtalent die verschiedenartigsten Stile neu
die „ein weites Land“ ist, beschäftigten Schnitzler haupt¬ die „ein weites Land“ ist, beschäftigten Schnitzler haupt¬
zu beleben wußte. In Schnitzler fand uralte Wiener zu beleben wußte. In Schnitzler fand uralte Wiener
sächlich, der als Arzt ein scharfer Beobachter war und sich sächlich, der als Arzt ein scharfer Beobachter war und sich
Tradition ihre letzte Verfeinerung, ihren vollen Ausklang Tradition ihre letzte Verfeinerung, ihren vollen Ausklang
mit Psychologie nicht nur als Künstler, sondern auch als mit Psychologie nicht nur als Künstler, sondern auch als
Viel mehr als das Vorbild der Franzosen, wie Donnay Viel mehr als das Vorbild der Franzosen, wie Donnay
Gelehrter beschäftigt hat. Schnitzler ist in seinen Dichtungen Gelehrter beschäftigt hat. Schnitzler ist in seinen Dichtungen
und Lavedan, oder Ibsens, sollte man diese heimischen und Lavedan, oder Ibsens, sollte man diese heimischen
von verhältnismäßig einfachen Gefühlen, auf denen sich von verhältnismäßig einfachen Gefühlen, auf denen sich
Einflüsse betonen. Sein Hauptmotiv, die schaurig-schöne Einflüsse betonen. Sein Hauptmotiv, die schaurig-schöne
sein bekanntestes Drama „Liebelei“ aufbaute, zu immer sein bekanntestes Drama „Liebelei“ aufbaute, zu immer
Verschwisterung von Liebesgenuß und Todesnähe, ist der Verschwisterung von Liebesgenuß und Todesnähe, ist der
komplizierteren seelischen Beziehungen und Rätseln fort¬ komplizierteren seelischen Beziehungen und Rätseln fort¬
eigentliche Stimmungsfaktor des Barock, das nicht nur in eigentliche Stimmungsfaktor des Barock, das nicht nur in
geschritten. Er drang tief in die Welt des Unbewußten, geschritten. Er drang tief in die Welt des Unbewußten,
der Kunst Fischer von Erlachs, sondern auch im österreichi¬ der Kunst Fischer von Erlachs, sondern auch im österreichi¬
der verdrängten Gefühle und gestaltete echt Freudsche der verdrängten Gefühle und gestaltete echt Freudsche
schen Jesuitendrama seine Höhe erreichte, und die stets schen Jesuitendrama seine Höhe erreichte, und die stets
Probleme, wie in der Novelle „Frau Beate und ihr Sohn", Probleme, wie in der Novelle „Frau Beate und ihr Sohn",
wiederkehrende Situation bei Schnitzler, der Rausch der wiederkehrende Situation bei Schnitzler, der Rausch der
Aber so wichtig diese tiefbohrende und zergliedernde Analyse Aber so wichtig diese tiefbohrende und zergliedernde Analyse
Liebe im Angesicht des Todes, ist nur ein müder Nachhall Liebe im Angesicht des Todes, ist nur ein müder Nachhall
für seine Kunst war, so darf man sein Werk doch nicht ein¬ für seine Kunst war, so darf man sein Werk doch nicht ein¬
jener starken Barock=Kontraste, die hier zu einer jener starken Barock=Kontraste, die hier zu einer
seitig an der Freudschen Methode messen, sondern seitig an der Freudschen Methode messen, sondern
schmerzlich stillen Harmonie verschmelzen. schmerzlich stillen Harmonie verschmelzen.
Aber Aber
betrachten, was er aus diesem reichen betrachten, was er aus diesem reichen
muß muß
nicht nicht
nur dies eine Motiv, nur dies eine Motiv,
sondern sondern
seine seine
psychologischen Material lebendig psychologischen Material lebendig
gestaltet gestaltet
hat. hat.
ganze ganze
Lebenshaltung war typisch österreichisch. Lebenshaltung war typisch österreichisch.
Man hat Schnitzler oft vorgeworfen, daß seine Welt Man hat Schnitzler oft vorgeworfen, daß seine Welt
Schnitzler war ein geradezu fanatischer Verfechter des Schnitzler war ein geradezu fanatischer Verfechter des
und seine Stoffe zu eng begrenzt seien. Tatsächlich sind es und seine Stoffe zu eng begrenzt seien. Tatsächlich sind es
Glaubens, daß der Mensch nichts tun kann gegen sein Glaubens, daß der Mensch nichts tun kann gegen sein
nur ganz wenige Motive, Figuren und Situationen, die nur ganz wenige Motive, Figuren und Situationen, die
Schicksal, daß er unfrei ist, eine Puppe in der Hand eines Schicksal, daß er unfrei ist, eine Puppe in der Hand eines
sich bei ihm in feinen Variationen stets wiederholen. Da sich bei ihm in feinen Variationen stets wiederholen. Da
unsichtbaren Drahtziehers. Es ist dies lustig=traurige unsichtbaren Drahtziehers. Es ist dies lustig=traurige
ist die Stellung des Mannes zwischen zwei Frauen, dem ist die Stellung des Mannes zwischen zwei Frauen, dem
Puppenspiel des Lebens, das die Wiener Volksstücke mit Puppenspiel des Lebens, das die Wiener Volksstücke mit
„süßen Madel“ und der verheirateten Dame, da ist das „süßen Madel“ und der verheirateten Dame, da ist das
unbewußter Ironie darstellten, das bei ihm aber mit einem unbewußter Ironie darstellten, das bei ihm aber mit einem
„dreieckige“ Verhältnis in der Ehe, da sind die beiden „dreieckige“ Verhältnis in der Ehe, da sind die beiden
skeptischen Künstlertum geschildert wird. Das Schicksal skeptischen Künstlertum geschildert wird. Das Schicksal
Freunde, die beiden Gegner, da ist der Liebe kurze Selig¬ Freunde, die beiden Gegner, da ist der Liebe kurze Selig¬
spielt mit uns, wir spielen unser Leben: „Es fließen in¬ spielt mit uns, wir spielen unser Leben: „Es fließen in¬
keit und lange Oaul, ist die Hoffnung auf das Kind und keit und lange Oaul, ist die Hoffnung auf das Kind und
einander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicher¬ einander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicher¬
das Grauen vor dem Alter, ist Duell und Tod. Schnitzler das Grauen vor dem Alter, ist Duell und Tod. Schnitzler
heit ist nirgends. Wir wissen nichts von anderen, nichts heit ist nirgends. Wir wissen nichts von anderen, nichts
schlug diese Leitmotive schon in seinen ersten Dichtungen schlug diese Leitmotive schon in seinen ersten Dichtungen
von ur3, wir spielen alle, wer es weiß, ist klug, heißt es von ur3, wir spielen alle, wer es weiß, ist klug, heißt es
an, hat sie in „Anatol" und „Liebelei" reich und dichterisch an, hat sie in „Anatol" und „Liebelei" reich und dichterisch
entwickelt. In „Reigen" hat der erotische Pessimism entwickelt. In „Reigen" hat der erotische Pessimism
jungen Dichters seinen stärksten Ausdruck gefunden, jungen Dichters seinen stärksten Ausdruck gefunden,
ein melancholischer „Totentanz der Liebe". Die Te ein melancholischer „Totentanz der Liebe". Die Te
dramen, die nun folgten, widmete, sich der Gesellf dramen, die nun folgten, widmete, sich der Gesellf
kritik und fanden ihre höher stehende Fortsetzy kritik und fanden ihre höher stehende Fortsetzy
Werken wie „Zwischenspiel" und „Das weite Land“, Werken wie „Zwischenspiel" und „Das weite Land“,
modernen Gesellschaft wirklich einen Sittenspiege modernen Gesellschaft wirklich einen Sittenspiege
halten. Hier erlag der Dichter, dessen passive Sker halten. Hier erlag der Dichter, dessen passive Sker
dramatischen Spannkraft entbehrte, bisweilen dem E dramatischen Spannkraft entbehrte, bisweilen dem E
nach rein theatralischer Wirkung, die ihm am be nach rein theatralischer Wirkung, die ihm am be
„Grünen Kakadu" gelungen ist. Auch seines „Grünen Kakadu" gelungen ist. Auch seines
Berufsstücke, das Aerztedrama „Professor Bernhard Berufsstücke, das Aerztedrama „Professor Bernhard
die mißlungene Journalistenkomödie „Fink und die mißlungene Journalistenkomödie „Fink und
busch", sind reine Theaterstücke. Größere Aufgaben busch", sind reine Theaterstücke. Größere Aufgaben
er sich in den Werken „Der Schleier der Beatrice er sich in den Werken „Der Schleier der Beatrice
„Der junge Medardus", die zur „großen Tragödie „Der junge Medardus", die zur „großen Tragödie
streben. Aber weder die Historie noch die dran streben. Aber weder die Historie noch die dran
Architektonik waren seine starke Seite. So wun Architektonik waren seine starke Seite. So wun