VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 141

12. 12.
Schnitzler s Death Schnitzler s Death
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I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Münchener Zeitung Münchener Zeitung
Wite denchen die als Allchseial Wite denchen die als Allchseial
Irthur Schnitzler gestorben. Irthur Schnitzler gestorben.
tu. Wien, 22. Okt. Der bedeutende österreichische tu. Wien, 22. Okt. Der bedeutende österreichische
Dramatiker Dr. Arthur Schnitzler ist gestern Dramatiker Dr. Arthur Schnitzler ist gestern
abend im 69. Lebensjahr gestorben. Am Vor¬ abend im 69. Lebensjahr gestorben. Am Vor¬
mittag erlitt er auf einem Spaziergang eine Gehirn¬ mittag erlitt er auf einem Spaziergang eine Gehirn¬
blutung und verschied nach mehrstündiger Bewuht¬ blutung und verschied nach mehrstündiger Bewuht¬
losiakeit. losiakeit.
Arthur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862 in Arthur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862 in
Wien als Sohn des Professors Johann Schnitzler, Wien als Sohn des Professors Johann Schnitzler,
eines Laryngologen von Bedeutung geboren. Er eines Laryngologen von Bedeutung geboren. Er
studierte gleichfalls Medizin in Wien, promovierte studierte gleichfalls Medizin in Wien, promovierte
1885 und war, nachdem er (1886--1889) an verschie¬ 1885 und war, nachdem er (1886--1889) an verschie¬
denen Kliniken praktiziert und auch eine Reise zum denen Kliniken praktiziert und auch eine Reise zum
Studium der hygienischen Einrichtungen nach Lon¬ Studium der hygienischen Einrichtungen nach Lon¬
don und Paris unternommen hatte, bis 1893 Assi¬ don und Paris unternommen hatte, bis 1893 Assi¬
stent seines Vaters an der Wiener Allgemeinen stent seines Vaters an der Wiener Allgemeinen
Poliklinik. Den militärärztlichen Dienst, in den Poliklinik. Den militärärztlichen Dienst, in den
Schnitzler später eintrat, mußte er nach der Publi¬ Schnitzler später eintrat, mußte er nach der Publi¬
kation seines „Leutnants Gustl“ aufgeben, und bald kation seines „Leutnants Gustl“ aufgeben, und bald
widmete er sich ausschließlich der Literatur. widmete er sich ausschließlich der Literatur.
Die Atmosphäre der Geistigkeit, die in Schnitz¬ Die Atmosphäre der Geistigkeit, die in Schnitz¬
lers Vaterhaus herrschte, die enge Berührung mit lers Vaterhaus herrschte, die enge Berührung mit
der sogenannnten guten Gesellschaft der 80er und der sogenannnten guten Gesellschaft der 80er und
60er Jahre, einer eigenartigen spezifisch österreichi¬ 60er Jahre, einer eigenartigen spezifisch österreichi¬
schen Mischung von heterogenen Elementen, von schen Mischung von heterogenen Elementen, von
Gelehrten, Großkaufleuten, Advokaten, Künstlern, Gelehrten, Großkaufleuten, Advokaten, Künstlern,
Bankiers u. a., der enge Kontakt mit den Größen Bankiers u. a., der enge Kontakt mit den Größen
der „ersten deutschen Bühne“, des Burgtheaters, die der „ersten deutschen Bühne“, des Burgtheaters, die
in seines Vaters Haus aus und ein gingen, be¬ in seines Vaters Haus aus und ein gingen, be¬
einflußten Schnitzlers Entwicklung; dieses Jugend¬ einflußten Schnitzlers Entwicklung; dieses Jugend¬
milien drückt seinem späteren Schaffen nicht weniger milien drückt seinem späteren Schaffen nicht weniger
den Stempel auf, wie sein ärztlicher Beruf. den Stempel auf, wie sein ärztlicher Beruf.
Von kleineren, längst vergessenen Frühproduk¬ Von kleineren, längst vergessenen Frühproduk¬
ten, die in der „Deutschen Wochenschrift“ (1886) und ten, die in der „Deutschen Wochenschrift“ (1886) und
in der lange nicht mehr bestehenden Zeitschrift „An in der lange nicht mehr bestehenden Zeitschrift „An
der schönen blauen Donau“ (1889) erschienen sind, der schönen blauen Donau“ (1889) erschienen sind,
ist sein erstes, aufsehenerregendes und in der da¬ ist sein erstes, aufsehenerregendes und in der da¬
maligen Zeit als kühn empfundenes Werk: „Ana¬ maligen Zeit als kühn empfundenes Werk: „Ana¬
tol“, eine Reihe von dramnatischen Dialogen, die tol“, eine Reihe von dramnatischen Dialogen, die
mit ihren scharf beobachteten Menschen und deren mit ihren scharf beobachteten Menschen und deren
graziöser Sprache in einer fast spielerischen Art graziöser Sprache in einer fast spielerischen Art
schon die Eigenart von Schnitzlers Talent zeigen. schon die Eigenart von Schnitzlers Talent zeigen.
Sein nächstes und zugleich das erste aufgeführt¬ Sein nächstes und zugleich das erste aufgeführt¬
Werk war „Das Märchen“ (1893). In der gleich Werk war „Das Märchen“ (1893). In der gleich
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den vorgenannten Schöpfungen dem Wiener Milieu den vorgenannten Schöpfungen dem Wiener Milieu
entnommenen „Liebelei“, Schnitzlers seinerzeit entnommenen „Liebelei“, Schnitzlers seinerzeit
meistgespieltem Schauspiel, klingt das Anatolmotiv meistgespieltem Schauspiel, klingt das Anatolmotiv
wieder. Dessen Uraufführung (1895) am Burg¬ wieder. Dessen Uraufführung (1895) am Burg¬
theater war Schnitzlers erster großer Bühnen¬ theater war Schnitzlers erster großer Bühnen¬
erfolg. In Wien spielt auch das nächste Stück: erfolg. In Wien spielt auch das nächste Stück:
„Freiwild“ (1896). In diese Jahre fällt die Ent¬ „Freiwild“ (1896). In diese Jahre fällt die Ent¬
stehung des „Reigen“, zehn Szenen mit dem stehung des „Reigen“, zehn Szenen mit dem
gleichen erotischen Grundmotiv, die aber erst viel gleichen erotischen Grundmotiv, die aber erst viel
später gedruckt und 1920, durchaus nicht dem Willen später gedruckt und 1920, durchaus nicht dem Willen
des Dichters entsprechend, unter dem Widerspruch des Dichters entsprechend, unter dem Widerspruch
rechtsstehender Kreise ausgeführt wurden. Schnitz¬ rechtsstehender Kreise ausgeführt wurden. Schnitz¬
lers Werke reihen sich nun in rascher Folge. Es lers Werke reihen sich nun in rascher Folge. Es
erschienen: „Das Vermächtnis“ (1897), die erschienen: „Das Vermächtnis“ (1897), die
drei Einakter: „Parcelsus", „Die Gefähr- drei Einakter: „Parcelsus", „Die Gefähr-
tin", „Der grüne Kakadu“ (1898), sein tin", „Der grüne Kakadu“ (1898), sein
Drama: „Der Schleier der Beatrice“ (1899), Drama: „Der Schleier der Beatrice“ (1899),
dann der Einakterzyklus: „Lebendige Stun¬ dann der Einakterzyklus: „Lebendige Stun¬
den", woraus besonders „Literatur“ hervor¬ den", woraus besonders „Literatur“ hervor¬
ragt (1901), das Drama „Der einsame Weg' ragt (1901), das Drama „Der einsame Weg'
(1903), die Komödie „Zwischenspiel“ (1904); (1903), die Komödie „Zwischenspiel“ (1904);
ferner im gleichen Jahre eine neue Einakterreihe: ferner im gleichen Jahre eine neue Einakterreihe:
„Marionetten". „Der junge Medar¬ „Marionetten". „Der junge Medar¬
dus", dessen Titelrolle, dem großen Joseph Kainz dus", dessen Titelrolle, dem großen Joseph Kainz
zugedacht, dem Künstler nicht mehr zu spielen ver¬ zugedacht, dem Künstler nicht mehr zu spielen ver¬
gönnt war, ist ein Drama aus den Tagen der Be¬ gönnt war, ist ein Drama aus den Tagen der Be¬
setzung Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909). setzung Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909).
Diesem Werke folgte „Das weite Land" (1910), Diesem Werke folgte „Das weite Land" (1910),
eine Tragikomödie des Alterns und 1912 „Pro¬ eine Tragikomödie des Alterns und 1912 „Pro¬
fessor Berhardi“, ein Schauspiel aus dem fessor Berhardi“, ein Schauspiel aus dem
ärztlichen Beruf, bei seiner Aufführung von poli¬ ärztlichen Beruf, bei seiner Aufführung von poli¬
tischen Gruppen vielumstritten. Im Jahre 1915 tischen Gruppen vielumstritten. Im Jahre 1915
erschienen drei Einakter unter dem Titel „Komödie erschienen drei Einakter unter dem Titel „Komödie
der Worte“, 1917 das schwache „Fink und Flie¬ der Worte“, 1917 das schwache „Fink und Flie¬
derbusch", 1919 „Die Schwestern oder Ca¬ derbusch", 1919 „Die Schwestern oder Ca¬
anova in Spa", 1924 „Komödie der Ver¬ anova in Spa", 1924 „Komödie der Ver¬
führung“ und 1925 die dramatische Dichtung: führung“ und 1925 die dramatische Dichtung:
„Der Gang zum Weiher“ „Der Gang zum Weiher“
Schnitzlers Eigenart offenbart sich nicht weniger Schnitzlers Eigenart offenbart sich nicht weniger
in seinen erzählende Werken; 1892 erschien „Ster¬ in seinen erzählende Werken; 1892 erschien „Ster¬
ben“, das die letzten Tage eines Schwindsüchtigen ben“, das die letzten Tage eines Schwindsüchtigen
mit scharfem, aber auch peinlichem Realismus schil¬ mit scharfem, aber auch peinlichem Realismus schil¬
dert, 1894 „Die Blumen“, 1895 „Ein Ab¬ dert, 1894 „Die Blumen“, 1895 „Ein Ab¬
chied“, 1896 „Die Frau des Weisen“, 1897 chied“, 1896 „Die Frau des Weisen“, 1897
„Der Ehrentag“ und „Die Toten schwei¬ „Der Ehrentag“ und „Die Toten schwei¬
gen“, 1900 „Andreas Thalmayer", „Der gen“, 1900 „Andreas Thalmayer", „Der
blinde Geronimo" wie auch die Novelle blinde Geronimo" wie auch die Novelle
„Leutnant Gustl“; ferner im gleichen Jahre: „Leutnant Gustl“; ferner im gleichen Jahre:
„Frau Berta Garlan“ und viele andere. „Frau Berta Garlan“ und viele andere.
Es ist ein charakteristisches Merkmal der so Es ist ein charakteristisches Merkmal der so
zahlreichen Werke Schnitzlers, die dem Wiener zahlreichen Werke Schnitzlers, die dem Wiener
Milieu entstammen und auch solcher, die erst in Milieu entstammen und auch solcher, die erst in
den allerletzten Jahren erschienen sind, daß sie den allerletzten Jahren erschienen sind, daß sie
zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jüngeren zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jüngeren
Jahren geben. Einer viel sorgloseren und unbeküm¬ Jahren geben. Einer viel sorgloseren und unbeküm¬
merteren Welt, als es die heutige ist, eines satten merteren Welt, als es die heutige ist, eines satten
und dabei schöngeistigen Bürgertums, an das und dabei schöngeistigen Bürgertums, an das
soziale Probleme selten herantreten. Selten hallen soziale Probleme selten herantreten. Selten hallen
seine Werke in einem schrillen Ton aus, sie verklin¬ seine Werke in einem schrillen Ton aus, sie verklin¬
gen und verdämmern. Seine weiche und dabei oft gen und verdämmern. Seine weiche und dabei oft
spielerische Behandlung der Probleme läßt Schnitz¬ spielerische Behandlung der Probleme läßt Schnitz¬
ler als den ausgesprochenen österreichischen Dichter ler als den ausgesprochenen österreichischen Dichter
erscheinen, den Dichter eines vergangenen Wien, erscheinen, den Dichter eines vergangenen Wien,
dessen Landschaft und Umgebung in seinen Werken¬ dessen Landschaft und Umgebung in seinen Werken¬
lebendig wird. lebendig wird.