12. 12.
Schnitzler's Death Schnitzler's Death
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ABLANNACEI ABLANNACEI
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Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
(.) Wien, 21. Okt. (.) Wien, 21. Okt.
(Europapreß.) Heute Nachmittag (Europapreß.) Heute Nachmittag
ist der weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus be¬ ist der weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus be¬
kannte Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler im kannte Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler im
69. Lebensjahr nach kurzem Leiden gestorben. 69. Lebensjahr nach kurzem Leiden gestorben.
k. Mit Arthur Schnitzler ist einer der führenden k. Mit Arthur Schnitzler ist einer der führenden
Köpfe jener „Wiener Schule“ dahingegangen, die für Köpfe jener „Wiener Schule“ dahingegangen, die für
eine Zeit der deutschen Dichtung neue Wege gewiesen eine Zeit der deutschen Dichtung neue Wege gewiesen
und gegen den damals herrschenden krassen Naturalismus und gegen den damals herrschenden krassen Naturalismus
Berlins dem Geiste, der Schönheit und dem Gefühl wie¬ Berlins dem Geiste, der Schönheit und dem Gefühl wie¬
der ihr Recht errungen hat. Man darf allerdings ge¬ der ihr Recht errungen hat. Man darf allerdings ge¬
rade bei Schnitzler nicht an einen großen Kämpfer den¬ rade bei Schnitzler nicht an einen großen Kämpfer den¬
ken, seine Wirkung ging in der Stille, und eine unver¬ ken, seine Wirkung ging in der Stille, und eine unver¬
kennbare Wehmut, ein Pessimismus in der der Welt¬ kennbare Wehmut, ein Pessimismus in der der Welt¬
schau, der in seinem Lebenswerk immer wiederkehrt, läßt schau, der in seinem Lebenswerk immer wiederkehrt, läßt
erkennen, daß er sich gegenüber der drängenden Ent¬ erkennen, daß er sich gegenüber der drängenden Ent¬
wicklung der Zeit schon irgendwie auf verlorenem Posten wicklung der Zeit schon irgendwie auf verlorenem Posten
fühlte. Der Dichter, der am 15. Mai 1862 als Sohn fühlte. Der Dichter, der am 15. Mai 1862 als Sohn
eines bekannten Wiener Professors der Medizin geboren eines bekannten Wiener Professors der Medizin geboren
purde, war selber Arzt. Dieser Beruf, der zur feinsten purde, war selber Arzt. Dieser Beruf, der zur feinsten
Beobachtung und Analyse zwingt, hat auf sein Schaffen Beobachtung und Analyse zwingt, hat auf sein Schaffen
sicherlich einen nicht unbedeutenden Einfluß ausgeubt. sicherlich einen nicht unbedeutenden Einfluß ausgeubt.
Schnitzlec ist ein Meister in der Aufdeckung all der feinen Schnitzlec ist ein Meister in der Aufdeckung all der feinen
Fäden, die unser Fühlen, Denken, unsere ganze Lebens¬ Fäden, die unser Fühlen, Denken, unsere ganze Lebens¬
gestaltung lenken. Wie ihm selber die Wesensunter¬ gestaltung lenken. Wie ihm selber die Wesensunter¬
gründe in Leben und Geschehen sich auftun, so sind sich gründe in Leben und Geschehen sich auftun, so sind sich
seine Gestalten ihrer seelischen Bedingtheit manchmal seine Gestalten ihrer seelischen Bedingtheit manchmal
nur allzu sehr bewußt. So erscheinen sie vielfach voller nur allzu sehr bewußt. So erscheinen sie vielfach voller
Hemmung und Selbstironie. Eine angeborene Musikali¬ Hemmung und Selbstironie. Eine angeborene Musikali¬
tat gibt seiner Sprache jene zarten Klänge, jene Gefühls¬ tat gibt seiner Sprache jene zarten Klänge, jene Gefühls¬
intensität, die man als spezifisch wienerisch empfunden intensität, die man als spezifisch wienerisch empfunden
hat. Seine Gestaltung ist die Kunst der Nuance, darum hat. Seine Gestaltung ist die Kunst der Nuance, darum
werden in seinem Lebenswerk nicht das große Drama werden in seinem Lebenswerk nicht das große Drama
oder der Roman bleibende Bedeutung behalten, sondern oder der Roman bleibende Bedeutung behalten, sondern
seine Einakter und seine Novellen, von „Anatole“ und seine Einakter und seine Novellen, von „Anatole“ und
„Liebelei“ bis zu dem viel angefochtenen „Reigen", von „Liebelei“ bis zu dem viel angefochtenen „Reigen", von
der Erzählung „Sterben“ und dem „Lieutenant Gustl' der Erzählung „Sterben“ und dem „Lieutenant Gustl'
bis zum „Spiel im Morgengrauen“ und den neuesten bis zum „Spiel im Morgengrauen“ und den neuesten
Novellen. In diesen Kunstwerken, in denen sich durch Novellen. In diesen Kunstwerken, in denen sich durch
eine Stimmung, ein an sich unbedeutendes Geschehen ein eine Stimmung, ein an sich unbedeutendes Geschehen ein
ganzes Schicksal enthüllt, ohne daß es der Dichter ver¬ ganzes Schicksal enthüllt, ohne daß es der Dichter ver¬
sucht, über die Andeutung und die momentanen Kon¬ sucht, über die Andeutung und die momentanen Kon¬
traste hinaus zur umfassenden Meisterung des Stoffes traste hinaus zur umfassenden Meisterung des Stoffes
zu gelangen, stellt sich die Eigenart Arthur Schnitzlers zu gelangen, stellt sich die Eigenart Arthur Schnitzlers
am reinsten dar. Ein Hauch des leicht ebigen und darum am reinsten dar. Ein Hauch des leicht ebigen und darum
gerade zu einer gewissen Schwermut neigenden Wiener¬ gerade zu einer gewissen Schwermut neigenden Wiener¬
tums der Vorkriegszeit erfüllt sein Werk wie Musik: so tums der Vorkriegszeit erfüllt sein Werk wie Musik: so
war es Vergangenheit mit dem Zusammenbruch Alt¬ war es Vergangenheit mit dem Zusammenbruch Alt¬
Oesterreichs, und der Tod hat nur das letzte menschliche Oesterreichs, und der Tod hat nur das letzte menschliche
Fazit gezogen. Für den Außenstehenden ist dieser Tod Fazit gezogen. Für den Außenstehenden ist dieser Tod
wohl unerwartet gekommen; man wußte indessen, daß wohl unerwartet gekommen; man wußte indessen, daß
des Dichters Lebenskräfte schon vor einigen Jahren durch des Dichters Lebenskräfte schon vor einigen Jahren durch
den unter tragischen Umständen erfolgten Tod einer den unter tragischen Umständen erfolgten Tod einer
Tochter gebrochen waren. So weit eine knappe Charak¬ Tochter gebrochen waren. So weit eine knappe Charak¬
terisierung des meisterlichen Stilisten, wie sie sich uns terisierung des meisterlichen Stilisten, wie sie sich uns
unter dem Eindruck der Trauerbotschaft geboten hat; wir unter dem Eindruck der Trauerbotschaft geboten hat; wir
werden an anderer Stelle auf Werk und Leben des Ver¬ werden an anderer Stelle auf Werk und Leben des Ver¬
storbenen noch zurückkommen. storbenen noch zurückkommen.
vom: vom:
Schnitzler's Death Schnitzler's Death
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Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
(.) Wien, 21. Okt. (.) Wien, 21. Okt.
(Europapreß.) Heute Nachmittag (Europapreß.) Heute Nachmittag
ist der weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus be¬ ist der weit über die Grenzen Oesterreichs hinaus be¬
kannte Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler im kannte Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler im
69. Lebensjahr nach kurzem Leiden gestorben. 69. Lebensjahr nach kurzem Leiden gestorben.
k. Mit Arthur Schnitzler ist einer der führenden k. Mit Arthur Schnitzler ist einer der führenden
Köpfe jener „Wiener Schule“ dahingegangen, die für Köpfe jener „Wiener Schule“ dahingegangen, die für
eine Zeit der deutschen Dichtung neue Wege gewiesen eine Zeit der deutschen Dichtung neue Wege gewiesen
und gegen den damals herrschenden krassen Naturalismus und gegen den damals herrschenden krassen Naturalismus
Berlins dem Geiste, der Schönheit und dem Gefühl wie¬ Berlins dem Geiste, der Schönheit und dem Gefühl wie¬
der ihr Recht errungen hat. Man darf allerdings ge¬ der ihr Recht errungen hat. Man darf allerdings ge¬
rade bei Schnitzler nicht an einen großen Kämpfer den¬ rade bei Schnitzler nicht an einen großen Kämpfer den¬
ken, seine Wirkung ging in der Stille, und eine unver¬ ken, seine Wirkung ging in der Stille, und eine unver¬
kennbare Wehmut, ein Pessimismus in der der Welt¬ kennbare Wehmut, ein Pessimismus in der der Welt¬
schau, der in seinem Lebenswerk immer wiederkehrt, läßt schau, der in seinem Lebenswerk immer wiederkehrt, läßt
erkennen, daß er sich gegenüber der drängenden Ent¬ erkennen, daß er sich gegenüber der drängenden Ent¬
wicklung der Zeit schon irgendwie auf verlorenem Posten wicklung der Zeit schon irgendwie auf verlorenem Posten
fühlte. Der Dichter, der am 15. Mai 1862 als Sohn fühlte. Der Dichter, der am 15. Mai 1862 als Sohn
eines bekannten Wiener Professors der Medizin geboren eines bekannten Wiener Professors der Medizin geboren
purde, war selber Arzt. Dieser Beruf, der zur feinsten purde, war selber Arzt. Dieser Beruf, der zur feinsten
Beobachtung und Analyse zwingt, hat auf sein Schaffen Beobachtung und Analyse zwingt, hat auf sein Schaffen
sicherlich einen nicht unbedeutenden Einfluß ausgeubt. sicherlich einen nicht unbedeutenden Einfluß ausgeubt.
Schnitzlec ist ein Meister in der Aufdeckung all der feinen Schnitzlec ist ein Meister in der Aufdeckung all der feinen
Fäden, die unser Fühlen, Denken, unsere ganze Lebens¬ Fäden, die unser Fühlen, Denken, unsere ganze Lebens¬
gestaltung lenken. Wie ihm selber die Wesensunter¬ gestaltung lenken. Wie ihm selber die Wesensunter¬
gründe in Leben und Geschehen sich auftun, so sind sich gründe in Leben und Geschehen sich auftun, so sind sich
seine Gestalten ihrer seelischen Bedingtheit manchmal seine Gestalten ihrer seelischen Bedingtheit manchmal
nur allzu sehr bewußt. So erscheinen sie vielfach voller nur allzu sehr bewußt. So erscheinen sie vielfach voller
Hemmung und Selbstironie. Eine angeborene Musikali¬ Hemmung und Selbstironie. Eine angeborene Musikali¬
tat gibt seiner Sprache jene zarten Klänge, jene Gefühls¬ tat gibt seiner Sprache jene zarten Klänge, jene Gefühls¬
intensität, die man als spezifisch wienerisch empfunden intensität, die man als spezifisch wienerisch empfunden
hat. Seine Gestaltung ist die Kunst der Nuance, darum hat. Seine Gestaltung ist die Kunst der Nuance, darum
werden in seinem Lebenswerk nicht das große Drama werden in seinem Lebenswerk nicht das große Drama
oder der Roman bleibende Bedeutung behalten, sondern oder der Roman bleibende Bedeutung behalten, sondern
seine Einakter und seine Novellen, von „Anatole“ und seine Einakter und seine Novellen, von „Anatole“ und
„Liebelei“ bis zu dem viel angefochtenen „Reigen", von „Liebelei“ bis zu dem viel angefochtenen „Reigen", von
der Erzählung „Sterben“ und dem „Lieutenant Gustl' der Erzählung „Sterben“ und dem „Lieutenant Gustl'
bis zum „Spiel im Morgengrauen“ und den neuesten bis zum „Spiel im Morgengrauen“ und den neuesten
Novellen. In diesen Kunstwerken, in denen sich durch Novellen. In diesen Kunstwerken, in denen sich durch
eine Stimmung, ein an sich unbedeutendes Geschehen ein eine Stimmung, ein an sich unbedeutendes Geschehen ein
ganzes Schicksal enthüllt, ohne daß es der Dichter ver¬ ganzes Schicksal enthüllt, ohne daß es der Dichter ver¬
sucht, über die Andeutung und die momentanen Kon¬ sucht, über die Andeutung und die momentanen Kon¬
traste hinaus zur umfassenden Meisterung des Stoffes traste hinaus zur umfassenden Meisterung des Stoffes
zu gelangen, stellt sich die Eigenart Arthur Schnitzlers zu gelangen, stellt sich die Eigenart Arthur Schnitzlers
am reinsten dar. Ein Hauch des leicht ebigen und darum am reinsten dar. Ein Hauch des leicht ebigen und darum
gerade zu einer gewissen Schwermut neigenden Wiener¬ gerade zu einer gewissen Schwermut neigenden Wiener¬
tums der Vorkriegszeit erfüllt sein Werk wie Musik: so tums der Vorkriegszeit erfüllt sein Werk wie Musik: so
war es Vergangenheit mit dem Zusammenbruch Alt¬ war es Vergangenheit mit dem Zusammenbruch Alt¬
Oesterreichs, und der Tod hat nur das letzte menschliche Oesterreichs, und der Tod hat nur das letzte menschliche
Fazit gezogen. Für den Außenstehenden ist dieser Tod Fazit gezogen. Für den Außenstehenden ist dieser Tod
wohl unerwartet gekommen; man wußte indessen, daß wohl unerwartet gekommen; man wußte indessen, daß
des Dichters Lebenskräfte schon vor einigen Jahren durch des Dichters Lebenskräfte schon vor einigen Jahren durch
den unter tragischen Umständen erfolgten Tod einer den unter tragischen Umständen erfolgten Tod einer
Tochter gebrochen waren. So weit eine knappe Charak¬ Tochter gebrochen waren. So weit eine knappe Charak¬
terisierung des meisterlichen Stilisten, wie sie sich uns terisierung des meisterlichen Stilisten, wie sie sich uns
unter dem Eindruck der Trauerbotschaft geboten hat; wir unter dem Eindruck der Trauerbotschaft geboten hat; wir
werden an anderer Stelle auf Werk und Leben des Ver¬ werden an anderer Stelle auf Werk und Leben des Ver¬
storbenen noch zurückkommen. storbenen noch zurückkommen.
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