VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 185

12. 12.
Schnitz Schnitz
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ERVER ERVER
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I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Salzburger Velkublatt. Salzburger Velkublatt.
vom: vom:
2 3. OK 2 3. OK
Theater, Kunft und Musii. Theater, Kunft und Musii.
Zum Tode Artur Schnitzlers. Zum Tode Artur Schnitzlers.
Mit Schnißler scheidet eine der bedeutendsten Dichter¬ Mit Schnißler scheidet eine der bedeutendsten Dichter¬
figuren Österreichs aus dem Leben. Schnitzler lebte die letzte figuren Österreichs aus dem Leben. Schnitzler lebte die letzte
Zeit sehr zurückgezogen. Seine zweite Frau hatte ihn ver¬ Zeit sehr zurückgezogen. Seine zweite Frau hatte ihn ver¬
lassen, sein Sohn, der Schauspieler und Regisseur in Deutsch¬ lassen, sein Sohn, der Schauspieler und Regisseur in Deutsch¬
land ist, war die meiste Zeit vom Vaterhause abwesend. Tiefen land ist, war die meiste Zeit vom Vaterhause abwesend. Tiefen
Schmerz hat Schnitzler das Schicksal seiner einzigen Tochter Schmerz hat Schnitzler das Schicksal seiner einzigen Tochter
bereitet. Sie hatte sich gegen den Willen des Vaters mit bereitet. Sie hatte sich gegen den Willen des Vaters mit
einem italienischen Offizier verheiratet. Schnitzler fügte sich einem italienischen Offizier verheiratet. Schnitzler fügte sich
schließlich dem Lebenswunsch des Kindes und besuchte das schließlich dem Lebenswunsch des Kindes und besuchte das
jungverheiratete Ehepaar, das anscheinend restlos glücklich jungverheiratete Ehepaar, das anscheinend restlos glücklich
war, in Venedig. Eines Tages aber erhielt er nach war, in Venedig. Eines Tages aber erhielt er nach
Wien die furchtbare Nachricht, daß die junge Frau sich er¬ Wien die furchtbare Nachricht, daß die junge Frau sich er¬
schossen habe. Es rollte sich eine Tragödie der Liebe auf, und schossen habe. Es rollte sich eine Tragödie der Liebe auf, und
Schnitzler hat den Schmerz darüber niemals verwunden. Schnitzler hat den Schmerz darüber niemals verwunden.
Schnitzler hat die letzte Zeit an einem Drama gearbeitet, Schnitzler hat die letzte Zeit an einem Drama gearbeitet,
das ziemlich weit vorgeschritten ist. Es sollte nach seinem das ziemlich weit vorgeschritten ist. Es sollte nach seinem
Plane den Titel „Der Schatten“ führen. Noch bei Plane den Titel „Der Schatten“ führen. Noch bei
seinen Lebzeiten hat der Dichter den Dramaturgen seinen Lebzeiten hat der Dichter den Dramaturgen
der Neinhardt=Bühnen in Berlin Dr. Franz Horch, mit dem der Neinhardt=Bühnen in Berlin Dr. Franz Horch, mit dem
er sehr befreundet war, zum Verwalter seines literarischen er sehr befreundet war, zum Verwalter seines literarischen
Nachlasses bestimmt. In diesen Nachlaß soll sich u. a. eine Nachlasses bestimmt. In diesen Nachlaß soll sich u. a. eine
große autobiographische Arbeit befinden, an der Schnitzler große autobiographische Arbeit befinden, an der Schnitzler
viele Jahre gearbeitet hat. viele Jahre gearbeitet hat.
Die Beerdigung des Dichters wird in der einfachsten Form Die Beerdigung des Dichters wird in der einfachsten Form
erfolgen. Schnitzler hat ein Testament hinterlassen, in dem er erfolgen. Schnitzler hat ein Testament hinterlassen, in dem er
folgende Verfügungen getroffen hat: „Herzstich, keine Kränze, folgende Verfügungen getroffen hat: „Herzstich, keine Kränze,
keine Parte, auch in der Zeitung nicht, Begräbnis letzter keine Parte, auch in der Zeitung nicht, Begräbnis letzter
Klasse. Das durch Befolgung dieser Bestimmungen erübrigte Klasse. Das durch Befolgung dieser Bestimmungen erübrigte
Geld ist Spitalszwecken zuzuwenden. Keine Reden, Vermei¬ Geld ist Spitalszwecken zuzuwenden. Keine Reden, Vermei¬
dung allen rituellen Beiwerkes, keine Trauer tragen nach dung allen rituellen Beiwerkes, keine Trauer tragen nach
meinem Tode, absolut keine! meinem Tode, absolut keine!
Berlin, 22. Oktober. Die gesamte reichsdeutsche Öffentlich¬ Berlin, 22. Oktober. Die gesamte reichsdeutsche Öffentlich¬
keit nimmt an dem Ableben Artur Schnitzlers wärmsten An¬ keit nimmt an dem Ableben Artur Schnitzlers wärmsten An¬
teil. Sämtliche Blätter bringen ausführliche Nachrufe, in teil. Sämtliche Blätter bringen ausführliche Nachrufe, in
denen sein dichterisches Schaffen und die menschlichen Quali¬ denen sein dichterisches Schaffen und die menschlichen Quali¬
täten des Verstorbenen gewürdigt werden. Im „Berliner täten des Verstorbenen gewürdigt werden. Im „Berliner
Tageblatt“ nimmt Alfred Kerr von Schnitzler Abschied, von Tageblatt“ nimmt Alfred Kerr von Schnitzler Abschied, von
dem er sagt, daß er als Dichter gleich nach Gerhart dem er sagt, daß er als Dichter gleich nach Gerhart
Hauptmann kommt. Die Funkstunde veranstaltete heute Hauptmann kommt. Die Funkstunde veranstaltete heute
abends eine Totenfeier, bei der Walter von Molo die Ge¬ abends eine Totenfeier, bei der Walter von Molo die Ge¬
denkworte sprach. denkworte sprach.
London, 22. Oktober. Die Londoner Presse widmet Artur London, 22. Oktober. Die Londoner Presse widmet Artur
Schnitzler lange Nachrufe. Vor allem seine Vorkriegswerke, Schnitzler lange Nachrufe. Vor allem seine Vorkriegswerke,
die in England weit verbreitet und sehr volkstümlich waren, die in England weit verbreitet und sehr volkstümlich waren,
werden in den Blättern ausführlich behandelt. werden in den Blättern ausführlich behandelt.
box 42/9 box 42/9
DOBSERVER DOBSERVER
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Ausehntetebr gle Ada. Ausehntetebr gle Ada.
vom: vom:
13 OKT. 1931 13 OKT. 1931
Das Lebenswerk Arthur Schnitzlers Das Lebenswerk Arthur Schnitzlers
In der Wiener „Rp. schreibt unter anderem R. List: In der Wiener „Rp. schreibt unter anderem R. List:
Das Lebenswerk Arthur Schnitzlers, den nun ein sanfter Das Lebenswerk Arthur Schnitzlers, den nun ein sanfter
Tod aus unermüdlicher schöpferischer Tätigkeit gerissen hat, Tod aus unermüdlicher schöpferischer Tätigkeit gerissen hat,
ist mit ein Spiegel jener Epoche, in der sich der große Ueber¬ ist mit ein Spiegel jener Epoche, in der sich der große Ueber¬
gang aus der Hochkultur des alten Reiches in ein unsicheres gang aus der Hochkultur des alten Reiches in ein unsicheres
und zukunftsdunkles Neues vollzog. Der erste Schritt des und zukunftsdunkles Neues vollzog. Der erste Schritt des
jungen Dichter war jener „Anatol", der heute noch als seit¬ jungen Dichter war jener „Anatol", der heute noch als seit¬
same Melodie aus den Frühlingstagen des östereichischen Na¬ same Melodie aus den Frühlingstagen des östereichischen Na¬
turalismus in uns klingt: vier Jahre nach Gerhart Haupt¬ turalismus in uns klingt: vier Jahre nach Gerhart Haupt¬
manns „Vor Sonnenaufgang", ein Jahr nach dessen „We¬ manns „Vor Sonnenaufgang", ein Jahr nach dessen „We¬
bern" und „Hanneles Himmelfahrt“. Dann kamen seine er¬ bern" und „Hanneles Himmelfahrt“. Dann kamen seine er¬
sten Novellenbücher, „Sterben", „Die Frau des Weisen", sten Novellenbücher, „Sterben", „Die Frau des Weisen",
im Jahr der Jahrhundertwende der „Leutnant Gustl", das Pa¬ im Jahr der Jahrhundertwende der „Leutnant Gustl", das Pa¬
radestück des erzählerischen Telegrammstiles, dann kamen die radestück des erzählerischen Telegrammstiles, dann kamen die
handfesten Theaterstücke voll eigenartiger Stimmungsreize, handfesten Theaterstücke voll eigenartiger Stimmungsreize,
„Die Liebelei", „Freiwild", „Der grüne Kakadu" und auch „Die Liebelei", „Freiwild", „Der grüne Kakadu" und auch
der „Reigen", der nach zwanzigjährigem Begrabensein mit der „Reigen", der nach zwanzigjährigem Begrabensein mit
einem Male die zeitgenössische Bühne revolutionierte, ein einem Male die zeitgenössische Bühne revolutionierte, ein
unerfreuliches Dokument literarischer Hemmungslosigkeit unerfreuliches Dokument literarischer Hemmungslosigkeit
Es folgten in schier unendlicher Reihe die Werke des dra¬ Es folgten in schier unendlicher Reihe die Werke des dra¬
matischen und erzählerischen Reifens, die Schauspiele „Der matischen und erzählerischen Reifens, die Schauspiele „Der
Schleier der Beatrice", „Der einsame Weg", „Der Ruf des Schleier der Beatrice", „Der einsame Weg", „Der Ruf des
Lebens", die „Komödie der Worte", das „Zwischenspiel", Lebens", die „Komödie der Worte", das „Zwischenspiel",
die „Komtesse Mitzi", der „Professor Bernhardi, „Der junge die „Komtesse Mitzi", der „Professor Bernhardi, „Der junge
Medardus", dramatische Historie von einprägsamer Far¬ Medardus", dramatische Historie von einprägsamer Far¬
bigkeit, die Erzählungsbücher „Dämmerseelen , „Masken und bigkeit, die Erzählungsbücher „Dämmerseelen , „Masken und
Wunder" und „Casanovas Heimfahrt" sowie der Roman Wunder" und „Casanovas Heimfahrt" sowie der Roman
„Der Weg ins Freie“. „Der Weg ins Freie“.
In den fruchtreichen Jahren der herbstlichen Reife gab er In den fruchtreichen Jahren der herbstlichen Reife gab er
uns die „Traumnovelle", die wie kein anderes seiner Werke uns die „Traumnovelle", die wie kein anderes seiner Werke
das Wunder einer ganz großen erzählerischen Technik mit das Wunder einer ganz großen erzählerischen Technik mit
gedanklicher Tiefe und zugleich mit der Liebenswürdigkeit ty¬ gedanklicher Tiefe und zugleich mit der Liebenswürdigkeit ty¬
pisch wienerischen Leichtsinns vereint. Fast unlösbar verflie¬ pisch wienerischen Leichtsinns vereint. Fast unlösbar verflie¬
ßen hier Traum und reale Wirklichkeit ineinander. Nicht we¬ ßen hier Traum und reale Wirklichkeit ineinander. Nicht we¬
niger groß ist die Kunst Schnitzlers in „Therese", der ergrei¬ niger groß ist die Kunst Schnitzlers in „Therese", der ergrei¬
fenden Chronik eines schlichten, fast alltäglichen Frauenlebens, fenden Chronik eines schlichten, fast alltäglichen Frauenlebens,
das durch Schuld an ein tragisches Schicksal gekettet erscheint. das durch Schuld an ein tragisches Schicksal gekettet erscheint.
Im „Buch der Sprüche und Bedenken" hat Schnitzler ver¬ Im „Buch der Sprüche und Bedenken" hat Schnitzler ver¬
sucht, seine skeptisch-pessimistische Weltanschauung in ihrer An¬ sucht, seine skeptisch-pessimistische Weltanschauung in ihrer An¬
wendung auf die verschiedenen Lebensgebiete in eindeutig¬ wendung auf die verschiedenen Lebensgebiete in eindeutig¬
klarer Formulierung aufzubauen. Im Motto des Werkes wen¬ klarer Formulierung aufzubauen. Im Motto des Werkes wen¬
det er sich gegen den übertriebenen Symbolismus, mit dem det er sich gegen den übertriebenen Symbolismus, mit dem
ihn selber in den Jugendjahren manches verbunden hatte ihn selber in den Jugendjahren manches verbunden hatte
„Tiefsinn hat nie ein Ding erhellt; Klarsinn schaut tiefer in die „Tiefsinn hat nie ein Ding erhellt; Klarsinn schaut tiefer in die
die Welt“. Und an einer späteren Stelle sagt er, ein Feind die Welt“. Und an einer späteren Stelle sagt er, ein Feind
literarhistorischer Einordnung: „Jeder Dichter ist Realist und literarhistorischer Einordnung: „Jeder Dichter ist Realist und
Idealist, Impressionist und Expressionist, Naturalist und Sym¬ Idealist, Impressionist und Expressionist, Naturalist und Sym¬
bolist zugleich oder ist er überhaupt keiner. Natürlich über¬ bolist zugleich oder ist er überhaupt keiner. Natürlich über¬
wiegt eine dieser Kunst- und Weltanschauungen, je nach Tem¬ wiegt eine dieser Kunst- und Weltanschauungen, je nach Tem¬
perament, Anlage und Stimmung. Sein schärfster Kampf perament, Anlage und Stimmung. Sein schärfster Kampf
gilt dem Grotesken, das die Bühne vielfach — auch dies son¬ gilt dem Grotesken, das die Bühne vielfach — auch dies son¬
dert ihn von der großen Menge seiner literarischen Zeitge¬ dert ihn von der großen Menge seiner literarischen Zeitge¬
nossen — unter seine Herrschaft gebracht hat: „Innerhalb des nossen — unter seine Herrschaft gebracht hat: „Innerhalb des
Grotesken ist es niemals möglich, die Vollendung zu errei¬ Grotesken ist es niemals möglich, die Vollendung zu errei¬
chen ... Denn während sowohl das Tragische als das Ko¬ chen ... Denn während sowohl das Tragische als das Ko¬
mische auch bei höchst gesteigerter Intensität innerhalb des mische auch bei höchst gesteigerter Intensität innerhalb des
Endlichen beschlossen ist, weist das Groteske ins Grenzenlose Endlichen beschlossen ist, weist das Groteske ins Grenzenlose
und schließt sich so selbstt von der Kunst aus und schließt sich so selbstt von der Kunst aus
Die Tragik dieses österreichischen Dichters ist die Tragik Die Tragik dieses österreichischen Dichters ist die Tragik
des Naturalismus überhaupt. Der Drang zur Wirklichkeit, des Naturalismus überhaupt. Der Drang zur Wirklichkeit,
die Uebersteigerung dessen, was man zuvor realistische Kunst die Uebersteigerung dessen, was man zuvor realistische Kunst
nannte, mußte, zumal sie mit dem Stimmungshaften der pa¬ nannte, mußte, zumal sie mit dem Stimmungshaften der pa¬
rallelen impressionistischen Strömung zwangsläufig verbunden rallelen impressionistischen Strömung zwangsläufig verbunden
war, wieder zum Spielerischen führen, zur gekünstelten Wirk¬ war, wieder zum Spielerischen führen, zur gekünstelten Wirk¬
lichkeit, andererseits aber auch zur Ueberschreitung aller Gren¬ lichkeit, andererseits aber auch zur Ueberschreitung aller Gren¬
zen, die der dichterischen Schilderung gezogen sind. Der Ein¬ zen, die der dichterischen Schilderung gezogen sind. Der Ein¬
bruch des Erotischen hat auch in Arthur Schnitzler keinen bruch des Erotischen hat auch in Arthur Schnitzler keinen
Damm ernsthafter Besinnung gefunden, er hat mehr denn Damm ernsthafter Besinnung gefunden, er hat mehr denn
mancher andere dieser Verirrung seinen Tribut gezollt. mancher andere dieser Verirrung seinen Tribut gezollt.