VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 201

12. 12.
Schnitzler's Death Schnitzler's Death
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Leben liebte, horchte er hinein in den Leben liebte, horchte er hinein in den
laß bewußt ist. „Stehen wir denn mit dem Augenblick laß bewußt ist. „Stehen wir denn mit dem Augenblick
der Geliebten und zögerte doch, das er¬ der Geliebten und zögerte doch, das er¬
Brust an Brust, wie mit einem Freund, den wir um¬ Brust an Brust, wie mit einem Freund, den wir um¬
mnis der Seele dichterisch völlig preis¬ mnis der Seele dichterisch völlig preis¬
armen — oder mit einem Feind, der uns bedrängt? armen — oder mit einem Feind, der uns bedrängt?
er in seiner Mannesreife schenkte er die er in seiner Mannesreife schenkte er die
Ist das Wort, das eben verklang, nicht schon Erinne¬ Ist das Wort, das eben verklang, nicht schon Erinne¬
is seiner Einsamkeit allen, die ein Organ is seiner Einsamkeit allen, die ein Organ
rung? Der Ton, mit dem eine Melodie begann, nicht rung? Der Ton, mit dem eine Melodie begann, nicht
Rut zu dieser Erkenntnis besitzen. Denn Rut zu dieser Erkenntnis besitzen. Denn
Erinnerung, ehe das Lied geendet?“ Und dann doch Erinnerung, ehe das Lied geendet?“ Und dann doch
si aller Zartheit so viel männlicher, als si aller Zartheit so viel männlicher, als
die starke Bejahung des Lebens und des Unvergäng¬ die starke Bejahung des Lebens und des Unvergäng¬
ten und den Vielzuvielen schien. Sein ten und den Vielzuvielen schien. Sein
lichen: „Gerade in solchen Stunden“ — sagt Sala zu lichen: „Gerade in solchen Stunden“ — sagt Sala zu
ches Leben war im Grunde nur möglich ches Leben war im Grunde nur möglich
Johanna, die dieses Bekenntnis aus tiefer Erkenntnis Johanna, die dieses Bekenntnis aus tiefer Erkenntnis
hes Kompromiß mit dem Tode. Inso¬ hes Kompromiß mit dem Tode. Inso¬
traurig macht — „gerade in solchen Stunden wissen wir, traurig macht — „gerade in solchen Stunden wissen wir,
eine Jugenddichtungen Schnitzlers in der eine Jugenddichtungen Schnitzlers in der
daß wir nichts verloren haben und eigentlich nichts daß wir nichts verloren haben und eigentlich nichts
nde seiner Dramen, Romane, Novellen, nde seiner Dramen, Romane, Novellen,
verlieren können. verlieren können.
m, auch über den frühen Komödien und m, auch über den frühen Komödien und
Arthur Schnitzlers spielerische Kunst, die das Arthur Schnitzlers spielerische Kunst, die das
1, liegt jener dunkle Cypressenschatten, 1, liegt jener dunkle Cypressenschatten,
Wesen der Dramatik und der Bühne ausmacht, hat Wesen der Dramatik und der Bühne ausmacht, hat
ernde Zartheit aller Lebensfarben aller ernde Zartheit aller Lebensfarben aller
seine melancholische Weisheit und ihre Lehren öfter seine melancholische Weisheit und ihre Lehren öfter
fe bedingt. „Erkenntnisbaum ist nicht fe bedingt. „Erkenntnisbaum ist nicht
in starke dramatische Höhen gefördert. Auch derbe in starke dramatische Höhen gefördert. Auch derbe
num." Die großen Pathetiker des Dra¬ num." Die großen Pathetiker des Dra¬
Naturen haben empfunden, welch ein Stück bisher nie Naturen haben empfunden, welch ein Stück bisher nie
das Gesetz Byrons zu überwinden. In das Gesetz Byrons zu überwinden. In
bezwungener gesellschaftlicher Schicksalsmacht in einer bezwungener gesellschaftlicher Schicksalsmacht in einer
Im Grunde bleiben auch sie einsam. Im Grunde bleiben auch sie einsam.
einzigen Szene liegt, wie in der der „Liebelei“, wenn einzigen Szene liegt, wie in der der „Liebelei“, wenn
vergängliche Bedeutung scheint mir in vergängliche Bedeutung scheint mir in
der fremde Herr (welch eine Gestalt für den Schau¬ der fremde Herr (welch eine Gestalt für den Schau¬
hen Weisheit zu liegen, die tief hinein¬ hen Weisheit zu liegen, die tief hinein¬
spieler!) in das Zimmer des jungen Menschen tritt. spieler!) in das Zimmer des jungen Menschen tritt.
Bezirke des Unbewußten und - dies Bezirke des Unbewußten und - dies
Jeder weiß sofort, der muß fallen. Man vergleiche die Jeder weiß sofort, der muß fallen. Man vergleiche die
ebensabgewandt — das Wort des fausti¬ ebensabgewandt — das Wort des fausti¬
abgebogene Tragödie der „Ehre“ Sudermanns und abgebogene Tragödie der „Ehre“ Sudermanns und
n Byron mit melancholischem Lächeln n Byron mit melancholischem Lächeln
diese eine knappe Szene Schnitzlers. Und wie dort diese eine knappe Szene Schnitzlers. Und wie dort
das Problem „Ehre“ bis in die letzte Konsequenz klar, das Problem „Ehre“ bis in die letzte Konsequenz klar,
hätte Arthur Schnitzler nichts andres hätte Arthur Schnitzler nichts andres
erschütternd, bezwingend erledigt ist erschütternd, bezwingend erledigt ist
ls den genialsten Einakter deutscher ls den genialsten Einakter deutscher
Das Wienerische in der „Liebelei“ beweist nicht Das Wienerische in der „Liebelei“ beweist nicht
ser grüne Kakadu", sein Name stünde ser grüne Kakadu", sein Name stünde
zuletzt, wie die Romantik über alle Schicksale Oester¬ zuletzt, wie die Romantik über alle Schicksale Oester¬
Register der Unsterblichen. Diese Kon¬ Register der Unsterblichen. Diese Kon¬
reichs unsterblich sich erhält. Wo gibt es Aktschlüsse reichs unsterblich sich erhält. Wo gibt es Aktschlüsse
ses Durchströmtsein so vieler Gestalten ses Durchströmtsein so vieler Gestalten
wie den, da der plötzlich vereinsamte, todgeweihte wie den, da der plötzlich vereinsamte, todgeweihte
elsusidee (die drei Einakter umspannt), elsusidee (die drei Einakter umspannt),
junge Mensch aufgerissen wird durch den Marsch, den junge Mensch aufgerissen wird durch den Marsch, den
Ausschnitt das Leben, die bewegenden Ausschnitt das Leben, die bewegenden
sein wissender Freund von der Straße hinaufpfeift, sein wissender Freund von der Straße hinaufpfeift,
se einer ganzen Epoche und ihre Aus¬ se einer ganzen Epoche und ihre Aus¬
um ihn zu ermutigen. Wie fließt da heiße, junge um ihn zu ermutigen. Wie fließt da heiße, junge
endig zu geben, das ist einfach genial endig zu geben, das ist einfach genial
Liebe zum Leben, Tragikomödie des Schicksals, Wissen Liebe zum Leben, Tragikomödie des Schicksals, Wissen
ler Einfachheit bei höchster Kompliziert¬ ler Einfachheit bei höchster Kompliziert¬
um den Tod in der Jugend zusammen in eine Melo¬ um den Tod in der Jugend zusammen in eine Melo¬
nklichen und des revolutionären Ge¬ nklichen und des revolutionären Ge¬
die, so unvergeßlich, wie die Sorma, die holde die, so unvergeßlich, wie die Sorma, die holde
Christine, die keine Oesterreicherin war und dennoch Christine, die keine Oesterreicherin war und dennoch
t er Schleier gelüftet, immer jene Ein¬ t er Schleier gelüftet, immer jene Ein¬
nachschöpferische Vollendung dieser Gestalt nachschöpferische Vollendung dieser Gestalt
purpurne Dunkel der Seelen sich und purpurne Dunkel der Seelen sich und
Schnitzlers. Schnitzlers.
und Hörern geöffnet. Und immer wirk und Hörern geöffnet. Und immer wirk
Weg bezeichnet durch zwei Gestalten, Weg bezeichnet durch zwei Gestalten,
Man hat Schnitzler nachgesagt, die Tragik seiner Man hat Schnitzler nachgesagt, die Tragik seiner
und den Herrn v. Sala im „Einsamen und den Herrn v. Sala im „Einsamen
Gestalten werde gemindert durch ihre Vorteile, zur Gestalten werde gemindert durch ihre Vorteile, zur
auf den Grund des dunklen Teiches auf den Grund des dunklen Teiches
„Gesellschaft“ zu gehören. Seltsamer Vorwurf! „Gesellschaft“ zu gehören. Seltsamer Vorwurf!
sat. Der macht nicht einem Sohn, macht sat. Der macht nicht einem Sohn, macht
Christine, Mizzie, selbst der vielwissende Medardus, Christine, Mizzie, selbst der vielwissende Medardus,
en Weg frei, weil er aus seiner Vater¬ en Weg frei, weil er aus seiner Vater¬
sind sie nicht Volk? Freilich ihr Boden ist durch ge¬ sind sie nicht Volk? Freilich ihr Boden ist durch ge¬
hträglich Lebenswärme sich stehlen will: hträglich Lebenswärme sich stehlen will:
naue Grenzen bestimmt. Aber die Sublimierung naue Grenzen bestimmt. Aber die Sublimierung
daß jetzt wieder ein besseres Geschlecht daß jetzt wieder ein besseres Geschlecht
ihrer Gefühle macht ja erst die aus dem Gefühl aus¬ ihrer Gefühle macht ja erst die aus dem Gefühl aus¬
mehr Haltung und weniger Geist. mehr Haltung und weniger Geist.
strömende dichterische Weisheit möglich, die das dich¬ strömende dichterische Weisheit möglich, die das dich¬
erzliche Erfahrung eines Dichters, der erzliche Erfahrung eines Dichters, der
terische Vermächtnis Schnitzlers bestimmt. Wie viele terische Vermächtnis Schnitzlers bestimmt. Wie viele
kein „Verweile doch!“ zurusen kann, kein „Verweile doch!“ zurusen kann,
Schicksale und wie mannigfacher Art sind im Werl Schicksale und wie mannigfacher Art sind im Werl
Ergänglichkeit allzusehr und ohne Unter¬ Ergänglichkeit allzusehr und ohne Unter¬
Schnitzlers schicksalhast verbunden durch Logik des Schnitzlers schicksalhast verbunden durch Logik des
Gefühls und Wissen um das, was hinter dem Schleier Gefühls und Wissen um das, was hinter dem Schleier
sich begibt. Der Zauber der Persönlichkeit Schnitz¬ sich begibt. Der Zauber der Persönlichkeit Schnitz¬
lers läßt nicht eine Banalisierung einer Liebes¬ lers läßt nicht eine Banalisierung einer Liebes¬
geschichte zu. Seine Weise vom Leben, von der Liebe geschichte zu. Seine Weise vom Leben, von der Liebe
und vom Tod hat oft etwas Balladenhaftes (Medar¬ und vom Tod hat oft etwas Balladenhaftes (Medar¬
dus!). Sie klingt mit der Schwermut Lenaus über dus!). Sie klingt mit der Schwermut Lenaus über
ein weites Land. Und dieses Land lieben, die es ein weites Land. Und dieses Land lieben, die es
kennen. O du mein Oesterreich! Die Politik kann kennen. O du mein Oesterreich! Die Politik kann
dir allerhand antun. Aber die Union der Geister wird dir allerhand antun. Aber die Union der Geister wird
nicht geschieden durch die rabulistischen Künste der nicht geschieden durch die rabulistischen Künste der
Politik. Und in Schnitzler haben wir den Wiener ge¬ Politik. Und in Schnitzler haben wir den Wiener ge¬
liebt und werden ihn lieben, solange noch diese liebt und werden ihn lieben, solange noch diese
Stimme eines Cellos, gebaut von einem alten Meister, Stimme eines Cellos, gebaut von einem alten Meister,
uns in Ohr und Herz klingt. uns in Ohr und Herz klingt.
Schweres hat der Einsame, Gütige still durchlitten. Schweres hat der Einsame, Gütige still durchlitten.
Seine blühende junge Tochter hat er auf furchtbare Seine blühende junge Tochter hat er auf furchtbare
Art verloren. Seine Treue ward nicht immer mit Art verloren. Seine Treue ward nicht immer mit
Treue gelohnt. Dankbarkeit hat er wahrhaftig in ge¬ Treue gelohnt. Dankbarkeit hat er wahrhaftig in ge¬
ringem Ausmaße gefunden. Jetzt, da man an seinen ringem Ausmaße gefunden. Jetzt, da man an seinen
im Frühling bevorstehenden 70. Geburtstag dachte, im Frühling bevorstehenden 70. Geburtstag dachte,
besann man sich auf die Fülle seiner dramatischen besann man sich auf die Fülle seiner dramatischen
Kunst. So geht es den deutschen Dramatikern. Nie Kunst. So geht es den deutschen Dramatikern. Nie
hat er laut geklagt. Sein Schmerz wandelte sich in hat er laut geklagt. Sein Schmerz wandelte sich in
Dichtung und Weisheit. Der Wissende ist am Ziel. Dichtung und Weisheit. Der Wissende ist am Ziel.
Letzter Gruß seine Novelle „Flucht in die Finsternis", Letzter Gruß seine Novelle „Flucht in die Finsternis",
die gerade jetzt bei S. Fischer herauskommt. Was er die gerade jetzt bei S. Fischer herauskommt. Was er
in den reichen Bänden, dem Ertrag seines dichterischen in den reichen Bänden, dem Ertrag seines dichterischen
Erlebens, zurückläßt, in diesem Augenblick zu werten, Erlebens, zurückläßt, in diesem Augenblick zu werten,
wäre vermessen. Vieles Tapfere im Streite des wäre vermessen. Vieles Tapfere im Streite des
Tages vollzieht sich in diesen Werken. Bedeutender, Tages vollzieht sich in diesen Werken. Bedeutender,
in vielem unvergänglich bleibt alles, was an die Ewig¬ in vielem unvergänglich bleibt alles, was an die Ewig¬
keitstragödie der Menschheit rührt. Und daß gerade keitstragödie der Menschheit rührt. Und daß gerade
das Tiefste sich spielerisch vollzieht, bezeichnet die das Tiefste sich spielerisch vollzieht, bezeichnet die
ragende Höhe der Kunst eines Dichters, über dessen ragende Höhe der Kunst eines Dichters, über dessen
Lebensbuch die Worte des Paracelsus mit dem Lebensbuch die Worte des Paracelsus mit dem
schwermütigen rötlichen Lichte der ewigen Lampe schwermütigen rötlichen Lichte der ewigen Lampe
leuchten: leuchten:
Es war ein Spiel! Was sollt' es anders sein? Es war ein Spiel! Was sollt' es anders sein?
Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben, Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben,
Und schien es noch so groß und tief zu sein! Und schien es noch so groß und tief zu sein!
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine, Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Ein andrer spielt mit tollen Abergläubischen. Ein andrer spielt mit tollen Abergläubischen.
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer¬ Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer¬
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht. Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen, Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns; Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.
Julius Ferdinand Wollf Julius Ferdinand Wollf