VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 207

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
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I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHION R-23-0-43 TELEPHION R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Der Tag. Bertk Der Tag. Bertk
vom: vom:
23 OKT. 1931 23 OKT. 1931
Zum Tode Zum Tode
Nr-chiereh / Arthur Schnitzlers Nr-chiereh / Arthur Schnitzlers
Der bekannie österreichische Dichter Pr. Aethur Der bekannie österreichische Dichter Pr. Aethur
bürgerlichkeit, die immer ein wenig elegisch müde bürgerlichkeit, die immer ein wenig elegisch müde
Schnigler ist, wie wir bereits im größten Schnigler ist, wie wir bereits im größten
ist und ein wenig ergebungovoll lebensheiter. Hier ist und ein wenig ergebungovoll lebensheiter. Hier
Teil der gestrigen Auflage meldeten, in Wien Teil der gestrigen Auflage meldeten, in Wien
und da, allerdings fast nur andeutungsweise, und da, allerdings fast nur andeutungsweise,
im 10. Lebensjahr einem Schlaganfal im 10. Lebensjahr einem Schlaganfal
stand er seinen Themen auch sozialkritisch gegen¬ stand er seinen Themen auch sozialkritisch gegen¬
erlegen. Bald nach der Heimkehr von einen erlegen. Bald nach der Heimkehr von einen
über. Seine Heiterkeit gleitet manchmal ins über. Seine Heiterkeit gleitet manchmal ins
seiner üblichen Spaziergänge brach er plöclich seiner üblichen Spaziergänge brach er plöclich
Ironische und Plasterte hinüber, und da liegt es Ironische und Plasterte hinüber, und da liegt es
bewußtlos zusammen und verschied, ohne das bewußtlos zusammen und verschied, ohne das
fast immer an der gestaltenden Kraft der Dar¬ fast immer an der gestaltenden Kraft der Dar¬
Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Bewußtsein wiedererlangt zu haben.
steller, ein solches Stück auf den Brettern ins steller, ein solches Stück auf den Brettern ins
Ein halbes Jahr vor seinem 70. Geburtstag ist Ein halbes Jahr vor seinem 70. Geburtstag ist
Lebendige hinaufzureißen. Meist hat Schnitzler Lebendige hinaufzureißen. Meist hat Schnitzler
er von uns fortgegangen, ohne Aufsehen, still, er von uns fortgegangen, ohne Aufsehen, still,
Aerzte, Schauspieler oder Schriftsteller gezeichnet Aerzte, Schauspieler oder Schriftsteller gezeichnet
wie er es auch im Leben gehalten hat. Er gehörte wie er es auch im Leben gehalten hat. Er gehörte
— der Dichter war selbst Arzt von Beruf —, also — der Dichter war selbst Arzt von Beruf —, also
zu denen aus dem Jahre 1802, war gewissermaßen zu denen aus dem Jahre 1802, war gewissermaßen
Menschen, denen das Wort und das Nachsinnen Menschen, denen das Wort und das Nachsinnen
einer der vielverzweigten Aeste eines Stammes einer der vielverzweigten Aeste eines Stammes
leicht fällt, die aus ihrem Intellekt das Leben zu leicht fällt, die aus ihrem Intellekt das Leben zu
meistern versuchen. Hier liegt das Treibende in meistern versuchen. Hier liegt das Treibende in
die ihre Wurzeln in gleicher Stunde und im die ihre Wurzeln in gleicher Stunde und im
Schnitzlers Schaffen, von dem er einmal in seinen Schnitzlers Schaffen, von dem er einmal in seinen
gleichen Boden haben. Er gehörte zu den demnächst gleichen Boden haben. Er gehörte zu den demnächst
Sprüchen gesagt hat: „Wie oft hassen wir nur Sprüchen gesagt hat: „Wie oft hassen wir nur
Siebzigjährigen, den Hauptmann, Schlaf, Fulda, Siebzigjährigen, den Hauptmann, Schlaf, Fulda,
die Idee, die sich uns in einem bestimmten Men¬ die Idee, die sich uns in einem bestimmten Men¬
die in den Naturaliomus hineinwuchsen. Seine die in den Naturaliomus hineinwuchsen. Seine
schen verkörpert, nicht diesen selbst. Tritt uns das schen verkörpert, nicht diesen selbst. Tritt uns das
vielen Bühnenstücke und Novellen haben alle den vielen Bühnenstücke und Novellen haben alle den
Individuum leibhaftig entgegen, das uns in der Individuum leibhaftig entgegen, das uns in der
Atem unserer Zeit, selbst in den historischen Atem unserer Zeit, selbst in den historischen
Entfernung unleidlich oder gar gefährlich erschien, Entfernung unleidlich oder gar gefährlich erschien,
Stücken, etwa in der Renaissancetragödie „Beatrice Stücken, etwa in der Renaissancetragödie „Beatrice
so erblickten wir mit einemmal nur eine armselige so erblickten wir mit einemmal nur eine armselige
oder in seinem „Paracelsus“ oder in seinem „Paracelsus“
Kreatur, die von Geburt verdammt ist zu Sünde, Kreatur, die von Geburt verdammt ist zu Sünde,
Leid und Tod, und unser Haß wandelt sich in Er¬ Leid und Tod, und unser Haß wandelt sich in Er¬
Am besten findet man Schnitzlers Eigenart in Am besten findet man Schnitzlers Eigenart in
griffenheit, Mitleid, vielleicht selbst in Liebe.“ griffenheit, Mitleid, vielleicht selbst in Liebe.“
seiner vielgespielten „Liebelei"; bis zur letzten seiner vielgespielten „Liebelei"; bis zur letzten
Einmal auch hat er mit einem Bühnenwerk un¬ Einmal auch hat er mit einem Bühnenwerk un¬
Stunde blieb er verliebt in diese Wiener Klein¬ Stunde blieb er verliebt in diese Wiener Klein¬
liebsames Aufsehen erregt, aber da scheinen die liebsames Aufsehen erregt, aber da scheinen die
hinter den Kulissen Agierenden, die Geschüfts¬ hinter den Kulissen Agierenden, die Geschüfts¬
tüchtigen, die Schuldigen gewesen zu sein. tüchtigen, die Schuldigen gewesen zu sein.
Zu seinem Besten aus letzter Zeit zählt die Zu seinem Besten aus letzter Zeit zählt die
Chronik eineo Frauenlebens, „Therese". Es ist Chronik eineo Frauenlebens, „Therese". Es ist
das Leben einer Frau, die das Leben durch¬ das Leben einer Frau, die das Leben durch¬
kämpfen muß, nicht schwach genug, sich fallen zu kämpfen muß, nicht schwach genug, sich fallen zu
lassen, aber auch nicht stark genug, den Schicksals¬ lassen, aber auch nicht stark genug, den Schicksals¬
schlägen standzuhalten. Aus provinzieller Enge schlägen standzuhalten. Aus provinzieller Enge
und zweifelhafter Atmosphäre ist sie früh geflohen, und zweifelhafter Atmosphäre ist sie früh geflohen,
droht aber in der Großstadt den sie überwältigen¬ droht aber in der Großstadt den sie überwältigen¬
den Geschehnissen zu erliegen. Nach vielem Um¬ den Geschehnissen zu erliegen. Nach vielem Um¬
herirren aus einem Elend ins andere, aus einer herirren aus einem Elend ins andere, aus einer
Irrung in die andere, entgeht sie schließlich ihrem Irrung in die andere, entgeht sie schließlich ihrem
vorbestimmten Schicksal doch nicht. vorbestimmten Schicksal doch nicht.
Immer wieder malt Schnitzler die merkwürdige Immer wieder malt Schnitzler die merkwürdige
Welt kleinlicher, verlogener und nendelhafter Be¬ Welt kleinlicher, verlogener und nendelhafter Be¬
ziehungen. Vergeblich fragen seine Gestalten nach ziehungen. Vergeblich fragen seine Gestalten nach
einem führenden Menschen, nach einem „Weg ins einem führenden Menschen, nach einem „Weg ins
Freie", so heißt bezeichnenderweise einer seiner Freie", so heißt bezeichnenderweise einer seiner
Romane. Selbst Sterbende tragen noch Masken, Romane. Selbst Sterbende tragen noch Masken,
sie kennen Liebelei, aber nicht Liebe, sie nehmen sie kennen Liebelei, aber nicht Liebe, sie nehmen
die Dinge einer haltlosen Zeit in die Hand, lassen die Dinge einer haltlosen Zeit in die Hand, lassen
sie aber entgleiten, sie wollen die Welt überwinden sie aber entgleiten, sie wollen die Welt überwinden
mit Worten, statt mit Taten. mit Worten, statt mit Taten.
Schnitzler ist ein Dichter seiner Zeit, mit ihr Schnitzler ist ein Dichter seiner Zeit, mit ihr
endet seine Sendung. Ueber die Vorkriegszeit endet seine Sendung. Ueber die Vorkriegszeit
kommt er, als Dramatiker wenigstens, kaum hin¬ kommt er, als Dramatiker wenigstens, kaum hin¬
aus. Doch sein Gesamtwerk ist ein scharfer Spie¬ aus. Doch sein Gesamtwerk ist ein scharfer Spie¬
pel eines bestimmten, von ihm mit fast über¬ pel eines bestimmten, von ihm mit fast über¬
klarem Blick erfaßten Zeitabschnitte und -aus¬ klarem Blick erfaßten Zeitabschnitte und -aus¬
schnitts, der Dokument bleiben wird zu künftigen schnitts, der Dokument bleiben wird zu künftigen
HI. St HI. St
Tagen. Tagen.