VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 209

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
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cdi. konzessioniertes cdi. konzessioniertes
„für Zeitungs-Ausschnitte „für Zeitungs-Ausschnitte
WOLLZEILE 11 WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
UTSCEN ALIOEVEINEXRIN UTSCEN ALIOEVEINEXRIN
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Arthur Schnitzler Arthur Schnitzler
kög. Wien, 22. 18. (Eigenberichd kög. Wien, 22. 18. (Eigenberichd
Arthur Schnitzler ist (wie schon in Arthur Schnitzler ist (wie schon in
einem Teil der gestrigen Ausgabe mitgeteilt) einem Teil der gestrigen Ausgabe mitgeteilt)
gestern in seiner Wiener Wohnung gestern in seiner Wiener Wohnung
storben. Schnitzler erlag offenbar einer Gehirn¬ storben. Schnitzler erlag offenbar einer Gehirn¬
blutung und starb nach stundenlanger Bewußzt¬ blutung und starb nach stundenlanger Bewußzt¬
losigkeit eines sauften Todes. Am Vormittag war losigkeit eines sauften Todes. Am Vormittag war
er noch in der gewohnten Weise spazieren¬ er noch in der gewohnten Weise spazieren¬
gegangen, und war gegen Mittag wieder in gegangen, und war gegen Mittag wieder in
seine Wohnung im Wiener Cottage zurückgekehrt. seine Wohnung im Wiener Cottage zurückgekehrt.
Gegen ½12 Uhr fand ihn seine Sekretärin be¬ Gegen ½12 Uhr fand ihn seine Sekretärin be¬
wußtlos hingesunken in seinem Arbeitszimmer. wußtlos hingesunken in seinem Arbeitszimmer.
Der Arzt gab noch eine gewisse Hoffnung, weil Der Arzt gab noch eine gewisse Hoffnung, weil
Schnitzler zwar in den letzten Jahren an manchen Schnitzler zwar in den letzten Jahren an manchen
Altersbeschwerden, insbesondere an zunehmender Altersbeschwerden, insbesondere an zunehmender
Schwerhörigkeit litt, sonst aber doch verhältnis¬ Schwerhörigkeit litt, sonst aber doch verhältnis¬
mäßig gesund war. Der einzige Sohn des mäßig gesund war. Der einzige Sohn des
Dichters ist als Schauspieler in Berlin tätig. Dichters ist als Schauspieler in Berlin tätig.
Um Arthur Schnitzler ist es im letzten Jahrzehnt still Um Arthur Schnitzler ist es im letzten Jahrzehnt still
geworden. Nur seine 1921 erschienene Novelle „Fräulein geworden. Nur seine 1921 erschienene Novelle „Fräulein
Else", eine psychologische Studie in Monologsorm, be¬ Else", eine psychologische Studie in Monologsorm, be¬
schäftigte noch einmal stärker die Oeffentlichkeit, und ihr schäftigte noch einmal stärker die Oeffentlichkeit, und ihr
Stoff führte zu einem viel gespielten Film, zu dem der Stoff führte zu einem viel gespielten Film, zu dem der
Verfasser keine wesensgemäßere Darstellerin hätte finden Verfasser keine wesensgemäßere Darstellerin hätte finden
können als Elisabeth Bergner. Daß jedoch Arthur können als Elisabeth Bergner. Daß jedoch Arthur
Schnitzler in den Jahren von 1995 bis 1914 zu den meist Schnitzler in den Jahren von 1995 bis 1914 zu den meist
aufgeführtesten und heftigst diskutierten Persönlichkeiten aufgeführtesten und heftigst diskutierten Persönlichkeiten
der Literatur gehörte, davon hat die Jugend nicht mehr der Literatur gehörte, davon hat die Jugend nicht mehr
viel zu spüren bekommen. viel zu spüren bekommen.
Der Wiener Arzt, der sich in seinen Theaterstücken Der Wiener Arzt, der sich in seinen Theaterstücken
eng an Ibsen anlehnte, fand den ersten großen Bühnen¬ eng an Ibsen anlehnte, fand den ersten großen Bühnen¬
erfolz mit der Tragödie „Liebelei“. Sie spielt in den erfolz mit der Tragödie „Liebelei“. Sie spielt in den
Kreisen der sorgenlosen, reichen Wiener Jugend, wo es Kreisen der sorgenlosen, reichen Wiener Jugend, wo es
keine großen Szenen, keine Gefahren, keine tragischen keine großen Szenen, keine Gefahren, keine tragischen
Verwicklungen gibt. Das füße Mädel steht zwischen zwei Verwicklungen gibt. Das füße Mädel steht zwischen zwei
Freunden im Mittelpunkt. Das Leben scheint nicht Freunden im Mittelpunkt. Das Leben scheint nicht
schwer, und doch fällt einer im Duell, und das Mädchen schwer, und doch fällt einer im Duell, und das Mädchen
geht zugrunde. Das Geschehnis ist nicht eigentlich tragisch, geht zugrunde. Das Geschehnis ist nicht eigentlich tragisch,
sondern traurig, und Schnitzler steht mit seiner Menschen¬ sondern traurig, und Schnitzler steht mit seiner Menschen¬
kenninis resignierend im Hintergrund und versucht zu kenninis resignierend im Hintergrund und versucht zu
zeigen, daß auf dem Grund aller Dinge und aller flüch¬ zeigen, daß auf dem Grund aller Dinge und aller flüch¬
tigen Schönheit der Schmerz liegt. Schwermütig und ein tigen Schönheit der Schmerz liegt. Schwermütig und ein
wenig sentimental sind auch die sieben dramatisierten wenig sentimental sind auch die sieben dramatisierten
Gespräche mit dem ähnlehen Thema, die das vorher ent¬ Gespräche mit dem ähnlehen Thema, die das vorher ent¬
standene Buch „Anatol“ abgeben, zu dem der junge standene Buch „Anatol“ abgeben, zu dem der junge
Hofmannsthal die Prologverse geschrieben hat. Die Hofmannsthal die Prologverse geschrieben hat. Die
weiche und etwas bittere Anlage führte den Verfasser mit weiche und etwas bittere Anlage führte den Verfasser mit
den Stücken „Freiwild", dem „Vermächtnis" und dem den Stücken „Freiwild", dem „Vermächtnis" und dem
„Grünen Kakadu" stärker noch zur sozialen Mitleids¬ „Grünen Kakadu" stärker noch zur sozialen Mitleids¬
tragödie. Auch die Komödie „Professor Bernhardl", wohl tragödie. Auch die Komödie „Professor Bernhardl", wohl
das einzige Stück des Verfassers, das in den letzten das einzige Stück des Verfassers, das in den letzten
Jahren in Berlin aufgeführt wurde und das eine mensch¬ Jahren in Berlin aufgeführt wurde und das eine mensch¬
lich vornehme, aber sentimentale Sattre der Wiener lich vornehme, aber sentimentale Sattre der Wiener
Aerztewelt ist, bleibt in dieser Sphäre befangen. Seine Aerztewelt ist, bleibt in dieser Sphäre befangen. Seine
Dialoge „Reigen", ein Querschnitt des Liebesgenusses Dialoge „Reigen", ein Querschnitt des Liebesgenusses
durch alle Stände, ging kurz nach dem Krieg über viele durch alle Stände, ging kurz nach dem Krieg über viele
Bühnen, allerdings vor allem wohl deshalb, weil die Bühnen, allerdings vor allem wohl deshalb, weil die
Aufführung bis dahin verboten war. Aufführung bis dahin verboten war.
Der Erzähler Schnitzler ist mit seinem „Leutnant Der Erzähler Schnitzler ist mit seinem „Leutnant
Gustl", mit „Frau Beate Garlan", mit „Casanovas Heim¬ Gustl", mit „Frau Beate Garlan", mit „Casanovas Heim¬
fahrt", der „Traumnovelle" und manchen anderen Büchern fahrt", der „Traumnovelle" und manchen anderen Büchern
viel gelesen worden. Als sein letzter großer Roman viel gelesen worden. Als sein letzter großer Roman
„Therese, Chronik eines Frauenlebens" 1928 erschien, war „Therese, Chronik eines Frauenlebens" 1928 erschien, war
bereits eine neue Zeit angebrochen. Auf die Anmut des bereits eine neue Zeit angebrochen. Auf die Anmut des
alten Oesterreichs, die Schnitzler früher in den Bezirken alten Oesterreichs, die Schnitzler früher in den Bezirken
des bürgerlichen Verfalls aufspürte, hat er hier in einer des bürgerlichen Verfalls aufspürte, hat er hier in einer
echten Ahnung um den herberen Wind der Gegenwart echten Ahnung um den herberen Wind der Gegenwart
verzichtet, und schied damit von selbst aus dem Bereich verzichtet, und schied damit von selbst aus dem Bereich
seiner Wirkungsmöglichkeiten. In einer Zeit, in der die seiner Wirkungsmöglichkeiten. In einer Zeit, in der die
Psychologie in der Literatur in hohem Ansehen stand, hat Psychologie in der Literatur in hohem Ansehen stand, hat
Arthur Schnitzler mit seinem wachen Verstand und seiner Arthur Schnitzler mit seinem wachen Verstand und seiner
skeptischen Menschenkenntnis manchen interessanten Beitrag skeptischen Menschenkenntnis manchen interessanten Beitrag
geleistet, so daß die psychoanalytische Schule gern seine geleistet, so daß die psychoanalytische Schule gern seine
Bücher als Kronzeugen heranzieht. Bücher als Kronzeugen heranzieht.
Die Freude am geistreichen Spiel, die bitiet Die Freude am geistreichen Spiel, die bitiet
Empfindung für einen Zwiespalt in seiner eigenen Brust, Empfindung für einen Zwiespalt in seiner eigenen Brust,
Wiener und doch nicht beheimatet zu sein, die Liebe zu Wiener und doch nicht beheimatet zu sein, die Liebe zu
einer beinahe eleganten Schönheit, die er in ihrer Frag¬ einer beinahe eleganten Schönheit, die er in ihrer Frag¬
würdigkeit zugleich durchschaut, geht durch alle seine Werke. würdigkeit zugleich durchschaut, geht durch alle seine Werke.
Zurückhaltung und eine seine Selbsterkenntnis hat den Zurückhaltung und eine seine Selbsterkenntnis hat den
Menschen Schnitzler ausgezeichnet, der beinahe als Kritiker Menschen Schnitzler ausgezeichnet, der beinahe als Kritiker
seiner selbst und einer Epoche der Literatur die Verse seiner selbst und einer Epoche der Literatur die Verse
schrieb: schrieb:
„Es fließen ineinander Traum und Wachen, „Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts vom andern, nichts von uns. Wir wissen nichts vom andern, nichts von uns.
Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug." Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug."
Niddy Impekoven tanzte im Londoner Arts-Theater vor aus¬ Niddy Impekoven tanzte im Londoner Arts-Theater vor aus¬
verkauftem Hause. Ein erlesenes Publikum bereitete der Künstlerin verkauftem Hause. Ein erlesenes Publikum bereitete der Künstlerin
egeisterte Cvationen. Nach dem Tanzabend fand ein Empfang egeisterte Cvationen. Nach dem Tanzabend fand ein Empfang
tt, bei dem auch der deutsche Botschafter, Baron v. Neurath, tt, bei dem auch der deutsche Botschafter, Baron v. Neurath,
zugegen war. zugegen war.