VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 213

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Schnitzl Schnitzl
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I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
N. I., WOLLZEILE 11 N. I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
PEAPITNATTNZEIIUE PEAPITNATTNZEIIUE
1937 1937
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weilen der graziös ungetreue Liebhaber im Dialog mit dem grazids kischer Empfindsamkeit, Weniger ener weilen der graziös ungetreue Liebhaber im Dialog mit dem grazids kischer Empfindsamkeit, Weniger ener
Arthur-Schnitzler t. Arthur-Schnitzler t.
skeptischen Freunde Max vor dem jeweiligen Liebesverhältnis. Der ein Wedekind, der seine Epoche skeptischen Freunde Max vor dem jeweiligen Liebesverhältnis. Der ein Wedekind, der seine Epoche
Arthur Schnitzler starb am Mittwoch, 21. Oktober, abendt Arthur Schnitzler starb am Mittwoch, 21. Oktober, abendt
eine spricht von seiner bedürftigen Seele, die sich selber davon eine spricht von seiner bedürftigen Seele, die sich selber davon
n Chaos des Leides umgetrieben, wie n Chaos des Leides umgetrieben, wie
6 Uhr, nach einem Spaziergang in seiner Stadt Wien. Am Abent 6 Uhr, nach einem Spaziergang in seiner Stadt Wien. Am Abent
läuft; der andere gibt klug wie ein Mediziner den mephistöpheli- es „Fuhrmann Henschel"; weniger läuft; der andere gibt klug wie ein Mediziner den mephistöpheli- es „Fuhrmann Henschel"; weniger
vorher war er noch im Theater. Wie in einer seinen Komödie vorher war er noch im Theater. Wie in einer seinen Komödie
schen Kommentar. Dr. med. Schnitzler ist Dichter und Arzi: zädagogtl der Zeit wohl erfordert hätte schen Kommentar. Dr. med. Schnitzler ist Dichter und Arzi: zädagogtl der Zeit wohl erfordert hätte
„Vom Tode des Dichters" schließt dieses Leben, eines der letzten „Vom Tode des Dichters" schließt dieses Leben, eines der letzten
er ist Anatol und Max. Er spielt auch sämtliche Personen im o deutlicher den damaligen Zeit=Thpnz er ist Anatol und Max. Er spielt auch sämtliche Personen im o deutlicher den damaligen Zeit=Thpnz
aus der faustischen Epoche Europas. Das Abendland hatte so un aus der faustischen Epoche Europas. Das Abendland hatte so un
„Reigen", jenem scheinfrivolen Karussell der Liebe, wo jeder des hochbegabten und hochbelasteten e „Reigen", jenem scheinfrivolen Karussell der Liebe, wo jeder des hochbegabten und hochbelasteten e
endlich viel Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch endlich viel Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch
Stand und jede Art von Liebhaber sich mit jedem Stand un schwer belasteten Erdteils. Ein Erde Stand und jede Art von Liebhaber sich mit jedem Stand un schwer belasteten Erdteils. Ein Erde
Theologie hinter sich, daß der wissende Geist ebenso skeptisch vor Theologie hinter sich, daß der wissende Geist ebenso skeptisch vor
jeder Art von Liebhaberin sich einläßt zum Liebesspiel. In: Wie jeder Art von Liebhaberin sich einläßt zum Liebesspiel. In: Wie
der sich im halbromantischen Spiel ü der sich im halbromantischen Spiel ü
allem Wandel des Wissens wurde, wie sentimental vor allen allem Wandel des Wissens wurde, wie sentimental vor allen
des kin de siecle gab es noch „Stände" und daher auch Stande¬ des kin de siecle gab es noch „Stände" und daher auch Stande¬
gangs zu trösten wußte. Er schuf gangs zu trösten wußte. Er schuf
Wandel der Gefühle. Nur der deutsche, der norddeutsche Idealis¬ Wandel der Gefühle. Nur der deutsche, der norddeutsche Idealis¬
konflikte. Infolgedessen konnte man um seiner Standesehre willen Lebens-Ergänzung, als Trauin=Glun konflikte. Infolgedessen konnte man um seiner Standesehre willen Lebens-Ergänzung, als Trauin=Glun
mus hielt die Charaktere fest. Der süddeutsche Typus wurde kriti¬ mus hielt die Charaktere fest. Der süddeutsche Typus wurde kriti¬
ernsthaft an Selbstmord denken wie „Leutnant Gustl" oder wie Die Schrecken des Daseins werden ernsthaft an Selbstmord denken wie „Leutnant Gustl" oder wie Die Schrecken des Daseins werden
scher. Der südöstliche Mensch, der Wiener, wurde labil. Müde vor scher. Der südöstliche Mensch, der Wiener, wurde labil. Müde vor
im gemeinen Sinne auch das unglückliche „Fräulein" Else". Daß im gemeinen Sinne auch das unglückliche „Fräulein" Else". Daß
Alles wird durch und durch erkann Alles wird durch und durch erkann
alter Kultur, sieht er die Dinge immer älter werden, es bröckeln alter Kultur, sieht er die Dinge immer älter werden, es bröckeln
so einfachen Gemütern die innere Psychologie nicht klar und be¬ so einfachen Gemütern die innere Psychologie nicht klar und be¬
gelitten — und distanziert. So entstan gelitten — und distanziert. So entstan
wußt ablief, wußte Schnitzler wie kein zweiter deutscher Dichte wußt ablief, wußte Schnitzler wie kein zweiter deutscher Dichte
vier Menschen, zwei Frauen und z vier Menschen, zwei Frauen und z
die Mauern der europäischen Prachtpaläste des Geistes — man des Naturalismus. Er hat seine Medizin spürende, ja sei die Mauern der europäischen Prachtpaläste des Geistes — man des Naturalismus. Er hat seine Medizin spürende, ja sei
hört den Sand rieseln im Stundenglas. Die Dinge sind nicht hört den Sand rieseln im Stundenglas. Die Dinge sind nicht
mehr wichtig; nur noch das Spiel mit den Dingen, den Zwei¬ mehr wichtig; nur noch das Spiel mit den Dingen, den Zwei¬
spezifisch jüdische Einfühlungskraft bei den naivsten Typen der spezifisch jüdische Einfühlungskraft bei den naivsten Typen der
„Gesellschaft" eingesetzt. Er schrieb, wie jener große andere Wiener, „Gesellschaft" eingesetzt. Er schrieb, wie jener große andere Wiener,
seln, den Gefühlen. Hugo von Hofmannsthal war unter Siegmund Freud, die penibelste Psychoanalyse, zerlegte den seln, den Gefühlen. Hugo von Hofmannsthal war unter Siegmund Freud, die penibelste Psychoanalyse, zerlegte den
den Dienern der vorletzte der schwärmenden Dichter des Zweifels den Dienern der vorletzte der schwärmenden Dichter des Zweifels
der alles Gewisse in Traum und Spiel auflöst. Schnitzler ist der der alles Gewisse in Traum und Spiel auflöst. Schnitzler ist der
Menschen in Atome, in Nuancen! und setzte den Menschen nach Menschen in Atome, in Nuancen! und setzte den Menschen nach
Letzte. Der Knabe Loris — wie der jüngere Hofmannsthal sich Letzte. Der Knabe Loris — wie der jüngere Hofmannsthal sich
der Zerlegung als Dichter wieder zusammen zu einem ganzen, das der Zerlegung als Dichter wieder zusammen zu einem ganzen, das
antilisch nannte — schrieb im Vorwort zu Schnitzlers „Anatol" antilisch nannte — schrieb im Vorwort zu Schnitzlers „Anatol"
nicht etwa nur eine „Summe von Nuancen" sah (Gefahr der da¬ nicht etwa nur eine „Summe von Nuancen" sah (Gefahr der da¬
maligen naturalistischen Methode); sondern im totalen Wesen des maligen naturalistischen Methode); sondern im totalen Wesen des
Also spielen wir Theater, Also spielen wir Theater,
Seelenarztes Schnitzler werden die Teile zu einem Organismus: Seelenarztes Schnitzler werden die Teile zu einem Organismus:
Spielen unsere eigenen Stücke, Spielen unsere eigenen Stücke,
reif zum Komödienspiel des Daseins. reif zum Komödienspiel des Daseins.
Früh gereift und zart und traurig, Früh gereift und zart und traurig,
Kaum einer in Deutschland hatte jemals so die dramatische Kaum einer in Deutschland hatte jemals so die dramatische
Die Komödie unserer Seele, Die Komödie unserer Seele,
Grazie und das leichteste Können vor schweren und problematischen Grazie und das leichteste Können vor schweren und problematischen
Unseres Fühlens heut und gestern, Unseres Fühlens heut und gestern,
Themata. Schnitzler spielte mit der Schwere. Er hat, wie niemand Themata. Schnitzler spielte mit der Schwere. Er hat, wie niemand
Böser Dinge hübsche Formel, Böser Dinge hübsche Formel,
auf der deutschen Bühne französische Technik mit deutschem Senti¬ auf der deutschen Bühne französische Technik mit deutschem Senti¬
Glatte Worte, bunte Bilder, Glatte Worte, bunte Bilder,
ment gehandhabt. Die Problematik war an Ibsen geschult ment gehandhabt. Die Problematik war an Ibsen geschult
Halbes, heimliches Empfinden, Halbes, heimliches Empfinden,
„Zwischenspiel", die Tragikomödie der sterbenden Liebe zweier „Zwischenspiel", die Tragikomödie der sterbenden Liebe zweier
Agonien, Episoden... Agonien, Episoden...
Menschen, die an die Ewigkeit ihres Gefühls glauben wollen, ist Menschen, die an die Ewigkeit ihres Gefühls glauben wollen, ist
eine Tragödie mit Tiesenwirkung, und dennoch ein Puppenspiel. eine Tragödie mit Tiesenwirkung, und dennoch ein Puppenspiel.
Die umfangreiche Leistung Schnitzlers ist mit wenigen berühm¬ Die umfangreiche Leistung Schnitzlers ist mit wenigen berühm¬
Ibsen wird geistig jongliert. Der Dichter in Schnitzler gibt sich Ibsen wird geistig jongliert. Der Dichter in Schnitzler gibt sich
ten Titeln geistig abgesteckt: „Anatol" (1893), „Liebelei ten Titeln geistig abgesteckt: „Anatol" (1893), „Liebelei
cher im Schmerz hin als jemals der harte Ibsen. Aber er cher im Schmerz hin als jemals der harte Ibsen. Aber er
(1895), „Leutnant Gustl“ (1901), „Zwischenspiel (1895), „Leutnant Gustl“ (1901), „Zwischenspiel
distanziert sich als Spieler und Träumer vor dem Einzelfall, wie distanziert sich als Spieler und Träumer vor dem Einzelfall, wie
(1905), „Comtesse Mizzi" (1900), „Professor Ber (1905), „Comtesse Mizzi" (1900), „Professor Ber
niemals ein Ibsen, der schwerer lebte und nicht träumte. Ibsen niemals ein Ibsen, der schwerer lebte und nicht träumte. Ibsen
nardi" 1912), „Fräulein Else" (1924). Ich nenne hielt Gerichtstag mit der Menschheit ab. Schnitzler feierte Ver¬ nardi" 1912), „Fräulein Else" (1924). Ich nenne hielt Gerichtstag mit der Menschheit ab. Schnitzler feierte Ver¬
noch „Traum=Novelle“ und „Reigen". Wenige Dichter söhnungsfeste mit dem Leid, mit der Schwäche, mit dem Tod. noch „Traum=Novelle“ und „Reigen". Wenige Dichter söhnungsfeste mit dem Leid, mit der Schwäche, mit dem Tod.
können wie Schnitzler mit der Vertrautheit dieser Titel rechner können wie Schnitzler mit der Vertrautheit dieser Titel rechner
Ibsen forderte Moral für die Seele. Schnitzler rechtfertigte die Ibsen forderte Moral für die Seele. Schnitzler rechtfertigte die
und mehr: mit ihrer stofflichen Ausstrahlung. Denn Schnitzler hat und mehr: mit ihrer stofflichen Ausstrahlung. Denn Schnitzler hat
Seele für ihre moralische Schwäche. Der Mediziner begreift die Seele für ihre moralische Schwäche. Der Mediziner begreift die
nicht nur Dramen und Erzählungen gedichtet, die Literatur Schwäche besser als die starke. Die Psychoanalyse fordert nicht nicht nur Dramen und Erzählungen gedichtet, die Literatur Schwäche besser als die starke. Die Psychoanalyse fordert nicht
blieben, sondern er schuf Typen, die in unserm Bewußtsein gültige blieben, sondern er schuf Typen, die in unserm Bewußtsein gültige
Sie versteht alles und verzeiht alles Sie versteht alles und verzeiht alles
Rollen spielen: nämlich die Komödie der Liebe und des Sterbens Rollen spielen: nämlich die Komödie der Liebe und des Sterbens
Schnitzler bleibt einer der großen Reptäsentanten der deutschen Schnitzler bleibt einer der großen Reptäsentanten der deutschen
der sentimentalen Seele in Reinkultur. Im „Anatol" steht je= Literatur. Er stand zwischen wissenschoftlichem Realiomus und der sentimentalen Seele in Reinkultur. Im „Anatol" steht je= Literatur. Er stand zwischen wissenschoftlichem Realiomus und