VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 219

er ana nt zu de r. er ana nt zu de r.
rische Morgendämmerung des „Naturalismus“. Eine rische Morgendämmerung des „Naturalismus“. Eine
Fülle neuer Talente tauchte namentlich auch auf Fülle neuer Talente tauchte namentlich auch auf
dem Theater auf. Aber von all den jungen Leuten, dem Theater auf. Aber von all den jungen Leuten,
die damals im Gefolge Hauptmanns eine neue, die damals im Gefolge Hauptmanns eine neue,
große Zeit anzukündigen schienen für das deutsche große Zeit anzukündigen schienen für das deutsche
Drama. hat eigentlich nur einer eine selbständige Drama. hat eigentlich nur einer eine selbständige
und interessante Entwicklung gehabt, hat ein Men¬ und interessante Entwicklung gehabt, hat ein Men¬
schenalter und länger ernsthafte Köpfe ernstlich be¬ schenalter und länger ernsthafte Köpfe ernstlich be¬
schäöftigen können, und das war Arthur Schnitzler. schäöftigen können, und das war Arthur Schnitzler.
War er cigentlich ein Naturalist? War er cigentlich ein Naturalist?
Er kam freilich im Zeichen dieser Bewegung, und Er kam freilich im Zeichen dieser Bewegung, und
er hatte etwas von der scharfäugigen und schonungs¬ er hatte etwas von der scharfäugigen und schonungs¬
losen Psychologie, mit der man damals im Zeit¬ losen Psychologie, mit der man damals im Zeit¬
alter Ibsens, Tolstois und Zolas die matt, unter¬ alter Ibsens, Tolstois und Zolas die matt, unter¬
haltend, flach, leblos gewordene Literatur erneuerte. haltend, flach, leblos gewordene Literatur erneuerte.
Aber dieser norddeutsche Naturalismus eines Haupt¬ Aber dieser norddeutsche Naturalismus eines Haupt¬
mann stellte die Menschen fest und trotzig auf die mann stellte die Menschen fest und trotzig auf die
Erde, und da entstanden dann Werke wie die Erde, und da entstanden dann Werke wie die
„Weber“ oder wie der „Biberpelz“ mit der glück¬ „Weber“ oder wie der „Biberpelz“ mit der glück¬
lichen Diebin der Mutter Wolfen, oder auch wie lichen Diebin der Mutter Wolfen, oder auch wie
der großartig melancholische „Florian Geyer“. Aber der großartig melancholische „Florian Geyer“. Aber
wenn der Wiener Schnitzler Gestalten seiner Seele wenn der Wiener Schnitzler Gestalten seiner Seele
aufstellte, so entdeckte er plötzlich, daß sie gar nicht aufstellte, so entdeckte er plötzlich, daß sie gar nicht
fest und eigentlich nicht sehr auf der Erde standen, fest und eigentlich nicht sehr auf der Erde standen,
und daß sie nicht sehr erbittert dem Schicksal trotz¬ und daß sie nicht sehr erbittert dem Schicksal trotz¬
ten, sondern mit einem klugen Lächeln wichen und ten, sondern mit einem klugen Lächeln wichen und
vergingen. Die erste und charakteristischste Figur, vergingen. Die erste und charakteristischste Figur,
die der junge, elegante Wiener Arzt von sich Us¬ die der junge, elegante Wiener Arzt von sich Us¬
löste, als er literarisch zu arbeiten begann, war ja löste, als er literarisch zu arbeiten begann, war ja
„Anatol“ gewesen, dieser tragikomische Wiener Lebe¬ „Anatol“ gewesen, dieser tragikomische Wiener Lebe¬
mann, der sich selbst einen „leichtsinnigen Melan¬ mann, der sich selbst einen „leichtsinnigen Melan¬
choliker“ nennt, und dem eigentlich nichts, auch in choliker“ nennt, und dem eigentlich nichts, auch in
der Liebe, nichts gelingt, weil er zu wissend für der Liebe, nichts gelingt, weil er zu wissend für
den Leichtsinn, zu leichtsinnig für planvolles Han¬ den Leichtsinn, zu leichtsinnig für planvolles Han¬
deln ist, weil er spielt, — spielt und verliert und deln ist, weil er spielt, — spielt und verliert und
sich am Verlust freut — weil er eigentlich Krankheil sich am Verlust freut — weil er eigentlich Krankheil
interessanter und schöner findet als Gesundheit. interessanter und schöner findet als Gesundheit.
Freilich, Schnitzler ist dann berühmt geworden Freilich, Schnitzler ist dann berühmt geworden
durch das Drama „Liebelei", in dem ein gesundes durch das Drama „Liebelei", in dem ein gesundes
Mädel aus dem Wiener Volk verzweifelt aufschreit, Mädel aus dem Wiener Volk verzweifelt aufschreit,
weil es sich in seinem reinen und starken Empfinden weil es sich in seinem reinen und starken Empfinden
durch die bloß spielerische Neigung solch eines jun¬ durch die bloß spielerische Neigung solch eines jun¬
gen Herrn Anatol beleidigt und verraten findet. gen Herrn Anatol beleidigt und verraten findet.
Aber im Grunde war es Aber im Grunde war es
nicht der Kampfschrei einer starken nicht der Kampfschrei einer starken
Volksseele, Volksseele,
der aus Schnitzler brach. Wenn er später einmal der aus Schnitzler brach. Wenn er später einmal
ein warmherziges Tendenzstück schrieb wie „Pro¬ ein warmherziges Tendenzstück schrieb wie „Pro¬
fessor Bernhardi", oder einen kritischen Zeitroman fessor Bernhardi", oder einen kritischen Zeitroman
wie „Der Weg ins Freie", so mischt sich doch viel wie „Der Weg ins Freie", so mischt sich doch viel
lähmende Betrachtung in den Ausschwung des lähmende Betrachtung in den Ausschwung des
Willens. Schnitzlers Künstlertum entfaltet sich rein Willens. Schnitzlers Künstlertum entfaltet sich rein
und stark dort, wo er melancholische oder ironische und stark dort, wo er melancholische oder ironische
Variationen seines Anatol gibt, des leichtsinnigen Variationen seines Anatol gibt, des leichtsinnigen
Melancholikers, des Spielers, dem das Leben unter Melancholikers, des Spielers, dem das Leben unter
den Händen zerrinnt. den Händen zerrinnt.
So hat er voll bitterem Zynismus die tödlich So hat er voll bitterem Zynismus die tödlich
witzige Szenenreihe „Reigen" geschrieben, in der die witzige Szenenreihe „Reigen" geschrieben, in der die
billigen Illusionen der sexuellen Erregung so böse billigen Illusionen der sexuellen Erregung so böse
aufgelöst werden. So den großartig konzentrierten aufgelöst werden. So den großartig konzentrierten
Einakter vom „Grünen Kakadu", der am Vorabend Einakter vom „Grünen Kakadu", der am Vorabend
der französischen Revolution den Zusammenbruch der französischen Revolution den Zusammenbruch
einer Gesellschaft zeigt, in der sich Spiel und Ernst einer Gesellschaft zeigt, in der sich Spiel und Ernst
zu einem nicht mehr auflösbaren Knäuel verwirrt zu einem nicht mehr auflösbaren Knäuel verwirrt
haben. So hat er das melancholische Spiel vom haben. So hat er das melancholische Spiel vom
„Einsamen Weg“ geschrieben, in dem der alternde „Einsamen Weg“ geschrieben, in dem der alternde
Anatol bergab geht und mit sehr melancholischem Anatol bergab geht und mit sehr melancholischem
Lächeln seine schönen Spiele aufgibt. Hier heißt er Lächeln seine schönen Spiele aufgibt. Hier heißt er
Herr von Sala und wird allen unvergeßlich blei¬ Herr von Sala und wird allen unvergeßlich blei¬
ben, auf die seine adlige Anmut, seine melancholische ben, auf die seine adlige Anmut, seine melancholische
Ironie einmal in der Darstellung Albert Basser¬ Ironie einmal in der Darstellung Albert Basser¬
manns gewirkt hat. — So aber, in einer Variation manns gewirkt hat. — So aber, in einer Variation
des Anatol=Themas, hat auch der Erzähler Schnitzler des Anatol=Themas, hat auch der Erzähler Schnitzler
sein Meisterstück geschaffen, den großen Monolog des sein Meisterstück geschaffen, den großen Monolog des
kleinen „Leutnant Gustl", der eine ganze Nacht kleinen „Leutnant Gustl", der eine ganze Nacht
durchwährt. Am Abend denkt er, er muß sich er¬ durchwährt. Am Abend denkt er, er muß sich er¬
schießen, weil ein dicker Bäckermeister ihn im Ge¬ schießen, weil ein dicker Bäckermeister ihn im Ge¬
dränge an der Garderobe geohrfeigt hat. Am Mor¬ dränge an der Garderobe geohrfeigt hat. Am Mor¬
gen muß er dann nicht, weil den Bäckermeister der gen muß er dann nicht, weil den Bäckermeister der
Schlag getroffen hat. Aber dazwischen liegt, vom Schlag getroffen hat. Aber dazwischen liegt, vom
Fieber des Todgeweihten vorbeigejagt, das ganze Fieber des Todgeweihten vorbeigejagt, das ganze
Leben dieses kleinen, gedankenlosen Spielers, der Leben dieses kleinen, gedankenlosen Spielers, der
nichts als ein Geschöpf seiner Klasse ist. Durch all nichts als ein Geschöpf seiner Klasse ist. Durch all
diese, mit hoher sprachlicher Kunst vollendeten diese, mit hoher sprachlicher Kunst vollendeten
Werke geht lachend und drohend, tröstend und tief Werke geht lachend und drohend, tröstend und tief
traurig die Melodie, die schon mit „Anatol" ange¬ traurig die Melodie, die schon mit „Anatol" ange¬
schlagen war, und die in einem späteren Einakter schlagen war, und die in einem späteren Einakter
Schnitzlers der Zauberer Paracelsus ausspricht: Schnitzlers der Zauberer Paracelsus ausspricht:
„Wir wissen nichts von andern, nichts von uns. „Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
e ere e ere
Grenzen zwischen Traum und Wachen Grenzen zwischen Traum und Wachen
einstürzen macht. einstürzen macht.
Tatsächlich ist Schnitzler schon der nächste Nachbar Tatsächlich ist Schnitzler schon der nächste Nachbar
des Wieners Hofmannsthal, der fünfzehn Jahre des Wieners Hofmannsthal, der fünfzehn Jahre
jünger als er, ihm doch im jünger als er, ihm doch im
vorausgegangen vorausgegangen
ist; und Hofmannsthal war ja der Begründer der ist; und Hofmannsthal war ja der Begründer der
„Neuromantik“, die sich im phantastischen Spiel der „Neuromantik“, die sich im phantastischen Spiel der
Stoffe und der Formen wieder ganz vom Natu¬ Stoffe und der Formen wieder ganz vom Natu¬
ralismus abwandle. Auch Schnitzler hat in jambi¬ ralismus abwandle. Auch Schnitzler hat in jambi¬
schen Kostümdramen und in phantastischen Spus¬ schen Kostümdramen und in phantastischen Spus¬
geschichten später mehr als einmal die künstlerische geschichten später mehr als einmal die künstlerische
Flucht aus der Wirklichkeit versucht. Er war frei¬ Flucht aus der Wirklichkeit versucht. Er war frei¬
lich doch zu sehr an den Gesellschaftsstil seiner lich doch zu sehr an den Gesellschaftsstil seiner
älteren Generation gebunden, um darin völlig glück¬ älteren Generation gebunden, um darin völlig glück¬
zu sein. Es gibt neben seinen sehr geglückten Ar¬ zu sein. Es gibt neben seinen sehr geglückten Ar¬
beiten, von denen ich eben die wichtigsten erwähnte, beiten, von denen ich eben die wichtigsten erwähnte,
überhaupt eine ziemlich große Anzahl halb mi߬ überhaupt eine ziemlich große Anzahl halb mi߬
ratener Predukte in Schnitzlers Werk, und nament¬ ratener Predukte in Schnitzlers Werk, und nament¬
lich in den letzten zwei Jahrzehnten hat er sich als lich in den letzten zwei Jahrzehnten hat er sich als
Dramatiker wie als Erzähler vielfach nur wieder¬ Dramatiker wie als Erzähler vielfach nur wieder¬
holt. Urd Wiederholung bedeutet Abschwächung, holt. Urd Wiederholung bedeutet Abschwächung,
und ist im Grunde nur überflüssig. Dennoch wer¬ und ist im Grunde nur überflüssig. Dennoch wer¬
nh nat Krln Schsfer un Rebelsenlan did nh nat Krln Schsfer un Rebelsenlan did
Wiener Bürgertums, das bereits fühlte, daß die Wiener Bürgertums, das bereits fühlte, daß die
Zeit seiner spielerischen Schönheit vorbei ist, daß Zeit seiner spielerischen Schönheit vorbei ist, daß
die Katastrophe nahe. Eben die Katastrophe nahe. Eben
leichtsinnige Melancholiker! leichtsinnige Melancholiker!
Aber weil er diese Schickfalsstunde in der Zeit mit Aber weil er diese Schickfalsstunde in der Zeit mit
dem wachen menschlichen Ernst eines wirklichen dem wachen menschlichen Ernst eines wirklichen
Dichters erlebt und oftmals mit der großen Kunst Dichters erlebt und oftmals mit der großen Kunst
eines sehr kultivierten Schriftstellers aufgezeichnet eines sehr kultivierten Schriftstellers aufgezeichnet
hat, darum wird der Kern seines Werkes überzeit¬ hat, darum wird der Kern seines Werkes überzeit¬
lich leben, wird nicht vergänglich sein. Denn etwas lich leben, wird nicht vergänglich sein. Denn etwas
von dem fragenden Zweifel, der diese Generation von dem fragenden Zweifel, der diese Generation
zerfraß, wird (wenn auch vielleicht von anderen zerfraß, wird (wenn auch vielleicht von anderen
Kräften gebändigt und gelenkt) in jeder Generation Kräften gebändigt und gelenkt) in jeder Generation
des Menschengeschlechts leben, die nicht ganz ver¬ des Menschengeschlechts leben, die nicht ganz ver¬
stumpfen und verflachen will. Wermn auch dieses stumpfen und verflachen will. Wermn auch dieses
Heute, diese jüngste Zeit Vergangenheit sein wird, Heute, diese jüngste Zeit Vergangenheit sein wird,
und viele ihrer heut nur dem Tage wichtigen Größen und viele ihrer heut nur dem Tage wichtigen Größen
ganz vergessen sind, wird noch manches Ohr auf ganz vergessen sind, wird noch manches Ohr auf
den ironisch=melancholischen Ton lauschen, der einst den ironisch=melancholischen Ton lauschen, der einst
über die Lippen Arthur Schnitzlers kam. über die Lippen Arthur Schnitzlers kam.
daline Bab daline Bab