hnitzler's Death hnitzler's Death
Schnitzlers weilen, der sich bei der Ab¬ Schnitzlers weilen, der sich bei der Ab¬
faszung des Büchleins als wohlwollend¬ faszung des Büchleins als wohlwollend¬
Fütiger Berater zeigte. Niemals hatte der Fütiger Berater zeigte. Niemals hatte der
Jüngling das Empfinden, einem Aelteren, Jüngling das Empfinden, einem Aelteren,
einem Großen gegenüberzustehen. Immer einem Großen gegenüberzustehen. Immer
überwog das Gefühl der Gleichberechti¬ überwog das Gefühl der Gleichberechti¬
gung, der Kameradschaftlichkeit. Schnitz¬ gung, der Kameradschaftlichkeit. Schnitz¬
ler, Bahnbrecher und Vorkämpfer der ler, Bahnbrecher und Vorkämpfer der
Freiheit in der Literatur, war auch Bahn¬ Freiheit in der Literatur, war auch Bahn¬
brecher und Vorkämpfer des erst nach brecher und Vorkämpfer des erst nach
dem Umsturze Gemeingut gewordenen dem Umsturze Gemeingut gewordenen
Leitsatzes: Die Jugend voran! Leitsatzes: Die Jugend voran!
Und noch eines überraschte den Be Und noch eines überraschte den Be
sucher bei längerem Verweilen: der son¬ sucher bei längerem Verweilen: der son¬
nige Humor Schnitzlers, der niemals ver nige Humor Schnitzlers, der niemals ver
letzte, dabei oft in Selbstironie überging. letzte, dabei oft in Selbstironie überging.
Ich erinnere mich, daß Arthur Schnitz¬ Ich erinnere mich, daß Arthur Schnitz¬
ler damals in einem mustergültigen, nur ler damals in einem mustergültigen, nur
von Glück erfülltem Familienleben stand, von Glück erfülltem Familienleben stand,
das durchaus bürgerlich, ja spießbürger- das durchaus bürgerlich, ja spießbürger-
lich anmutete und seltsam zum Geiste lich anmutete und seltsam zum Geiste
seiner in jener Zeit populärsten Dichtun¬- seiner in jener Zeit populärsten Dichtun¬-
gen kontrastierte. Im Vorzimmer seiner gen kontrastierte. Im Vorzimmer seiner
Wohnung spielten zwei Kinder, ein Bub Wohnung spielten zwei Kinder, ein Bub
und ein Mädel. Jeden Augenblick wurde und ein Mädel. Jeden Augenblick wurde
der Besucher ganz ohne Zeremoniell zum der Besucher ganz ohne Zeremoniell zum
Mitspielen eingeladen. Und der Vater Mitspielen eingeladen. Und der Vater
lachte vergnügt, während er auf seiner lachte vergnügt, während er auf seiner
Bücherleiter emporkletterte und das Kin¬ Bücherleiter emporkletterte und das Kin¬
derpuar, das dem Gaste nachgeeilt war, derpuar, das dem Gaste nachgeeilt war,
auf ihn Jagd machte . . . auf ihn Jagd machte . . .
box 43/2 box 43/2
Seither sind fünfundzwanzig Jahre ver¬ Seither sind fünfundzwanzig Jahre ver¬
strichen. Sie haben Oesterreich, sie haben strichen. Sie haben Oesterreich, sie haben
Wien, sie haben Arthur Schnitzler grund¬ Wien, sie haben Arthur Schnitzler grund¬
legende Wandlungen gebracht. Man kann¬ legende Wandlungen gebracht. Man kann¬
te sie, aber man vermied es, in seiner te sie, aber man vermied es, in seiner
Gegenwart davon zu sprechen. Seine Scheu Gegenwart davon zu sprechen. Seine Scheu
vor der Oeffentlichkeit hatte mit den Jah¬ vor der Oeffentlichkeit hatte mit den Jah¬
ren zugenommen, die angedeuteten Wand¬ ren zugenommen, die angedeuteten Wand¬
lungen steigerten seine Abneigung, her¬ lungen steigerten seine Abneigung, her¬
vorzutreten. Der Dichter der Einsamkeit vorzutreten. Der Dichter der Einsamkeit
war einsam geworden. Der Dichter der war einsam geworden. Der Dichter der
Liebe hatte die Liebe verloren. Der Dich¬ Liebe hatte die Liebe verloren. Der Dich¬
ter Wiens hatte kein Wien mehr. Uebrig ter Wiens hatte kein Wien mehr. Uebrig
blieb der Dichter des Sterbens und des blieb der Dichter des Sterbens und des
Abschieds. Abschieds.
Schnitzler, Oesterreichs repräsentativster Schnitzler, Oesterreichs repräsentativster
Dichter der Letztzeit, wie man ihn in den Dichter der Letztzeit, wie man ihn in den
Nachrufen nannte, ist bei Rer äsentatio¬ Nachrufen nannte, ist bei Rer äsentatio¬
nen niemals zu sehen gewesen. Er, der nen niemals zu sehen gewesen. Er, der
Führer im Geistesleben, hat niemals Titel Führer im Geistesleben, hat niemals Titel
und Würden in den Geisteskorporationen und Würden in den Geisteskorporationen
dieses Landes, dieser Stadt angenommen, dieses Landes, dieser Stadt angenommen,
deren sich so viele vergebens bemühten, deren sich so viele vergebens bemühten,
ihn als „Präsidenten zu gewinnen. So ihn als „Präsidenten zu gewinnen. So
wie Schnitzler niemals ein Interview ge¬ wie Schnitzler niemals ein Interview ge¬
währte und wie es mir vor einem Viertel¬ währte und wie es mir vor einem Viertel¬
jahrhunderte nicht gelang, ihn zu be¬ jahrhunderte nicht gelang, ihn zu be¬
wegen, mir auch nur ein paar Angaben wegen, mir auch nur ein paar Angaben
über sein Leben zu sagen. Sogar sein über sein Leben zu sagen. Sogar sein
Geburtsdatum, damals noch nicht so leicht Geburtsdatum, damals noch nicht so leicht
zu erfahren, mußte ich hinter seinem zu erfahren, mußte ich hinter seinem
Rücken bei seiner Frau erkunden. Rücken bei seiner Frau erkunden.
Man hat Arthur Schnitzler viel ange¬ Man hat Arthur Schnitzler viel ange¬
feindet. Die Einen, weil er einst finanziell feindet. Die Einen, weil er einst finanziell
unabhängig, die Anderen, weil er Jude war, unabhängig, die Anderen, weil er Jude war,
die Dritten, weil sie nicht begreifen woll¬ die Dritten, weil sie nicht begreifen woll¬
ten, daß einer anders sein könnte, als sie ten, daß einer anders sein könnte, als sie
selbst, die vermeinten, das heimische Gei¬ selbst, die vermeinten, das heimische Gei¬
stesleben und Geisteswirken gepachtet zu stesleben und Geisteswirken gepachtet zu
haben. Das waren auch diejenigen, denen haben. Das waren auch diejenigen, denen
es unfaßbar blieb, daß Arthur Schnitzler es unfaßbar blieb, daß Arthur Schnitzler
es vorzog, in seinen Meldezettel einzu¬ es vorzog, in seinen Meldezettel einzu¬
tragen: Dr. Arthur Schnitzler, Schrift¬ tragen: Dr. Arthur Schnitzler, Schrift¬
steller (auch den Doktorgrad erwähnte steller (auch den Doktorgrad erwähnte
er nur in amtlichen Formularen). er nur in amtlichen Formularen).
Im Auslande hatte Arthur Schnitzler Im Auslande hatte Arthur Schnitzler
einen glänzenden Namen, überall las man einen glänzenden Namen, überall las man
seine Bücher, gab man seine Stücke, wo¬ seine Bücher, gab man seine Stücke, wo¬
bei seine Weltfremdheit in kommerziellen bei seine Weltfremdheit in kommerziellen
Dingen ihm meist argen Nachteil brachte, Dingen ihm meist argen Nachteil brachte,
ähnlich wie es ihm damals ging, als er ähnlich wie es ihm damals ging, als er
sich nach längerem Widerstreben dem Film sich nach längerem Widerstreben dem Film
zu nähern begann. Der Streit um seinen zu nähern begann. Der Streit um seinen
„Reigen", bei uns seit der neuen Zeit „Reigen", bei uns seit der neuen Zeit
begraben und als unverständlich empfun¬ begraben und als unverständlich empfun¬
den, ist da und dort im Auslande auch den, ist da und dort im Auslande auch
heute noch aktuell geblieben. Wäre nicht heute noch aktuell geblieben. Wäre nicht
Remarque dazwischen getreten, die Nazis Remarque dazwischen getreten, die Nazis
hätten noch immer Schnitzler als einziges hätten noch immer Schnitzler als einziges
literarisches Ziel ihrer in Mäuse verwan¬ literarisches Ziel ihrer in Mäuse verwan¬
delten kulturschützenden Pfeile ... delten kulturschützenden Pfeile ...
An der Bahre Arthur Schnitzlers, dem An der Bahre Arthur Schnitzlers, dem
es nicht vergönnt war, seinen 70. Geburts¬ es nicht vergönnt war, seinen 70. Geburts¬
Schnitzlers weilen, der sich bei der Ab¬ Schnitzlers weilen, der sich bei der Ab¬
faszung des Büchleins als wohlwollend¬ faszung des Büchleins als wohlwollend¬
Fütiger Berater zeigte. Niemals hatte der Fütiger Berater zeigte. Niemals hatte der
Jüngling das Empfinden, einem Aelteren, Jüngling das Empfinden, einem Aelteren,
einem Großen gegenüberzustehen. Immer einem Großen gegenüberzustehen. Immer
überwog das Gefühl der Gleichberechti¬ überwog das Gefühl der Gleichberechti¬
gung, der Kameradschaftlichkeit. Schnitz¬ gung, der Kameradschaftlichkeit. Schnitz¬
ler, Bahnbrecher und Vorkämpfer der ler, Bahnbrecher und Vorkämpfer der
Freiheit in der Literatur, war auch Bahn¬ Freiheit in der Literatur, war auch Bahn¬
brecher und Vorkämpfer des erst nach brecher und Vorkämpfer des erst nach
dem Umsturze Gemeingut gewordenen dem Umsturze Gemeingut gewordenen
Leitsatzes: Die Jugend voran! Leitsatzes: Die Jugend voran!
Und noch eines überraschte den Be Und noch eines überraschte den Be
sucher bei längerem Verweilen: der son¬ sucher bei längerem Verweilen: der son¬
nige Humor Schnitzlers, der niemals ver nige Humor Schnitzlers, der niemals ver
letzte, dabei oft in Selbstironie überging. letzte, dabei oft in Selbstironie überging.
Ich erinnere mich, daß Arthur Schnitz¬ Ich erinnere mich, daß Arthur Schnitz¬
ler damals in einem mustergültigen, nur ler damals in einem mustergültigen, nur
von Glück erfülltem Familienleben stand, von Glück erfülltem Familienleben stand,
das durchaus bürgerlich, ja spießbürger- das durchaus bürgerlich, ja spießbürger-
lich anmutete und seltsam zum Geiste lich anmutete und seltsam zum Geiste
seiner in jener Zeit populärsten Dichtun¬- seiner in jener Zeit populärsten Dichtun¬-
gen kontrastierte. Im Vorzimmer seiner gen kontrastierte. Im Vorzimmer seiner
Wohnung spielten zwei Kinder, ein Bub Wohnung spielten zwei Kinder, ein Bub
und ein Mädel. Jeden Augenblick wurde und ein Mädel. Jeden Augenblick wurde
der Besucher ganz ohne Zeremoniell zum der Besucher ganz ohne Zeremoniell zum
Mitspielen eingeladen. Und der Vater Mitspielen eingeladen. Und der Vater
lachte vergnügt, während er auf seiner lachte vergnügt, während er auf seiner
Bücherleiter emporkletterte und das Kin¬ Bücherleiter emporkletterte und das Kin¬
derpuar, das dem Gaste nachgeeilt war, derpuar, das dem Gaste nachgeeilt war,
auf ihn Jagd machte . . . auf ihn Jagd machte . . .
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Seither sind fünfundzwanzig Jahre ver¬ Seither sind fünfundzwanzig Jahre ver¬
strichen. Sie haben Oesterreich, sie haben strichen. Sie haben Oesterreich, sie haben
Wien, sie haben Arthur Schnitzler grund¬ Wien, sie haben Arthur Schnitzler grund¬
legende Wandlungen gebracht. Man kann¬ legende Wandlungen gebracht. Man kann¬
te sie, aber man vermied es, in seiner te sie, aber man vermied es, in seiner
Gegenwart davon zu sprechen. Seine Scheu Gegenwart davon zu sprechen. Seine Scheu
vor der Oeffentlichkeit hatte mit den Jah¬ vor der Oeffentlichkeit hatte mit den Jah¬
ren zugenommen, die angedeuteten Wand¬ ren zugenommen, die angedeuteten Wand¬
lungen steigerten seine Abneigung, her¬ lungen steigerten seine Abneigung, her¬
vorzutreten. Der Dichter der Einsamkeit vorzutreten. Der Dichter der Einsamkeit
war einsam geworden. Der Dichter der war einsam geworden. Der Dichter der
Liebe hatte die Liebe verloren. Der Dich¬ Liebe hatte die Liebe verloren. Der Dich¬
ter Wiens hatte kein Wien mehr. Uebrig ter Wiens hatte kein Wien mehr. Uebrig
blieb der Dichter des Sterbens und des blieb der Dichter des Sterbens und des
Abschieds. Abschieds.
Schnitzler, Oesterreichs repräsentativster Schnitzler, Oesterreichs repräsentativster
Dichter der Letztzeit, wie man ihn in den Dichter der Letztzeit, wie man ihn in den
Nachrufen nannte, ist bei Rer äsentatio¬ Nachrufen nannte, ist bei Rer äsentatio¬
nen niemals zu sehen gewesen. Er, der nen niemals zu sehen gewesen. Er, der
Führer im Geistesleben, hat niemals Titel Führer im Geistesleben, hat niemals Titel
und Würden in den Geisteskorporationen und Würden in den Geisteskorporationen
dieses Landes, dieser Stadt angenommen, dieses Landes, dieser Stadt angenommen,
deren sich so viele vergebens bemühten, deren sich so viele vergebens bemühten,
ihn als „Präsidenten zu gewinnen. So ihn als „Präsidenten zu gewinnen. So
wie Schnitzler niemals ein Interview ge¬ wie Schnitzler niemals ein Interview ge¬
währte und wie es mir vor einem Viertel¬ währte und wie es mir vor einem Viertel¬
jahrhunderte nicht gelang, ihn zu be¬ jahrhunderte nicht gelang, ihn zu be¬
wegen, mir auch nur ein paar Angaben wegen, mir auch nur ein paar Angaben
über sein Leben zu sagen. Sogar sein über sein Leben zu sagen. Sogar sein
Geburtsdatum, damals noch nicht so leicht Geburtsdatum, damals noch nicht so leicht
zu erfahren, mußte ich hinter seinem zu erfahren, mußte ich hinter seinem
Rücken bei seiner Frau erkunden. Rücken bei seiner Frau erkunden.
Man hat Arthur Schnitzler viel ange¬ Man hat Arthur Schnitzler viel ange¬
feindet. Die Einen, weil er einst finanziell feindet. Die Einen, weil er einst finanziell
unabhängig, die Anderen, weil er Jude war, unabhängig, die Anderen, weil er Jude war,
die Dritten, weil sie nicht begreifen woll¬ die Dritten, weil sie nicht begreifen woll¬
ten, daß einer anders sein könnte, als sie ten, daß einer anders sein könnte, als sie
selbst, die vermeinten, das heimische Gei¬ selbst, die vermeinten, das heimische Gei¬
stesleben und Geisteswirken gepachtet zu stesleben und Geisteswirken gepachtet zu
haben. Das waren auch diejenigen, denen haben. Das waren auch diejenigen, denen
es unfaßbar blieb, daß Arthur Schnitzler es unfaßbar blieb, daß Arthur Schnitzler
es vorzog, in seinen Meldezettel einzu¬ es vorzog, in seinen Meldezettel einzu¬
tragen: Dr. Arthur Schnitzler, Schrift¬ tragen: Dr. Arthur Schnitzler, Schrift¬
steller (auch den Doktorgrad erwähnte steller (auch den Doktorgrad erwähnte
er nur in amtlichen Formularen). er nur in amtlichen Formularen).
Im Auslande hatte Arthur Schnitzler Im Auslande hatte Arthur Schnitzler
einen glänzenden Namen, überall las man einen glänzenden Namen, überall las man
seine Bücher, gab man seine Stücke, wo¬ seine Bücher, gab man seine Stücke, wo¬
bei seine Weltfremdheit in kommerziellen bei seine Weltfremdheit in kommerziellen
Dingen ihm meist argen Nachteil brachte, Dingen ihm meist argen Nachteil brachte,
ähnlich wie es ihm damals ging, als er ähnlich wie es ihm damals ging, als er
sich nach längerem Widerstreben dem Film sich nach längerem Widerstreben dem Film
zu nähern begann. Der Streit um seinen zu nähern begann. Der Streit um seinen
„Reigen", bei uns seit der neuen Zeit „Reigen", bei uns seit der neuen Zeit
begraben und als unverständlich empfun¬ begraben und als unverständlich empfun¬
den, ist da und dort im Auslande auch den, ist da und dort im Auslande auch
heute noch aktuell geblieben. Wäre nicht heute noch aktuell geblieben. Wäre nicht
Remarque dazwischen getreten, die Nazis Remarque dazwischen getreten, die Nazis
hätten noch immer Schnitzler als einziges hätten noch immer Schnitzler als einziges
literarisches Ziel ihrer in Mäuse verwan¬ literarisches Ziel ihrer in Mäuse verwan¬
delten kulturschützenden Pfeile ... delten kulturschützenden Pfeile ...
An der Bahre Arthur Schnitzlers, dem An der Bahre Arthur Schnitzlers, dem
es nicht vergönnt war, seinen 70. Geburts¬ es nicht vergönnt war, seinen 70. Geburts¬