Schnitzler's Deatl Schnitzler's Deatl
Ausse. Ausse.
vom vom
Ausschnitt Ausschnitt
aus aus
... ...
. .
Ne. Ne.
Münchener Zeitung Münchener Zeitung
Wite denchten Sie ale Allcsselel Wite denchten Sie ale Allcsselel
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
Wir haben verschiedene Arten der Literatur¬ Wir haben verschiedene Arten der Literatur¬
betrachtung, die rein ästhetische, die ästhetisch¬ betrachtung, die rein ästhetische, die ästhetisch¬
moralische, die historisch-biographische und deren moralische, die historisch-biographische und deren
Spielarten — allen mehr oder minder gemeinsam ist Spielarten — allen mehr oder minder gemeinsam ist
die stillschweigende Voraussetzung, daß der Dichter die stillschweigende Voraussetzung, daß der Dichter
und sein Werk etwas vom Leben Abtrennbares, Für¬ und sein Werk etwas vom Leben Abtrennbares, Für¬
sich=zu=Betrachtendes, ein (sehr hohes, sehr beacht¬ sich=zu=Betrachtendes, ein (sehr hohes, sehr beacht¬
liches) Phänomen vom Rande des Lebens sei, liches) Phänomen vom Rande des Lebens sei,
das man wie eine Blume pflücken, ins Wasser stellen das man wie eine Blume pflücken, ins Wasser stellen
und endlich wegwerfen könne, wosern es welk ge¬ und endlich wegwerfen könne, wosern es welk ge¬
worden. worden.
Dank dieser Voraussetzung gibt es die einzige Dank dieser Voraussetzung gibt es die einzige
Literaturbetrachtung, die unserem Leben unmittel Literaturbetrachtung, die unserem Leben unmittel
bar zugutekäme, nicht: diejenige, welche Dichtung als bar zugutekäme, nicht: diejenige, welche Dichtung als
des tatsächlichen Lebens obersten (und gleichsam ge¬ des tatsächlichen Lebens obersten (und gleichsam ge¬
schwindesten) Teil begreift — desjenigen Lebens, das schwindesten) Teil begreift — desjenigen Lebens, das
sich hernach in Pfundstürzen und dergleichen bloß sich hernach in Pfundstürzen und dergleichen bloß
grobschlächtiger, dem Sinne nach aber gleich, zu grobschlächtiger, dem Sinne nach aber gleich, zu
äußern pflegt. äußern pflegt.
Hätte man Arthur Schnitzlers Werk vor dem Hätte man Arthur Schnitzlers Werk vor dem
Krieg in der wahren Bedeutung des Wortes „sach¬ Krieg in der wahren Bedeutung des Wortes „sach¬
lich“ genommen, man hätte daraus des alten Oester¬ lich“ genommen, man hätte daraus des alten Oester¬
reichs Untergang so eindentig zu folgern vermocht reichs Untergang so eindentig zu folgern vermocht
wie aus dem Vibrieren eines Seismographen die wie aus dem Vibrieren eines Seismographen die
Tatsächlichkeit eines Erdbebens in 10 000 Kilometer Tatsächlichkeit eines Erdbebens in 10 000 Kilometer
Entfernung. Wenn das hier von Schnitzler be¬ Entfernung. Wenn das hier von Schnitzler be¬
hauptet wird, so nicht, weil man es nur an ihm, hauptet wird, so nicht, weil man es nur an ihm,
sondern sogar an ihm ablesen konnte — an ihm, sondern sogar an ihm ablesen konnte — an ihm,
der nicht in der ersten Reihe stand, was den Rang der nicht in der ersten Reihe stand, was den Rang
betrifft. Denn nimmt man Dichtung erst einmal betrifft. Denn nimmt man Dichtung erst einmal
wieder in dem geforderten Maße ernst, ergibt sich wieder in dem geforderten Maße ernst, ergibt sich
folgendes: was, isoliert betrachtet, als eine Neigung folgendes: was, isoliert betrachtet, als eine Neigung
und Schwäche des Dichters erscheint („er hat halt und Schwäche des Dichters erscheint („er hat halt
eine Faible für Untergangsstimmungen"), das eben eine Faible für Untergangsstimmungen"), das eben
ist sein Ansprechen auf die Zeit und somit — für uns ist sein Ansprechen auf die Zeit und somit — für uns
— ein drängend wichtiger Teil seiner Mission, wo¬ — ein drängend wichtiger Teil seiner Mission, wo¬
bei die Fräge, wieweit der Dichter leidvoll=lustvoll bei die Fräge, wieweit der Dichter leidvoll=lustvoll
teilhat an seiner Welt, längst nicht mehr die wich¬ teilhat an seiner Welt, längst nicht mehr die wich¬
tigste Rolle spielt. tigste Rolle spielt.
Vor einigen Tagen wurde in München ein Vor einigen Tagen wurde in München ein
englisches Lustspiel erstaufgeführt, dessen Summe englisches Lustspiel erstaufgeführt, dessen Summe
gleich der Feststellung war: in unserer moralischen gleich der Feststellung war: in unserer moralischen
(also auch in unserer tatsächlichen) Welt ist nichts (also auch in unserer tatsächlichen) Welt ist nichts
box 43/3 box 43/3
mehr von Bestand. Ein Werk, dessen ästhetische mehr von Bestand. Ein Werk, dessen ästhetische
Qualitäten nicht die höchsten sind, hat damit ohne Qualitäten nicht die höchsten sind, hat damit ohne
jede lehrhafte, eher in lusthafter Absicht eine Wahr¬ jede lehrhafte, eher in lusthafter Absicht eine Wahr¬
heit vor uns hingestellt, die für uns die drängendste heit vor uns hingestellt, die für uns die drängendste
und wichtigste, zukunftentscheidendste geworden ist. und wichtigste, zukunftentscheidendste geworden ist.
Hätte man aus Schnitzlers Werk, das der Vor¬ Hätte man aus Schnitzlers Werk, das der Vor¬
kriegszeit in jeder Weise angehört, ähnlich die kriegszeit in jeder Weise angehört, ähnlich die
Summe zu ziehen gehabt, so hätte man etwa sagen Summe zu ziehen gehabt, so hätte man etwa sagen
müssen: in jener Welt zu leben lohnte nicht mehr. müssen: in jener Welt zu leben lohnte nicht mehr.
Oder, um es noch mehr im Sprachgeist der Schnitz¬ Oder, um es noch mehr im Sprachgeist der Schnitz¬
ler=Welt auszudrücken: „es stand nicht mehr ler=Welt auszudrücken: „es stand nicht mehr
dafür". dafür".
Und warum nicht? Die Antwort enthält schon Und warum nicht? Die Antwort enthält schon
das drohende Strafgericht: weil sie sich völlig dem das drohende Strafgericht: weil sie sich völlig dem
Genuß überantwortet hatte. Genuß überantwortet hatte.
Schnitzlers Menschen sind Genießende des Schnitzlers Menschen sind Genießende des
Lebens — man sollte meinen, diese Liebhaber des Lebens — man sollte meinen, diese Liebhaber des
schönen, sorglosen, reizerfüllten Augenblicks hätten schönen, sorglosen, reizerfüllten Augenblicks hätten
das Höchste erreicht, dasjenige, um das man die das Höchste erreicht, dasjenige, um das man die
Götter beneidete — woher denn nun also ihre Götter beneidete — woher denn nun also ihre
schreckliche Melancholie, ihre Zweifelsucht, ihre schreckliche Melancholie, ihre Zweifelsucht, ihre
geheime Sehnsucht nach Untergang? In einem geheime Sehnsucht nach Untergang? In einem
seiner besten Einakter, im „Grünen Kakadu", schil¬ seiner besten Einakter, im „Grünen Kakadu", schil¬
dert Schnitzler die französischen Aristokraten, wie dert Schnitzler die französischen Aristokraten, wie
sie sich Revolution vorspielen lassen und wie aus sie sich Revolution vorspielen lassen und wie aus
dem Spiel unversehens Wirklichkeit wird. dem Spiel unversehens Wirklichkeit wird.
Nicht anders als in diesem Gleichnis ist es der Nicht anders als in diesem Gleichnis ist es der
Welt, der Schnitzler leid= und lustvoll anhing, er¬ Welt, der Schnitzler leid= und lustvoll anhing, er¬
gangen: das alte Oesterreich, das andere Dichter gangen: das alte Oesterreich, das andere Dichter
größer, andere schmerzlicher darzustellen wußten, größer, andere schmerzlicher darzustellen wußten,
zerfiel nach jenem unsagbar schönen, von rätselhaf¬ zerfiel nach jenem unsagbar schönen, von rätselhaf¬
ter Trauer verhangenen Herbst. Die Liebe war ter Trauer verhangenen Herbst. Die Liebe war
Genuß geworden, und die Männer (bei Schnitzler) Genuß geworden, und die Männer (bei Schnitzler)
vermochten nicht mehr mit dem Herzen zu lieben, vermochten nicht mehr mit dem Herzen zu lieben,
und die Frauen gaben sich vergeblich zum Opfer. und die Frauen gaben sich vergeblich zum Opfer.
Welche panische Stille vor dem heranbrausenden Welche panische Stille vor dem heranbrausenden
Schicksalswind! Schicksalswind!
Schnitzler, das ist wahr, erhob sich wenig über die Schnitzler, das ist wahr, erhob sich wenig über die
Zeit, die er darstellte — so wenig, daß er ihr nach¬ Zeit, die er darstellte — so wenig, daß er ihr nach¬
lebte, als sie schon „drunten“ war. Er gab die Ver¬ lebte, als sie schon „drunten“ war. Er gab die Ver¬
suche, sie im eigentlichen Sinne zu dichten, d. h. suche, sie im eigentlichen Sinne zu dichten, d. h.
durch große Form zu erlösen, wieder auf und über¬ durch große Form zu erlösen, wieder auf und über¬
ließ sich, ein anmutiger und geschmackvoller Impres¬ ließ sich, ein anmutiger und geschmackvoller Impres¬
sionist, ihrem Reiz. Das bestimmt seinen Rang und sionist, ihrem Reiz. Das bestimmt seinen Rang und
wird seinen Werken die Dauer weigern. wird seinen Werken die Dauer weigern.
« f. « f.
Aber wenn wir an seinem Beispiel die Erkenn Aber wenn wir an seinem Beispiel die Erkenn
nis festigen von der immanenten Prophetie alle nis festigen von der immanenten Prophetie alle
Dichtung, von ihrer sachlichen Wichtigkeit (d Dichtung, von ihrer sachlichen Wichtigkeit (d
nicht durchzusetzen ist mit ihrem ästhetischen Rang nicht durchzusetzen ist mit ihrem ästhetischen Rang
so wird uns das hellhöriger machen für unser so wird uns das hellhöriger machen für unser
eigene Zukunft, die immer schon in den Werken de eigene Zukunft, die immer schon in den Werken de
bevorstehenden Zeit als eine Ahnung ruht, au bevorstehenden Zeit als eine Ahnung ruht, au
denen sie der tätige Wille erkennend befreien, abe denen sie der tätige Wille erkennend befreien, abe
auch abwenden mag, sofern sie unheilvoll ist. Die auch abwenden mag, sofern sie unheilvoll ist. Die
ist es, wovon es im Alten Testament so oft heiß ist es, wovon es im Alten Testament so oft heiß
sie hörten nicht auf ihre Propheten. sie hörten nicht auf ihre Propheten.
Denn immer wieder verweisen die Mensche Denn immer wieder verweisen die Mensche
das „zwecklose" Spiel der Phantasie an den Ran das „zwecklose" Spiel der Phantasie an den Ran
des Lebens. Und was sie für unnütz halten, ver des Lebens. Und was sie für unnütz halten, ver
mögen sie nicht mehr zu nützen. mögen sie nicht mehr zu nützen.
Hanns Braun. Hanns Braun.
Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde gester Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde gester
mittag Artur Schnitzler zur letzten Ruhe geleite mittag Artur Schnitzler zur letzten Ruhe geleite
Die israelitische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbene Die israelitische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbene
ein Ehrengrab gestiftet. An den Beisetzungsfeietlich ein Ehrengrab gestiftet. An den Beisetzungsfeietlich
keiten nahmen die Familienmitglieder und viele Freund keiten nahmen die Familienmitglieder und viele Freund
und Verehrer des Dichters teil. und Verehrer des Dichters teil.
Ausse. Ausse.
vom vom
Ausschnitt Ausschnitt
aus aus
... ...
. .
Ne. Ne.
Münchener Zeitung Münchener Zeitung
Wite denchten Sie ale Allcsselel Wite denchten Sie ale Allcsselel
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
Wir haben verschiedene Arten der Literatur¬ Wir haben verschiedene Arten der Literatur¬
betrachtung, die rein ästhetische, die ästhetisch¬ betrachtung, die rein ästhetische, die ästhetisch¬
moralische, die historisch-biographische und deren moralische, die historisch-biographische und deren
Spielarten — allen mehr oder minder gemeinsam ist Spielarten — allen mehr oder minder gemeinsam ist
die stillschweigende Voraussetzung, daß der Dichter die stillschweigende Voraussetzung, daß der Dichter
und sein Werk etwas vom Leben Abtrennbares, Für¬ und sein Werk etwas vom Leben Abtrennbares, Für¬
sich=zu=Betrachtendes, ein (sehr hohes, sehr beacht¬ sich=zu=Betrachtendes, ein (sehr hohes, sehr beacht¬
liches) Phänomen vom Rande des Lebens sei, liches) Phänomen vom Rande des Lebens sei,
das man wie eine Blume pflücken, ins Wasser stellen das man wie eine Blume pflücken, ins Wasser stellen
und endlich wegwerfen könne, wosern es welk ge¬ und endlich wegwerfen könne, wosern es welk ge¬
worden. worden.
Dank dieser Voraussetzung gibt es die einzige Dank dieser Voraussetzung gibt es die einzige
Literaturbetrachtung, die unserem Leben unmittel Literaturbetrachtung, die unserem Leben unmittel
bar zugutekäme, nicht: diejenige, welche Dichtung als bar zugutekäme, nicht: diejenige, welche Dichtung als
des tatsächlichen Lebens obersten (und gleichsam ge¬ des tatsächlichen Lebens obersten (und gleichsam ge¬
schwindesten) Teil begreift — desjenigen Lebens, das schwindesten) Teil begreift — desjenigen Lebens, das
sich hernach in Pfundstürzen und dergleichen bloß sich hernach in Pfundstürzen und dergleichen bloß
grobschlächtiger, dem Sinne nach aber gleich, zu grobschlächtiger, dem Sinne nach aber gleich, zu
äußern pflegt. äußern pflegt.
Hätte man Arthur Schnitzlers Werk vor dem Hätte man Arthur Schnitzlers Werk vor dem
Krieg in der wahren Bedeutung des Wortes „sach¬ Krieg in der wahren Bedeutung des Wortes „sach¬
lich“ genommen, man hätte daraus des alten Oester¬ lich“ genommen, man hätte daraus des alten Oester¬
reichs Untergang so eindentig zu folgern vermocht reichs Untergang so eindentig zu folgern vermocht
wie aus dem Vibrieren eines Seismographen die wie aus dem Vibrieren eines Seismographen die
Tatsächlichkeit eines Erdbebens in 10 000 Kilometer Tatsächlichkeit eines Erdbebens in 10 000 Kilometer
Entfernung. Wenn das hier von Schnitzler be¬ Entfernung. Wenn das hier von Schnitzler be¬
hauptet wird, so nicht, weil man es nur an ihm, hauptet wird, so nicht, weil man es nur an ihm,
sondern sogar an ihm ablesen konnte — an ihm, sondern sogar an ihm ablesen konnte — an ihm,
der nicht in der ersten Reihe stand, was den Rang der nicht in der ersten Reihe stand, was den Rang
betrifft. Denn nimmt man Dichtung erst einmal betrifft. Denn nimmt man Dichtung erst einmal
wieder in dem geforderten Maße ernst, ergibt sich wieder in dem geforderten Maße ernst, ergibt sich
folgendes: was, isoliert betrachtet, als eine Neigung folgendes: was, isoliert betrachtet, als eine Neigung
und Schwäche des Dichters erscheint („er hat halt und Schwäche des Dichters erscheint („er hat halt
eine Faible für Untergangsstimmungen"), das eben eine Faible für Untergangsstimmungen"), das eben
ist sein Ansprechen auf die Zeit und somit — für uns ist sein Ansprechen auf die Zeit und somit — für uns
— ein drängend wichtiger Teil seiner Mission, wo¬ — ein drängend wichtiger Teil seiner Mission, wo¬
bei die Fräge, wieweit der Dichter leidvoll=lustvoll bei die Fräge, wieweit der Dichter leidvoll=lustvoll
teilhat an seiner Welt, längst nicht mehr die wich¬ teilhat an seiner Welt, längst nicht mehr die wich¬
tigste Rolle spielt. tigste Rolle spielt.
Vor einigen Tagen wurde in München ein Vor einigen Tagen wurde in München ein
englisches Lustspiel erstaufgeführt, dessen Summe englisches Lustspiel erstaufgeführt, dessen Summe
gleich der Feststellung war: in unserer moralischen gleich der Feststellung war: in unserer moralischen
(also auch in unserer tatsächlichen) Welt ist nichts (also auch in unserer tatsächlichen) Welt ist nichts
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mehr von Bestand. Ein Werk, dessen ästhetische mehr von Bestand. Ein Werk, dessen ästhetische
Qualitäten nicht die höchsten sind, hat damit ohne Qualitäten nicht die höchsten sind, hat damit ohne
jede lehrhafte, eher in lusthafter Absicht eine Wahr¬ jede lehrhafte, eher in lusthafter Absicht eine Wahr¬
heit vor uns hingestellt, die für uns die drängendste heit vor uns hingestellt, die für uns die drängendste
und wichtigste, zukunftentscheidendste geworden ist. und wichtigste, zukunftentscheidendste geworden ist.
Hätte man aus Schnitzlers Werk, das der Vor¬ Hätte man aus Schnitzlers Werk, das der Vor¬
kriegszeit in jeder Weise angehört, ähnlich die kriegszeit in jeder Weise angehört, ähnlich die
Summe zu ziehen gehabt, so hätte man etwa sagen Summe zu ziehen gehabt, so hätte man etwa sagen
müssen: in jener Welt zu leben lohnte nicht mehr. müssen: in jener Welt zu leben lohnte nicht mehr.
Oder, um es noch mehr im Sprachgeist der Schnitz¬ Oder, um es noch mehr im Sprachgeist der Schnitz¬
ler=Welt auszudrücken: „es stand nicht mehr ler=Welt auszudrücken: „es stand nicht mehr
dafür". dafür".
Und warum nicht? Die Antwort enthält schon Und warum nicht? Die Antwort enthält schon
das drohende Strafgericht: weil sie sich völlig dem das drohende Strafgericht: weil sie sich völlig dem
Genuß überantwortet hatte. Genuß überantwortet hatte.
Schnitzlers Menschen sind Genießende des Schnitzlers Menschen sind Genießende des
Lebens — man sollte meinen, diese Liebhaber des Lebens — man sollte meinen, diese Liebhaber des
schönen, sorglosen, reizerfüllten Augenblicks hätten schönen, sorglosen, reizerfüllten Augenblicks hätten
das Höchste erreicht, dasjenige, um das man die das Höchste erreicht, dasjenige, um das man die
Götter beneidete — woher denn nun also ihre Götter beneidete — woher denn nun also ihre
schreckliche Melancholie, ihre Zweifelsucht, ihre schreckliche Melancholie, ihre Zweifelsucht, ihre
geheime Sehnsucht nach Untergang? In einem geheime Sehnsucht nach Untergang? In einem
seiner besten Einakter, im „Grünen Kakadu", schil¬ seiner besten Einakter, im „Grünen Kakadu", schil¬
dert Schnitzler die französischen Aristokraten, wie dert Schnitzler die französischen Aristokraten, wie
sie sich Revolution vorspielen lassen und wie aus sie sich Revolution vorspielen lassen und wie aus
dem Spiel unversehens Wirklichkeit wird. dem Spiel unversehens Wirklichkeit wird.
Nicht anders als in diesem Gleichnis ist es der Nicht anders als in diesem Gleichnis ist es der
Welt, der Schnitzler leid= und lustvoll anhing, er¬ Welt, der Schnitzler leid= und lustvoll anhing, er¬
gangen: das alte Oesterreich, das andere Dichter gangen: das alte Oesterreich, das andere Dichter
größer, andere schmerzlicher darzustellen wußten, größer, andere schmerzlicher darzustellen wußten,
zerfiel nach jenem unsagbar schönen, von rätselhaf¬ zerfiel nach jenem unsagbar schönen, von rätselhaf¬
ter Trauer verhangenen Herbst. Die Liebe war ter Trauer verhangenen Herbst. Die Liebe war
Genuß geworden, und die Männer (bei Schnitzler) Genuß geworden, und die Männer (bei Schnitzler)
vermochten nicht mehr mit dem Herzen zu lieben, vermochten nicht mehr mit dem Herzen zu lieben,
und die Frauen gaben sich vergeblich zum Opfer. und die Frauen gaben sich vergeblich zum Opfer.
Welche panische Stille vor dem heranbrausenden Welche panische Stille vor dem heranbrausenden
Schicksalswind! Schicksalswind!
Schnitzler, das ist wahr, erhob sich wenig über die Schnitzler, das ist wahr, erhob sich wenig über die
Zeit, die er darstellte — so wenig, daß er ihr nach¬ Zeit, die er darstellte — so wenig, daß er ihr nach¬
lebte, als sie schon „drunten“ war. Er gab die Ver¬ lebte, als sie schon „drunten“ war. Er gab die Ver¬
suche, sie im eigentlichen Sinne zu dichten, d. h. suche, sie im eigentlichen Sinne zu dichten, d. h.
durch große Form zu erlösen, wieder auf und über¬ durch große Form zu erlösen, wieder auf und über¬
ließ sich, ein anmutiger und geschmackvoller Impres¬ ließ sich, ein anmutiger und geschmackvoller Impres¬
sionist, ihrem Reiz. Das bestimmt seinen Rang und sionist, ihrem Reiz. Das bestimmt seinen Rang und
wird seinen Werken die Dauer weigern. wird seinen Werken die Dauer weigern.
« f. « f.
Aber wenn wir an seinem Beispiel die Erkenn Aber wenn wir an seinem Beispiel die Erkenn
nis festigen von der immanenten Prophetie alle nis festigen von der immanenten Prophetie alle
Dichtung, von ihrer sachlichen Wichtigkeit (d Dichtung, von ihrer sachlichen Wichtigkeit (d
nicht durchzusetzen ist mit ihrem ästhetischen Rang nicht durchzusetzen ist mit ihrem ästhetischen Rang
so wird uns das hellhöriger machen für unser so wird uns das hellhöriger machen für unser
eigene Zukunft, die immer schon in den Werken de eigene Zukunft, die immer schon in den Werken de
bevorstehenden Zeit als eine Ahnung ruht, au bevorstehenden Zeit als eine Ahnung ruht, au
denen sie der tätige Wille erkennend befreien, abe denen sie der tätige Wille erkennend befreien, abe
auch abwenden mag, sofern sie unheilvoll ist. Die auch abwenden mag, sofern sie unheilvoll ist. Die
ist es, wovon es im Alten Testament so oft heiß ist es, wovon es im Alten Testament so oft heiß
sie hörten nicht auf ihre Propheten. sie hörten nicht auf ihre Propheten.
Denn immer wieder verweisen die Mensche Denn immer wieder verweisen die Mensche
das „zwecklose" Spiel der Phantasie an den Ran das „zwecklose" Spiel der Phantasie an den Ran
des Lebens. Und was sie für unnütz halten, ver des Lebens. Und was sie für unnütz halten, ver
mögen sie nicht mehr zu nützen. mögen sie nicht mehr zu nützen.
Hanns Braun. Hanns Braun.
Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde gester Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde gester
mittag Artur Schnitzler zur letzten Ruhe geleite mittag Artur Schnitzler zur letzten Ruhe geleite
Die israelitische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbene Die israelitische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbene
ein Ehrengrab gestiftet. An den Beisetzungsfeietlich ein Ehrengrab gestiftet. An den Beisetzungsfeietlich
keiten nahmen die Familienmitglieder und viele Freund keiten nahmen die Familienmitglieder und viele Freund
und Verehrer des Dichters teil. und Verehrer des Dichters teil.