VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 247

2. Schnitzl 2. Schnitzl
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Münchener Zeitung Münchener Zeitung
Wite benchsen Sia ale Allchselel Wite benchsen Sia ale Allchselel
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
Wir haben verschiedene Arten der Literatur¬ Wir haben verschiedene Arten der Literatur¬
rachtung, die rein ästhetische, die ästhetisch rachtung, die rein ästhetische, die ästhetisch
pralische, die historisch-biographische und deren pralische, die historisch-biographische und deren
bielarten — allen mehr oder minder gemeinsam ist bielarten — allen mehr oder minder gemeinsam ist
stillschweigende Voraussetzung, daß der Dichter stillschweigende Voraussetzung, daß der Dichter
dsein Werk etwas vom Leben Abtrennbares, Für¬ dsein Werk etwas vom Leben Abtrennbares, Für¬
zu=Betrachtendes, ein (sehr hohes, sehr beacht¬ zu=Betrachtendes, ein (sehr hohes, sehr beacht¬
hes) Phänomen vom Rande des Lebens sei, hes) Phänomen vom Rande des Lebens sei,
sman wie eine Blume pflücken, ins Wasser stellen sman wie eine Blume pflücken, ins Wasser stellen
d endlich wegwerfen könne, wosern es welk ge¬ d endlich wegwerfen könne, wosern es welk ge¬
orden. orden.
Dank dieser Voraussetzung gibt es die einzige Dank dieser Voraussetzung gibt es die einzige
teraturbetrachtung, die unserem Leben unmittel¬ teraturbetrachtung, die unserem Leben unmittel¬
r zugutekäme, nicht: diejenige, welche Dichtung als r zugutekäme, nicht: diejenige, welche Dichtung als
tatsächlichen Lebens obersten (und gleichsam ge¬ tatsächlichen Lebens obersten (und gleichsam ge¬
windesten) Teil begreift — desjenigen Lebens, das windesten) Teil begreift — desjenigen Lebens, das
h hernach in Pfundstürzen und dergleichen bloß h hernach in Pfundstürzen und dergleichen bloß
obschlächtiger, dem Sinne nach aber gleich, zu obschlächtiger, dem Sinne nach aber gleich, zu
ßern pflegt. ßern pflegt.
Hätte man Arthur Schnitzlers Werk vor dem Hätte man Arthur Schnitzlers Werk vor dem
rieg in der wahren Bedeutung des Wortes „sach¬ rieg in der wahren Bedeutung des Wortes „sach¬
h“ genommen, man hätte daraus des alten Oester¬ h“ genommen, man hätte daraus des alten Oester¬
ichs Untergang so eindeutig zu folgern vermocht ichs Untergang so eindeutig zu folgern vermocht
sie aus dem Vibrieren eines Seismographen die sie aus dem Vibrieren eines Seismographen die
atsächlichkeit eines Erdbebens in 10000 Kilometer atsächlichkeit eines Erdbebens in 10000 Kilometer
sutfernung. Wenn das hier von Schnitzler be¬ sutfernung. Wenn das hier von Schnitzler be¬
auptet wird, so nicht, weil man es nur an ihm, auptet wird, so nicht, weil man es nur an ihm,
ndern sogar an ihm ablesen konnte — an ihm, ndern sogar an ihm ablesen konnte — an ihm,
zer nicht in der ersten Reihe stand, was den Rang zer nicht in der ersten Reihe stand, was den Rang
etrifft. Denn nimmt man Dichtung erst einmal etrifft. Denn nimmt man Dichtung erst einmal
jeder in dem geforderten Maße ernst, ergibt sich jeder in dem geforderten Maße ernst, ergibt sich
lgendes: was, isoliert betrachtet, als eine Neigung lgendes: was, isoliert betrachtet, als eine Neigung
nd Schwäche des Dichters erscheint („er hat halt nd Schwäche des Dichters erscheint („er hat halt
ne Faible für Untergangsstimmungen"), das eben ne Faible für Untergangsstimmungen"), das eben
sein Ansprechen auf die Zeit und somit — für uns sein Ansprechen auf die Zeit und somit — für uns
ein drängend wichtiger Teil seiner Mission, wo¬ ein drängend wichtiger Teil seiner Mission, wo¬
i die Frage, wieweit der Dichter leidvoll=lustvoll i die Frage, wieweit der Dichter leidvoll=lustvoll
ilhat an seiner Welt, längst nicht mehr die wich¬ ilhat an seiner Welt, längst nicht mehr die wich¬
gste Rolle spielt. gste Rolle spielt.
Vor einigen Tagen wurde in München ein Vor einigen Tagen wurde in München ein
nalisches Lustspiel erstaufgeführt, dessen Summe nalisches Lustspiel erstaufgeführt, dessen Summe
leich der Feststellung war: in unserer moralischen leich der Feststellung war: in unserer moralischen
also auch in unserer tatsächlichen) Welt ist nichts also auch in unserer tatsächlichen) Welt ist nichts
box 43/3 box 43/3
mehr von Bestand. Ein Werk, dessen ästhetische mehr von Bestand. Ein Werk, dessen ästhetische
Qualitäten nicht die höchsten sind, hat damit ohne Qualitäten nicht die höchsten sind, hat damit ohne
jede lehrhafte, eher in lusthafter Absicht eine Wahr¬ jede lehrhafte, eher in lusthafter Absicht eine Wahr¬
heit vor uns hingestellt, die für uns die drängendste heit vor uns hingestellt, die für uns die drängendste
und wichtigste, zukunftentscheidendste geworden ist. und wichtigste, zukunftentscheidendste geworden ist.
Hätte man aus Schnitzlers Werk, das der Vor¬ Hätte man aus Schnitzlers Werk, das der Vor¬
kriegszeit in jeder Weise angehört, ähnlich die kriegszeit in jeder Weise angehört, ähnlich die
Summe zu ziehen gehabt, so hätte man etwa sagen Summe zu ziehen gehabt, so hätte man etwa sagen
müssen: in jener Welt zu leben lohnte nicht mehr. müssen: in jener Welt zu leben lohnte nicht mehr.
Oder, um es noch mehr im Sprachgeist der Schnitz Oder, um es noch mehr im Sprachgeist der Schnitz
ler=Welt auszudrücken: „es stand nicht mehr ler=Welt auszudrücken: „es stand nicht mehr
dafür" dafür"
Und warum nicht? Die Antwort enthält schon Und warum nicht? Die Antwort enthält schon
das drohende Strafgericht: weil sie sich völlig dem das drohende Strafgericht: weil sie sich völlig dem
Genuß überantwortet hatte. Genuß überantwortet hatte.
Schnitzlers Menschen sind Genießende des Schnitzlers Menschen sind Genießende des
Lebens — man sollte meinen, diese Liebhaber des Lebens — man sollte meinen, diese Liebhaber des
schönen, sorglosen, reizerfüllten Augenblicks hätten schönen, sorglosen, reizerfüllten Augenblicks hätten
das Höchste erreicht, dasjenige, um das man die das Höchste erreicht, dasjenige, um das man die
Götter beneidete — woher denn nun also ihre Götter beneidete — woher denn nun also ihre
schreckliche Melancholie, ihre Zweifelsucht, ihre schreckliche Melancholie, ihre Zweifelsucht, ihre
geheime Sehnsucht nach Untergang? In einem geheime Sehnsucht nach Untergang? In einem
seiner besten Einakter, im „Grünen Kakadu", schil¬ seiner besten Einakter, im „Grünen Kakadu", schil¬
dert Schnitzler die französischen Aristokraten, wie dert Schnitzler die französischen Aristokraten, wie
sie sich Revolution vorspielen lassen und wie aus sie sich Revolution vorspielen lassen und wie aus
dem Spiel unversehens Wirklichkeit wird. dem Spiel unversehens Wirklichkeit wird.
Nicht anders als in diesem Gleichnis ist es der Nicht anders als in diesem Gleichnis ist es der
Welt, der Schnitzler leid= und lustvoll anhing, er¬ Welt, der Schnitzler leid= und lustvoll anhing, er¬
gangen: das alte Oesterreich, das andere Dichter gangen: das alte Oesterreich, das andere Dichter
größer, andere schmerzlicher darzustellen wußten, größer, andere schmerzlicher darzustellen wußten,
zerfiel nach jenem unsagbar schönen, von rätselhaf¬ zerfiel nach jenem unsagbar schönen, von rätselhaf¬
ter Trauer verhangenen Herbst. Die Liebe war ter Trauer verhangenen Herbst. Die Liebe war
Genuß geworden, und die Männer (bei Schnitzler) Genuß geworden, und die Männer (bei Schnitzler)
vermochten nicht mehr mit dem Herzen zu lieben, vermochten nicht mehr mit dem Herzen zu lieben,
und die Frauen gaben sich vergeblich zum Opfer. und die Frauen gaben sich vergeblich zum Opfer.
Welche panische Stille vor dem heranbrausenden Welche panische Stille vor dem heranbrausenden
Schicksalswind! Schicksalswind!
Schnitzler, das ist wahr, erhob sich wenig über die Schnitzler, das ist wahr, erhob sich wenig über die
Zeit, die er darstellte — so wenig, daß er ihr nach¬ Zeit, die er darstellte — so wenig, daß er ihr nach¬
lebte, als sie schon „drunten“ war. Er gab die Ver¬ lebte, als sie schon „drunten“ war. Er gab die Ver¬
suche, sie im eigentlichen Sinne zu dichten, d. h. suche, sie im eigentlichen Sinne zu dichten, d. h.
durch große Form zu erlösen, wieder auf und über¬ durch große Form zu erlösen, wieder auf und über¬
ließ sich, ein anmutiger und geschmackvoller Impres¬ ließ sich, ein anmutiger und geschmackvoller Impres¬
sionist, ihrem Reiz. Das bestimmt seinen Rang und sionist, ihrem Reiz. Das bestimmt seinen Rang und
wird seinen Werken die Dauer weigern. wird seinen Werken die Dauer weigern.
Aber wenn wir an seinem Beispiel die Erkennt¬ Aber wenn wir an seinem Beispiel die Erkennt¬
nis festigen von der immanenten Prophetie aller nis festigen von der immanenten Prophetie aller
Dichtung, von ihrer sachlichen Wichtigkeit (die Dichtung, von ihrer sachlichen Wichtigkeit (die
nicht durchzusetzen ist mit ihrem ästhetischen Rang), nicht durchzusetzen ist mit ihrem ästhetischen Rang),
so wird uns das hellhöriger machen für unsere so wird uns das hellhöriger machen für unsere
eigene Zukunft, die immer schon in den Werken der eigene Zukunft, die immer schon in den Werken der
bevorstehenden Zeit als eine Ahnung ruht, aus bevorstehenden Zeit als eine Ahnung ruht, aus
denen sie der tätige Wille erkennend befreien, aber denen sie der tätige Wille erkennend befreien, aber
auch abwenden mag, sofern sie unheilvoll ist. Dies auch abwenden mag, sofern sie unheilvoll ist. Dies
ist es, wovon es im Alten Testament so oft heißt; ist es, wovon es im Alten Testament so oft heißt;
sie hörten nicht auf ihre Propheten. sie hörten nicht auf ihre Propheten.
Denn immer wieder verweisen die Menschen Denn immer wieder verweisen die Menschen
das „zwecklose" Spiel der Phantasie an den Rand das „zwecklose" Spiel der Phantasie an den Rand
des Lebens. Und was sie für unnütz halten, ver¬ des Lebens. Und was sie für unnütz halten, ver¬
mögen sie nicht mehr zu nützen. mögen sie nicht mehr zu nützen.
Hanns Braun. Hanns Braun.
Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde gestern Auf dem Zentralfriedhof in Wien wurde gestern
mittag Artur Schnitzler zur letzten Ruhe geleitet. mittag Artur Schnitzler zur letzten Ruhe geleitet.
Die israelitische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbenen Die israelitische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbenen
ein Ehrengrab gestiftet. An den Beisetzungsfeietlich¬ ein Ehrengrab gestiftet. An den Beisetzungsfeietlich¬
keiten nahmen die Familienmitglieder und viele Freunde keiten nahmen die Familienmitglieder und viele Freunde
und Verehrer des Dichters teil. und Verehrer des Dichters teil.