Schnitzl. Schnitzl.
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ERVER ERVER
1. österr. behördl. konzessioniertes 1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
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Saarbrücker Zeitung Saarbrücker Zeitung
1 9 193/ 1 9 193/
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Nr....VOm. Nr....VOm.
Der einsame Weg. Der einsame Weg.
Zum Tode Artur Schnitzlers. Zum Tode Artur Schnitzlers.
Von Von
Dr. Albert Malte Wagner. Dr. Albert Malte Wagner.
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Artur Schnitzler ist am 21. d. Mts. in Wien Artur Schnitzler ist am 21. d. Mts. in Wien
gestorben. gestorben.
Wenige Monate vor seinem 70. Geburtstage, wenige Wochen Wenige Monate vor seinem 70. Geburtstage, wenige Wochen
nach dem Erscheinen seiner letzten Novelle: „Flucht in die nach dem Erscheinen seiner letzten Novelle: „Flucht in die
Finsternis" (S. Fischer Verlag, Berlin) ist Artur Schnitzler Finsternis" (S. Fischer Verlag, Berlin) ist Artur Schnitzler
in Wien einem Schlaganfall erlegen. Flucht in die Finsternis: in Wien einem Schlaganfall erlegen. Flucht in die Finsternis:
das ewige Thema Schnitzlers, die Flucht des alternden das ewige Thema Schnitzlers, die Flucht des alternden
Menschen vor dem Altern, das weniger tragisch als traurig Menschen vor dem Altern, das weniger tragisch als traurig
ist, wird hier zum letztenmal mit einer fast wissenschaft¬ ist, wird hier zum letztenmal mit einer fast wissenschaft¬
lichen Präzision dargestellt in der Erzählung von dem Hofrat, lichen Präzision dargestellt in der Erzählung von dem Hofrat,
der sich seinem Schicksal unterwirft, indem er ihm zu ent¬ der sich seinem Schicksal unterwirft, indem er ihm zu ent¬
gehen sucht. Flucht in die Finsternis: es ist das Ziel, das gehen sucht. Flucht in die Finsternis: es ist das Ziel, das
am Ende des einsamen Weges steht, den Schnitzler stets am Ende des einsamen Weges steht, den Schnitzler stets
gegangen ist. Der einsame Weg des impressionistischen gegangen ist. Der einsame Weg des impressionistischen
Menschen, der sich nach den Stunden des Genusses zurück¬ Menschen, der sich nach den Stunden des Genusses zurück¬
sehnt, ohne sie aufzufangen, ohne sie halten zu können...... sehnt, ohne sie aufzufangen, ohne sie halten zu können......
Schnitzler ist der früh gereifte, zarte und traurige Wiener, Schnitzler ist der früh gereifte, zarte und traurige Wiener,
wie ihn ein anderer großer Wiener, Hugo v. Hoffmanns¬ wie ihn ein anderer großer Wiener, Hugo v. Hoffmanns¬
thal, charakterisiert hat. Schnitzlers Drama wächst nicht aus thal, charakterisiert hat. Schnitzlers Drama wächst nicht aus
der kämpferischen Haltung der Menschen hervor, auch nicht der kämpferischen Haltung der Menschen hervor, auch nicht
aus seelischer Tragik, sondern aus der Stimmung, aus der aus seelischer Tragik, sondern aus der Stimmung, aus der
müden, weichen, melancholischen Stimmung des kaiserlichen müden, weichen, melancholischen Stimmung des kaiserlichen
Wien. Man könnte Schnitzler vielleicht insofern einen Wien. Man könnte Schnitzler vielleicht insofern einen
Naturalisten nennen, als er weitab von dem Wunsche, die Naturalisten nennen, als er weitab von dem Wunsche, die
Menschen zu bessern und zu erwecken, nur objektiv sein Menschen zu bessern und zu erwecken, nur objektiv sein
will, registrierend, nicht Tatsachen sondern Stimmungen. will, registrierend, nicht Tatsachen sondern Stimmungen.
Gerade in dieser Hinsicht ist seine letzte Novelle auch im Stil Gerade in dieser Hinsicht ist seine letzte Novelle auch im Stil
der vollkommenste Ausdruck seiner dichterischen Persönlichkeit. der vollkommenste Ausdruck seiner dichterischen Persönlichkeit.
Das ist der Schnitzler, dem es auf das Einfangen fast nicht Das ist der Schnitzler, dem es auf das Einfangen fast nicht
wahrnehmbarer Nuancen ankommt. Mit sehr skeptischem wahrnehmbarer Nuancen ankommt. Mit sehr skeptischem
Lächeln sieht Schnitzler dem Treiben seiner „Helden“ zu, den Lächeln sieht Schnitzler dem Treiben seiner „Helden“ zu, den
ebenso skeptischen, ebenso müden, ebenso ironischen, ebenso ebenso skeptischen, ebenso müden, ebenso ironischen, ebenso
eleganten und gebildeten Vertretern der Wiener „goldenen eleganten und gebildeten Vertretern der Wiener „goldenen
Jugend“, diesen Lebemännern ohne Leidenschaft und voll Jugend“, diesen Lebemännern ohne Leidenschaft und voll
kohetter Schwermut. Schnitzler hat den „Ruf des Lebens“ kohetter Schwermut. Schnitzler hat den „Ruf des Lebens“
in Wahrheit nur selten vernommen, es ist ihm nur ein in Wahrheit nur selten vernommen, es ist ihm nur ein
„Zwischenspiel“, das die Zeit von der Geburt bis zum „Zwischenspiel“, das die Zeit von der Geburt bis zum
Sterben ausfüllt. Es ist fast selbstverständlich, daß dieser Poet Sterben ausfüllt. Es ist fast selbstverständlich, daß dieser Poet
gerade in der Darstellung des Todes und in der Ver¬ gerade in der Darstellung des Todes und in der Ver¬
schwisterung von Liebe und Tod die feinste Hand zeigt. schwisterung von Liebe und Tod die feinste Hand zeigt.
Immer wird man sich an seiner Seelenanalyse und an seiner Immer wird man sich an seiner Seelenanalyse und an seiner
virtuosen Fähigkeit erfreuen, den Dialog zu führen, aus virtuosen Fähigkeit erfreuen, den Dialog zu führen, aus
heiterer Nachdenklichkeit heraus die Tragik zu streicheln, um heiterer Nachdenklichkeit heraus die Tragik zu streicheln, um
dann mit einem wehmütig lächelnden Fragezeichen zu dann mit einem wehmütig lächelnden Fragezeichen zu
schließen, hinter dem nur allzu oft eine Sentimentalität steht, schließen, hinter dem nur allzu oft eine Sentimentalität steht,
die weder menschlich noch künstlerisch groß ist. die weder menschlich noch künstlerisch groß ist.
box 43/3 box 43/3
„Ich fühle, wieviel mir verlorengeht, wenn ich mich eines „Ich fühle, wieviel mir verlorengeht, wenn ich mich eines
Tages stark fände", sagt sein Anatol, der Held seines ersten Tages stark fände", sagt sein Anatol, der Held seines ersten
Buches. Das ist ein Selbstbekenntnis des Dichters — im Buches. Das ist ein Selbstbekenntnis des Dichters — im
Grunde sind alle seine Gestalten Anatol oder Verwandte von Grunde sind alle seine Gestalten Anatol oder Verwandte von
ihm. Im Zeitalter der Empfindsamkeit, aus dem der junge ihm. Im Zeitalter der Empfindsamkeit, aus dem der junge
Goethe hervorgewachsen ist, gab es keinen größeren Vorwurf Goethe hervorgewachsen ist, gab es keinen größeren Vorwurf
für den Schaffenden, als daß er ein Virtuose genannt wurde. für den Schaffenden, als daß er ein Virtuose genannt wurde.
Schnitzler ist ein solcher Virtuose, dessen Können nicht unter¬ Schnitzler ist ein solcher Virtuose, dessen Können nicht unter¬
schätzt werden darf. Im Gegenteil! Den Stürmern von heute schätzt werden darf. Im Gegenteil! Den Stürmern von heute
möchte man etwas von diesem Schnitzlerschen Virtuosentum möchte man etwas von diesem Schnitzlerschen Virtuosentum
wünschen, aber es bleibt hoch schmerzlich, daß dieser außer¬ wünschen, aber es bleibt hoch schmerzlich, daß dieser außer¬
ordentliche Könner niemals etwas von dieser Hingabe an die ordentliche Könner niemals etwas von dieser Hingabe an die
Idee des Menschentums hatte, ohne die auch das größte Idee des Menschentums hatte, ohne die auch das größte
Können eben nur Können bleibt. Aber etwas von der Emp¬ Können eben nur Können bleibt. Aber etwas von der Emp¬
findsamkeit des 18. Jahrhunderts steckt doch gerade auch in findsamkeit des 18. Jahrhunderts steckt doch gerade auch in
diesem klugen Wiener Dichter des zwanzigsten. Goethes diesem klugen Wiener Dichter des zwanzigsten. Goethes
Oronaro kann das geliebte Weib in der Wirklichkeit nicht er¬ Oronaro kann das geliebte Weib in der Wirklichkeit nicht er¬
tragen, sondern nur die Vorstellung von ihr. Anatol möchte tragen, sondern nur die Vorstellung von ihr. Anatol möchte
wohl wissen, ob die kleine Kora ihm treu ist, aber die ent¬ wohl wissen, ob die kleine Kora ihm treu ist, aber die ent¬
scheidende „Frage an das Schicksal“ vermag er doch nicht zu scheidende „Frage an das Schicksal“ vermag er doch nicht zu
stellen — die Meinung, die er sich von ihr geschaffen, ist ihm stellen — die Meinung, die er sich von ihr geschaffen, ist ihm
wesentlicher, als jede mögliche Wahrheit. Es sind nur wenige wesentlicher, als jede mögliche Wahrheit. Es sind nur wenige
„Lebendige Stunden“, die uns der Dramatiker Schnitzler ge¬ „Lebendige Stunden“, die uns der Dramatiker Schnitzler ge¬
schenkt hat. Seltsam überhaupt, daß dieser Schnitzler so oft schenkt hat. Seltsam überhaupt, daß dieser Schnitzler so oft
zum Drama getrieben wurde. Der Mensch kann nichts tun zum Drama getrieben wurde. Der Mensch kann nichts tun
gegen sein Schicksal: das ist sein Kredo und wer dieses Kredo gegen sein Schicksal: das ist sein Kredo und wer dieses Kredo
hat, muß ein Kleist sein, um es dramatisch ermöglichen zu hat, muß ein Kleist sein, um es dramatisch ermöglichen zu
können. In Wahrheit sind Schnitzlers Bühnenarbeiten und können. In Wahrheit sind Schnitzlers Bühnenarbeiten und
gerade die bekanntesten, nur dialogisierte Novellen. Gewiß hat gerade die bekanntesten, nur dialogisierte Novellen. Gewiß hat
er sich in seiner Jugend auch sozialen Problemen zugewandt, er sich in seiner Jugend auch sozialen Problemen zugewandt,
im „Freiwild“ und im „Vermächtnis“. Aber was Schnitzler im „Freiwild“ und im „Vermächtnis“. Aber was Schnitzler
zur Duellfrage und zur Frage der unehelichen Mütter zu sagen zur Duellfrage und zur Frage der unehelichen Mütter zu sagen
hat, das interessiert uns heute nicht mehr. Selbst ein in hat, das interessiert uns heute nicht mehr. Selbst ein in
mancher Hinsicht interessantes Werk wie „Professor Bern¬ mancher Hinsicht interessantes Werk wie „Professor Bern¬
hardi“, das religiöse und Rassefragen behandelt, ist viel zu hardi“, das religiöse und Rassefragen behandelt, ist viel zu
sehr Abhandlung und Feuilleton, um als Kunstwerk gewürdigt sehr Abhandlung und Feuilleton, um als Kunstwerk gewürdigt
zu werden. Wo Schnitzler nichts als Theater geben will, muß zu werden. Wo Schnitzler nichts als Theater geben will, muß
es ihm aus innerster Natur mißlingen. Seine Journalisten¬ es ihm aus innerster Natur mißlingen. Seine Journalisten¬
komödie „Fink und Fliederbusch“ versandet im Schwank, der komödie „Fink und Fliederbusch“ versandet im Schwank, der
Ansatz zum großen Lustspiel wird schließlich zur Albernheit. Ansatz zum großen Lustspiel wird schließlich zur Albernheit.
Was an Schnitzler dauern wird, sind einige seiner Novellen. Was an Schnitzler dauern wird, sind einige seiner Novellen.
Die Novelle „Sterben"“, in der physisches Siechtum und Die Novelle „Sterben"“, in der physisches Siechtum und
seelisches Welkwerden einer Liebe einander gegenübergestellllt seelisches Welkwerden einer Liebe einander gegenübergestellllt
werden, ist in ihrer Art ein Meisterwerk, nicht weniger als werden, ist in ihrer Art ein Meisterwerk, nicht weniger als
„Leutnant Gustl“, in der ohne die geringste Handlung das „Leutnant Gustl“, in der ohne die geringste Handlung das
Leben eines Menschen geschildert wird, der glaubt, sterben Leben eines Menschen geschildert wird, der glaubt, sterben
zu müssen. zu müssen.
Dennoch: dieser Dichter der Novelle, der sich im „Schleier Dennoch: dieser Dichter der Novelle, der sich im „Schleier
der Beatrice“ und im „Jungen Menardus“ tragische Probleme der Beatrice“ und im „Jungen Menardus“ tragische Probleme
gestellt hat, denen seine Kraft nicht gewachsen war, hat gestellt hat, denen seine Kraft nicht gewachsen war, hat
einmal ein Bühnenwerk geschrieben, in dem er wirklich den einmal ein Bühnenwerk geschrieben, in dem er wirklich den
Mut und die Kraft fand zur Tragik. Das Stück heißt Mut und die Kraft fand zur Tragik. Das Stück heißt
„Liebelei", aber es dürfte „Liebe“ heißen. Diese Christine, „Liebelei", aber es dürfte „Liebe“ heißen. Diese Christine,
die einen jungen Lebemann liebt, ist nicht das „füße Mädel", die einen jungen Lebemann liebt, ist nicht das „füße Mädel",
nicht das typische „Verhält nicht das typische „Verhält
für die deutsche Bühne e für die deutsche Bühne e
das liebt, nicht liebelt. E das liebt, nicht liebelt. E
ihr Freund um einer ande ihr Freund um einer ande
in ihrer Schlichtheit erhal in ihrer Schlichtheit erhal
Fontane, der Dichter der Fontane, der Dichter der
hätte. Lene Nimptsch ist di hätte. Lene Nimptsch ist di
und Wirrungen“. Ihr Gel und Wirrungen“. Ihr Gel
liest, daß Lene sich mit ei liest, daß Lene sich mit ei
„Gideon ist besser als Both „Gideon ist besser als Both
Schnitzler. Und da ist der Schnitzler. Und da ist der
Wiener und allen denen, Wiener und allen denen,
Menschheit, nicht nur des Menschheit, nicht nur des
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Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Der einsame Weg. Der einsame Weg.
Zum Tode Artur Schnitzlers. Zum Tode Artur Schnitzlers.
Von Von
Dr. Albert Malte Wagner. Dr. Albert Malte Wagner.
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Artur Schnitzler ist am 21. d. Mts. in Wien Artur Schnitzler ist am 21. d. Mts. in Wien
gestorben. gestorben.
Wenige Monate vor seinem 70. Geburtstage, wenige Wochen Wenige Monate vor seinem 70. Geburtstage, wenige Wochen
nach dem Erscheinen seiner letzten Novelle: „Flucht in die nach dem Erscheinen seiner letzten Novelle: „Flucht in die
Finsternis" (S. Fischer Verlag, Berlin) ist Artur Schnitzler Finsternis" (S. Fischer Verlag, Berlin) ist Artur Schnitzler
in Wien einem Schlaganfall erlegen. Flucht in die Finsternis: in Wien einem Schlaganfall erlegen. Flucht in die Finsternis:
das ewige Thema Schnitzlers, die Flucht des alternden das ewige Thema Schnitzlers, die Flucht des alternden
Menschen vor dem Altern, das weniger tragisch als traurig Menschen vor dem Altern, das weniger tragisch als traurig
ist, wird hier zum letztenmal mit einer fast wissenschaft¬ ist, wird hier zum letztenmal mit einer fast wissenschaft¬
lichen Präzision dargestellt in der Erzählung von dem Hofrat, lichen Präzision dargestellt in der Erzählung von dem Hofrat,
der sich seinem Schicksal unterwirft, indem er ihm zu ent¬ der sich seinem Schicksal unterwirft, indem er ihm zu ent¬
gehen sucht. Flucht in die Finsternis: es ist das Ziel, das gehen sucht. Flucht in die Finsternis: es ist das Ziel, das
am Ende des einsamen Weges steht, den Schnitzler stets am Ende des einsamen Weges steht, den Schnitzler stets
gegangen ist. Der einsame Weg des impressionistischen gegangen ist. Der einsame Weg des impressionistischen
Menschen, der sich nach den Stunden des Genusses zurück¬ Menschen, der sich nach den Stunden des Genusses zurück¬
sehnt, ohne sie aufzufangen, ohne sie halten zu können...... sehnt, ohne sie aufzufangen, ohne sie halten zu können......
Schnitzler ist der früh gereifte, zarte und traurige Wiener, Schnitzler ist der früh gereifte, zarte und traurige Wiener,
wie ihn ein anderer großer Wiener, Hugo v. Hoffmanns¬ wie ihn ein anderer großer Wiener, Hugo v. Hoffmanns¬
thal, charakterisiert hat. Schnitzlers Drama wächst nicht aus thal, charakterisiert hat. Schnitzlers Drama wächst nicht aus
der kämpferischen Haltung der Menschen hervor, auch nicht der kämpferischen Haltung der Menschen hervor, auch nicht
aus seelischer Tragik, sondern aus der Stimmung, aus der aus seelischer Tragik, sondern aus der Stimmung, aus der
müden, weichen, melancholischen Stimmung des kaiserlichen müden, weichen, melancholischen Stimmung des kaiserlichen
Wien. Man könnte Schnitzler vielleicht insofern einen Wien. Man könnte Schnitzler vielleicht insofern einen
Naturalisten nennen, als er weitab von dem Wunsche, die Naturalisten nennen, als er weitab von dem Wunsche, die
Menschen zu bessern und zu erwecken, nur objektiv sein Menschen zu bessern und zu erwecken, nur objektiv sein
will, registrierend, nicht Tatsachen sondern Stimmungen. will, registrierend, nicht Tatsachen sondern Stimmungen.
Gerade in dieser Hinsicht ist seine letzte Novelle auch im Stil Gerade in dieser Hinsicht ist seine letzte Novelle auch im Stil
der vollkommenste Ausdruck seiner dichterischen Persönlichkeit. der vollkommenste Ausdruck seiner dichterischen Persönlichkeit.
Das ist der Schnitzler, dem es auf das Einfangen fast nicht Das ist der Schnitzler, dem es auf das Einfangen fast nicht
wahrnehmbarer Nuancen ankommt. Mit sehr skeptischem wahrnehmbarer Nuancen ankommt. Mit sehr skeptischem
Lächeln sieht Schnitzler dem Treiben seiner „Helden“ zu, den Lächeln sieht Schnitzler dem Treiben seiner „Helden“ zu, den
ebenso skeptischen, ebenso müden, ebenso ironischen, ebenso ebenso skeptischen, ebenso müden, ebenso ironischen, ebenso
eleganten und gebildeten Vertretern der Wiener „goldenen eleganten und gebildeten Vertretern der Wiener „goldenen
Jugend“, diesen Lebemännern ohne Leidenschaft und voll Jugend“, diesen Lebemännern ohne Leidenschaft und voll
kohetter Schwermut. Schnitzler hat den „Ruf des Lebens“ kohetter Schwermut. Schnitzler hat den „Ruf des Lebens“
in Wahrheit nur selten vernommen, es ist ihm nur ein in Wahrheit nur selten vernommen, es ist ihm nur ein
„Zwischenspiel“, das die Zeit von der Geburt bis zum „Zwischenspiel“, das die Zeit von der Geburt bis zum
Sterben ausfüllt. Es ist fast selbstverständlich, daß dieser Poet Sterben ausfüllt. Es ist fast selbstverständlich, daß dieser Poet
gerade in der Darstellung des Todes und in der Ver¬ gerade in der Darstellung des Todes und in der Ver¬
schwisterung von Liebe und Tod die feinste Hand zeigt. schwisterung von Liebe und Tod die feinste Hand zeigt.
Immer wird man sich an seiner Seelenanalyse und an seiner Immer wird man sich an seiner Seelenanalyse und an seiner
virtuosen Fähigkeit erfreuen, den Dialog zu führen, aus virtuosen Fähigkeit erfreuen, den Dialog zu führen, aus
heiterer Nachdenklichkeit heraus die Tragik zu streicheln, um heiterer Nachdenklichkeit heraus die Tragik zu streicheln, um
dann mit einem wehmütig lächelnden Fragezeichen zu dann mit einem wehmütig lächelnden Fragezeichen zu
schließen, hinter dem nur allzu oft eine Sentimentalität steht, schließen, hinter dem nur allzu oft eine Sentimentalität steht,
die weder menschlich noch künstlerisch groß ist. die weder menschlich noch künstlerisch groß ist.
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„Ich fühle, wieviel mir verlorengeht, wenn ich mich eines „Ich fühle, wieviel mir verlorengeht, wenn ich mich eines
Tages stark fände", sagt sein Anatol, der Held seines ersten Tages stark fände", sagt sein Anatol, der Held seines ersten
Buches. Das ist ein Selbstbekenntnis des Dichters — im Buches. Das ist ein Selbstbekenntnis des Dichters — im
Grunde sind alle seine Gestalten Anatol oder Verwandte von Grunde sind alle seine Gestalten Anatol oder Verwandte von
ihm. Im Zeitalter der Empfindsamkeit, aus dem der junge ihm. Im Zeitalter der Empfindsamkeit, aus dem der junge
Goethe hervorgewachsen ist, gab es keinen größeren Vorwurf Goethe hervorgewachsen ist, gab es keinen größeren Vorwurf
für den Schaffenden, als daß er ein Virtuose genannt wurde. für den Schaffenden, als daß er ein Virtuose genannt wurde.
Schnitzler ist ein solcher Virtuose, dessen Können nicht unter¬ Schnitzler ist ein solcher Virtuose, dessen Können nicht unter¬
schätzt werden darf. Im Gegenteil! Den Stürmern von heute schätzt werden darf. Im Gegenteil! Den Stürmern von heute
möchte man etwas von diesem Schnitzlerschen Virtuosentum möchte man etwas von diesem Schnitzlerschen Virtuosentum
wünschen, aber es bleibt hoch schmerzlich, daß dieser außer¬ wünschen, aber es bleibt hoch schmerzlich, daß dieser außer¬
ordentliche Könner niemals etwas von dieser Hingabe an die ordentliche Könner niemals etwas von dieser Hingabe an die
Idee des Menschentums hatte, ohne die auch das größte Idee des Menschentums hatte, ohne die auch das größte
Können eben nur Können bleibt. Aber etwas von der Emp¬ Können eben nur Können bleibt. Aber etwas von der Emp¬
findsamkeit des 18. Jahrhunderts steckt doch gerade auch in findsamkeit des 18. Jahrhunderts steckt doch gerade auch in
diesem klugen Wiener Dichter des zwanzigsten. Goethes diesem klugen Wiener Dichter des zwanzigsten. Goethes
Oronaro kann das geliebte Weib in der Wirklichkeit nicht er¬ Oronaro kann das geliebte Weib in der Wirklichkeit nicht er¬
tragen, sondern nur die Vorstellung von ihr. Anatol möchte tragen, sondern nur die Vorstellung von ihr. Anatol möchte
wohl wissen, ob die kleine Kora ihm treu ist, aber die ent¬ wohl wissen, ob die kleine Kora ihm treu ist, aber die ent¬
scheidende „Frage an das Schicksal“ vermag er doch nicht zu scheidende „Frage an das Schicksal“ vermag er doch nicht zu
stellen — die Meinung, die er sich von ihr geschaffen, ist ihm stellen — die Meinung, die er sich von ihr geschaffen, ist ihm
wesentlicher, als jede mögliche Wahrheit. Es sind nur wenige wesentlicher, als jede mögliche Wahrheit. Es sind nur wenige
„Lebendige Stunden“, die uns der Dramatiker Schnitzler ge¬ „Lebendige Stunden“, die uns der Dramatiker Schnitzler ge¬
schenkt hat. Seltsam überhaupt, daß dieser Schnitzler so oft schenkt hat. Seltsam überhaupt, daß dieser Schnitzler so oft
zum Drama getrieben wurde. Der Mensch kann nichts tun zum Drama getrieben wurde. Der Mensch kann nichts tun
gegen sein Schicksal: das ist sein Kredo und wer dieses Kredo gegen sein Schicksal: das ist sein Kredo und wer dieses Kredo
hat, muß ein Kleist sein, um es dramatisch ermöglichen zu hat, muß ein Kleist sein, um es dramatisch ermöglichen zu
können. In Wahrheit sind Schnitzlers Bühnenarbeiten und können. In Wahrheit sind Schnitzlers Bühnenarbeiten und
gerade die bekanntesten, nur dialogisierte Novellen. Gewiß hat gerade die bekanntesten, nur dialogisierte Novellen. Gewiß hat
er sich in seiner Jugend auch sozialen Problemen zugewandt, er sich in seiner Jugend auch sozialen Problemen zugewandt,
im „Freiwild“ und im „Vermächtnis“. Aber was Schnitzler im „Freiwild“ und im „Vermächtnis“. Aber was Schnitzler
zur Duellfrage und zur Frage der unehelichen Mütter zu sagen zur Duellfrage und zur Frage der unehelichen Mütter zu sagen
hat, das interessiert uns heute nicht mehr. Selbst ein in hat, das interessiert uns heute nicht mehr. Selbst ein in
mancher Hinsicht interessantes Werk wie „Professor Bern¬ mancher Hinsicht interessantes Werk wie „Professor Bern¬
hardi“, das religiöse und Rassefragen behandelt, ist viel zu hardi“, das religiöse und Rassefragen behandelt, ist viel zu
sehr Abhandlung und Feuilleton, um als Kunstwerk gewürdigt sehr Abhandlung und Feuilleton, um als Kunstwerk gewürdigt
zu werden. Wo Schnitzler nichts als Theater geben will, muß zu werden. Wo Schnitzler nichts als Theater geben will, muß
es ihm aus innerster Natur mißlingen. Seine Journalisten¬ es ihm aus innerster Natur mißlingen. Seine Journalisten¬
komödie „Fink und Fliederbusch“ versandet im Schwank, der komödie „Fink und Fliederbusch“ versandet im Schwank, der
Ansatz zum großen Lustspiel wird schließlich zur Albernheit. Ansatz zum großen Lustspiel wird schließlich zur Albernheit.
Was an Schnitzler dauern wird, sind einige seiner Novellen. Was an Schnitzler dauern wird, sind einige seiner Novellen.
Die Novelle „Sterben"“, in der physisches Siechtum und Die Novelle „Sterben"“, in der physisches Siechtum und
seelisches Welkwerden einer Liebe einander gegenübergestellllt seelisches Welkwerden einer Liebe einander gegenübergestellllt
werden, ist in ihrer Art ein Meisterwerk, nicht weniger als werden, ist in ihrer Art ein Meisterwerk, nicht weniger als
„Leutnant Gustl“, in der ohne die geringste Handlung das „Leutnant Gustl“, in der ohne die geringste Handlung das
Leben eines Menschen geschildert wird, der glaubt, sterben Leben eines Menschen geschildert wird, der glaubt, sterben
zu müssen. zu müssen.
Dennoch: dieser Dichter der Novelle, der sich im „Schleier Dennoch: dieser Dichter der Novelle, der sich im „Schleier
der Beatrice“ und im „Jungen Menardus“ tragische Probleme der Beatrice“ und im „Jungen Menardus“ tragische Probleme
gestellt hat, denen seine Kraft nicht gewachsen war, hat gestellt hat, denen seine Kraft nicht gewachsen war, hat
einmal ein Bühnenwerk geschrieben, in dem er wirklich den einmal ein Bühnenwerk geschrieben, in dem er wirklich den
Mut und die Kraft fand zur Tragik. Das Stück heißt Mut und die Kraft fand zur Tragik. Das Stück heißt
„Liebelei", aber es dürfte „Liebe“ heißen. Diese Christine, „Liebelei", aber es dürfte „Liebe“ heißen. Diese Christine,
die einen jungen Lebemann liebt, ist nicht das „füße Mädel", die einen jungen Lebemann liebt, ist nicht das „füße Mädel",
nicht das typische „Verhält nicht das typische „Verhält
für die deutsche Bühne e für die deutsche Bühne e
das liebt, nicht liebelt. E das liebt, nicht liebelt. E
ihr Freund um einer ande ihr Freund um einer ande
in ihrer Schlichtheit erhal in ihrer Schlichtheit erhal
Fontane, der Dichter der Fontane, der Dichter der
hätte. Lene Nimptsch ist di hätte. Lene Nimptsch ist di
und Wirrungen“. Ihr Gel und Wirrungen“. Ihr Gel
liest, daß Lene sich mit ei liest, daß Lene sich mit ei
„Gideon ist besser als Both „Gideon ist besser als Both
Schnitzler. Und da ist der Schnitzler. Und da ist der
Wiener und allen denen, Wiener und allen denen,
Menschheit, nicht nur des Menschheit, nicht nur des