VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 251

2. 2.
Schnitzler s Deatl Schnitzler s Deatl
box 43/3 box 43/3
ESER ESER
VER VER
1. österr. behördl. konzessioniertes 1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Ausschnitt aus Ausschnitt aus
A ge A ge
Nr. ..4.4.vom. Nr. ..4.4.vom.
.193 .193
Zum Tode Archur Schnitzlers. Zum Tode Archur Schnitzlers.
Um Arthur Schnitzler soll nach seinem letzten Um Arthur Schnitzler soll nach seinem letzten
Willen keine Trauer sein. Er hat das Sterben Willen keine Trauer sein. Er hat das Sterben
gekannt und in einer seiner Novellen geschildert, gekannt und in einer seiner Novellen geschildert,
lange ehe es ihm selbst unversehens nahekam. Er lange ehe es ihm selbst unversehens nahekam. Er
war Arzt und Naturalist, er hat rechtzeitig ge¬ war Arzt und Naturalist, er hat rechtzeitig ge¬
lernt, auch dieses Stück der Menschlichkeit ruhig lernt, auch dieses Stück der Menschlichkeit ruhig
und scharf zu beobachten. Er lebte in der Wiener und scharf zu beobachten. Er lebte in der Wiener
Luft und das machte ihn dem Tragischen und den Luft und das machte ihn dem Tragischen und den
großen Gebärden abhold. Er war Dichter, und großen Gebärden abhold. Er war Dichter, und
er war als Dichter wissend und durchschaute die er war als Dichter wissend und durchschaute die
Unernsthaftigkeit des Lebens. Das Leben als Unernsthaftigkeit des Lebens. Das Leben als
Spiel — das ist ein Leitgedanke fast aller seiner Spiel — das ist ein Leitgedanke fast aller seiner
Dichtungen. In seinem tiefsinnigen „Paracelsus" Dichtungen. In seinem tiefsinnigen „Paracelsus"
spricht er wie von sich selbst: „Mit Menschen¬ spricht er wie von sich selbst: „Mit Menschen¬
seelen spiele sich. Ein Sinn wird nur von dem seelen spiele sich. Ein Sinn wird nur von dem
gefunden, der ihn sucht. Es fließen ineinander gefunden, der ihn sucht. Es fließen ineinander
Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicher¬ Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicher¬
heit ist nirgends. Wir wissen nichts von andern, heit ist nirgends. Wir wissen nichts von andern,
nichts von uns. Wir spielen immer. Wer es nichts von uns. Wir spielen immer. Wer es
Dem wahrhaft dramatischen Dem wahrhaft dramatischen
weiß, ist klug. weiß, ist klug.
Dichter ist das Leben hoher Ernst. Er kämpft Dichter ist das Leben hoher Ernst. Er kämpft
um große Ziele, er baut eine neue eigene Welt. um große Ziele, er baut eine neue eigene Welt.
Von diesem dramatischen Dichtertum hat Schnitz¬ Von diesem dramatischen Dichtertum hat Schnitz¬
ler auch dann nichts in sich, wenn er nach großen ler auch dann nichts in sich, wenn er nach großen
Gestalten, nach großen Zeiten greift, wie in sei¬ Gestalten, nach großen Zeiten greift, wie in sei¬
nem Renaissance=Drama „Der Schleier der nem Renaissance=Drama „Der Schleier der
Beatrice“. In Stimmung, Empfindung und Beatrice“. In Stimmung, Empfindung und
scharf beobachtende Nachdenklichkeit löst sich bei ihm scharf beobachtende Nachdenklichkeit löst sich bei ihm
auch die Tragödie auf. Der traumvollen Weich¬ auch die Tragödie auf. Der traumvollen Weich¬
heit und der fast weiblichen Zartheit, die ihn kenn¬ heit und der fast weiblichen Zartheit, die ihn kenn¬
zeichnet, ist die Klarheit, Willensstärke und Ein¬ zeichnet, ist die Klarheit, Willensstärke und Ein¬
dringlichkeit der norddeutschen Dichtung fremd. dringlichkeit der norddeutschen Dichtung fremd.
Er ist nicht ein Dichter des Willens und der Tat, Er ist nicht ein Dichter des Willens und der Tat,
sondern der Betrachtung und der Stimmung. So sondern der Betrachtung und der Stimmung. So
schafft er auch nicht Menschen aus seiner Seele, schafft er auch nicht Menschen aus seiner Seele,
sondern zeichnet Gestalten der Wiener Umwelt sondern zeichnet Gestalten der Wiener Umwelt
wie mit einem feinen Silberstift nach: Anatol, wie mit einem feinen Silberstift nach: Anatol,
den melancholischen jungen Mann, der nichts zu den melancholischen jungen Mann, der nichts zu
denken und nichts zu tun hat als zu lieben und denken und nichts zu tun hat als zu lieben und
enttäuscht zu werden; das süße Mädel, das sanft enttäuscht zu werden; das süße Mädel, das sanft
und doch tief von den Gefühlen der Liebelei er¬ und doch tief von den Gefühlen der Liebelei er¬
füllt ist; den Dichter, der in wehmütiger Erkennt¬ füllt ist; den Dichter, der in wehmütiger Erkennt¬
nis inmitten seiner Träume stirbt ... alles Men¬ nis inmitten seiner Träume stirbt ... alles Men¬
schen mit einer empfindlichen Haut, die nicht das schen mit einer empfindlichen Haut, die nicht das
sind, was man lebenstüchtig nennt. Sie sprechen sind, was man lebenstüchtig nennt. Sie sprechen
und handeln vollkommen aus ihrem eigenen und handeln vollkommen aus ihrem eigenen
Lebenskreis heraus, aber sie drängen zugleich in Lebenskreis heraus, aber sie drängen zugleich in
einzelne Augenblicke ganze Welten des Erlebens. einzelne Augenblicke ganze Welten des Erlebens.
Schnitzler ist der Meister des Zwiegesprächs, der Schnitzler ist der Meister des Zwiegesprächs, der
fein geschliffenen Worte, mit denen er die Wir¬ fein geschliffenen Worte, mit denen er die Wir¬
rungen und Wandlungen der Seele aufdeckt. Das rungen und Wandlungen der Seele aufdeckt. Das
macht ihn, obwohl seine ganze Liebe bis zum macht ihn, obwohl seine ganze Liebe bis zum
Schluß dem Theater gehörte, besonders auch als Schluß dem Theater gehörte, besonders auch als
Novellisten groß. Sein Wesen und sein Form¬ Novellisten groß. Sein Wesen und sein Form¬
gefühl war fast mehr für die Novelle als für das gefühl war fast mehr für die Novelle als für das
Drama geschaffen. Eine seiner ersten Novellen, Drama geschaffen. Eine seiner ersten Novellen,
„Leutnant Gust'l“, ein großartiges, heiteres und „Leutnant Gust'l“, ein großartiges, heiteres und
niederschmetterndes Selbstgesprach des armen, niederschmetterndes Selbstgesprach des armen,
dummen Leutnants, der von einem rohen Kerl dummen Leutnants, der von einem rohen Kerl
eine Backpfeife bekam, ist für seinen äußeren eine Backpfeife bekam, ist für seinen äußeren
Lebensgang entscheidend geworden: sie bedeutete Lebensgang entscheidend geworden: sie bedeutete
für ihn das Ende seiner Laufbahn als Regiments¬ für ihn das Ende seiner Laufbahn als Regiments¬
arzt. Eine seiner letzten, „Fräulein Else“, das arzt. Eine seiner letzten, „Fräulein Else“, das
Selbstgespräch eines jungen Mädchens, das sich für Selbstgespräch eines jungen Mädchens, das sich für
die Familie opfert, zeigt ihn als den Meister des die Familie opfert, zeigt ihn als den Meister des
vollendeten Stils, als den unvergleichlichen Künst¬ vollendeten Stils, als den unvergleichlichen Künst¬
ler einer zart andeutenden Sprache, der zugleich ler einer zart andeutenden Sprache, der zugleich
mit ärztlicher Kühle in die Welt des Unbewu߬ mit ärztlicher Kühle in die Welt des Unbewu߬
ten eindringt, scharf zergliedernd und fast lyrisch ten eindringt, scharf zergliedernd und fast lyrisch
gestaltend. So war er der ausgesprochene Ver¬ gestaltend. So war er der ausgesprochene Ver¬
treter der „Wiener Schule", der Dichter eines treter der „Wiener Schule", der Dichter eines
vergangenen Wiens, einer abgeschlossenen Zeit. vergangenen Wiens, einer abgeschlossenen Zeit.