VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 257

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Schnitzlars Schnitzlars

OBSERVER OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Bremer Nachrichten Bremer Nachrichten
9A OKT. 1937 9A OKT. 1937
vom: vom:
Man hat Schnitzler oft angegriffen, man hat ihm einen Man hat Schnitzler oft angegriffen, man hat ihm einen
Der letzte Österreicher Der letzte Österreicher
bösen Zynismus in allen Liebesdingen vorgeworfen, sein bösen Zynismus in allen Liebesdingen vorgeworfen, sein
„Reigen“ ist der Anlaß zu einem großen Prozeß gewesen „Reigen“ ist der Anlaß zu einem großen Prozeß gewesen
Gedanken zum Tode von Arthur Schnitzlei Gedanken zum Tode von Arthur Schnitzlei
Aber im Grunde seines Herzens war er nie zynisch. Aber im Grunde seines Herzens war er nie zynisch.
Er war ein Skeptiker, und diese Skepsis entstammte Er war ein Skeptiker, und diese Skepsis entstammte
Von Von
seinem Arzttum. Er hat diese Vergangenheit nie ver¬ seinem Arzttum. Er hat diese Vergangenheit nie ver¬
leugnen können. So wie er in seiner ersten Novelle leugnen können. So wie er in seiner ersten Novelle
Hans Jäger Hans Jäger
„Sterben“ mit dem unerbittlichen Messer des erfahrenen „Sterben“ mit dem unerbittlichen Messer des erfahrenen
Man kennt sein Bild (wir haben es gestern gebracht): Man kennt sein Bild (wir haben es gestern gebracht):
Chirurgen die letzten Stunden eines Menschen seziert Chirurgen die letzten Stunden eines Menschen seziert
ein etwas melancholischer Herr mit rotblondem Spitzbart ein etwas melancholischer Herr mit rotblondem Spitzbart
genau so betrachtet er mit dem forschenden und zugleich genau so betrachtet er mit dem forschenden und zugleich
und einer schönen Locke, die kokett in die Stirn fällt. Die und einer schönen Locke, die kokett in die Stirn fällt. Die
wissenden Blick des Klinikers die Probleme der Liebe und wissenden Blick des Klinikers die Probleme der Liebe und
schwermütigen Augen, die manchmal einen recht zynischer schwermütigen Augen, die manchmal einen recht zynischer
de; Ehe. Es ist fast ein physiologisches Interesse, das de; Ehe. Es ist fast ein physiologisches Interesse, das
Ausdruck annehmen konnten, haben ihre Wirkung au Ausdruck annehmen konnten, haben ihre Wirkung au
er diesen Dingen entgegenbringt; er spricht von der Liebe, er diesen Dingen entgegenbringt; er spricht von der Liebe,
die Frauen nie verfehlt. Erst in den letzten Jahren, als die Frauen nie verfehlt. Erst in den letzten Jahren, als
aber wie einer, der sie nie in Wahrheit erfahren hat. aber wie einer, der sie nie in Wahrheit erfahren hat.
er die Sechzig schon längst überschritten hatte, tauchten er die Sechzig schon längst überschritten hatte, tauchten
Wie so viele Arzte, besaß er ein starkes Gefühl für Wie so viele Arzte, besaß er ein starkes Gefühl für
die weißen Strähnen auf, und die Koketterie verschwand die weißen Strähnen auf, und die Koketterie verschwand
Die Melodie seiner Heimat, diese seltsame Die Melodie seiner Heimat, diese seltsame
Musik. Musik.
„Flucht in die Finsternis“ heißt sein letztes Werk. Nun „Flucht in die Finsternis“ heißt sein letztes Werk. Nun
Mischung zwischen Leichtsinn und Dekadenz, diese so ganz Mischung zwischen Leichtsinn und Dekadenz, diese so ganz
hat er selbst die Flucht ergriffen. Er starb, wie er es hat er selbst die Flucht ergriffen. Er starb, wie er es
österreschische Atmosphäre hat er getroffen wie kein zwei¬ österreschische Atmosphäre hat er getroffen wie kein zwei¬
sich wohl gewünscht haben mag: nach einem Spaziergang sich wohl gewünscht haben mag: nach einem Spaziergang
ter. Der Junggeselle Anatol und das süße Mädel, — ei ter. Der Junggeselle Anatol und das süße Mädel, — ei
zwischen Kahlenberg und Hermannskogel, mitten durd zwischen Kahlenberg und Hermannskogel, mitten durd
sind eigentlich immer dieselben Wiener Gestalten, die in sind eigentlich immer dieselben Wiener Gestalten, die in
den herrlichen Herbst des Wiener Waldes, der sein letzten den herrlichen Herbst des Wiener Waldes, der sein letzten
allen seinen Werken wiederkehren, in anderer Verkleidung allen seinen Werken wiederkehren, in anderer Verkleidung
Trost geblieben war Trost geblieben war
in anderer Umgebung, in anderer Handlung. Aber ihr in anderer Umgebung, in anderer Handlung. Aber ihr
Sein Dod ist von der gleichen Tragik umwittert, die Sein Dod ist von der gleichen Tragik umwittert, die
Herz ist das gleiche: Es ist das Herz des alten Österreich, Herz ist das gleiche: Es ist das Herz des alten Österreich,
diesen graziösen Wiener Kavalier immer zum Melancholi¬ diesen graziösen Wiener Kavalier immer zum Melancholi¬
Schnitzlers eigenes Her Schnitzlers eigenes Her
Die junge Generation hat sich anderen, neuen Göttern Die junge Generation hat sich anderen, neuen Göttern
ker stempelte. Wenige Monate vor seinem siebzigster ker stempelte. Wenige Monate vor seinem siebzigster
zugewandt. Für sie verkörperte Schnitzler- eine aus¬ zugewandt. Für sie verkörperte Schnitzler- eine aus¬
Geburtstag, der ihn mit reichsten Ehrungen erwartete Geburtstag, der ihn mit reichsten Ehrungen erwartete
sterbende, dekadente Generation. Verständnislos steht sie sterbende, dekadente Generation. Verständnislos steht sie
mußte er aus dem Leben gehen. Freilich, Arthur Schnitz¬ mußte er aus dem Leben gehen. Freilich, Arthur Schnitz¬
diesem sentimentalen Spiel um Liebe und Tod gegenüber, diesem sentimentalen Spiel um Liebe und Tod gegenüber,
ler wäre dem offiziellen Prunk dieser Maitage auch so ler wäre dem offiziellen Prunk dieser Maitage auch so
dieser inneren Ausgeglichenheit und Harmonie, die seine dieser inneren Ausgeglichenheit und Harmonie, die seine
ausgewichen, er war ein stiller, einsamer, alter Mani ausgewichen, er war ein stiller, einsamer, alter Mani
Werke so klar und einfach gestalteten. Er war kein Re¬ Werke so klar und einfach gestalteten. Er war kein Re¬
geworden, aber diese Bestätigung seines Daseins und sei geworden, aber diese Bestätigung seines Daseins und sei
volutionär, er war ein Einsamer, ein Einzelgänger, dem volutionär, er war ein Einsamer, ein Einzelgänger, dem
ner Werke hätte ihn doch erfreut ner Werke hätte ihn doch erfreut
Im Schaffen Schnitzlers gab. es zwei Pole, die ihn das private Schicksal mehr bedeutete als das allgemeine, Im Schaffen Schnitzlers gab. es zwei Pole, die ihn das private Schicksal mehr bedeutete als das allgemeine,
Aber vielleicht ist gerade das der tiefere Grund dafür Aber vielleicht ist gerade das der tiefere Grund dafür
mit einer seltsamen magischen Gewalt immer wieder mit einer seltsamen magischen Gewalt immer wieder
anzogen: Sterben und Liebelei. „Gibt es einen anständi- daß man seine Stücke noch immer spielt, daß sie uns anzogen: Sterben und Liebelei. „Gibt es einen anständi- daß man seine Stücke noch immer spielt, daß sie uns
gen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in tief¬ immer noch ergreifen gen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in tief¬ immer noch ergreifen
In den letzten Jahren ist es stiller geworden um In den letzten Jahren ist es stiller geworden um
ster Seele an etwas anderes denkt als an das Sterben? ster Seele an etwas anderes denkt als an das Sterben?
Schnitzler, und auch der Dichter selbst trat nur noch Schnitzler, und auch der Dichter selbst trat nur noch
schrieb er einmal. Dieser anständige Mensch hatte viel schrieb er einmal. Dieser anständige Mensch hatte viel
gute Stunden in seinem Leben. Eine leise Resignation selten an die Offentlichkeit. Es war nicht nur das Alter gute Stunden in seinem Leben. Eine leise Resignation selten an die Offentlichkeit. Es war nicht nur das Alter
- die Jahre konnten diesem graziösen Geist nur wenig - die Jahre konnten diesem graziösen Geist nur wenig
liegt über all seinen Romanen, Novellen und Theater liegt über all seinen Romanen, Novellen und Theater
stücken; Menschen und Dinge sind von einem eigentüm¬ anhaben —, aber die Atmosphäre war eine andere stücken; Menschen und Dinge sind von einem eigentüm¬ anhaben —, aber die Atmosphäre war eine andere
geworden; er stand dieser neuen Zeit mit einem Gefühl geworden; er stand dieser neuen Zeit mit einem Gefühl
lichen herbstlichen Hauche umweht, sie leben, aber diese lichen herbstlichen Hauche umweht, sie leben, aber diese
müder Skepsis gegenüber, er lebte nicht mehr in ihr müder Skepsis gegenüber, er lebte nicht mehr in ihr
Leben ist ein Wissen um den Tod. Über all dem, was en Leben ist ein Wissen um den Tod. Über all dem, was en
Schnitzlers Tod hat keine Lücke gerissen. Er selbst und Schnitzlers Tod hat keine Lücke gerissen. Er selbst und
schrieb, könnten des alten Fontane müde Worte als schrieb, könnten des alten Fontane müde Worte als
sein Werk waren in sich vollendet: ein schönes, senti¬ sein Werk waren in sich vollendet: ein schönes, senti¬
Motto stehen Motto stehen
mentales und erschütterndes Abbild einer vergangenen mentales und erschütterndes Abbild einer vergangenen
„Frühling, Sommer, Herbst und Winter, „Frühling, Sommer, Herbst und Winter,
Zeit Zeit
Ach, es ist nicht viel dahinter. Ach, es ist nicht viel dahinter.
Aus Kunst und Wissenschaft Aus Kunst und Wissenschaft
X Die Beisetzung Arthur Schnitziers. Auf dem Wiener X Die Beisetzung Arthur Schnitziers. Auf dem Wiener
Zentralfriedhof wurde am Freitag mittag der Schriftsteller Zentralfriedhof wurde am Freitag mittag der Schriftsteller
Arthur Schnitzler zur letzten Ruhe geleitet. Die israeli¬ Arthur Schnitzler zur letzten Ruhe geleitet. Die israeli¬
tische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbenen ein Ehren¬ tische Kultusgemeinde hatte dem Verstorbenen ein Ehren¬
grab gestiftet. An der Beisetzungsfeierlichkeit nahmen die grab gestiftet. An der Beisetzungsfeierlichkeit nahmen die
Familienmitglieder und viele Freunde und Verehrer des Familienmitglieder und viele Freunde und Verehrer des
Im Nachlaß Arthur Schnitzlers be¬ Im Nachlaß Arthur Schnitzlers be¬
Dichters teil. Dichters teil.
finden sich die Fragmente eines Romans, eines Schau¬ finden sich die Fragmente eines Romans, eines Schau¬
spiels „Zug der Schatten“ sowie Tagebuchnotizen, die bis spiels „Zug der Schatten“ sowie Tagebuchnotizen, die bis
1895 zurückreichen und vom Dichter zu einer Auto¬ 1895 zurückreichen und vom Dichter zu einer Auto¬
biographie verarbeitet werden sollten. Die Verwaltung biographie verarbeitet werden sollten. Die Verwaltung
des Nachlasses, der darüber hinaus zahlreiche Aufzeich¬ des Nachlasses, der darüber hinaus zahlreiche Aufzeich¬
nungen und Skizzen enthält, liegt in den Händen des nungen und Skizzen enthält, liegt in den Händen des
Dramaturgen der Reinhardt=Bühnen, Dr. Franz Hosch, Dramaturgen der Reinhardt=Bühnen, Dr. Franz Hosch,
der jetzt eine Sichtung vornimmt. (Vergl. auch den Aufsatz der jetzt eine Sichtung vornimmt. (Vergl. auch den Aufsatz
„Der letzte Österreicher" auf Seite 1 dieser Ausgabe!) „Der letzte Österreicher" auf Seite 1 dieser Ausgabe!)