VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 261

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box 43/3 box 43/3
sehnitzler s Deatl sehnitzler s Deatl
OBSERVER OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Diese Klugheit verhindert es wieder, daß diese Diese Klugheit verhindert es wieder, daß diese
Taumgebilde zu romantischen Dichtungen werden, Taumgebilde zu romantischen Dichtungen werden,
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
die durch die Intensität des Gefühlserlebnisses ent¬ die durch die Intensität des Gefühlserlebnisses ent¬
scheidend bestimmt werden. Bei Schnitzler ist immer scheidend bestimmt werden. Bei Schnitzler ist immer
wieder der kritische Verstand als Erbe seines Blutes wieder der kritische Verstand als Erbe seines Blutes
sezierend hinter seinen Gefühlen her. Es bleibt so¬ sezierend hinter seinen Gefühlen her. Es bleibt so¬
mit allen Szenen in seinen Bühnenwerken, mögen mit allen Szenen in seinen Bühnenwerken, mögen
diese noch so poetisch — poetisch mehr in der Ober¬ diese noch so poetisch — poetisch mehr in der Ober¬
flächen= als in der Tiefenwirkung flächen= als in der Tiefenwirkung
sein, eine sein, eine
Bewußtheit, die immer wieder in Erinnerung Bewußtheit, die immer wieder in Erinnerung
AUSSCHMITT VOM: 2 4.OKT. 193 AUSSCHMITT VOM: 2 4.OKT. 193
bringt, daß das Gestaltete nicht unmittelbar aus bringt, daß das Gestaltete nicht unmittelbar aus
schöpferischen Urquell strömt. Gestaltung — diesen schöpferischen Urquell strömt. Gestaltung — diesen
Ausdruck sollte man bei Schnitzler eigentlich gar Ausdruck sollte man bei Schnitzler eigentlich gar
nicht gebrauchen, denn die Menschen, die er auf die nicht gebrauchen, denn die Menschen, die er auf die
Regensburger Anzeiger, Regensburg Regensburger Anzeiger, Regensburg
Bühne bringt (angefangen von der „Liebelei“, die Bühne bringt (angefangen von der „Liebelei“, die
ihn bekannt machte, bis zu seinem letzten Bühnen¬ ihn bekannt machte, bis zu seinem letzten Bühnen¬
werk „Der Gang zum Weiher“) sind keine Gestalten werk „Der Gang zum Weiher“) sind keine Gestalten
sondern Schemen, Menschen ohne Rückgrat, die nur sondern Schemen, Menschen ohne Rückgrat, die nur
Arthur Schnitzler gestorben. Arthur Schnitzler gestorben.
von Stimmungen und in Stimmungen leben können von Stimmungen und in Stimmungen leben können
und bei der ersten Berührung mit der harten Wirk¬ und bei der ersten Berührung mit der harten Wirk¬
lichkeit kraftlos zusammenknicken wie Blumen im lichkeit kraftlos zusammenknicken wie Blumen im
Frost. Augenblicksstimmungen, bunte, farbenreiche Frost. Augenblicksstimmungen, bunte, farbenreiche
Impressionen, die aufleuchten wie Raketen am Impressionen, die aufleuchten wie Raketen am
Nachthimmel, aber ebenso schnell wieder versinken. Nachthimmel, aber ebenso schnell wieder versinken.
Was bleibt ist nichts als manchmal ein leise nach¬ Was bleibt ist nichts als manchmal ein leise nach¬
klingender lyrischer Ton, der etwas von der Weh¬ klingender lyrischer Ton, der etwas von der Weh¬
mut des Volksliedes hat. Dem Letzten und Tiefsten mut des Volksliedes hat. Dem Letzten und Tiefsten
weichen die Schnitzlerschen Menschen aus. Sie weichen die Schnitzlerschen Menschen aus. Sie
sprechen zwar oft vom Tode, aber sie spielen nur mit sprechen zwar oft vom Tode, aber sie spielen nur mit
ihm. Wo sie ihm ins ernste Antlitz schauen ihm. Wo sie ihm ins ernste Antlitz schauen
müssen, empfehlen sie sich mit einer graziösen Ver¬ müssen, empfehlen sie sich mit einer graziösen Ver¬
beugung. Sie haben nichts von der holzschnitt¬ beugung. Sie haben nichts von der holzschnitt¬
haften Struktur der Gestalten Karl Schönherrs, haften Struktur der Gestalten Karl Schönherrs,
dieses dichterischen Gegenpoles Arthur Schnitzlers. dieses dichterischen Gegenpoles Arthur Schnitzlers.
In Schnitzlers Werken verbirgt sich hinter der for¬ In Schnitzlers Werken verbirgt sich hinter der for¬
malen Kultur nicht immer ein wesenhafter Kern, malen Kultur nicht immer ein wesenhafter Kern,
das Aesthetische verdrängt oft allzusehr das rein das Aesthetische verdrängt oft allzusehr das rein
Dichterische. Dichterische.
Dr. Adalbert Schmidt. Dr. Adalbert Schmidt.
Die Welt, in die Arthur Schnitzler seiner dichte¬ Die Welt, in die Arthur Schnitzler seiner dichte¬
rischen Physiognomie nach gehörte, war die Welt am rischen Physiognomie nach gehörte, war die Welt am
Ausgang des vergangenen Jahrhunderts, die Welt Ausgang des vergangenen Jahrhunderts, die Welt
einer absterbenden Kultur, die im Spiegel der einer absterbenden Kultur, die im Spiegel der
Dichtung voll trauriger Selbstreflexion ihr melancho¬ Dichtung voll trauriger Selbstreflexion ihr melancho¬
lisches Antlitz betrachtet. Kraft und Größe wohnt lisches Antlitz betrachtet. Kraft und Größe wohnt
nicht in dieser Welt: eine müde Skepsis, eine spiele¬ nicht in dieser Welt: eine müde Skepsis, eine spiele¬
rische Lässigkeit umweht alles, selbst die Tragik, die rische Lässigkeit umweht alles, selbst die Tragik, die
dadurch um ihre Tiefenwirkung gebracht wird. dadurch um ihre Tiefenwirkung gebracht wird.
Jedes Geschehen verliert seine Unerbittlichkeit, seine Jedes Geschehen verliert seine Unerbittlichkeit, seine
elementare Realität, indem es in zarte Traumes¬ elementare Realität, indem es in zarte Traumes¬
schleier gehüllt wird, die die Grenzen von Traum schleier gehüllt wird, die die Grenzen von Traum
und Wachen verwischen. Wie es bezeichnend im und Wachen verwischen. Wie es bezeichnend im
„Paracelsus“ heißt: „Paracelsus“ heißt:
„Es fließen ineinander Traum und Wachen, „Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns Wir wissen nichts von andern, nichts von uns
Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug. Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug.