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Schnitzl Schnitzl
box 4374 box 4374
St St
OBSERVER OBSERVER
österr. behördl. konzessioniertes österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE WIEN, I., WOLLZEILE
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Journal: Journal:
Berner Tagwacht Berner Tagwacht
BERN BERN
24 UUTOBREISS 24 UUTOBREISS
Arthur Schnitzler Arthur Schnitzler
Iäh und schmerzlich trifft die Nachricht vom Iäh und schmerzlich trifft die Nachricht vom
Todø Artur Schnitzlers. Todø Artur Schnitzlers.
Statt des Geburtstagsfestes, das zum kom¬ Statt des Geburtstagsfestes, das zum kom¬
menden Mai dem siebzigjährigen Dichter in aller menden Mai dem siebzigjährigen Dichter in aller
Stille vorbereitet werden sollte, muß zur Toten¬ Stille vorbereitet werden sollte, muß zur Toten¬
seier gerüstet werden, einer Totenfeier, die von seier gerüstet werden, einer Totenfeier, die von
Bewunderung und Verehrung nicht nur in hohem Bewunderung und Verehrung nicht nur in hohem
Schein leuchten, sondern die vom Herzenston Schein leuchten, sondern die vom Herzenston
ochter Totenklage weithin hallen und wieder¬ ochter Totenklage weithin hallen und wieder¬
klingen wird. klingen wird.
Selten hat ein österreichischer Dichter, ein Selten hat ein österreichischer Dichter, ein
Dichter, der in Wien wurzelte und dessen Werke Dichter, der in Wien wurzelte und dessen Werke
Wiens Atmosphäre atmeten, so tief ergriffen, so Wiens Atmosphäre atmeten, so tief ergriffen, so
weit gewirkt wie Artur Schnitzler. Seine Er¬ weit gewirkt wie Artur Schnitzler. Seine Er¬
zählungskunst hat nicht nur die literarische Welt zählungskunst hat nicht nur die literarische Welt
aufhorchen gemacht, die reizvoll gelockerten Sze¬ aufhorchen gemacht, die reizvoll gelockerten Sze¬
nen seiner Dramatik, die so oft die anmutige nen seiner Dramatik, die so oft die anmutige
Schwerlosigkeit genialer Stegreifdichtung vor¬ Schwerlosigkeit genialer Stegreifdichtung vor¬
täuschen, haben nicht nur die ersten Bühnen er¬ täuschen, haben nicht nur die ersten Bühnen er¬
obert, Schnitzlers Werke sind, was weit mehr be¬ obert, Schnitzlers Werke sind, was weit mehr be¬
deutet, tief ins Volk gedrungen, haben die geistige deutet, tief ins Volk gedrungen, haben die geistige
Erweckung einer Generation gefördert und sind Erweckung einer Generation gefördert und sind
einer andern noch immer unveraltet. Denn hinter einer andern noch immer unveraltet. Denn hinter
diesen Dichtungen stand ein Mann, aufrecht und diesen Dichtungen stand ein Mann, aufrecht und
kühn, in allem, was er zu sagen hatte. Und das kühn, in allem, was er zu sagen hatte. Und das
war viel und nie ohne neues Bedeuten. war viel und nie ohne neues Bedeuten.
Artur Schnitzlers Dichtung erschloß sich vor Artur Schnitzlers Dichtung erschloß sich vor
und mit „Anatol“ zur Blütezeit des Naturalis¬ und mit „Anatol“ zur Blütezeit des Naturalis¬
mus. Aber die doktrinäre Schwere des von Arno mus. Aber die doktrinäre Schwere des von Arno
Holz, Johann Schlaf, vom jungen Gerhard Holz, Johann Schlaf, vom jungen Gerhard
Hauptmann repräsentierten Naturalismus, die Hauptmann repräsentierten Naturalismus, die
von sozialökonomischer Theorie beeinflußte Aus¬ von sozialökonomischer Theorie beeinflußte Aus¬
einandersetzung mit Vererbungslehre und Dar¬ einandersetzung mit Vererbungslehre und Dar¬
winismus lag dem Wiener Dichter fern. Artur winismus lag dem Wiener Dichter fern. Artur
Schnitzler, der Sohn eines gelehrten Arztes und Schnitzler, der Sohn eines gelehrten Arztes und
selbst seelenkundiger Irzt, gewann der natura¬ selbst seelenkundiger Irzt, gewann der natura¬
istischen Dichtung ein neues Gebiet, das istischen Dichtung ein neues Gebiet, das
Reich des Eros mit all seinen lockend=lachenden Reich des Eros mit all seinen lockend=lachenden
Gefüden, seinen labyrinthischen Gebirgen und Gefüden, seinen labyrinthischen Gebirgen und
verschwiegenen Einsamkeiten, er gewann ihr das verschwiegenen Einsamkeiten, er gewann ihr das
Land der menschlichen Seele in seinen nebelver¬ Land der menschlichen Seele in seinen nebelver¬
schleierten Weiten. Vom heiteren „Anatel“ über schleierten Weiten. Vom heiteren „Anatel“ über
den blutigen Ernst der „Liebelei“ zum Antiduell¬ den blutigen Ernst der „Liebelei“ zum Antiduell¬
drama „Freiwilb“, das zu Ende des vergangenen drama „Freiwilb“, das zu Ende des vergangenen
Jahrhunderts an, die überständigen fendalen Jahrhunderts an, die überständigen fendalen
Uhrbegriffen verfallene bürgerliche Gesellschaft Uhrbegriffen verfallene bürgerliche Gesellschaft
wie Kampfruf wirkte. wie Kampfruf wirkte.
Bis dahin hatte man die leise Schwermut, Bis dahin hatte man die leise Schwermut,
die über Schnitzlers Dichtungen schwebt, mit Sen¬ die über Schnitzlers Dichtungen schwebt, mit Sen¬
timentalität verwechselt, die graziöse Leichte sei¬ timentalität verwechselt, die graziöse Leichte sei¬
ner Poesie mit harmloser Wienerei. Jetzt wußte ner Poesie mit harmloser Wienerei. Jetzt wußte
man, daß es diesem Dichter, der Sentimentalität man, daß es diesem Dichter, der Sentimentalität
els „ein unter dem Preis erhandeltes Gefühl“ els „ein unter dem Preis erhandeltes Gefühl“
innig und grimmig verachtete, um weit mehr innig und grimmig verachtete, um weit mehr
ging, als um Anmut und Liebenswürdigkeit, jetzt ging, als um Anmut und Liebenswürdigkeit, jetzt
ahnte man, daß dieser eleganten Feder die ahnte man, daß dieser eleganten Feder die
Schärfe des Schwertes eignete. Die großartige Schärfe des Schwertes eignete. Die großartige
Gschlossenheit des künen „Reigens" um die Cro¬ Gschlossenheit des künen „Reigens" um die Cro¬
til, jener Szenenreihe, die individual-psychologi¬ til, jener Szenenreihe, die individual-psychologi¬
sche Analyse der sozialen nahebringt, erregte den sche Analyse der sozialen nahebringt, erregte den
geschlossenen und erbitterten Widerstand aller je¬ geschlossenen und erbitterten Widerstand aller je¬
ner Kreise und Mächte, die ihre ästhetischen und ner Kreise und Mächte, die ihre ästhetischen und
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Iäh und schmerzlich trifft die Nachricht vom Iäh und schmerzlich trifft die Nachricht vom
Todø Artur Schnitzlers. Todø Artur Schnitzlers.
Statt des Geburtstagsfestes, das zum kom¬ Statt des Geburtstagsfestes, das zum kom¬
menden Mai dem siebzigjährigen Dichter in aller menden Mai dem siebzigjährigen Dichter in aller
Stille vorbereitet werden sollte, muß zur Toten¬ Stille vorbereitet werden sollte, muß zur Toten¬
seier gerüstet werden, einer Totenfeier, die von seier gerüstet werden, einer Totenfeier, die von
Bewunderung und Verehrung nicht nur in hohem Bewunderung und Verehrung nicht nur in hohem
Schein leuchten, sondern die vom Herzenston Schein leuchten, sondern die vom Herzenston
ochter Totenklage weithin hallen und wieder¬ ochter Totenklage weithin hallen und wieder¬
klingen wird. klingen wird.
Selten hat ein österreichischer Dichter, ein Selten hat ein österreichischer Dichter, ein
Dichter, der in Wien wurzelte und dessen Werke Dichter, der in Wien wurzelte und dessen Werke
Wiens Atmosphäre atmeten, so tief ergriffen, so Wiens Atmosphäre atmeten, so tief ergriffen, so
weit gewirkt wie Artur Schnitzler. Seine Er¬ weit gewirkt wie Artur Schnitzler. Seine Er¬
zählungskunst hat nicht nur die literarische Welt zählungskunst hat nicht nur die literarische Welt
aufhorchen gemacht, die reizvoll gelockerten Sze¬ aufhorchen gemacht, die reizvoll gelockerten Sze¬
nen seiner Dramatik, die so oft die anmutige nen seiner Dramatik, die so oft die anmutige
Schwerlosigkeit genialer Stegreifdichtung vor¬ Schwerlosigkeit genialer Stegreifdichtung vor¬
täuschen, haben nicht nur die ersten Bühnen er¬ täuschen, haben nicht nur die ersten Bühnen er¬
obert, Schnitzlers Werke sind, was weit mehr be¬ obert, Schnitzlers Werke sind, was weit mehr be¬
deutet, tief ins Volk gedrungen, haben die geistige deutet, tief ins Volk gedrungen, haben die geistige
Erweckung einer Generation gefördert und sind Erweckung einer Generation gefördert und sind
einer andern noch immer unveraltet. Denn hinter einer andern noch immer unveraltet. Denn hinter
diesen Dichtungen stand ein Mann, aufrecht und diesen Dichtungen stand ein Mann, aufrecht und
kühn, in allem, was er zu sagen hatte. Und das kühn, in allem, was er zu sagen hatte. Und das
war viel und nie ohne neues Bedeuten. war viel und nie ohne neues Bedeuten.
Artur Schnitzlers Dichtung erschloß sich vor Artur Schnitzlers Dichtung erschloß sich vor
und mit „Anatol“ zur Blütezeit des Naturalis¬ und mit „Anatol“ zur Blütezeit des Naturalis¬
mus. Aber die doktrinäre Schwere des von Arno mus. Aber die doktrinäre Schwere des von Arno
Holz, Johann Schlaf, vom jungen Gerhard Holz, Johann Schlaf, vom jungen Gerhard
Hauptmann repräsentierten Naturalismus, die Hauptmann repräsentierten Naturalismus, die
von sozialökonomischer Theorie beeinflußte Aus¬ von sozialökonomischer Theorie beeinflußte Aus¬
einandersetzung mit Vererbungslehre und Dar¬ einandersetzung mit Vererbungslehre und Dar¬
winismus lag dem Wiener Dichter fern. Artur winismus lag dem Wiener Dichter fern. Artur
Schnitzler, der Sohn eines gelehrten Arztes und Schnitzler, der Sohn eines gelehrten Arztes und
selbst seelenkundiger Irzt, gewann der natura¬ selbst seelenkundiger Irzt, gewann der natura¬
istischen Dichtung ein neues Gebiet, das istischen Dichtung ein neues Gebiet, das
Reich des Eros mit all seinen lockend=lachenden Reich des Eros mit all seinen lockend=lachenden
Gefüden, seinen labyrinthischen Gebirgen und Gefüden, seinen labyrinthischen Gebirgen und
verschwiegenen Einsamkeiten, er gewann ihr das verschwiegenen Einsamkeiten, er gewann ihr das
Land der menschlichen Seele in seinen nebelver¬ Land der menschlichen Seele in seinen nebelver¬
schleierten Weiten. Vom heiteren „Anatel“ über schleierten Weiten. Vom heiteren „Anatel“ über
den blutigen Ernst der „Liebelei“ zum Antiduell¬ den blutigen Ernst der „Liebelei“ zum Antiduell¬
drama „Freiwilb“, das zu Ende des vergangenen drama „Freiwilb“, das zu Ende des vergangenen
Jahrhunderts an, die überständigen fendalen Jahrhunderts an, die überständigen fendalen
Uhrbegriffen verfallene bürgerliche Gesellschaft Uhrbegriffen verfallene bürgerliche Gesellschaft
wie Kampfruf wirkte. wie Kampfruf wirkte.
Bis dahin hatte man die leise Schwermut, Bis dahin hatte man die leise Schwermut,
die über Schnitzlers Dichtungen schwebt, mit Sen¬ die über Schnitzlers Dichtungen schwebt, mit Sen¬
timentalität verwechselt, die graziöse Leichte sei¬ timentalität verwechselt, die graziöse Leichte sei¬
ner Poesie mit harmloser Wienerei. Jetzt wußte ner Poesie mit harmloser Wienerei. Jetzt wußte
man, daß es diesem Dichter, der Sentimentalität man, daß es diesem Dichter, der Sentimentalität
els „ein unter dem Preis erhandeltes Gefühl“ els „ein unter dem Preis erhandeltes Gefühl“
innig und grimmig verachtete, um weit mehr innig und grimmig verachtete, um weit mehr
ging, als um Anmut und Liebenswürdigkeit, jetzt ging, als um Anmut und Liebenswürdigkeit, jetzt
ahnte man, daß dieser eleganten Feder die ahnte man, daß dieser eleganten Feder die
Schärfe des Schwertes eignete. Die großartige Schärfe des Schwertes eignete. Die großartige
Gschlossenheit des künen „Reigens" um die Cro¬ Gschlossenheit des künen „Reigens" um die Cro¬
til, jener Szenenreihe, die individual-psychologi¬ til, jener Szenenreihe, die individual-psychologi¬
sche Analyse der sozialen nahebringt, erregte den sche Analyse der sozialen nahebringt, erregte den
geschlossenen und erbitterten Widerstand aller je¬ geschlossenen und erbitterten Widerstand aller je¬
ner Kreise und Mächte, die ihre ästhetischen und ner Kreise und Mächte, die ihre ästhetischen und