VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 280

2. 2.
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Schnitzler's Death Schnitzler's Death
OBSERVER OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Reichenberger Zeitung, Reichenberger Zeitung,
meichenberg, meichenberg,
vom: vom:
25.10.1931. 25.10.1931.
Literatur. Literatur.
Schuitzler. Schuitzler.
Von Dr. Paul Laudau. Von Dr. Paul Laudau.
Die Wiener Dichtung hat in der Literatur¬ Die Wiener Dichtung hat in der Literatur¬
geschichte der jüngsten Vergangenheit eine be¬ geschichte der jüngsten Vergangenheit eine be¬
deutende Stelle eingenommen; sie ist ja nicht deutende Stelle eingenommen; sie ist ja nicht
mit den Schlagworten vom „Wiener Walzer“ mit den Schlagworten vom „Wiener Walzer“
und „süßen Mädel" zu erschopfen, sondern sie und „süßen Mädel" zu erschopfen, sondern sie
hat dem trüben und sachlichen norddeutschen hat dem trüben und sachlichen norddeutschen
Naturalismus erst Anmut verliehen, Weichheit, Naturalismus erst Anmut verliehen, Weichheit,
Feinheit, Musik. Und der bezeichnende Künstler Feinheit, Musik. Und der bezeichnende Künstler
dieser „Wiener Schule" schlechthin ist Schnitz¬ dieser „Wiener Schule" schlechthin ist Schnitz¬
ler, nicht etwa Hofmannsthal, der viel ler, nicht etwa Hofmannsthal, der viel
internationaler ist und mit seinem fabelhaften internationaler ist und mit seinem fabelhaften
Formtalent die verschiedenartigsten Stile neu Formtalent die verschiedenartigsten Stile neu
zu beleben wußte, der viel mehr im Österreichi¬ zu beleben wußte, der viel mehr im Österreichi¬
schen als im Wienerischen wurzelte. In Schnitz¬ schen als im Wienerischen wurzelte. In Schnitz¬
ler findet uralte Wiener Tradition ihre letzte ler findet uralte Wiener Tradition ihre letzte
Verfeinerung, ihren vollen Ausklang. Viel mehr Verfeinerung, ihren vollen Ausklang. Viel mehr
als das Vorbild der Franzosen, wie Donnay als das Vorbild der Franzosen, wie Donnay
und Lavedan, oder Ibsens sollte man diese und Lavedan, oder Ibsens sollte man diese
heimischen Einflüsse betonen. Sein Haupt¬ heimischen Einflüsse betonen. Sein Haupt¬
motiv, die schaurig=schöne Verschwisterung motiv, die schaurig=schöne Verschwisterung
von Liebesgenuß und Todesnähe, ist von Liebesgenuß und Todesnähe, ist
der eigentliche Stimmungsfaktor des Barock, das der eigentliche Stimmungsfaktor des Barock, das
nicht nur in der Kunst Fischer von Er¬ nicht nur in der Kunst Fischer von Er¬
lachs, sondern auch im österreichischen Je¬ lachs, sondern auch im österreichischen Je¬
suitendrama seine Höhe erreichte, und die stets suitendrama seine Höhe erreichte, und die stets
wiederkehrende Situation bei Schnitzler, der wiederkehrende Situation bei Schnitzler, der
Rausch der Liebe im Angesicht des Todes, Rausch der Liebe im Angesicht des Todes,
ist ein Nachhall jener starken Barock=Kontrafte, ist ein Nachhall jener starken Barock=Kontrafte,
die hier zu einer schmerzlich stillen Harmonie die hier zu einer schmerzlich stillen Harmonie
verschmelzen. verschmelzen.
Aber nicht nur dies eine Motiv, sondern Aber nicht nur dies eine Motiv, sondern
seine ganze Lebenshaltung war typisch wie¬ seine ganze Lebenshaltung war typisch wie¬
nerisch. Es ist jenes Gehenlassen, das in dem nerisch. Es ist jenes Gehenlassen, das in dem
bekannten Liede erklingt: „'s ist mir alles eins, bekannten Liede erklingt: „'s ist mir alles eins,
es war das Genießen des Augenblicks, das nicht es war das Genießen des Augenblicks, das nicht
nach dem Morgen fragt, wie es schon Abra¬ nach dem Morgen fragt, wie es schon Abra¬
ham a Santa Clara an seinen Wienern ham a Santa Clara an seinen Wienern
tadelte. Schuitzler war ein geradezu fanatischer tadelte. Schuitzler war ein geradezu fanatischer
Verfechter des Glaubens, daß der Mensch nicht¬ Verfechter des Glaubens, daß der Mensch nicht¬
tun kann gegen sein Schicksal, daß er unfrei ist, tun kann gegen sein Schicksal, daß er unfrei ist,
eine Puppe in der Hand eines unsichtbaren eine Puppe in der Hand eines unsichtbaren
Drahtziehers. Es ist dies lustig=traurige Pup¬ Drahtziehers. Es ist dies lustig=traurige Pup¬
d d
preisen. preisen.
Ansichtsnummern lostenlos Ansichtsnummern lostenlos
Adminiitration Wochen=Ausgobe A. W.T. Adminiitration Wochen=Ausgobe A. W.T.
Wien I., Wollzeile 22. Wien I., Wollzeile 22.
penspiel des Lebens, das die Wiener Volksstücke penspiel des Lebens, das die Wiener Volksstücke
mit unbewußter Ironie darstellten, das bei ihm mit unbewußter Ironie darstellten, das bei ihm
aber mit einem skeptischen Künstlertum geschil¬ aber mit einem skeptischen Künstlertum geschil¬
dert wird. Das Schicksal spielt mit uns, wir dert wird. Das Schicksal spielt mit uns, wir
spielen unser Leben: „Es fließen ineinander spielen unser Leben: „Es fließen ineinander
Wahrheit und Lüge. Wahrheit und Lüge.
Traum und Wachen/ Traum und Wachen/
Sicherheit ist nirgends./ Wir wissen nichts von Sicherheit ist nirgends./ Wir wissen nichts von
andern, nichts von uns. / Wir spielen alle, wer andern, nichts von uns. / Wir spielen alle, wer
es weiß, ist klug,“ heißt es in seinem tieffinnigen es weiß, ist klug,“ heißt es in seinem tieffinnigen
„Paracelsus". „Paracelsus".
„Das Leben — ein Traum", dies Grill¬ „Das Leben — ein Traum", dies Grill¬
parzer=Motiv wird von Schnitzler in viel¬ parzer=Motiv wird von Schnitzler in viel¬
fachen Wandlungen und Spiegelungen aufge¬ fachen Wandlungen und Spiegelungen aufge¬
nommen, ebenso wie die Verschmelzung von nommen, ebenso wie die Verschmelzung von
Liebe und Tod aus „Des Meeres und der Liebe Liebe und Tod aus „Des Meeres und der Liebe
Welle". Kunst und Natur gehen ineinander Welle". Kunst und Natur gehen ineinander
über, und das Leben in der Phantasie ist oft über, und das Leben in der Phantasie ist oft
wirklicher als das reale Leben. Daher seine wirklicher als das reale Leben. Daher seine
Verehrung, ja Überschätzung des Künstlers, sein Verehrung, ja Überschätzung des Künstlers, sein
Asthetentum, daher aber auch die Inbrunst, mit Asthetentum, daher aber auch die Inbrunst, mit
der das Formale gegeben ist. In der Feinheit der das Formale gegeben ist. In der Feinheit
und Grazie seines Stils folgte Schnitzler eben¬ und Grazie seines Stils folgte Schnitzler eben¬
falls den besten heimischen Mustern, und man¬ falls den besten heimischen Mustern, und man¬
ches aus seiner letzten Prosa gemahnt an Stif¬ ches aus seiner letzten Prosa gemahnt an Stif¬
ters Erzählerkunst. ters Erzählerkunst.
Aus seinem Wienertum heraus würde der Aus seinem Wienertum heraus würde der
Dichter zu dem bezeichnendsten Vertreter des Dichter zu dem bezeichnendsten Vertreter des
Impressionismus. Da er nur die Emp¬ Impressionismus. Da er nur die Emp¬
findung des Augenblicks anerkannte, sich allein findung des Augenblicks anerkannte, sich allein
on den flüchtigen Abglanz des Lebens, an den on den flüchtigen Abglanz des Lebens, an den
Mummenschanz verhuschender Schatten klam¬ Mummenschanz verhuschender Schatten klam¬
merte, so wußte er in das Momentane den stärk¬ merte, so wußte er in das Momentane den stärk¬
sten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten be¬ sten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten be¬
deutenderen Arbeiten, der Einakterzyklus „Ang¬ deutenderen Arbeiten, der Einakterzyklus „Ang¬
tol" und die Novelle „Sterben", drangen bereits tol" und die Novelle „Sterben", drangen bereits
in einzelne Augenblicke ganze Welten des Er¬ in einzelne Augenblicke ganze Welten des Er¬
lebens. Das impressionistische Drama hat kein lebens. Das impressionistische Drama hat kein
höheres Kunstwerk aufzuweisen als Schnitzlers höheres Kunstwerk aufzuweisen als Schnitzlers
„Einsamen Weg", in dem man wohl sein „Einsamen Weg", in dem man wohl sein
bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet sich eine bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet sich eine
Kunst der Halbtone, der feinen Valeurs; eine Kunst der Halbtone, der feinen Valeurs; eine
silbergraue, von schweren Farben matt durch¬ silbergraue, von schweren Farben matt durch¬
leuchtete Herbststimmung ist über das Ganze ge¬ leuchtete Herbststimmung ist über das Ganze ge¬
breitet, und die Tragik des Alters, die hier an¬ breitet, und die Tragik des Alters, die hier an¬
geschlagen wird und bei Schnitzler immer wie¬ geschlagen wird und bei Schnitzler immer wie¬
derkehrt, ist die eigentliche Tragik des impres¬ derkehrt, ist die eigentliche Tragik des impres¬
sionistischen Menschen, der stets die Stunde ge¬ sionistischen Menschen, der stets die Stunde ge¬
nossen hat und sich, nun einsam sieht mit den nossen hat und sich, nun einsam sieht mit den
Schemen seiner Erinnerung. Die Wirkungen Schemen seiner Erinnerung. Die Wirkungen
und Wandlungen der Seele, die „ein wertes und Wandlungen der Seele, die „ein wertes
Land" ist, beschäftigten Schnitzler hauptsächlich, Land" ist, beschäftigten Schnitzler hauptsächlich,
der als Arzt ein scharfer Beobachter der als Arzt ein scharfer Beobachter
war und sich mit Psychologie nicht nur als war und sich mit Psychologie nicht nur als
Künstler, sondern auch als Gelehrter be¬ Künstler, sondern auch als Gelehrter be¬
schäftigte. In einem eigenen Buch ist von Theo¬ schäftigte. In einem eigenen Buch ist von Theo¬
dor Reik auf die Beziehung unseres Dichters dor Reik auf die Beziehung unseres Dichters
zu der Psychoanalyse Freud's hingewiesen wor¬ zu der Psychoanalyse Freud's hingewiesen wor¬
den, der sein engster Wiener Landsmann war den, der sein engster Wiener Landsmann war
und mit dem er sich auch in seinen wissenschaft¬ und mit dem er sich auch in seinen wissenschaft¬
lichen Arbeiten über Hypnose und Suggestion lichen Arbeiten über Hypnose und Suggestion
berührte. berührte.
Schnitzler ist in seinen Dichtungen von ver¬ Schnitzler ist in seinen Dichtungen von ver¬
hältnismäßig einfachen Gefühlen, auf denen sich hältnismäßig einfachen Gefühlen, auf denen sich
sein bekanntestes Drama „Liebelei" auf¬ sein bekanntestes Drama „Liebelei" auf¬
baute, zu immer komplizierteren seeiischen Be¬ baute, zu immer komplizierteren seeiischen Be¬
ziehungen und Rätseln fortgeschritten, er dringt ziehungen und Rätseln fortgeschritten, er dringt
tief in die Welt des Unbewußten, der verdräng¬ tief in die Welt des Unbewußten, der verdräng¬
ten Gofühle und gestaltet echt Freud'sche Pro¬ ten Gofühle und gestaltet echt Freud'sche Pro¬
bleme, wie in der Novelle „Frau Beate bleme, wie in der Novelle „Frau Beate
und ihr Sohn" oder in der genialen und ihr Sohn" oder in der genialen
„Traumnovelle". Aber so wichtig diese „Traumnovelle". Aber so wichtig diese
tief bohrende und zergliedernde Analyse für tief bohrende und zergliedernde Analyse für
seine Kunst ist, so darf man sein Werk doch nicht, seine Kunst ist, so darf man sein Werk doch nicht,
wie es Reik getan hat, einseitig an der Freud'¬ wie es Reik getan hat, einseitig an der Freud'¬
schen Methode messen, sondern muß betrachten, schen Methode messen, sondern muß betrachten,
was er aus diesem reichen psychologischen Ma¬ was er aus diesem reichen psychologischen Ma¬
terial lebendig gestaltet hat. terial lebendig gestaltet hat.
Man hat Schnitzler oft vorgeworfen, daß Man hat Schnitzler oft vorgeworfen, daß
seine Welt und seine Stoffe zu eng begrenzt seine Welt und seine Stoffe zu eng begrenzt
seien. Tatsächlich sind es nur ganz wenige Mo¬ seien. Tatsächlich sind es nur ganz wenige Mo¬
tive, Figuren und Situationen, die sich bei ihm tive, Figuren und Situationen, die sich bei ihm
in feinen Variationen stets wiederholen. Da ist in feinen Variationen stets wiederholen. Da ist
die Stellung des Mannes zwischen zwei Frauen, die Stellung des Mannes zwischen zwei Frauen,
dem „süßen Mädel" und der verheirateten Dame, dem „süßen Mädel" und der verheirateten Dame,
das ist das „dreieckige" Verhältnis in der Ehe, das ist das „dreieckige" Verhältnis in der Ehe,
da sind die beiden Freunde, die beiden Gegner, da sind die beiden Freunde, die beiden Gegner,
da ist der Liebe kurze Seligkeit und lange Qual, da ist der Liebe kurze Seligkeit und lange Qual,
ist die Hoffnung auf das Kind und das Grauen ist die Hoffnung auf das Kind und das Grauen