VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 291

2. Schnitzl. 2. Schnitzl.
sDeath sDeath
box 43/7 box 43/7
OBSERVERC OBSERVERC
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Aus: Basler Nachrichten 26.Okt.1931. Aus: Basler Nachrichten 26.Okt.1931.
Anatols Tod. Von Hermann Bessemer Anatols Tod. Von Hermann Bessemer
(Wien. (Wien.
Knapp vor seinem 70.Geburtstag, den Knapp vor seinem 70.Geburtstag, den
Max Reinhardt im Theater in der Max Reinhardt im Theater in der
Josefstadt mit einer Aufführung der Josefstadt mit einer Aufführung der
"Liebelei" zu feiern sich anschick- "Liebelei" zu feiern sich anschick-
te hat Arthur Schnitzler den einsamen te hat Arthur Schnitzler den einsamen
Weg ins weite Land angetreten, aus Weg ins weite Land angetreten, aus
dem es keine Wiederkehr gibt. Um bei dem es keine Wiederkehr gibt. Um bei
der Wahrheit zu bleiben; Schnitzler der Wahrheit zu bleiben; Schnitzler
war für das heutige Wien längst nicht war für das heutige Wien längst nicht
negr lebendig, wogegen er allerdings negr lebendig, wogegen er allerdings
schon zu Lebzeiten unsterblich war, schon zu Lebzeiten unsterblich war,
ein Monument weiner selbst und einer ein Monument weiner selbst und einer
verschollenen Rpoche. Die letzten verschollenen Rpoche. Die letzten
Bühnenwerke des berühmtesten Dich¬ Bühnenwerke des berühmtesten Dich¬
ters von Vorkriegs- ters von Vorkriegs-
Wien, „Im Spiel der Sommerlüfte" und „Der Gang Wien, „Im Spiel der Sommerlüfte" und „Der Gang
zum Weiher", jenes im Deutschen Volkstheater, dieses zum Weiher", jenes im Deutschen Volkstheater, dieses
im Burgtheater aufgeführt, waren Versager, wobei es im Burgtheater aufgeführt, waren Versager, wobei es
dahingestellt bleiben mag, ob die Stücke oder die Wiener dahingestellt bleiben mag, ob die Stücke oder die Wiener
Theaterbesucher der Gegenwart versagt haben. Sicher Theaterbesucher der Gegenwart versagt haben. Sicher
ist, daß die Periode der großen Erfolge des Dramatikers ist, daß die Periode der großen Erfolge des Dramatikers
und des Erzählers Schnitzler mit dem Zerfall der Mo= geschichte mag den „Jungen Medardus", diese große und des Erzählers Schnitzler mit dem Zerfall der Mo= geschichte mag den „Jungen Medardus", diese große
narchie zu Ende ging. Einem durch und durch politi= historische Maschine aus der napoleonischen Zeit, loben narchie zu Ende ging. Einem durch und durch politi= historische Maschine aus der napoleonischen Zeit, loben
sierten, von allen Fieberschauern der Wirtschaftsprobleme sierten, von allen Fieberschauern der Wirtschaftsprobleme
oder den „Grünen Kakadu“ zum Chef d’oeuvre ge¬ oder den „Grünen Kakadu“ zum Chef d’oeuvre ge¬
des Klassenkampfes und der Weltanschauungen geschüt¬ des Klassenkampfes und der Weltanschauungen geschüt¬
schichtlicher Kleinmalerei erheben. Aber das sind nur schichtlicher Kleinmalerei erheben. Aber das sind nur
telten Zeitalter hatte der Dichter, der wie kein anderer telten Zeitalter hatte der Dichter, der wie kein anderer
Werke Arthur Schnitzlers, nicht sein Wesen. Sein Un¬ Werke Arthur Schnitzlers, nicht sein Wesen. Sein Un¬
die Seele des kaiserlichen, des gänzlich unpolitischen die Seele des kaiserlichen, des gänzlich unpolitischen
sterbliches, das ihn an Johann Strauß und fast an sterbliches, das ihn an Johann Strauß und fast an
Wien liebte und begriff, nichts mehr zu sagen und Wien liebte und begriff, nichts mehr zu sagen und
Schubert reiht, war die Gabe, die Musik einer Zeit, die Schubert reiht, war die Gabe, die Musik einer Zeit, die
empfing auch von diesem Zeitalter keine entscheidende Seele einer Stadt und das Unterbewußtsein der Men¬ empfing auch von diesem Zeitalter keine entscheidende Seele einer Stadt und das Unterbewußtsein der Men¬
Anregung mehr. Das schöpferische Genie Schnitzlers Anregung mehr. Das schöpferische Genie Schnitzlers
schen dieser Stadt in Worte einzufangen, in Gestalten schen dieser Stadt in Worte einzufangen, in Gestalten
war mit 1918, vielleicht schon mit 1914, zum Stillstand war mit 1918, vielleicht schon mit 1914, zum Stillstand
zu projizieren. Das Bezaubernde an den Werken Arthur zu projizieren. Das Bezaubernde an den Werken Arthur
gekommen. Das Uhrwerk, das sich weiterdrehte und Schnitzlers ist die Gegend.... die örtliche und die see¬ gekommen. Das Uhrwerk, das sich weiterdrehte und Schnitzlers ist die Gegend.... die örtliche und die see¬
Werke hervorbrachte, war die Routine eines glänzenden lische Landschaft, die die Figuren umrankt und mit ihnen Werke hervorbrachte, war die Routine eines glänzenden lische Landschaft, die die Figuren umrankt und mit ihnen
Könners Könners
eins ist. Sein Tod stürzt alle Menschen, die dieser Land¬ eins ist. Sein Tod stürzt alle Menschen, die dieser Land¬
schaft entstammen und von ihr seelisch niemals los¬ schaft entstammen und von ihr seelisch niemals los¬
Aber der Schnitzler von der Jahrhundertwende hat Aber der Schnitzler von der Jahrhundertwende hat
Gestalten geschaffen, unsterbliche Schattenrisse, von denen können, in ehrliche Melancholie. Selten waren die Gestalten geschaffen, unsterbliche Schattenrisse, von denen können, in ehrliche Melancholie. Selten waren die
Tränen, die um einen toten Dichter flossen, so echt wie Tränen, die um einen toten Dichter flossen, so echt wie
so mancher aus der Vision des Dichters in die Wirklich¬ so mancher aus der Vision des Dichters in die Wirklich¬
jene, die heute in Wien an Schnitzlers Bahre vergossen jene, die heute in Wien an Schnitzlers Bahre vergossen
keit getreten ist, wie die Leben gewordenen Puppen keit getreten ist, wie die Leben gewordenen Puppen
eines großen Puppenspielers. Da war die Christine werden. Indem die alten Wiener und Wienerinnen eines großen Puppenspielers. Da war die Christine werden. Indem die alten Wiener und Wienerinnen
Arthur Schnitzler beweinen, trauern sie um ihre eigene Arthur Schnitzler beweinen, trauern sie um ihre eigene
aus der „Liebelei", Urbild des süßen Mädels, de¬ aus der „Liebelei", Urbild des süßen Mädels, de¬
Jugend und um den Spiegel dieser Jugend, trauern um Jugend und um den Spiegel dieser Jugend, trauern um
Frauentyps, der um 1900 die Wiener Erotik beherrschte. Frauentyps, der um 1900 die Wiener Erotik beherrschte.
Da war Monsieur Anatol aus Wien=Rathausviertel oder die Christinen, die sie selbst einmal umarmten, und um Da war Monsieur Anatol aus Wien=Rathausviertel oder die Christinen, die sie selbst einmal umarmten, und um
Anatols, von denen sie sich einst den Hof maßen ließen. Anatols, von denen sie sich einst den Hof maßen ließen.
Wien=Cottage, Oesterreicher, doch mit einem leichten Wien=Cottage, Oesterreicher, doch mit einem leichten
Der große Pan, der jener zärtlichen, galanten, um sich Der große Pan, der jener zärtlichen, galanten, um sich
Pariser Einschlag, Sentimentalität mit Esprit gewürzt. Pariser Einschlag, Sentimentalität mit Esprit gewürzt.
selbst besorgten und, seien wir aufrichtig, maßlos selbst besorgten und, seien wir aufrichtig, maßlos
Zwei Jahrzehnte lang war Anatol das intellektuelle und Zwei Jahrzehnte lang war Anatol das intellektuelle und
egoistischen Welt des alten Wien mit seiner erotisch=dra¬ egoistischen Welt des alten Wien mit seiner erotisch=dra¬
crotische Vorbild des Wiener Gent. Dann schuf Schnitz crotische Vorbild des Wiener Gent. Dann schuf Schnitz
maturgischen Flöte aufspielte, ist tot..... maturgischen Flöte aufspielte, ist tot.....
ler im „Leutnant Gustl“ die unvergleichliche Silhouette ler im „Leutnant Gustl“ die unvergleichliche Silhouette
des kleinen Leutnants der großen k. und k. Armee. We¬ des kleinen Leutnants der großen k. und k. Armee. We¬
gen dieser Novelle kam der Dichter in ehrenrätliche Un¬ gen dieser Novelle kam der Dichter in ehrenrätliche Un¬
tersuchung. Er bekleidete in der Heeresreserve die Charge tersuchung. Er bekleidete in der Heeresreserve die Charge
eines Regimentsarztes, und ein militärisches Ehrengericht eines Regimentsarztes, und ein militärisches Ehrengericht
beschäftigte sich um 1903 herum allen Ernstes mit der beschäftigte sich um 1903 herum allen Ernstes mit der
Frage, ob der Doktor Arth. Schnitzler in seiner Novelette Frage, ob der Doktor Arth. Schnitzler in seiner Novelette
„Leutnant Gustl“ den in der k. und k. Armee für „Offi¬ „Leutnant Gustl“ den in der k. und k. Armee für „Offi¬
ziere und Gleichgestellte“ geltenden Ehrbegriff und ziere und Gleichgestellte“ geltenden Ehrbegriff und
Ehrenkodex nicht grausam ins Lächerliche gezogen habe. Ehrenkodex nicht grausam ins Lächerliche gezogen habe.
Das war allerdings der Fall, und das österreichische Das war allerdings der Fall, und das österreichische
Ehrengericht erklärte Schnitzler seiner Charge verlustig. Ehrengericht erklärte Schnitzler seiner Charge verlustig.
Damals lebte Schnitzler, weil die Menschen, die er sah Damals lebte Schnitzler, weil die Menschen, die er sah
und zeichnete, lebten und sich an ihrem Dichter befeuer¬ und zeichnete, lebten und sich an ihrem Dichter befeuer¬
ten, so wie er aus ihnen den Funken der plastischen ten, so wie er aus ihnen den Funken der plastischen
Gestaltung schlug. Gestaltung schlug.
Und so wie Anatol und Max, Christine und die Toni Und so wie Anatol und Max, Christine und die Toni
Schlager, der nette, leichtsinnige Leutnant Gustl, wie Schlager, der nette, leichtsinnige Leutnant Gustl, wie
der schwermütige Herr von Sala im „Weiten Land“ und der schwermütige Herr von Sala im „Weiten Land“ und
die Wiener Frauen in „Freiwild“ und „Zwischenspie!“ die Wiener Frauen in „Freiwild“ und „Zwischenspie!“
und im „Reigen“ lebten und liebten, so pochte in all den und im „Reigen“ lebten und liebten, so pochte in all den
Theaterstücken und Novellen (weniger in den Romanen) Theaterstücken und Novellen (weniger in den Romanen)
Schnitzlers der Rhythmus, der Liebesatem, der sinnlich¬ Schnitzlers der Rhythmus, der Liebesatem, der sinnlich¬
Me Me