VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 292

2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
Ausschnitt aus Ausschnitt aus
Fränkischer Kurier Nürnberg Fränkischer Kurier Nürnberg
Nr. 2..vom. Nr. 2..vom.
193/ 193/
Artur Schnitzler. Artur Schnitzler.
Artur Schnitzler, der jetzt im 70. Lebensjahr ge¬ Artur Schnitzler, der jetzt im 70. Lebensjahr ge¬
storben ist, war føst 10 Jahre lang der Führer der storben ist, war føst 10 Jahre lang der Führer der
österreichischen Dichterschl, der Vertreter des Oester¬ österreichischen Dichterschl, der Vertreter des Oester¬
reichertums in der Dichtung üiber das er gleich Hugo reichertums in der Dichtung üiber das er gleich Hugo
von Hoffmannsthal mit aller Macht hinausstrebte, von Hoffmannsthal mit aller Macht hinausstrebte,
um zu einer Dichtung großen Stils zu gelangen. Sein um zu einer Dichtung großen Stils zu gelangen. Sein
ganzes Lebenswerk blieb aber von einer traumvollen ganzes Lebenswerk blieb aber von einer traumvollen
Weichheit und einer eigenartigen weiblichen Zartheit Weichheit und einer eigenartigen weiblichen Zartheit
charakterisiert, Eigenschaften, die der Gestaltung der charakterisiert, Eigenschaften, die der Gestaltung der
großen Tragödie abhold sind. Er ist nicht der Dichter großen Tragödie abhold sind. Er ist nicht der Dichter
des Willens und der Tat, sondern der Betrachtung des Willens und der Tat, sondern der Betrachtung
und der Stimmung. So schafft er auch nicht und der Stimmung. So schafft er auch nicht
Menschen aus seiner Seele, sondern er zeichnet die Menschen aus seiner Seele, sondern er zeichnet die
Natur wie mit einem feinen Silberstreifen nach. Seine Natur wie mit einem feinen Silberstreifen nach. Seine
Menschen sprechen nicht, wie er sie als Schöpfer haben Menschen sprechen nicht, wie er sie als Schöpfer haben
will, sondern sie handeln und sprechen vollkommen will, sondern sie handeln und sprechen vollkommen
aus ihrer eigenen Lebenssphäre heraus. Wie bei allen aus ihrer eigenen Lebenssphäre heraus. Wie bei allen
derartigen Naturen der psychologischen Betrachtungen derartigen Naturen der psychologischen Betrachtungen
und der melancholisch=skeptischen Resignation hat auch und der melancholisch=skeptischen Resignation hat auch
Schnitzler das Leben als Schein und als schönen Trug Schnitzler das Leben als Schein und als schönen Trug
aufgefaßt. Obwohl er in die Zeit der naturalistischen aufgefaßt. Obwohl er in die Zeit der naturalistischen
Weltbetrachtung gestellt wurde und seine Dramen Weltbetrachtung gestellt wurde und seine Dramen
vielfach den äußeren Anschein des Naturalismus vielfach den äußeren Anschein des Naturalismus
haben, wäre es doch verkehrt, ihn als einen Vertreter haben, wäre es doch verkehrt, ihn als einen Vertreter
dieser Dichtungsart anzusehen. Er ist ein Romanriker dieser Dichtungsart anzusehen. Er ist ein Romanriker
im naturalistischen Gewande. In unübertrefilicher im naturalistischen Gewande. In unübertrefilicher
Weise hat er von sich in einer Dichtung ein Selbst¬ Weise hat er von sich in einer Dichtung ein Selbst¬
bildnis gegeben: bildnis gegeben:
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
wird nur von dem gefunden, der ihn sucht. wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen Es fließen ineinander Traum und Wachen
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von anderen, nichts von uns. Wir wissen nichts von anderen, nichts von uns.
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.
Das Leben als Spiel ist das Leitmotiv, das fast Das Leben als Spiel ist das Leitmotiv, das fast
durch alle Dichtungen Schnitzlers hindurchklingt. In durch alle Dichtungen Schnitzlers hindurchklingt. In
dem Renaissancedrama „Schleier der Beatrice“ war dem Renaissancedrama „Schleier der Beatrice“ war
der Vorwurf für eine große Tragödie gegeben. Aber der Vorwurf für eine große Tragödie gegeben. Aber
auch hier hatte er es nicht über eine Stimmungs¬ auch hier hatte er es nicht über eine Stimmungs¬
box 43/7 box 43/7
USSCHNTT VOM: USSCHNTT VOM:
2 6. OKI. 1931 2 6. OKI. 1931
Die Weltstadt, Berlin Die Weltstadt, Berlin
Arthur Schnitzler Arthur Schnitzler
Wenige Monate vor Vollendung seines Wenige Monate vor Vollendung seines
70. Lebensjahres starb in Wien der 70. Lebensjahres starb in Wien der
Dramatiker und Schriftsteller Arthur Dramatiker und Schriftsteller Arthur
Schnitzler. Schnitzler.
erscheinung hinausgebracht. Als Dichter der psycho¬ erscheinung hinausgebracht. Als Dichter der psycho¬
logischen Reflexion hat er allerdings auf seinem logischen Reflexion hat er allerdings auf seinem
Sondergebiet Großes geschaffen. Er hat in seiner Sondergebiet Großes geschaffen. Er hat in seiner
„Liebelei", seinem ersten Welterfolg, bei aller Be¬ „Liebelei", seinem ersten Welterfolg, bei aller Be¬
grenzheit des Vorwurfs eine Tragödie großen Stils grenzheit des Vorwurfs eine Tragödie großen Stils
gestaltet. Die Heldin dieses Dramas hat zugleich gestaltet. Die Heldin dieses Dramas hat zugleich
typische Schnitzlersche Charokterzüge, denn Schnitzler typische Schnitzlersche Charokterzüge, denn Schnitzler
ist der Schöpfer des „Süßen Mädels". Auch in seinen ist der Schöpfer des „Süßen Mädels". Auch in seinen
Einakterzyklen wie „Anatol" u. a. taucht es auf und Einakterzyklen wie „Anatol" u. a. taucht es auf und
spielt eine liebenswerte Rolle. Mit dem Geistes= und spielt eine liebenswerte Rolle. Mit dem Geistes= und
Gefühlsleben der Gegenwart war Schnitzler nicht Gefühlsleben der Gegenwart war Schnitzler nicht
innig verbunden. Als Novellist hat er Hervorragen¬ innig verbunden. Als Novellist hat er Hervorragen¬
des geleistet, denn sein Wesen und Formgefühl ist meyr des geleistet, denn sein Wesen und Formgefühl ist meyr
für die Novelle als für das Drama geschaffen. Hier für die Novelle als für das Drama geschaffen. Hier
kann er einfache Erlebnisse mit reichen Stimmungen kann er einfache Erlebnisse mit reichen Stimmungen
und einer Fülle von psychologischen Beobachtungen und einer Fülle von psychologischen Beobachtungen
ausstatten. In der Noyelle „Sterben“ sowie in ausstatten. In der Noyelle „Sterben“ sowie in
„Leutnant Gustl“ und in „Fräulein Else“ hatte er „Leutnant Gustl“ und in „Fräulein Else“ hatte er
wahre Perlen der Novellistik geschaffen, ohne jedoch wahre Perlen der Novellistik geschaffen, ohne jedoch
an die großen und wesentlichen Ziele der Zeit und¬ an die großen und wesentlichen Ziele der Zeit und¬
des Lebens zu rühren des Lebens zu rühren
Karl-Anders./ Karl-Anders./