VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 299

2. Schnitzler s Death 2. Schnitzler s Death
OBSERVER OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
dusschnit a vest Beobachter Mecten dusschnit a vest Beobachter Mecten
27 OKT. 1931 27 OKT. 1931

Arthur Schnitzler 1 Arthur Schnitzler 1
Arthur Schnitzler, bekannt durch zahlreiche Arthur Schnitzler, bekannt durch zahlreiche
Stücke („Anatol“, „Liebelei“, „Der grüne Ka¬ Stücke („Anatol“, „Liebelei“, „Der grüne Ka¬
kadu") und Novellen („Leutnant Gustl“, „Fräu= kadu") und Novellen („Leutnant Gustl“, „Fräu=
lein Else“) ist, wie wis bereits meldeten, dieser lein Else“) ist, wie wis bereits meldeten, dieser
Tage gestorben. Literarisch war der bekannte Tage gestorben. Literarisch war der bekannte
jüdische Autor schon längere Zeit, seit etwa 10 jüdische Autor schon längere Zeit, seit etwa 10
bis 12 Jahren tot. Die breitere Öffentlichkeit bis 12 Jahren tot. Die breitere Öffentlichkeit
hörte anläßlich des „Reigen"=skandals das letzte hörte anläßlich des „Reigen"=skandals das letzte
Mal von ihm. Nun gibt sein Hinscheiden der Mal von ihm. Nun gibt sein Hinscheiden der
sogenannten „großen“ Presse Gelegenheit, ihren sogenannten „großen“ Presse Gelegenheit, ihren
Mann noch einmal herauszustellen; das Bestre¬ Mann noch einmal herauszustellen; das Bestre¬
ben, Schnitzlers Ruhm in eine heraufkommende ben, Schnitzlers Ruhm in eine heraufkommende
neue Zeit hinüberzuretten, dürfte verlorene Lie¬ neue Zeit hinüberzuretten, dürfte verlorene Lie¬
besmuhe sein. Um 1900 konnte ein Klassiker der besmuhe sein. Um 1900 konnte ein Klassiker der
„Süße=Mädel“-Dramatik allenfalls imponieren, „Süße=Mädel“-Dramatik allenfalls imponieren,
heute interessiert er nicht einmal mehr. Die heute interessiert er nicht einmal mehr. Die
durchweg auf erotische Effekte abgestimmten durchweg auf erotische Effekte abgestimmten
Werke Schnitzlers waren — abgesehen von dem Werke Schnitzlers waren — abgesehen von dem
bösen „Reigen bösen „Reigen
— nicht ohne einen gewissen — nicht ohne einen gewissen
Scharm, was innere Brüchigkeit bekanntlich Scharm, was innere Brüchigkeit bekanntlich
nicht ausschließt. Adolf Bartels zählt Schnitzler nicht ausschließt. Adolf Bartels zählt Schnitzler
zur feineren jüdischen Dekadenz und damit ist zur feineren jüdischen Dekadenz und damit ist
im Grunde alles gesagt. Da dem gesundenden im Grunde alles gesagt. Da dem gesundenden
deutschen Volke weder jüdisches noch dekadentes deutschen Volke weder jüdisches noch dekadentes
Schaffen liegt, wird Schnitzlers Name bald ver¬ Schaffen liegt, wird Schnitzlers Name bald ver¬
gessen sein. Ehestens wird man noch zu seinem gessen sein. Ehestens wird man noch zu seinem
Roman „Der Weg ins Freie“ greifen, der die Roman „Der Weg ins Freie“ greifen, der die
jüdische Frage behandelt — versteht sich ohne jüdische Frage behandelt — versteht sich ohne
die letzte Ehrlichkeit. die letzte Ehrlichkeit.
box 43/8 box 43/8
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1. österr. behördl. konzessioniertes 1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
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Ausschnitt aus Ausschnitt aus
te te
Auseuger Auseuger
193 193
Nr..VOm. Nr..VOm.
Arthur Schnitzler Arthur Schnitzler
Von Alexander Baldus. Von Alexander Baldus.
Die Zeitungsnachricht, daß der bekannte österreichische Die Zeitungsnachricht, daß der bekannte österreichische
Dichter Arthur Schnitzler in Wien einem Gehirnschlag Dichter Arthur Schnitzler in Wien einem Gehirnschlag
erlegen sei, trifft die Oeffentlichkeit unerwartet, wenn erlegen sei, trifft die Oeffentlichkeit unerwartet, wenn
auch nicht ganz unvorbereitet. Wußte man doch schon auch nicht ganz unvorbereitet. Wußte man doch schon
seit längerer Zeit, daß infolge harter Schicksalsschläge seit längerer Zeit, daß infolge harter Schicksalsschläge
innerhalb des engsten Familienkreises die Gesundheit des innerhalb des engsten Familienkreises die Gesundheit des
beinahe Siebzigjährigen stark erschüttert war, daß sich der beinahe Siebzigjährigen stark erschüttert war, daß sich der
ehemalige Militärarzt, der friich Jahrzehnte hindurch ehemalige Militärarzt, der friich Jahrzehnte hindurch
keinerlei Praxis mehr ausgeübt hatte, weder körperlich keinerlei Praxis mehr ausgeübt hatte, weder körperlich
noch seelisch völlig erholen tonnte. Aber an diesen plötz¬ noch seelisch völlig erholen tonnte. Aber an diesen plötz¬
lichen Tod beim Spaziergang hatte wohl niemand gedacht. lichen Tod beim Spaziergang hatte wohl niemand gedacht.
Doch wie dem auch sei: Dichterisch gesehen war Arthur Doch wie dem auch sei: Dichterisch gesehen war Arthur
Schnitzler schon lange ein Toter, trotzdem er immer noch Schnitzler schon lange ein Toter, trotzdem er immer noch
gedruckt, gelesen, aufgeführt und gefeiert wurde; denn gedruckt, gelesen, aufgeführt und gefeiert wurde; denn
er gehörte einer Epoche an, die mit der Wende des er gehörte einer Epoche an, die mit der Wende des
Beltkrieges zu existieren aufhörte, nachdem sie dank sub¬ Beltkrieges zu existieren aufhörte, nachdem sie dank sub¬
tilster Selbstanalyse sich vorher schon mehr und mehr zer¬ tilster Selbstanalyse sich vorher schon mehr und mehr zer¬
setzt hatte. Es war die Zeit des Impressionismus, des setzt hatte. Es war die Zeit des Impressionismus, des
flüchtigen Erfassens, wie sie, materialistisch und ratio¬ flüchtigen Erfassens, wie sie, materialistisch und ratio¬
nalistisch getönt, im Sinnentindruck die letzte Wahrheit nalistisch getönt, im Sinnentindruck die letzte Wahrheit
zu besitzen wähnte, die Zeit der wandernden und wan¬ zu besitzen wähnte, die Zeit der wandernden und wan¬
delnden Stimmungen, bei denen der Wechsel als das ein¬ delnden Stimmungen, bei denen der Wechsel als das ein¬
zig Feste galt. Was Wunder, daß der Mensch dieser Zeit zig Feste galt. Was Wunder, daß der Mensch dieser Zeit
die Fülle des auf ihn einstürmenden Lebens wie einen die Fülle des auf ihn einstürmenden Lebens wie einen
Taumelkelch genoß, berauscht von der melancholischen Taumelkelch genoß, berauscht von der melancholischen
Trunkenheit ewigen Gleitens und Entgleitens, daß er Trunkenheit ewigen Gleitens und Entgleitens, daß er
sich gleichsam im dunilen Saale eines Weltenkinos sitzen sich gleichsam im dunilen Saale eines Weltenkinos sitzen
wähnte und den magischen Filmstreif der Menschen und wähnte und den magischen Filmstreif der Menschen und
Dinge wie im Traume an sich vorübergleiten ließ. Was Dinge wie im Traume an sich vorübergleiten ließ. Was
Wunder aber auch, daß ein nur leicht verschleierter Pessi¬ Wunder aber auch, daß ein nur leicht verschleierter Pessi¬
mismus, der um die Nichtigkeit jedes Erlebnisses weiß, mismus, der um die Nichtigkeit jedes Erlebnisses weiß,
um die hoffnungslose Einsamteit des Ich, das halb skep¬ um die hoffnungslose Einsamteit des Ich, das halb skep¬
tische und halb ironische Resultat solcher Weltanschauung tische und halb ironische Resultat solcher Weltanschauung
werden mußte, daß jegliches idealistische Ethos, wie es werden mußte, daß jegliches idealistische Ethos, wie es
die revolutionäre Geste des Expressionismus wiederum die revolutionäre Geste des Expressionismus wiederum
mit sich brachte, von vornherein eine Unmöglichkeit war. mit sich brachte, von vornherein eine Unmöglichkeit war.
Arthur Schnitzlers gesamtes dichterisches Werk, das in Arthur Schnitzlers gesamtes dichterisches Werk, das in
dramatischer wie in novellistischer Hinsicht in gleicher dramatischer wie in novellistischer Hinsicht in gleicher
Weise gewertet werden will, ist typisch für diese Zeit, Weise gewertet werden will, ist typisch für diese Zeit,
ja vielleicht der Typus selbst; denn während andere Per¬ ja vielleicht der Typus selbst; denn während andere Per¬
sönlichkeiten von Rang, wie der befreundete Hugo von sönlichkeiten von Rang, wie der befreundete Hugo von
Hofmannsthal, wie Stephan George und schließ ich sogar Hofmannsthal, wie Stephan George und schließ ich sogar
wie Hermann Bahr, um die Flüchtigkeit der so ganz wie Hermann Bahr, um die Flüchtigkeit der so ganz
aufs Flüchtige eingestellten Zeit wußten und sie dem¬ aufs Flüchtige eingestellten Zeit wußten und sie dem¬
entsprechend nur als Durchgangsste entsprechend nur als Durchgangsste
blieb Schnitzler ganz darin, durch blieb Schnitzler ganz darin, durch
eigenes Wesen und dämpfte das mach eigenes Wesen und dämpfte das mach
heimatlichen Milicus zu dem graziö heimatlichen Milicus zu dem graziö
kultivierten Rokokos. Von den srühen kultivierten Rokokos. Von den srühen
(1893), denen der junge Hofmannsthe (1893), denen der junge Hofmannsthe
ten und oft zitierten Vorspruch schen ten und oft zitierten Vorspruch schen
matischen Spätdichtung „Der Gang matischen Spätdichtung „Der Gang
ist der Weg gar lang und reich besät, ist der Weg gar lang und reich besät,
vielgestaltig, durchquert er mit den vielgestaltig, durchquert er mit den
Psychoanalyse die gewaltigen Spanni Psychoanalyse die gewaltigen Spanni
Eros und führt dennoch, da er bewu Eros und führt dennoch, da er bewu
dung ausweicht, niemals zu wirklich dung ausweicht, niemals zu wirklich
wieder wird da Ernst zum Spiel; wieder wird da Ernst zum Spiel;
„Paracelsus" (1893) wird zum Molt „Paracelsus" (1893) wird zum Molt
terischen Schaffens: „Wir spielen in terischen Schaffens: „Wir spielen in
ist klug". Dieses Spiel, das gestaltl ist klug". Dieses Spiel, das gestaltl
beiden Monolog=Novellen „Leutnant beiden Monolog=Novellen „Leutnant
„Fräulein Else" (1924) eine gerade „Fräulein Else" (1924) eine gerade
beherrschung verrät, muß dennoch beherrschung verrät, muß dennoch
Widerspruchs von Stoff und Gestal Widerspruchs von Stoff und Gestal
täuschen, eine Erscheinung, die übrigen täuschen, eine Erscheinung, die übrigen
reichen novellistischen und dramalisch reichen novellistischen und dramalisch
kehrt und die Bewunderung, aber kehrt und die Bewunderung, aber
Die Skepsis erotischer An pielungen Die Skepsis erotischer An pielungen
die sich in schier unerschöpflichen Va die sich in schier unerschöpflichen Va
und alles Absolute auflöst, die in und alles Absolute auflöst, die in
die „Liebelei" (1895) als= lebengestalt die „Liebelei" (1895) als= lebengestalt
„Reigen" (1896 geschrieben, später „Reigen" (1896 geschrieben, später
druckt und wider den Willen des druckt und wider den Willen des
skandalösen Umständen zur Aufführur skandalösen Umständen zur Aufführur
Sznen von der Dirne zur Dirne sch Sznen von der Dirne zur Dirne sch
gar, im „Grünen Kakadu" (1898), d. gar, im „Grünen Kakadu" (1898), d.
Spiel und Wirklichkeit in- und gege Spiel und Wirklichkeit in- und gege
endlich „Traum und Schicksal“ (1931, endlich „Traum und Schicksal“ (1931,
ausgabe der charakteristischsten Nove ausgabe der charakteristischsten Nove
verknüpft, ist müde, doch nicht be verknüpft, ist müde, doch nicht be
do nicht sinnhaft. Und das Sein ist do nicht sinnhaft. Und das Sein ist
des Werdens „der Zukunft! des Werdens „der Zukunft!
Es ist klar, daß der Katholik zu Es ist klar, daß der Katholik zu
Zeit entwerteten Werten Schnitzlers Zeit entwerteten Werten Schnitzlers
wesenhaftes Verhältnis hat, daß er, wesenhaftes Verhältnis hat, daß er,
und an einen Himmel über sich g und an einen Himmel über sich g
Genügen in rein irdischem Spieltrie Genügen in rein irdischem Spieltrie
empfinden kann. Beim Ethos lieg empfinden kann. Beim Ethos lieg
Und die Zeit, die mit dem Expressi Und die Zeit, die mit dem Expressi
den Dichter Recht gab, hat einen T den Dichter Recht gab, hat einen T
gelassen, einen vielfach gefeierten gelassen, einen vielfach gefeierten